Das dritte Geschlecht - Veit Harlan (1957)
Moderator: jogiwan
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Das dritte Geschlecht - Veit Harlan (1957)
Vorgeschichte 1:
Veit Harlan wurde berüchtigt als Regisseur von Propagandafilmen des Nazi-Regimes. „Jud Süß“ ging auf sein Konto und noch in den letzten Tagen des 3. Reiches kam „Kolberg“ heraus.
Nach dem Krieg wurde Harlan 1949 wegen seiner Mitwirkung an „Jud Süß“ wegen „Beihilfe zur Verfolgung“ angeklagt, Harlan wurde freigesprochen und nach der Urteilsverkündung von Anhängern auf deren Schultern aus dem Gerichtssaal getragen! Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein und konnte eine Aufhebung des Urteils erwirken. Der erneute Prozess endete im April 1950 wiederum mit einem Freispruch, nachdem Harlan sich darauf berufen hatte, dass man ihn quasi genötigt habe, den Film zu drehen, und ihn eine Weigerung in massive Schwierigkeiten gebracht hätte.
(Der Regisseur Geza von Cziffra behauptete in seiner 1975 erschienenen Autobiografie hingegen, Harlan selbst habe im Propagandaministerium interveniert, um den Film drehen zu können.)
1951 begann Harlan seinen ersten Nachkriegsfilm „Unsterbliche Geliebte“ zu drehen. Der Hamburger Senatsdirektor Erich Lüth rief daraufhin zum Boykott auf. Die Kinobesitzer sollten ihn nicht in ihr Programm aufnehmen und das Publikum sollte ihn nicht besuchen. Die Domnick-Film-Produktion-GmbH und die Herzog-Film-GmbH (die Verleihfirma) erwirkten daraufhin vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen Lüth, in der Lüth untersagt wurde, zum Boykott aufzurufen.
Lüth wandte sich schließlich an das Bundesverfassungsgericht, das allerdings erst 1958 über den Fall entschied und Lüth Recht gab. Das Lüth-Urteil gilt als erste grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit.
http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv007198.html
Vorgeschichte 2:
1957 drehte Harlan für die Berliner Arca-Filmgesellschaft mbH von Gero Wecker einen Film zum Thema Homosexualität. Homosexualität (NUR die männliche!) war damals generell strafbar, was erst im Rahmen der großen Strafrechtsreform Ende der 60ger geändert wurde (zusammen übrigens mit der Abschaffung der Strafbarkeit der Sodomie…). Just 1957 hatte auch das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit männlicher Homosexualität zu urteilen, und bejahte dies! Das Urteil in all seiner absurden Abstrusität kann man unter http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv006389.htmlnachlesen.
Harlans Film „Das dritte Geschlecht“ wurde von der FSK nicht freigegeben. Die Begründung kann man im Cinefacts-Forum nachlesen, dort heißt es: „Aus der Einseitigkeit der Milieuzeichnung ergibt sich eine Überbewertung des Kreises der Homosexuellen, die als eine Art Propaganda für sie wirken muss. (…) Durch die breite Darstellung des Treibens der Homosexuellen muss bei Vorführung des Films vor einem durchschnittlichen, aus allen Lebensaltern zusammengesetzten Publikum das sittliche Empfinden verletzt werden. Auch muss der Film, da er ja keine eindeutige Stellungnahme gegen das Treiben der Homosexuellen erkennen lässt und da ihm jeder sittliche Maßstab fehlt, sittlich verrohend und damit entsittlichend auf weite, normal empfindende Kreise wirken. Nicht nur aus Gründen der Moral, sondern auch aus dem Gesichtspunkte der Erhaltung der Volksgesundheit muss der Film, der zur Popularisierung eines perversen sexuellen Verhaltens beiträgt, vom Publikum ferngehalten werden. Es geht hier um schutzwürdige Lebensgrundlagen des Staates und der Gesellschaft.“ Ja, das wurde wirklich 1957 geschrieben und nicht 1937!
