Das melancholische Mädchen - Susanne Henrich (2019)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Das melancholische Mädchen - Susanne Henrich (2019)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Das_melancholische_Mdchen_Plakat_02.jpg
Das_melancholische_Mdchen_Plakat_02.jpg (2.32 MiB) 798 mal betrachtet

Originaltitel: Das melancholische Mädchen

Produktionsland: Deutschland 2019

Regie: Susanne Heinrich

Darsteller: Marie Rathscheck, Nicolai Borger, Malte Bündgen, Dax Constantine, Lorna Ishema, Julian Fricker, Monika Freinberger, Yann Grouhel

Irgendwann Ende letztes Jahr wurde dieser Film an meiner Kunsthochschule gehypt, als würde da die neue Hoffnung des Deutschen Kinos als Schweifstern am Horizont erscheinen: Susanne Heinrichs DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN, für den das Feuilleton wahre Purzelbäume schlägt, die Regisseurin den Max-Ophüls-Preis einstreicht, und dessen Poster sich ein weitläufiger Bekannter gar im Wohnzimmer aufgehangen hat. Vor ein paar Wochen hatte ARTE sich bereiterklärt, den Film gemeinfrei zum Streaming anzubieten; ich wiederum habe mich bereiterklärt, ihn mir voller Vorfreude zu Gemüte zu führen; und DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN wiederum erklärt sich bereit, mir die mitunter quälendsten achtzig Minuten zu bescheren, die ich seit Langem bei einem Film habe ausstehen müssen...

DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN vereint alles, was man an selbstverliebtem, verkopftem, sich ostentativ mit dem Rücken zu seinem Publikum stellenden, dabei aber unermüdlich auf die gesellschaftliche Relevanz der von ihm aufgeworfenen Fragen und Themen pochenden Kunstkino verabscheuen kann. Attribute, mit denen dieses Machwerk offenkundig gerne seine Fahne beschmieren würde, wären beispielweise: Postmodern. Neofeministisch. Antikolonialistisch. Prodekonstruktivistisch. Der Gestus, sprich, die Inszenierung ist abgeklärt: Kaum Kamerabewegung; strenge Bildkomposition; minimalistische Settings, die niemals einen kinematographischen Eindruck erwecken, sondern stets nach strengem Polittheater schmecken sollen. Die Schauspieler – allen voran Marie Rathscheck in der Titelrolle – agieren, als wollten sie noch die Laien Robert Bressons wirken lassen wie hysterische Neurotiker: Emotionslos werden die Sätze heruntergeleiert; die Mienen sind ausdruckslos; die Körper steif – damit ja keiner auf die Idee kommt, wir schauen uns diesen Film zum Vergnügen an. Eine kohärente Geschichte wird ebenfalls nicht erzählt. Stattdessen: Vierzehn lose (oder gleich überhaupt nicht) miteinander verbundene Fragmente, die allesamt um eine namen-, geschichts-, obdachlose junge Frau kreisen, die durch die Bundeshauptstadt geistert, stets auf der Suche nach Männern zum Aufreißen und Schlafplatzschenken.

Ohne jemals ein Interview mit Frau Heinrich gelesen zu haben, kann ich mir doch zusammenreimen, wie sie der linksintellektuellen Journaille ihr Werk verkauft haben wird: DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN soll Momentaufnahme und Zustandsbeschreibung der modernen Frau in urbaner Landschaft sein; eine Abrechnung mit Konservatismus, Kapitalismus, Konformismus; ein kämpferisches Manifest, das trotz aller geballter Fäuste mit einem verschmitzten Lächeln auf die noch immer ausstehende Befreiung der Frau hinweisen soll, auf den Ausverkauf einst progressiver politischer Ideen, auf quasi-religiöse Heils- und vor allem Glücksversprechungen in einer leider immer noch nicht komplett vom transzendenten Überbau losgesprengten Welt.

Was ich stattdessen sehe: Platteste Metaphern; der Versuch, sich mit klug klingenden Worthülsen zu schmücken, die hohl tönen, sobald man mit dem Fingerknöchelchen daran klopft; Automatenmenschen, aus deren Mündern affizierteste Dialoge kommen; eine filmische Form, die sich auf drei, vier originellen Ideen ausruht wie auf einem pathetischen Leopardenfell; alles in allem: Ein Film zum Davonlaufen! Ein Film, der noch Godard in seinen allerschlimmsten Phasen übertrifft – und zwar wohlgemerkt minus die intelligenten philosophischen Denkanstöße, dafür aber mit ganz viel kunterbunter Instagram-Intellektualität.

