Das dritte Geschlecht - Veit Harlan (1957)

Moderator: jogiwan

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CamperVan.Helsing
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Deinem Spoiler nach gehe ich davon aus, dass du die deutsche Kinofassung gesehen hast, mit der man in der Tat nicht bei einer Gay-Pride-Party auflaufen sollte. Das Schwulenbashing sollte man allerdings hier nicht Harlan alleine ankreiden, da der Film massiv bearbeitet wurde, nachdem er von der FSK nicht freigegeben wurde, die dabei in der Begründung sich tief im Nazi-Jargon verlor (siehe Startpost)
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Tomaso Montanaro
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan

Beitrag von Tomaso Montanaro »

ugo-piazza hat geschrieben:Deinem Spoiler nach gehe ich davon aus, dass du die deutsche Kinofassung gesehen hast, mit der man in der Tat nicht bei einer Gay-Pride-Party auflaufen sollte. Das Schwulenbashing sollte man allerdings hier nicht Harlan alleine ankreiden, da der Film massiv bearbeitet wurde, nachdem er von der FSK nicht freigegeben wurde, die dabei in der Begründung sich tief im Nazi-Jargon verlor (siehe Startpost)
Ich habe die Fassung MIT der Szene gesehen und die habe ich von Youtube runtergeladen. Ob das die Kinofassung ist, kann ich nicht sagen.
Natürlich hast Du recht: Der Film ist in der Adenauer-Ära entstanden, da war das Klima bzgl. "freier Liebe" allgemein noch sehr kalt und Homosexualität war eine Straftat. Ein anderer Regisseur hätte vermutlich auch kein freundlicheres Werk produziert (oder produzieren dürfen!).

Ich hab mir jetzt noch im Nachhinein Deinen ausführlichen Beitrag zu Beginn des Threads durchgelesen. Toll gemacht! Gerade bei einem Film der offenbar eine so verzwickte Entstehungsgeschichte hat, wie dieser...
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CamperVan.Helsing
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Aus der Freigabeverweigerungsentscheidung der FSK
Es hat bisher bei der Filmselbstkontrolle immer als Grundsatz gegolten, daß selbst eine Andeutung sexueller Perversitäten im Film nicht zulässig ist. Ebenso ist immer die allzu offene Schilderung der normalen Prostitution als verbotswürdig angesehen worden. Der Film „DAS DRITTE GESCHLECHT“ schildert aber das Treiben der homosexuellen Strichjungen, die von ihrem Protektor Dr. Winkler ausgehalten werden. Er schildert weiter, und zwar ohne direkten Zusammenhang mit der Filmhandlung, die homosexuelle Abart der Transvestiten, indem er ihr Treiben in einem ihrer Verkehrslokale zeigt. Lokale dieser Art gibt es nur in ganz geringer Zahl in einigen Großstädten Europas. Dabei wird in keiner Weise zu dieser Erscheinung Stellung genommen, sie wird lediglich als Sensation vorgeführt. Allerdings gibt der die Untersuchung gegen Frau Teichmann führende Staatsanwalt dazu einen Kommentar, der wenig befriedigen kann, indem er sagt, daß dieses Treiben der Transvestiten vom Staat geduldet werde (obwohl es ungesetzlich ist) und dazu die Begründung gibt („Die Gesellschaft braucht Ventile“). So erscheinen in diesem Film die Organe des Staates, Polizei und Justiz, in einem etwas zweifelhaften Licht. Das Ergebnis dieser Mißverhältnisse in der Schilderung ist, daß der Film als ganzes durchaus nicht abschreckend wirkt. Durch die breite Darstellung des Treibens der Homosexuellen muß bei Vorführung des Films vor einem durchschnittlichen, aus allen Lebensaltern zusammengesetzten Publikum das sittliche Empfinden verletzt werden. Auch muß der Film, da er keine keine eindeutige Stellungnahme gegen das Treiben der Homosexuellen erkennen läßt, und da ihm jeder sittliche Maßstab fehlt, sittlich verwirrend und damit entsittlichend auf weite, normal empfindende Kreise wirken. Nicht nur aus Gründen der Moral sondern auch aus dem Gesichtspunkte der Erhaltung der Volksgesundheit muß der Film, der zur Popularisierung eines perversen sexuellen Verhaltens beiträgt, vom Publikum ferngehalten werden.

Es geht hier um schutzwürdige Lebensgrundlagen des Staates und der Gesellschaft.
Aus der zweiten Ablehnung der FSK:
Zuzugeben ist, daß die männliche Homosexualität in vielerlei Arten auftritt. Vom koketten, pansexuellen, geltungssüchtigen Weichling über den kalten, egozentrischen Strichjungen bis zum verführten noch ganz kindlichen Pubertierenden, von der Gelegenheitshandlung unter Alkohol oder bei gegebener Versuchung bis zum braven Spießer, der seine weitgehende Sexualisierung im Mitnehmen aller Möglichkeiten erweist, sind alle Formen sexuellen Lebensstils vorhanden und ist jede nur denkbare Abwandlung des sexuellen Tuns vertreten. Ein Film, der zudem noch ein Spielfilm ist, kann diese zahlreichen Gesichter der Homosexualität allerdings nicht im einzelnen zeigen. Aber anstatt wenigstens einen Einblick zu geben wird im Film die Homosexualität ausschließlich in die ästhetizistische Haltung mit der angeblichen Suche nach Wissensübermittlung, künstlerischer Neigung und Freundschaft eingebaut. Dies gilt nicht nur für den Kreis der sich um Dr. Winkler sammelnden Jungen, sondern auch für dessen „Freunde“ im Ausland, die man zweimal bei ihm sieht. Der unbefangene Beschauer muß daher die Überzeugung gewinnen, daß in homosexuellen Kreisen Kunst und Literatur eine Heimstatt haben, daß gerade dort echte Bindungen bestehen und daß dort jungen Menschen wirkliche Hilfe wird (vergl. Äußerung der Mutter Manfreds gegenüber Vater Teichmann und dessen Schwager Max.) Daß erfahrungsgemäß trotz bestehender freundschaftlicher Beziehungen Homosexueller sich jedoch weithin bindungslos zeigen, daß ihre Freundschaften viel seltener sind, als man wahrhaben will, daß die Homosexuellen in Wirklichkeit isoliert sind, und daß der eine den anderen „nicht für voll“ nimmt, wird nicht gesagt. Homosexuelle Beziehungen sind gerade sehr häufig völlig unverbindlich bleibende Zuneigungen zu wechselnden Partnern. Der Partner spielt nur als mittätiges Vollzugs- oder Erleidensobjekt eine Rolle, während das Entscheidende der eigene Lustgewinn bleibt.

Wie der Film nicht das wahre Gesicht der Homosexualität zeigt, so zeigt er auch nicht ihre außerordentliche Gefahr. Sie besteht insbesondere für Jugendliche darin, daß die jungen Menschen gegenüber dem älteren, überlegeneren und erfahrenen Mann wie Dr. Winkler in sexuelle Partnerschaft, Abhängigkeit und schließlich Hörigkeit geraten, und weiterhin für die männliche Sexualität überhaupt darin, daß sie die männliche Reifung und Durchformung der Sexualität zu einem natürlichen Lebensstil hindert, da die Homosexuellen in der eigenen leiblichen Sphäre ohne den Einsatz und die Selbsthergabe, die die Aufnahme von Beziehungen zum weiblichen Geschlecht verlangt, verbleiben. . Dementgegen läßt der Film den falschen Eindruck aufkommen, daß sich in einem Kreise wie dem um Dr. Winkler eine wertvolle, freie „männliche Gesellschaft“ bildet. Dieser Eindruck vermittelt nichts anderes, als wenn Hans Blüher, ein Homosexueller sagt: „Gäbe es im menschlichen Geschlecht nur die Familie, so wäre nichts weiter gewährleistet als die Erhaltung der Art. Die Staatsbildung kommt erst durch das Einsetzen eines zweiten Poles mit soziologischer Begabung zustande, und dieser zweite Pol ist die männliche Gesellschaft“. Die hier gemeinte „männliche Gesellschaft“ sind die, wie oben dargelegt, lediglich auf sexueller Ebene zusammengekommenen Homosexuellen.