Daraufhin wurden einige Szenen neu gedreht, wodurch die ursprüngliche Intention des Filmes nun endgültig ins Gay-bashing geändert wurde. Nunmehr mit dem Persilschein der FSK ausgestattet, wurde der Titel geändert in „Anders als du und ich (§ 175)“ und der Film hatte Ende Oktober 1957 seine Premiere in Stuttgart. In Österreich hingegen startete der Film bereits zwei Monate früher und zwar in seiner ursprünglichen Fassung und seinem ursprünglichen Titel, womit ausgerechnet Veit Harlan eine unselige Tradition begründet haben dürfte, die bis zum heutigen Tage andauert.
Die deutsche Kinofassung wurde lt. Cinefacts 1986 mal auf Tele 5 gezeigt, beim Bochumer „Besonders wertlos“-Festival des deutschen psychotronischen Films lief sie auch mal, bis dann 2006 in der neuen „Edition Filmmuseum“ eine Doppel-DVD angekündigt wurde, die beide Versionen des Films beinhalten sollte.
Umso größer war die Enttäuschung über das Ergebnis, vollständig enthalten war nämlich auch wieder nur die „Anders als du und ich“-Version, also die DF. Dazu gab es einen Szenenvergleich, bei dem dann einmal die Szene aus der DF sowie die Szene aus der Ursprungsfassung gezeigt wurde. Dass die Ursprungsfassung nicht vollständig enthalten war, wurde damit begründet, dass nicht sicher sei, ob wirklich sämtliches Material vorhanden sei, außerdem seien manche Szenen dieser Version auf Druck des Produzenten entstanden und von Harlan gar nicht gewollt gewesen. Mag sein, beschämend ist dies dennoch. Hier hatte man die große Chance, ein verstümmeltes Werk zu rehabilitieren, und vergab sie grandios. Unfassbar! Ich habe die Scheibe dann auch nicht gekauft.
Ein netter Mensch, dessen Name hier unerwähnt bleiben muss, tat aber genau dies, und hat mir nicht nur seine DVD leihweise zur Verfügung gestellt. Nein, er hat anhand des DVD-Materials selbst die Ösi-Fassung rekonstruiert und mir zur Verfügung gestellt. Merci Beaucoup!
Der Film (enthält Spoiler!):
Bankdirektor Teichmann (Paul Dahlke) ist besorgt über seinen 17jährigen Sohn Klaus (Christian Wolff, der spätere Falkenau-Förster), der absolut kein Interesse an Mädchen zu haben scheint. Er interessiert sich vielmehr über abstrakte Malerei und hängt mit seinem Gedichte schreibenden Kumpel Manfred Glatz rum, der ein kleines Eifersuchtsproblem hat, als er Klaus Rock’n’Roll-tanzend mit seiner Cousine „erwischt“ („Scheiß Weiber“).
Vater Teichmann sperrt Klaus in seinem Zimmer ein, um zu verhindern, dass er sich weiterhin mit Manfred trifft, was natürlich vergebliche Müh ist. Vati erfährt unterdessen, dass die beiden sich mit einem gewissen Dr. Boris Winkler treffen wollen, der irgendwas mit Kunst zu tun hat, worauf sich Vati erst mal in Rage redet („Aus diesen Kreisen kommen ja die ganzen Verbrecher!“).
Winklers (Friedrich Joloff) Wohnung dient offenbar als ein Treffpunkt junger kunstinteressierter Männer, wo sich ein Trautonium („Elektronen-Musik“ von Oskar Sala!) befindet, wo allerdings auch Ringkämpfe junger Männern, nur mit Slips bekleidet, dargeboten werden (lt. Cinefacts soll es bei Joloff zuhause auch solche Partys gegeben haben).
Vater Teichmann und sein Schwager Max Mertens sind unterdessen auf der Suche nach Klaus. Von Manfreds Mutter haben sie die Adresse von Boris und einiger einschlägiger Lokale erhalten. Nachdem sie in Winklers Zuhause vom Butler mit einer falschen Auskunft abgewimmelt wurden, landen sie somit in den lokalen Travestie-Lokalen, was Vatis Weltbild noch weiter erschüttert.
Vati und Mutti Teichmann suchen daraufhin einen Jugendpsychologen auf, der der Meinung ist, dass Klaus Hemmungen vor Mädchen habe, die man ihm nehme müsse. Die Mutter (Paula Wessely) solle sich drum kümmern.
Und Mutti hat da auch eine Idee, das Hausmädchen Gerda (Ingrid Stenn), eine 20jährige Kriegswaise, ist nämlich heimlich in Klaus verschossen. Vati sucht unterdessen Boris Winkler in seiner Galerie auf, um ihm den weiteren Umgang mit Klaus zu untersagen. Winkler entgegnet „Wenn Klaus zu mir kommen will, wird er mein Haus immer offen finden“, worauf Vati droht, die Polizei einzuschalten. Tatsächlich erstattet Vati Anzeige gegen Winkler wegen homosexueller Verführung Jugendlicher.
Als Vati und Mutti eine Woche wegfahren, lädt Klaus Manfred ein, bei ihm zu wohnen, doch wird Manfred von Gerda kurzerhand nicht ins Haus gelassen, schließlich hofft Gerda darauf, Klaus verführen zu können (und hat immerhin von Mutti quasi die Erlaubnis bekommen, ihn verführen zu dürfen, denn so der Rat eines Arztes, nur die Natur könne ihn heilen!). Und Gerda hofft nicht vergebens! Der Zuschauer übrigens auch nicht, denn nachdem er kurz zuvor schon zwei kurze Blicke auf Gerdas Busen erhaschen durfte (huch!), darf Ingrid Stenn hier nun noch mal ihre Titten in voller Pracht präsentieren, was man in einem Film von 1957 nicht unbedingt erwarten durfte (ist in der DF nicht drin, und im übrigen jene oben angesproche Sequenz, die offenbar auf Druck des Produzenten gedreht wurde).
Allerdings hat Manfred wieder einen Eifersuchtsflash und stalkt Klaus hinterher, so dass er mitbekommt, dass zwischen Gerda und Klaus was läuft, wovon er Boris brühwarm erzählt. Und der erstattet nun seinerseits Anzeige gegen Vati, wegen Kuppelei.
Da aber diverse Jungs bereits von der Polizei vorgeladen wurden, überlegt Boris, Deutschland zu verlassen, und „in ein Land zu gehen, wo sich die Polizei nicht dauernd in das Privatleben einmischt.“
Zunächst sucht er allerdings einen ebenfalls schwulen Rechtsanwalt auf, bekommt von ihm jedoch einen moralisierenden Vortrag („Sexuelle Bindung an mehrere Menschen ist unästhetisch und schon deshalb unsittlich, weil sie von Untreue und tierischen Instinkten begleitet ist.“) und die Auskunft, dass er ihn nicht verteidigen wolle. (ist in der DF nicht enthalten)
Vati wird unterdessen aufgrund der Winklerschen Anzeige vom Staatsanwalt (Siegfried „Sir John“ Schürenberg) vorgeladen, wo er (der Vater) zunächst erst mal die vorbeugende Inhaftierung Homosexueller fordert.
Bei Boris versammelt sich eine internationale Gruppe alternder Schwuler, die Boris dazu aufrufen, das Land zu verlassen, da in Paris oder Rom nicht so lächerliche Gesetze gelten würden (auch dies fehlt in der DF, da hierdurch der Eindruck entstehen könnte, „Kriminelle“ hätten ein internationales Netzwerk gespannt)
Dann muss Gerda sich auf der Polizeistation einem entwürdigenden Verhör zum Sex mit Klaus unterziehen lassen, dass der StPO nicht entsprochen haben dürfte, da Gerda die ganze Zeit davon ausgeht, sie sei die Beschuldigte.
