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Darsteller: Andreas Buttler, Heinz Hoenig, Herbert Raule, Uli Krohm, Sabine Bellstedt, Wolfgang Scheer, Volkmar Richter, Michael Grella, Ulrich Ratge, Richard Paczkowski, Marcus Sauk, Udo Seidler u. A.
Der 22-jährige Tommy ist verschuldet. Sein Ausbildungsbetrieb ist pleite gegangen und nach dem Bund lief es einfach nicht mehr. Auch wenn der Arbeitslose sein Motorrad versetzt, um seine finanzielle Situation zu regeln, hängt ihm immer noch sein Vater im Nacken, der unbedingt die Bankbelege sehen will. Der spießige Stress daheim und die Zeitungsanzeige, die Jugendlichen 400 netto die Woche verspricht, treiben Tommy schließlich zu einer Drückerkolonne. Ab da heisst es nur noch Scheine machen oder Prügel beziehen. Manchmal auch hungern.
„Nach dem Bund lief gar nichts mehr, nicht mal Türkenjobs!“
Sie klingelten an deiner Tür, erzählten dir eine mitleiderregende Geschichte und wollten dir ein Zeitschriften-Abonnement aufquatschen: Von den 1980ern bis in die 2000er hinein machten Drückerkolonnen die Städte und Städtchen unsicher und trieben den Käseblattabsatz in die Höhe. Später kamen welche für Telefon- und Stromverträge hinzu. Wie es bei ihnen wirklich zuging ist Gegenstand des 1986 für das ZDF produzierten Spielfilms „Der Drücker“, bei dem Uwe Frießner die Regie führte, der sich zuvor bereits an die Milieudramen „Das Ende des Regenbogens“ und „Baby“ gewagt hatte. Dem Film zugrunde liegt ein Roman Andreas Blechners.
„Das ist jetzt deine Familie, Tommi!“
Mit attraktiv klingenden Kleinanzeigen suchen sie gezielt nach jungen Leuten in schwierigen Lebenssituationen, die sich vom Job als Drücker eine neue Perspektive erhoffen. So auch der 22-jährige Tommi Galewski (Andreas Buttler), dessen Ausbildungsbetrieb Konkurs anmelden musste und der nach dem Wehrdienst einfach kein Bein mehr an die Erde kriegt. Er ist quasi mittellos, zudem verschuldet, wohnt noch bei seinen Eltern und hat ständig seinen Vater im Nacken, der ihn für einen Taugenichts hält. Eines Tages verschreibt er sich einer Drückerkolonne, die ihn mit offenen Armen empfängt und sogar dessen Schulden in Höhe von 5.000 DM für ihn übernimmt. Dafür muss er jedoch seinen Personalausweis abgeben und unter Anleitung Erichs (Herbert Raule) zusammen mit seinen Kollegen in einem Kleinbus durch die Republik tingeln, um so viele „Scheine“ wie möglich zu machen, sprich: Abonnements zu verkaufen. Dass mit Erich und Konsorten nicht gut Kirschen essen ist, muss Tommi ebenso schmerzhaft erfahren wie manch Leidensgenosse…
„Ich lese nicht, ich habe Kabelfernsehen!“
Frießners Film zeigt auf intensive Weise nachvollziehbar das Geflecht aus Abhängigkeiten, Druck, Gruppenzwang und Existenzangst auf, das der Motor der Drückerkolonnen ist. Hat sich Tommi erst einmal verpflichtet, zählen nur noch Scheine, Scheine und nochmals Scheine und wer dem Druck nicht standhält, ist ganz unten, was man ihn unmittelbar spüren lässt – sei es durch körperliche Gewalt. Und ganz unten möchte natürlich niemand sein… Wer dem zu entkommen versucht, findet sich nicht nur allein und ohne Geld irgendwo weit weg von zu Hause (sofern es noch eines gibt) wieder, sondern sieht sich zudem einer regelrechten Menschenjagd ausgesetzt: Die Kolonnen agieren wie Sekten, die ihre Schäfchen um keinen Preis ziehen lassen wollen, wie die Mafia und wie Sklavenhalter.
Wer jedoch außergewöhnliche Leistungen erbringt, wird hofiert und avanciert sogar zum persönlichen Liebling des Kolonnenchefs Kalle (Heinz Hoenig, „Der Formel Eins Film“), einem protzigen Großkotz, der am stärksten von der Arbeit der Drücker profitiert und sich einen entsprechenden Lebensstil leisten kann. In diese Situation gerät Tommi, der nichtsdestotrotz die Arbeitsbedingungen und das Unrecht, das er täglich mitansehen muss, nicht mehr erträgt und der Kolonne entfliehen will. Das geht natürlich nicht lange gut, doch das Ende bleibt offen – das Gezeigte reicht, damit der Zuschauer das Geschäftsmodell und die Strukturen durchschauen kann, alles Weitere kann er sich an einer Hand abzählen.
Bereits zu denken geben können hätte Tommi, dass die Kollegen sich ständig untereinander Geld pumpen. Für mehr als Pommes in Imbissbuden und ein paar Knollen Pils reicht es dann auch fast nie, ständig schiebt man sich frittierte Kartoffelstäbchen hinter die Kiemen. Der Umgangston ist rau und im jähzornigen Timmi, gespielt vom großartigen Charakterdarsteller Uli Krohm („Schwarz-Rot-Gold - Alles in Butter“), hat Erich einen willfährigen Erfüllungsgehilfen, wenn es ans Eingemachte geht. Mit anderen Drückerkolonnen steht man im knallharten Konkurrenzkampf, der in Form von Schlägereien und einem angezündeten Bus eskaliert. Der Jargon wirkt mitunter etwas merkwürdig – ob man damals tatsächlich so geredet hat? Erfahrene Schauspieler sind nur wenige dabei, gegen Hoenig und Krohm wirkt das Schauspiel bisweilen hölzern und steif.
Nichtsdestotrotz dürfte es sich bei „Der Drücker“ um ein authentisches Drama vor realem Hintergrund handeln, das einem beträchtlichen Teil der Gesellschaft seinerzeit die Augen öffnete und einen von vielen menschenverachtenden Auswüchsen der kapitalistischen Gesellschaft, die sich der Sorgen und Nöte der Verlierer des Leistungsdrucks und Verteilungskampfs bedienen und diese gnadenlos ausbeuten, eindrucksvoll illustriert. Ein wichtiger Film, auch in der Retrospektive, und mit all seinem Zeitkolorit ein schwer unterhaltsamer dazu. Danke an Pidax für die DVD-Veröffentlichung!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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