Ein Beispiel: Im Segment „Feminismus zu verkaufen“ möchte Frau Heinrich ihrem Publikum davon erzählen, wie sehr doch Ideale der Frauenbefreiung inzwischen vor den Karren der Werbeindustrie gespannt worden sind. Umgesetzt wird dies wie folgt: Starre Kamera; melancholisches Mädchen und eine aufgetakelte Dame sprechen bei einem Casting vor; jede führt denselben Text im Mund: Ich bin eine Bitch, ich bin ein Lover. Ich bin ein Kind und eine Mutter. Ich bin eine Sünderin und eine Heilige usw., (frei nach Meredith Brooks). Konklusion: I am Everywoman! Der neue Online-Versand! Ausgewalzt wird diese schmalbrüstige, jedoch über mehrere Minuten gedehnte Pointe dadurch, dass abwechselnd die aufgetakelte Dame und das melancholische Mädchen besagten Monolog aufführen: Die eine mit vollem Körpereinsatz, ihre Reize demonstrativ zur Schau stellend; die andere introvertiert, mit hängenden Schultern und Computerstimme, so, als stünde sie kurz vor dem Suizid. Melancholie als Modeacessoire? Melancholie als einziger Ausweg vor der Modeacessoire-Werdung von Emotionen?

Weitere Episoden handeln davon, dass das melancholische Mädchen mit einem Liebhaber in der Badewanne sitzt, wo er ihr die Beine rasiert, und sie dabei versehentlich schneidet; oder davon, dass das melancholische Mädchen von einem Roman berichtet, den es gerade schreibe, jedoch nie über den ersten Satz des zweiten Kapitels hinauskomme; oder davon, dass sie splitterfasernackt mit einer weiteren Bettbekanntschaft zusammen frühstückt; oder davon, dass sie sich in einer Kunstausstellung herumtreibt und ins Gespräch mit einem kunstbegeisterten Jüngling kommt; oder davon, dass sie einen Kurs für frische Mütter besucht, wo diese den Umgang mit ihren Säuglingen lernen. Offensichtlich ist: Heinrichs Kritik schneidet wie ein Buttermesser durch sämtliche Schichten unserer westlichen Gesellschaft, (das heißt: zumindest die, die aus politischer Korrektheit mit einem Messer berührt werden dürfen.) Der moderne Kunstbetrieb bekommt sein Fett weg; Mütter, die ihre Karriere aufgeben, um, tja, eben Mütter zu sein, werden mindestens durch die Blume diffamiert; das hedonistische Großstadtleben ist aber auch nicht das Wahre, wenn man neben Kerlen, die man eigentlich nur so halb mag, aufwachen muss. Nur einmal wagt Heinrich bei ihrer radikalen Anti-Attitüde so etwas wie einen zarten Anflug von Utopie: Das melancholische Mädchen landet in einem Club, wo die Beats, Cocktails, Drugs genauso durcheinanderwirbeln wie die Geschlechterrollen, die Mittelfinger in Richtung Neoliberalismus, die vielfach gebrochenen Post-Brecht'schen Polit-Slogans. Fühlt sich das aber nicht auch wie ein Lifestyle an, der selbst schon längst zum beliebig adaptierbaren Schema geworden ist?

Aber, wie gesagt: Der Inhalt, so flach er sein mag, ist gar nicht mal das, was mich bei DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN so sehr zum Himmel schreien lässt. Was mich auf die höchstmögliche Palme bringt, das ist diese unsympathische Grundhaltung, die den gesamten Film durchdringt: Auf so viel verbissene Zuschauerfeindlichkeit, so viel Affektiertheit, so viel arrogant vor sich hergetragene Gelehrsamkeit stößt man selten – und dann entpuppt sich das Ganze auch noch nach nicht mal fünf Minuten als Augenwischerei, als heiße Luft, als eine Talentlosigkeit vor dem Herrn, die selbst mich, der ich eigentlich immer noch das eine oder andere diplomatische Wort für den gröbsten Unfug finde, letztlich sprachlos zurücklässt.

Ich bin wirklich auf eine Kritik in diesen Heiligen Hallen gespannt, die jeden meiner Kritikpunkte mit salbungsvoller Gegenrede aushebelt...
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Re: Das melancholische Mädchen - Susanne Henrich (2019)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

"Eine bittersüße Depressions-Komödie"...

Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40653
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Das melancholische Mädchen - Susanne Henrich (2019)

Beitrag von buxtebrawler »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Do 12. Nov 2020, 17:56 "Eine bittersüße Depressions-Komödie"...
Der Trailer sieht doch eigentlich ganz nett aus. Schon ein bisschen Interesse... :-|
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Re: Das melancholische Mädchen - Susanne Henrich (2019)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

buxtebrawler hat geschrieben: Do 12. Nov 2020, 18:05
Salvatore Baccaro hat geschrieben: Do 12. Nov 2020, 17:56 "Eine bittersüße Depressions-Komödie"...
Der Trailer sieht doch eigentlich ganz nett aus. Schon ein bisschen Interesse... :-|
Wage es und teile Deine Eindrücke und es erwartet Dich allerspätestens zum nächsten Forentreffen oder auf dem Postwege schon vorher eine der sagenumwobenen Salvatore-Wundertüten... :D
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40653
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Das melancholische Mädchen - Susanne Henrich (2019)

Beitrag von buxtebrawler »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Do 12. Nov 2020, 18:28 Wage es und teile Deine Eindrücke und es erwartet Dich allerspätestens zum nächsten Forentreffen oder auf dem Postwege schon vorher eine der sagenumwobenen Salvatore-Wundertüten... :D
Jetzt habe ich ein wenig Angst... :angst:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten