Originaltitel: Das merkwürdige Kätzchen
Produktionsland: Deutschland 2013
Regie: Ramon Zürcher
Darsteller: Jenny Schily, Mia Kasalo, Anjorka Strechel, Leon Alan Beiersdorf, Luk Pfaff, Kathleen Morgeneyer
Der letzte Film, den ich mit einer meiner Ex-Freundinnen im Kino gesehen habe, war 2013 Ramon Zürchers DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN. Im Grunde wusste niemanden von uns, was uns unter diesem Titel erwarten würde. Aber der Titel allein reizte schon genügend die Neugierde, dass wir uns mit unserem damaligen Mitbewohner an einem Mittwoch- oder Dienstagabend ins örtliche Programmkino aufmachten. Der Regisseur war anwesend, erzählte vor Filmbeginn in bescheidenen Worten und mit sympathischem Schweizer Akzent die Entstehungsgeschichte seines Debuts: von einem Seminar in Berlin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie bei Béla Tarr, von den Produktionsbedingungen und den Dreharbeiten in einer kleinen Berliner Wohnung, von der Schwierigkeit, einen Hund oder eine Katze oder ein Kind so vor der Kamera zu dirigieren, dass sie gemäß des Drehbuchs handeln. DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN hinterließ einen nachhaltigen Eindruck bei mir, der sich nun, bei der Zweitsichtung zweieinhalb Jahre später und älter, noch einmal bestätigt hat.
Worum geht es in Ramon Zürchers etwa siebzigminütigem Film? Um alles – und nichts, könnte man sagen. Eine Familie. Die älteren Geschwister Karin und Simon, zu Besuch bei ihren Eltern und der kleinen Clara. Abends werden Gäste erwartet. Tagsüber fällt die Waschmaschine auf. Ein Freund der Familie kommt zur Reparatur vorbei. Sein Sohn fragt andauernd, ob der Familienhund dieses oder jenes dürfe. Clara spielt mit ihm Vier gewinnt. Die übergewichtige Frau von der oberen Etage zieht ihre Einkäufe mit einem Seil zu sich herauf, da sie nicht mehr imstande ist, ihre Wohnung zu verlassen. Gegenstände scheinen sich zu beleben. Der Stromfluss bricht ab. Eine Plastikflasche beginnt sich um sich selbst zu drehen, fast als würde sie tanzen. Die Katze schläft, beobachtet vom Hund, der zufrieden knurrt. Großmutter schläft ebenfalls ein, beim Abendessen. Karin stellt fest: wenn sie eine Orange schält und die Hautfetzen zu Boden wirft, liegt die weiße Seiten immer oben. Das alles gleichzeitig, sich überlagernd, sich durchkreuzend. Ramon Zürcher inszeniert einen im Prinzip völlig gewöhnlichen Familienalltag als konsequente Reizüberflutung, in der ständig irgendwer irgendwas erzählt, in der ständig irgendwas passiert, in der ständig irgendein Ereignis die Reaktion eines anderen hervorruft. Seine Figuren sprechen und agieren zwar ganz gemäß der Berliner Schule, d.h. ihre Worte sind recht emotionslos, unterkühlt beinahe, ihre emotionalen Vernetzungen ziemlich dünnmaschig, obwohl in jeder der Figuren, scheint es, ein Vulkan brodelt. Doch unsere Protagonisten mögen noch so distanziert tun, sie entkommen dem Chaos um sie herum genauso wenig wie der Zuschauer. Sie sind gefangen in einer Welt voller unterdrückter Aggressionen, magisch verzauberter Tiere und Dinge, seltsam abwesender Vaterfiguren und einer absoluten Kontingenz, die es möglich macht, dass wirklich alles geschehen kann, am besten alles gleichzeitig und parallel zueinander.
Für jeden, dem der Inhalt nun nicht besonders interessant erscheinen mag – wieso sollte man sich einen Spielfilm ansehen, der exakt das darstellt, was man selbst Tag für Tag in der eigenen Wohnung erleben kann? -, dem sei die nun wirklich außerordentlich superbe Kinematographie Zürchers angepriesen. Ohne Kamerabewegung, in präzisen, nahezu dokumentarischen Bildkompositionen untersucht er das bunte Durcheinander seiner Beispielfamilie, als sei er ein Soziologe oder Kulturwissenschaftler, der sich für das Gesellschaftsgefüge eines ihm fremden Volkes interessiert. Diese Bilder entstehen aber nicht nach dem Prinzip: wir halten die Kamera einfach auf diesen oder jenen Ausschnitt des Raums und lassen unsere Schauspieler improvisieren, irgendetwas wird schon dabei herauskommen. Vielmehr ist jede Szene von Anfang bis Ende durchkomponiert, jeder Ausschnitt so gewählt, dass die in ihm sich überstürzenden Ereignisse sich ihm am nachdrücklichsten einschreiben können. Überall im Kader geschieht etwas: im Vordergrund spricht eine Figur, im Hintergrund laufen weitere Figuren ins Bild, verrichten Küchengeräte ihre Arbeit, flattern Insekten umher, öffnet sich vielleicht eine Schranktür wie von selbst. Zusammengesetzt ergeben diese Bilder in der Montage ein unglaublich dichtes Kleid zahlloser, einander manchmal ergänzende, einander aber genauso oft widersprechende Details, die, kombiniert mit dem ebenso raffiniert ausgetüfteltem Klangchaos der Tonspur und der Fokussierun auf eher absurde, komische Momente, DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN weniger zu einem verkopften Experiment als einem wirklich unterhaltsamen, witzigen, rauschhaften Filmerlebnis machen. Fernab von kitschigem Betroffenheitsgeheuchel, von plakativen politischen Botschaften, von abweisender Berliner-Schule-Ernsthaftigkeit zeigt Ramon Zürcher wie man ein Familiendrama auch so inszenieren kann, dass man ehrlich meint, etwas Vertrautes auf grundlegend neue Weise serviert bekommen zu haben. Einer der besten mir bekannten Filme der 2000er Jahre - und ja, ich mag Kätzchen!