Beweisen schon diese Ausführungen eindeutig, daß der in keiner Weise von der Homosexualität abrückt, so wirbt er darüber hinaus geradezu um Verständnis für die Homosexuellen, wenn wiederholt vom „Schicksal“ oder von „Schatten sind auch in der Natur“ gesprochen wird und wenn man die Worte des moralisierenden homosexuellen Rechtsanwaltes in der Unterhaltung mit Dr. Winkler näher betrachtet. Auch der Titel des Films liegt auf der gleichen Linie. Mit ihm wird dasselbe ausgesagt, wie immer wieder in allen möglichen Abwandlungen in den homosexuellen Heften („Hellas“, „Humanitas“, „Der Weg“, „Gefährten“ usw.) geschrieben wird, nämlich vom andersgesichtigen Eros und daß die Veranlagung Natur sei, die man zu ehren habe, wie sie ist und nicht wie das Strafgesetz es wünscht, und daß der homoerotische Liebesvollzug nicht widernatürlich sei, sondern Ausfluß der einen großen Natur, deren Entfaltung wir zumindest hinzunehmen hätten in allen Formen (vgl. für viele: „Hellas“, Mai 1954, S. 147 ff).

Daß der Film von der Homosexualität nicht nur nicht abrückt, sondern im Gegenteil etwas anderes bezweckt, zeigt auch eine Gegenüberstellung des Dr. Winkler und seines Kreises mit der Familie Teichmann. Der Vater Teichmann hat für Kunst nichts übrig. Er führt ein Dutzenddasein, ein Spießerleben, wie es gerade von den Homosexuellen mehr oder minder geistreich abgelehnt wird. Die Mutter Teichmann ist recht hilflos. Sie verfällt (für jede Mutter einfach unfaßbar) auf den ausgefallenen Gedanken, die Haustochter zu veranlassen, sich dem gefährdeten Sohn anzubieten und hinzugeben. Dr. Winkler ist demgegenüber ein geistig hochstehender, künstlerisch interessierter, selbstsicherer überlegener Mann. Er hat weitreichende Beziehungen, er geht und kommt, ihm geschieht nichts. Staatsanwalt und Polizei kümmern sich kaum um ihn, aber dem Vater Teichmann sagt der Staatsanwalt, welch schweres Verbrechen er (Teichmann) begangen hat, und der Mutter Teichmann, die eigentlich nur für ihre bodenlose Dummheit und ihre Instinktlosigkeit gestraft werden müßte, wird der Prozeß gemacht. Die Vernehmung des Achim durch den Kommissar mutet fast wie ein Witz an, während die Vernehmung der Haustochter Gerda durch den gleichen Kommissar (in allen Ländern der Bundesrepublik wird in solchen Fällen eine Beamtin tätig) mit kaum zu überbietender Schärfe durchgeführt wird und an üble Polizeipraktiken erinnert. Schließlich wird die Mutter Teichmann bestraft, weil kein Fachpsychologe und kein Arzt dieser hilflosen Frau einen vernünftigen Rat geben konnten, wie ihn unzählige Väter und Mütter in gleicher Lage sich selbst geben, und Klaus, der in der Pubertät, wie viele Jungen, versucht war, einmal einen falschen Weg zu gehen, muß durch die Bestrafung seiner Mutter mitsühnen. Über den wirklichen Verbrecher Dr. Winkler tagt jedoch kein Gericht. Sein Name wird in der Urteilsbegründung gegen die Mutter Teichmann noch nicht einmal erwähnt.