Während Boris sich nach Rom absetzt (in der DF wird er von der Polizei am Bahnhof abgefangen), wird Mutti wegen Kuppelei zu 6 Monaten Haft verurteilt (in der FSK-freigegebenen Fassung zur Bewährungsstrafe abgemildert), aber „alles ist gut“
Der katholische „Wir raten ab“ Film-Dienst schrieb damals: „ Der Film diskriminiert nicht nur die Homosexuellen, sondern diffamiert in einer abstrusen Gedankenverbindung auch noch die abstrakte Kunst. Ein spätes Abfallprodukt faschistischer Gesinnung.“ Und das Heyne-Filmlexikon urteilte „Ein infamer, faschistoider und dilettantisch inszenierter Film.“ Diesen Kritken lag natürlich die umgearbeitete Fassung zugrunde, was nun in der Tat eine unglaublich groteske Situation ist: In einem vorgeblich demokratischen Staat darf ein Film nicht erscheinen, muss umgearbeitet werden und dem umgearbeiteten Ergebnis wird dann faschistoides Gedankengut vorgeworfen. Nun wäre es wahrlich neben der Sache, anzunehmen, Harlan hätte einen Film für eine GayPride-Parade im Sinn gehabt. Für die Verhältnisse von 1957 (siehe die BVerfG-Entscheidung) hätte man aber wohl auch nicht mehr erwarten können.
Von der „Edition Filmmuseum“ aber schon.
Veit Harlan wurde berüchtigt als Regisseur von Propagandafilmen des Nazi-Regimes. „Jud Süß“ ging auf sein Konto und noch in den letzten Tagen des 3. Reiches kam „Kolberg“ heraus.
Nach dem Krieg wurde Harlan 1949 wegen seiner Mitwirkung an „Jud Süß“ wegen „Beihilfe zur Verfolgung“ angeklagt, Harlan wurde freigesprochen und nach der Urteilsverkündung von Anhängern auf deren Schultern aus dem Gerichtssaal getragen! Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein und konnte eine Aufhebung des Urteils erwirken. Der erneute Prozess endete im April 1950 wiederum mit einem Freispruch, nachdem Harlan sich darauf berufen hatte, dass man ihn quasi genötigt habe, den Film zu drehen, und ihn eine Weigerung in massive Schwierigkeiten gebracht hätte.
(Der Regisseur Geza von Cziffra behauptete in seiner 1975 erschienenen Autobiografie hingegen, Harlan selbst habe im Propagandaministerium interveniert, um den Film drehen zu können.)
1951 begann Harlan seinen ersten Nachkriegsfilm „Unsterbliche Geliebte“ zu drehen. Der Hamburger Senatsdirektor Erich Lüth rief daraufhin zum Boykott auf. Die Kinobesitzer sollten ihn nicht in ihr Programm aufnehmen und das Publikum sollte ihn nicht besuchen. Die Domnick-Film-Produktion-GmbH und die Herzog-Film-GmbH (die Verleihfirma) erwirkten daraufhin vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen Lüth, in der Lüth untersagt wurde, zum Boykott aufzurufen.
Lüth wandte sich schließlich an das Bundesverfassungsgericht, das allerdings erst 1958 über den Fall entschied und Lüth Recht gab. Das Lüth-Urteil gilt als erste grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit.
http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv007198.html
Vorgeschichte 2:
1957 drehte Harlan für die Berliner Arca-Filmgesellschaft mbH von Gero Wecker einen Film zum Thema Homosexualität. Homosexualität (NUR die männliche!) war damals generell strafbar, was erst im Rahmen der großen Strafrechtsreform Ende der 60ger geändert wurde (zusammen übrigens mit der Abschaffung der Strafbarkeit der Sodomie…). Just 1957 hatte auch das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit männlicher Homosexualität zu urteilen, und bejahte dies! Das Urteil in all seiner absurden Abstrusität kann man unter http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv006389.htmlnachlesen.
Harlans Film „Das dritte Geschlecht“ wurde von der FSK nicht freigegeben. Die Begründung kann man im Cinefacts-Forum nachlesen, dort heißt es: „Aus der Einseitigkeit der Milieuzeichnung ergibt sich eine Überbewertung des Kreises der Homosexuellen, die als eine Art Propaganda für sie wirken muss. (…) Durch die breite Darstellung des Treibens der Homosexuellen muss bei Vorführung des Films vor einem durchschnittlichen, aus allen Lebensaltern zusammengesetzten Publikum das sittliche Empfinden verletzt werden. Auch muss der Film, da er ja keine eindeutige Stellungnahme gegen das Treiben der Homosexuellen erkennen lässt und da ihm jeder sittliche Maßstab fehlt, sittlich verrohend und damit entsittlichend auf weite, normal empfindende Kreise wirken. Nicht nur aus Gründen der Moral, sondern auch aus dem Gesichtspunkte der Erhaltung der Volksgesundheit muss der Film, der zur Popularisierung eines perversen sexuellen Verhaltens beiträgt, vom Publikum ferngehalten werden. Es geht hier um schutzwürdige Lebensgrundlagen des Staates und der Gesellschaft.“ Ja, das wurde wirklich 1957 geschrieben und nicht 1937!
Daraufhin wurden einige Szenen neu gedreht, wodurch die ursprüngliche Intention des Filmes nun endgültig ins Gay-bashing geändert wurde. Nunmehr mit dem Persilschein der FSK ausgestattet, wurde der Titel geändert in „Anders als du und ich (§ 175)“ und der Film hatte Ende Oktober 1957 seine Premiere in Stuttgart. In Österreich hingegen startete der Film bereits zwei Monate früher und zwar in seiner ursprünglichen Fassung und seinem ursprünglichen Titel, womit ausgerechnet Veit Harlan eine unselige Tradition begründet haben dürfte, die bis zum heutigen Tage andauert.
Die deutsche Kinofassung wurde lt. Cinefacts 1986 mal auf Tele 5 gezeigt, beim Bochumer „Besonders wertlos“-Festival des deutschen psychotronischen Films lief sie auch mal, bis dann 2006 in der neuen „Edition Filmmuseum“ eine Doppel-DVD angekündigt wurde, die beide Versionen des Films beinhalten sollte.
Umso größer war die Enttäuschung über das Ergebnis, vollständig enthalten war nämlich auch wieder nur die „Anders als du und ich“-Version, also die DF. Dazu gab es einen Szenenvergleich, bei dem dann einmal die Szene aus der DF sowie die Szene aus der Ursprungsfassung gezeigt wurde. Dass die Ursprungsfassung nicht vollständig enthalten war, wurde damit begründet, dass nicht sicher sei, ob wirklich sämtliches Material vorhanden sei, außerdem seien manche Szenen dieser Version auf Druck des Produzenten entstanden und von Harlan gar nicht gewollt gewesen. Mag sein, beschämend ist dies dennoch. Hier hatte man die große Chance, ein verstümmeltes Werk zu rehabilitieren, und vergab sie grandios. Unfassbar! Ich habe die Scheibe dann auch nicht gekauft.
Ein netter Mensch, dessen Name hier unerwähnt bleiben muss, tat aber genau dies, und hat mir nicht nur seine DVD leihweise zur Verfügung gestellt. Nein, er hat anhand des DVD-Materials selbst die Ösi-Fassung rekonstruiert und mir zur Verfügung gestellt. Merci Beaucoup!
Der Film (enthält Spoiler!):
Bankdirektor Teichmann (Paul Dahlke) ist besorgt über seinen 17jährigen Sohn Klaus (Christian Wolff, der spätere Falkenau-Förster), der absolut kein Interesse an Mädchen zu haben scheint. Er interessiert sich vielmehr über abstrakte Malerei und hängt mit seinem Gedichte schreibenden Kumpel Manfred Glatz rum, der ein kleines Eifersuchtsproblem hat, als er Klaus Rock’n’Roll-tanzend mit seiner Cousine „erwischt“ („Scheiß Weiber“).
Vater Teichmann sperrt Klaus in seinem Zimmer ein, um zu verhindern, dass er sich weiterhin mit Manfred trifft, was natürlich vergebliche Müh ist. Vati erfährt unterdessen, dass die beiden sich mit einem gewissen Dr. Boris Winkler treffen wollen, der irgendwas mit Kunst zu tun hat, worauf sich Vati erst mal in Rage redet („Aus diesen Kreisen kommen ja die ganzen Verbrecher!“).
Winklers (Friedrich Joloff) Wohnung dient offenbar als ein Treffpunkt junger kunstinteressierter Männer, wo sich ein Trautonium („Elektronen-Musik“ von Oskar Sala!) befindet, wo allerdings auch Ringkämpfe junger Männern, nur mit Slips bekleidet, dargeboten werden (lt. Cinefacts soll es bei Joloff zuhause auch solche Partys gegeben haben).
Vater Teichmann und sein Schwager Max Mertens sind unterdessen auf der Suche nach Klaus. Von Manfreds Mutter haben sie die Adresse von Boris und einiger einschlägiger Lokale erhalten. Nachdem sie in Winklers Zuhause vom Butler mit einer falschen Auskunft abgewimmelt wurden, landen sie somit in den lokalen Travestie-Lokalen, was Vatis Weltbild noch weiter erschüttert.
Vati und Mutti Teichmann suchen daraufhin einen Jugendpsychologen auf, der der Meinung ist, dass Klaus Hemmungen vor Mädchen habe, die man ihm nehme müsse. Die Mutter (Paula Wessely) solle sich drum kümmern.
Und Mutti hat da auch eine Idee, das Hausmädchen Gerda (Ingrid Stenn), eine 20jährige Kriegswaise, ist nämlich heimlich in Klaus verschossen. Vati sucht unterdessen Boris Winkler in seiner Galerie auf, um ihm den weiteren Umgang mit Klaus zu untersagen. Winkler entgegnet „Wenn Klaus zu mir kommen will, wird er mein Haus immer offen finden“, worauf Vati droht, die Polizei einzuschalten. Tatsächlich erstattet Vati Anzeige gegen Winkler wegen homosexueller Verführung Jugendlicher.
Als Vati und Mutti eine Woche wegfahren, lädt Klaus Manfred ein, bei ihm zu wohnen, doch wird Manfred von Gerda kurzerhand nicht ins Haus gelassen, schließlich hofft Gerda darauf, Klaus verführen zu können (und hat immerhin von Mutti quasi die Erlaubnis bekommen, ihn verführen zu dürfen, denn so der Rat eines Arztes, nur die Natur könne ihn heilen!). Und Gerda hofft nicht vergebens! Der Zuschauer übrigens auch nicht, denn nachdem er kurz zuvor schon zwei kurze Blicke auf Gerdas Busen erhaschen durfte (huch!), darf Ingrid Stenn hier nun noch mal ihre Titten in voller Pracht präsentieren, was man in einem Film von 1957 nicht unbedingt erwarten durfte (ist in der DF nicht drin, und im übrigen jene oben angesproche Sequenz, die offenbar auf Druck des Produzenten gedreht wurde).
Allerdings hat Manfred wieder einen Eifersuchtsflash und stalkt Klaus hinterher, so dass er mitbekommt, dass zwischen Gerda und Klaus was läuft, wovon er Boris brühwarm erzählt. Und der erstattet nun seinerseits Anzeige gegen Vati, wegen Kuppelei.
Da aber diverse Jungs bereits von der Polizei vorgeladen wurden, überlegt Boris, Deutschland zu verlassen, und „in ein Land zu gehen, wo sich die Polizei nicht dauernd in das Privatleben einmischt.“
Zunächst sucht er allerdings einen ebenfalls schwulen Rechtsanwalt auf, bekommt von ihm jedoch einen moralisierenden Vortrag („Sexuelle Bindung an mehrere Menschen ist unästhetisch und schon deshalb unsittlich, weil sie von Untreue und tierischen Instinkten begleitet ist.“) und die Auskunft, dass er ihn nicht verteidigen wolle. (ist in der DF nicht enthalten)
Vati wird unterdessen aufgrund der Winklerschen Anzeige vom Staatsanwalt (Siegfried „Sir John“ Schürenberg) vorgeladen, wo er (der Vater) zunächst erst mal die vorbeugende Inhaftierung Homosexueller fordert.