Worum geht es in Ramon Zürchers etwa siebzigminütigem Film? Um alles – und nichts, könnte man sagen. Eine Familie. Die älteren Geschwister Karin und Simon, zu Besuch bei ihren Eltern und der kleinen Clara. Abends werden Gäste erwartet. Tagsüber fällt die Waschmaschine auf. Ein Freund der Familie kommt zur Reparatur vorbei. Sein Sohn fragt andauernd, ob der Familienhund dieses oder jenes dürfe. Clara spielt mit ihm Vier gewinnt. Die übergewichtige Frau von der oberen Etage zieht ihre Einkäufe mit einem Seil zu sich herauf, da sie nicht mehr imstande ist, ihre Wohnung zu verlassen. Gegenstände scheinen sich zu beleben. Der Stromfluss bricht ab. Eine Plastikflasche beginnt sich um sich selbst zu drehen, fast als würde sie tanzen. Die Katze schläft, beobachtet vom Hund, der zufrieden knurrt. Großmutter schläft ebenfalls ein, beim Abendessen. Karin stellt fest: wenn sie eine Orange schält und die Hautfetzen zu Boden wirft, liegt die weiße Seiten immer oben. Das alles gleichzeitig, sich überlagernd, sich durchkreuzend. Ramon Zürcher inszeniert einen im Prinzip völlig gewöhnlichen Familienalltag als konsequente Reizüberflutung, in der ständig irgendwer irgendwas erzählt, in der ständig irgendwas passiert, in der ständig irgendein Ereignis die Reaktion eines anderen hervorruft. Seine Figuren sprechen und agieren zwar ganz gemäß der Berliner Schule, d.h. ihre Worte sind recht emotionslos, unterkühlt beinahe, ihre emotionalen Vernetzungen ziemlich dünnmaschig, obwohl in jeder der Figuren, scheint es, ein Vulkan brodelt. Doch unsere Protagonisten mögen noch so distanziert tun, sie entkommen dem Chaos um sie herum genauso wenig wie der Zuschauer. Sie sind gefangen in einer Welt voller unterdrückter Aggressionen, magisch verzauberter Tiere und Dinge, seltsam abwesender Vaterfiguren und einer absoluten Kontingenz, die es möglich macht, dass wirklich alles geschehen kann, am besten alles gleichzeitig und parallel zueinander.
Für jeden, dem der Inhalt nun nicht besonders interessant erscheinen mag – wieso sollte man sich einen Spielfilm ansehen, der exakt das darstellt, was man selbst Tag für Tag in der eigenen Wohnung erleben kann? -, dem sei die nun wirklich außerordentlich superbe Kinematographie Zürchers angepriesen. Ohne Kamerabewegung, in präzisen, nahezu dokumentarischen Bildkompositionen untersucht er das bunte Durcheinander seiner Beispielfamilie, als sei er ein Soziologe oder Kulturwissenschaftler, der sich für das Gesellschaftsgefüge eines ihm fremden Volkes interessiert. Diese Bilder entstehen aber nicht nach dem Prinzip: wir halten die Kamera einfach auf diesen oder jenen Ausschnitt des Raums und lassen unsere Schauspieler improvisieren, irgendetwas wird schon dabei herauskommen. Vielmehr ist jede Szene von Anfang bis Ende durchkomponiert, jeder Ausschnitt so gewählt, dass die in ihm sich überstürzenden Ereignisse sich ihm am nachdrücklichsten einschreiben können. Überall im Kader geschieht etwas: im Vordergrund spricht eine Figur, im Hintergrund laufen weitere Figuren ins Bild, verrichten Küchengeräte ihre Arbeit, flattern Insekten umher, öffnet sich vielleicht eine Schranktür wie von selbst. Zusammengesetzt ergeben diese Bilder in der Montage ein unglaublich dichtes Kleid zahlloser, einander manchmal ergänzende, einander aber genauso oft widersprechende Details, die, kombiniert mit dem ebenso raffiniert ausgetüfteltem Klangchaos der Tonspur und der Fokussierun auf eher absurde, komische Momente, DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN weniger zu einem verkopften Experiment als einem wirklich unterhaltsamen, witzigen, rauschhaften Filmerlebnis machen. Fernab von kitschigem Betroffenheitsgeheuchel, von plakativen politischen Botschaften, von abweisender Berliner-Schule-Ernsthaftigkeit zeigt Ramon Zürcher wie man ein Familiendrama auch so inszenieren kann, dass man ehrlich meint, etwas Vertrautes auf grundlegend neue Weise serviert bekommen zu haben. Einer der besten mir bekannten Filme der 2000er Jahre - und ja, ich mag Kätzchen!