Faßt man dies alles zusammen, so kann man sich nur schwer des Gedankens erwehren, daß der Film für die männliche Homosexualität Propaganda machen und daß er gegen die Vorschrift des § 175 St.G.B. angehen will. Zum wenigstens wird bei dem Beschauer eine dahingehende Wirkung hervorgerufen. Daß sich eine solche Wirkung mit den in Deutschland bestehenden Vorstellungen über die Homosexualität nicht vereinbaren läßt, bedarf nach dem Obengesagten keiner weiteren Darlegung. Ein Film mit solcher Wirkung kann von den Homosexuellen nur begrüßt werden, während alle Bevölkerungskreise, die noch ein Gefühl für Sitte und Recht haben (und dies ist der weitaus überwiegende Teil des Volkes), in ihren Empfindungen aufs schwerste getroffen werden. Diese verletzende Wirkung geht auch aus, wie der Arbeitsausschuß zutreffend dargelegt hat, von dem Verhalten der Mutter Teichmann, gegenüber der Haustochter Gerda und deren alsbaldiger Hingabe an Klaus, ein Geschehen, das jedes Gefühl für angeborene Scham vermissen läßt. Dem Film diese Wirkung durch irgendwelche Schnitte zu nehmen, hält der Hauptausschuß für unmöglich, da die gesamte plumpe Durchführung des Themas untragbar ist. An dieser Durchführung vermögen Schnitte, wenn sie vielleicht auch die schlimmsten Vergröberungen beseitigten, nichts zu ändern. Im übrigen betreffen die von der Berufungsführerin selbst vorgeschlagenen Schnitte im wesentlichen solche Stellen des Filmes, die auch aus jedem anderen Film eliminiert werden müßten.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Der Hauptausschuß der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft
In Vertretung des abwesenden Vorsitzenden

gez. Kayser
Oberstaatsanwalt

Harlan an seinen Rechtsanwalt Horst von Hartlieb
Ich habe es erlebt, was das heißt. Wir beide reden ehrlich miteinander, lieber Herr Dr. von Hartlieb: Mein Film „JUD SÜSS“ war ganz anders als er zum Schluß wirkte, nachdem Goebbels die Zusätze und Veränderungen hineingemacht hat. Natürlich habe ich die Juden damals dämonisch gezeigt, aber ich habe ihnen auch die guten Seiten belassen, und habe den Juden heroisch sterben lassen, wie er das in Wirklichkeit getan hat. Als nun Goebbels den anderen Schluß machte, und die Nachsynchronisationen und verschiedenen Neudrehungen veranlaßte, konnte er die von mir inszenierte Dämonie der Juden sehr leicht verwenden, um die Juden zu Dämonen zu machen, ja schließlich zu Teufel. Jeder, der den Film heute mit den Veränderungen von Goebbels sieht, hat daher Grund zu sagen, daß ja nicht a l l e s von Goebbels nachgemacht worden sein kann, und so ist etwas Tragisches geschehen, für was ich eine Schuld trage, weil ich dem Goebbels Gelegenheit gegeben habe, auf meine Arbeit die seine bösartige zu setzen.

Glauben Sie mir, ich befinde mich seit Wochen in einem traurigen Zustand. Es ist für mich dieselbe Situation erneut gegeben. Ich habe den Homosexuellen eine Dämonie verliehen, die ich durch die Elektronenmusik und durch eine Art der Beleuchtung noch unterstrichen habe. Ich habe dieses Dämonische attraktiv gestaltet, um die verführerische Gefahr klar zu machen – denn würde der Teufel wirklich Hörner haben und einen Schwanz, dann würden ihm die Menschen ja nicht so leicht folgen. Wenn nun diese Verführer zu dieser Strafe geführt werden, wie das jetzt der Film deutlich ahnen läßt, dann werden doch einfache Menschen, die über das Wesen der Homosexualität überhaupt nicht orientiert sind, annehmen, daß alle Homosexuellen so sind. Jedenfalls besteht die Gefahr hier, weit mehr, als bei „JUD SÜSS“. Daß unter den Juden immerhin Jesus Christus war und Petrus, und daß es hervorragende Menschen unter ihnen gibt, das weiß ja auch der Primitivste. Wer hat aber ein ähnliches Wissen über Homosexuelle? Auf alle Fälle werden jetzt die Homosexuellen bei uns dargestellt, als sei die homosexuelle Veranlagung und eine verbrecherische Tat ein und dasselbe. Da der Film besonders gut gelungen zu sein scheint – das kann man ja auch von "JUD SÜSS" behaupten,, wird sich diese Verleumdung über die Homosexuellen vielleicht in einer sehr tragischen Weise durchsetzen, und eines Tages wird man Veit Harlan dafür verantwortlich machen, daß er einen Hetzfilm gemacht hat. Wieder mal!

Mir ist ziemlich plumerant. Ich habe von Herrn Wecker eine Zeitung in die Hand bekommen. Und zwar die Nr. 38 von der „WELT AM MONTAG“, die in Wien herausgekommen ist. Aus dieser Zeitung geht hervor, daß ich sehr gut mit meinem Film verstanden worden bin. Da steht ein Ausspruch des österreichischen Justizministers, der die Homosexuellen so einschätzt, wie unser Film das tut, oder besser gesagt das tat. Es steht auch in diesem Artikel, daß man die Homosexuellen nicht totschlagen solle, sondern daß man die Jugend vor ihnen schützen solle durch richtige Erziehungsmaßnahme. Unser Film schlägt jetzt die Homosexuellen tot.

Ich kann natürlich nicht eine andere Entscheidung treffen, als die auf alle Fälle der Firma den Film so zu gestalten, daß er erlaubt werden kann. „JUD SÜSS“ war ja damals auch verboten, weil er zu sympathisch mit den Juden umging. Damals waren zwar nicht die finanziellen Dinge von Wichtigkeit, aber damals habe ich zu Goebbels gesagt: „Ich mache es nicht, soll es ein anderer machen.“ Es machte dann ein anderer, und der machte es schlimmer als ich es gemacht hätte. Natürlich machte ich mir damals Vorwürfe. Und in der Weltmeinung hat es mir nichts genützt, daß ich es nicht selbst gemacht habe. Diesmal habe ich es selbst gemacht. Ich habe sowohl den Herrn Wecker, der sich sehr kameradschaftlich zu mir verhalten hat, sehr gerne. Und auch Herr Bartels ist besonders freundlich zu mir gewesen. Und ich habe alle Veranlassung, diese beiden Firmen vor Schaden zu bewahren.

Wenn ich nun noch lese, daß die betreffende Kirchenveröffentlichung von der katholischen Kirche in Österreich eine glänzende Kritik über mich geschrieben hat, und den Film (mit gewissen Einschränkungen) für den Besuch empfiehlt, dann denke ich mir, daß diese Kircheneinstellung sich auf alle Fälle verändern wird, wenn man sieht, daß wieder einmal ein Hetzfilm gemacht wird.

Ich hätte den Film niemals übernommen, wenn ich die Vorstellung gehabt hätte, daß es in unserer Demokratie möglich ist, daß man unter der Vorgabe die Kinder richtig erziehen zu müssen, sich gegen eine Menschenart, die für ihre Veranlagung nicht die geringste Schuld trägt, wenden zu müssen. Es hätte dann in diesem Film eine große Gestalt erfunden werden müssen, die ebenfalls Homosexuell ist, ohne als verbrecherisch bezeichnet zu werden. Wenn nun gar die Szene mit dem Rechtsanwalt, die ich selbst gar nicht liebe, weil der Schauspieler so schlecht ist, auch noch herauskommen muß, dann wird das noch schlimmer.
Und schließlich die Filmbewertungsstelle Wiesbaden zur umgearbeiteten Fassung:
Der Bewertungsausschuß ist einstimmig der Meinung, daß der Film kein Prädikat erhalten kann. Er bedauert aufs äußerste die Leichtfertigkeit, mit der hier ein menschlich schwieriges Problem und eine Schattenseite des gesellschaftlichen Lebens abgehandelt und überdies noch im Sinne einer fragwürdigen Publikumswirksamkeit ausgenutzt worden ist.

Wenn schon ein Film es unternimmt, ein so verflochtenes und für eine öffentliche Behandlung kaum geeignetes Thema eben in der Öffentlichkeit zu behandeln, müssen die Autoren über ein entsprechendes Verantwortungsbewußtsein und eine Verantwortungsfähigkeit verfügen. Beides ist aber dem Anschein nach, den dieser Film vermittelt, nicht der Fall. Es erscheint als unverantwortlich, bloß eine gewisse Außenseite des Problems breit zu schildern und auf jede Entwicklung der inneren und äußeren Konsequenzen zu verzichten. Wenn die Filmautoren der Ansicht sind, daß die abrupt eingefügte Szene von der Verhaftung von Boris Winkler etwa die Konsequenzen aus seinem Tun repräsentativ darstellen soll, so muß festgestellt werden, daß sie die unzulänglichste aller Möglichkeiten gewählt haben.