Bei Boris versammelt sich eine internationale Gruppe alternder Schwuler, die Boris dazu aufrufen, das Land zu verlassen, da in Paris oder Rom nicht so lächerliche Gesetze gelten würden (auch dies fehlt in der DF, da hierdurch der Eindruck entstehen könnte, „Kriminelle“ hätten ein internationales Netzwerk gespannt)
Dann muss Gerda sich auf der Polizeistation einem entwürdigenden Verhör zum Sex mit Klaus unterziehen lassen, dass der StPO nicht entsprochen haben dürfte, da Gerda die ganze Zeit davon ausgeht, sie sei die Beschuldigte.
Während Boris sich nach Rom absetzt (in der DF wird er von der Polizei am Bahnhof abgefangen), wird Mutti wegen Kuppelei zu 6 Monaten Haft verurteilt (in der FSK-freigegebenen Fassung zur Bewährungsstrafe abgemildert), aber „alles ist gut“
Der katholische „Wir raten ab“ Film-Dienst schrieb damals: „ Der Film diskriminiert nicht nur die Homosexuellen, sondern diffamiert in einer abstrusen Gedankenverbindung auch noch die abstrakte Kunst. Ein spätes Abfallprodukt faschistischer Gesinnung.“ Und das Heyne-Filmlexikon urteilte „Ein infamer, faschistoider und dilettantisch inszenierter Film.“ Diesen Kritken lag natürlich die umgearbeitete Fassung zugrunde, was nun in der Tat eine unglaublich groteske Situation ist: In einem vorgeblich demokratischen Staat darf ein Film nicht erscheinen, muss umgearbeitet werden und dem umgearbeiteten Ergebnis wird dann faschistoides Gedankengut vorgeworfen. Nun wäre es wahrlich neben der Sache, anzunehmen, Harlan hätte einen Film für eine GayPride-Parade im Sinn gehabt. Für die Verhältnisse von 1957 (siehe die BVerfG-Entscheidung) hätte man aber wohl auch nicht mehr erwarten können.
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan
Sehr interessant! Von dem Film liest und hört man ja immer wieder. Hab ich aber nie gesehen, obwohl schon die Vorstellung den zutiefst biederen Förster Rombach in einem derartigen Streifen zu sehen schon sehr verlockend wäre. Aber wenn, dann würde ich natürlich gern die Originalversion sehen...
it´s fun to stay at the YMCA!!!
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan
Ist bekannt, welche Intention Harlan bzw. der Arca-Filmgesellschaft für diesen Film zugrunde lag?
Und wieso beschwert sich ausgerechnet der katholische Filmdienst über die Diskriminierung Homosexueller?
Danke jedenfalls schon mal für diesen interessanten Geschichtsausflug, ugo.
Und wieso beschwert sich ausgerechnet der katholische Filmdienst über die Diskriminierung Homosexueller?
Danke jedenfalls schon mal für diesen interessanten Geschichtsausflug, ugo.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan
WOW Ugo, sehr gut gemacht, sehr interessant. Danke
- CamperVan.Helsing
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- Registriert: Sa 26. Dez 2009, 12:40
Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan
Ein paar Infos liefert die Wikibuxtebrawler hat geschrieben:Ist bekannt, welche Intention Harlan bzw. der Arca-Filmgesellschaft für diesen Film zugrunde lag?
http://de.wikipedia.org/wiki/Anders_als_du_und_ich
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan
Danke für die sehr interessanten und lehrreichen Ausführungen.
Ähnlich erging es auch "Anders als die anderen" von 1919 mit Conrad Veidt. von dessen ursprünglich 120 Minuten sind nach diversen Kürzungen und Zensuren nur noch 50 übrig geblieben. Traurig, aber wahr
Ähnlich erging es auch "Anders als die anderen" von 1919 mit Conrad Veidt. von dessen ursprünglich 120 Minuten sind nach diversen Kürzungen und Zensuren nur noch 50 übrig geblieben. Traurig, aber wahr
Früher war mehr Lametta
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan
Ah ja:ugo-piazza hat geschrieben:Ein paar Infos liefert die Wiki
http://de.wikipedia.org/wiki/Anders_als_du_und_ich
Harlan: „Ich vermisse in dem Drehbuch, dass es zweierlei Homosexuelle gibt - nämlich diejenigen, an denen die Natur etwas verbrochen hat, und diejenigen, die gegen die Natur verbrecherisch vorgehen. Die letzteren tun das entweder aus angeborener Unsittlichkeit oder aus materiellen Gründen oder aus fluchwürdiger Schwäche. Die ersteren hingegen verdienen unser ganzes Mitgefühl. Der Film darf diese Homosexuellen, die wir tragisch betrachten müssen, wenn wir hochherzige Menschen sein wollen, nicht aus spießbürgerlichen Motiven verurteilen oder verfolgen. Wir dürfen sie nur in dem Sinne verfolgen, als sie junge Menschen, deren Natur im Grunde in Ordnung ist, verführen.“
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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- CamperVan.Helsing
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan
Ja, das mag 1957 schon eine "fortschrittliche" Sichtweise gewesen sein und zumindest wollte Harlan die Gays wohl besser darstellen, als es damals üblich war. Der Film fährt allerdings auch in der Ösi-Version auf der Schiene, dass natürlich nur Mädels das richtige für den gefährdeten Jugendlichen sind, er also "umgepolt" werden müsse, solange es noch machbar ist.buxtebrawler hat geschrieben:Ah ja:ugo-piazza hat geschrieben:Ein paar Infos liefert die Wiki
http://de.wikipedia.org/wiki/Anders_als_du_und_ich
Harlan: „Ich vermisse in dem Drehbuch, dass es zweierlei Homosexuelle gibt - nämlich diejenigen, an denen die Natur etwas verbrochen hat, und diejenigen, die gegen die Natur verbrecherisch vorgehen. Die letzteren tun das entweder aus angeborener Unsittlichkeit oder aus materiellen Gründen oder aus fluchwürdiger Schwäche. Die ersteren hingegen verdienen unser ganzes Mitgefühl. Der Film darf diese Homosexuellen, die wir tragisch betrachten müssen, wenn wir hochherzige Menschen sein wollen, nicht aus spießbürgerlichen Motiven verurteilen oder verfolgen. Wir dürfen sie nur in dem Sinne verfolgen, als sie junge Menschen, deren Natur im Grunde in Ordnung ist, verführen.“
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Re: Das dritte Geschlecht - Veit Harlan
Kamerad Veit Harlan hat schon mit Filmen wie Jud Süß oder Kolberg bewiesen, dass er einerseits ein hochbegabter und vor allem psychologisch gewitzter Filmemacher ist, diese Fähigkeit andererseits aber dazu nutzt, seine nicht gerade humanistisch-moderne Weltsicht ans Filmpublikum zu bringen. Trotz der genannten Werke durfte der Mann nach Ende des zweiten Weltkriegs weiter arbeiten (was ich nicht wirklich verstehe), und weil er nicht mehr gegen Juden hetzen durfte, waren bei diesem Film eben die Schwulen dran:
Der Film hat die gleichen Stärken und Schwächen wie Jud Süß: Er ist spannend erzählt und gut gespielt. Leider erregt der Regisseur aber auch hier geschickt den (wie er es wohl nennen würde) "gesunden Volkszorn" gegen Homosexuelle. Die Subkultur der Schwulen und Transsexuellen wird als verruchte und entartete Halbwelt dargestellt, und das teilweise mit Mitteln des Gothic Horror (!).
Wie alles, was ich bisher von Veit Harlan gesehen habe, filmhistorisch hochinteressant.
Aber man muss wissen, worauf man sich einlässt.
Äußerst zwiespältig, daher keine Wertung.
Der Film hat die gleichen Stärken und Schwächen wie Jud Süß: Er ist spannend erzählt und gut gespielt. Leider erregt der Regisseur aber auch hier geschickt den (wie er es wohl nennen würde) "gesunden Volkszorn" gegen Homosexuelle. Die Subkultur der Schwulen und Transsexuellen wird als verruchte und entartete Halbwelt dargestellt, und das teilweise mit Mitteln des Gothic Horror (!).
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Aber man muss wissen, worauf man sich einlässt.
Äußerst zwiespältig, daher keine Wertung.