Ebenso unzulänglich ist es, die Schuld der Mutter mit einer formal-juristisch korrekten Zurückweisung und einer sentimentalen Pose auf sich beruhen zu lassen. Jede innere Aufarbeitung der Schuld und jede wesentliche Wiederherstellung der sittlichen wie der sozialen Ordnung wird übergangen. Das Faktum, daß die beiden jungen Leute am Ende des Films in einer echten Liebe verbunden sind, ist zweifellos keine ausreichende Rechtfertigung für die frühere schuldhafte Handlungsweise der Mutter. Der Bewertungsausschuß bezweifelt nicht, daß eine Mutter sich entschließen kann, so zu handeln; sein Einwand richtet sich dagegen, daß die Machart des Films diese Handlungsweise unter der Hand und gefühlsmäßig als gerechtfertigt, ja als sympathisch erscheinen läßt.

Der Film vertritt – zwar nicht durch Worte, aber durch seine Bildsprache – die irrigen Prinzipien, daß der Zweck die Mittel heilige und daß der Erfolgreiche zwar mit formaljuristischen Schwierigkeiten rechnen muß, aber im Grund recht hat; damit ruft er eine geistige Unordnung zurück, die in einer dunklen Epoche der jüngsten deutschen Vergangenheit herrschend war. Dem Film fehlt die für die Behandlung eines solchen Themas unbedingt erforderliche klare Vorstellung einer menschlichen und sozialen Ordnung. Statt mit Ernst und Konsequenz das Problem in der gebotenen Zurückhaltung und mit dem in diesem Falle unbedingt erforderlichen Takt zu behandeln, wird, wie der Richter gegen Ende des Films sagt, lediglich gezeigt, wie eine Unordnung durch eine andere Unordnung kompensiert werden soll. Er verwirrt die Ordnungsbegriffe und entläßt den Zuschauer, vor allem den jüngeren, geistig noch nicht gefestigten Zuschauer ohne jede Weisung. Da er überdies nur eine mit verschiedenen sensationellen und erotischen Effekten ausgestattete Schauseite der Probleme bietet, kann ihm nicht nur kein Wert zuerkannt werden, sondern erscheint er dem Bewertungsausschuß als ausgesprochen unwert.

Daß dem Film nicht nur ein Ordnungsbild fehlt, sondern daß er auch die Begriffe verwirrt, geht mit einer verblüffenden Unverhülltheit daraus hervor, daß er geistige Interessiertheit und die Beschäftigung mit neuen Kunstformen auf dem Gebiet der Literatur, der Malerei und der Musik in einer geradezu naiven Weise mit Homosexualität in eine unmittelbare Verbindung bringt. Es erscheint jedoch dem Bewertungsausschuß zweifelhaft, daß es sich hier bei dem Autor Lützkendorf und bei dem Regisseur Harlan lediglich um Naivität handelt; hier wird in einer ähnlich primitiven Weise wie zurzeit des Nationalsozialismus die Entwicklung neuer Kunstformen als Ergebnis einer menschlichen „Entartung“ hingestellt und auf eine ebenso primitive wie hinterhältige Weise eine Stimmung gegen diese kulturellen Erscheinungen im Publikum verbreitet.

Die Autoren haben es sich bei ihren fragwürdigen Absichten überdies noch insofern einfach gemacht, als sie die Figuren ohne jedes Bemühen um eine psychologische Differenzierung als Typen abstempelten. Die pseudo-dämonische Aufmachung des Boris Winkler (plus Ausleuchtung und fotografische Effekte) erinnert an schlechtes Kunstgewerbe. Der Vater muß permanent spießbürgerlich schimpfen: eine Überzeichnung, die einer tendenziösen Verzerrung gleichkommt. Die Konzeption wie auch die Besetzung der Rolle der Mutter ist wiederum von einer anderen Absicht diktiert, jedenfalls nicht von der, eine glaubwürdige Milieuschilderung mit einer entsprechenden menschlichen Korrespondenz zwischen den beiden Eltern zu schaffen. Die Rolle der Mutter ist im Hinblick auf ihre Funktion in der Gerichtsverhandlung und auf den oben schon kritisch erwähnten Effekt einer sentimentalen Rechtfertigung hin konzipiert und nicht ohne Geschick mit Paula Wessely besetzt worden.

Daß der Film, was die Regieführung der Einzelszenen, die Kamera, die Bauten und den Schnitt angeht, ordentlich gemacht ist, kann in diesem Falle bedauerlicherweise kein Gegengewicht gegen die angeführten grundsätzlichen Mängel bilden. Das gleiche gilt von den durchweg vorzüglichen schauspielerischen Leistungen.
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan

Beitrag von Tomaso Montanaro »

Super!

Da hätten wir dann wohl alles an einem Ort zusammengetragen, was es zu diesem Film zu sagen gibt.

Aufgrund des Umfangs an Material fühle ich mich doch glatt an "Tanz der Teufel" erinnert. Sorry, echt blöder Vergleich, aber offenbar wussten die Beamten schon damals sehr gut, wie man sich selbst auf Kosten des Steuerzahlers sinnlos beschäftigt und seinen Arbeitsplatz sichert.

Apropos Beamte: Was macht eigentlich ein Oberstaatsanwalt bei der FSK? FSK und Staatsanwaltschaft sind doch eigentlich zwei völlig unterschiedliche, voneinander unabhängige Institutionen.
Offenbar war das damals noch nicht so...

Und nun der Link zum Film selbst - für alle, die neugierig geworden sind:

[BBvideo][/BBvideo]
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan

Beitrag von italostrikesback »

Ich besitze nur die ganz normale DVD und mag diese Version sehr, weil sie, egal ob Szenen geändert werden mussten, der damaligen Zeit entspricht. Diese Zeit interessiert mich mehr, als Harlans Intension.
Das tatsächlich in Deutschland gelaufene Endprodukt ist somit zeitgeschichtlich genauso interessant.
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CamperVan.Helsing
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Tomaso Montanaro hat geschrieben:Super!

Da hätten wir dann wohl alles an einem Ort zusammengetragen, was es zu diesem Film zu sagen gibt.

Aufgrund des Umfangs an Material fühle ich mich doch glatt an "Tanz der Teufel" erinnert. Sorry, echt blöder Vergleich, aber offenbar wussten die Beamten schon damals sehr gut, wie man sich selbst auf Kosten des Steuerzahlers sinnlos beschäftigt und seinen Arbeitsplatz sichert.

Apropos Beamte: Was macht eigentlich ein Oberstaatsanwalt bei der FSK? FSK und Staatsanwaltschaft sind doch eigentlich zwei völlig unterschiedliche, voneinander unabhängige Institutionen.
Offenbar war das damals noch nicht so...

Und nun der Link zum Film selbst - für alle, die neugierig geworden sind:

[BBvideo][/BBvideo]

Das mit dem Staatsanwalt hat mich auch seehr irritiert, daher auch meine farbliche Markierung.


Bei den ersten 3 Dokumenten hab ich ein paar Absätze weggelassen, ebenso zwei weitere Dokumente. Für einen Einblick reicht es aber wohl. ;)
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan

Beitrag von CamperVan.Helsing »

italostrikesback hat geschrieben:Ich besitze nur die ganz normale DVD und mag diese Version sehr, weil sie, egal ob Szenen geändert werden mussten, der damaligen Zeit entspricht. Diese Zeit interessiert mich mehr, als Harlans Intension.
Das tatsächlich in Deutschland gelaufene Endprodukt ist somit zeitgeschichtlich genauso interessant.
Damit hast du durchaus recht. Ich finde es allerdings wirklich unverzeihlich, dass gerade in einer Reihe namens "Edition Filmmuseum" trotz ursprünglich anderer Ankündigung dann NUR die deutsche Kinofassung vollständig enthalten war, OBWOHL eben auch die in Österreich gezeigte Ursprungsfassung angekündigt war. Das sind ja schließlich 3€-Grabbeltisch-Ausgaben von Pest Entertainment...

Aber vielleicht kannst du bei deinem Kontakt zu Filmjuwelen mal fragen, ob die tatsächlich auch die Rechte an den ARCA-Winston-Produktionen übernommen haben.
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