Der Kongress tanzt
Deutschland 1931
Regie: Erik Charell
Lilian Harvey, Willy Fritsch, Otto Wallburg, Conrad Veidt, Carl-Heinz Schroth, Lil Dagover, Alfred Abel, Eugen Rex,
Alfred Gerasch, Adele Sandrock, Margarete Kupfer, Boris Romanoff
OFDB
Deutschland 1931
Regie: Erik Charell
Lilian Harvey, Willy Fritsch, Otto Wallburg, Conrad Veidt, Carl-Heinz Schroth, Lil Dagover, Alfred Abel, Eugen Rex,
Alfred Gerasch, Adele Sandrock, Margarete Kupfer, Boris Romanoff
OFDB
Wien, 1814. Fürst Metternich hat alle Staatsoberhäupter Europas eingeladen, um das Erbe der napoleonischen Zeit zu bewältigen, und letzten Endes auch, um dafür zu sorgen, dass Napoleon auf Lebenszeit im Exil bleibt. Jeden Tag kommt ein anderer König in die Stadt, und jeden Tag vergibt die Handschuhmacherin Christel dem ankommenden Gast einen Blumenstrauß. Nur bei Zar Alexander von Russland klappt das nicht: Anstatt den Blumenstrauß zu übergeben muss sie ihn werfen, das Bukett wird für eine Bombe gehalten, der Zar wird fortgebracht und Christel verhaftet. Die Strafe: 25 Stockschläge auf die Hinterseite, ausführbar sofort. Doch ein Mann kommt rechtzeitig in die Zelle und sorgt dafür, dass die Strafe aufgehoben wird. Und weil das ein recht attraktiver Mann ist, und weil man sich sofort zueinander hingezogen fühlt, geht man erstmal in die nächste Weinwirtschaft, macht sich miteinander bekannt und turtelt und flirtet. Sie ist die Christel, und wer ist er? Er? Er ist Alexander, Zar von Russland!
Während dieser Liebeleien findet der Kongress unter Leitung von Fürst Metternich statt, und der hat als gewiefter Diplomat seine Mittel und Wege, die Teilnehmer unter Kontrolle zu halten. Vom Schlafzimmer aus kann er alle Räume seines Schlosses belauschen, bis hin zur Gesindekammer, und um möglicherweise widerspenstige Diplomaten von der Teilnahme bei strittigen Diskussionspunkten fernzuhalten, hat er die schöne und verführerische Komtesse, die er auf den Zaren ansetzt. Der hat dann also plötzlich zwei Frauen am Hals – Eine in die er sich verknallt und mit der er gerne Zeit verbringt, und eine die auf ihn angesetzt ist und die möglichst viel Zeit mit ihm verbringen soll. Gottseidank hat der Zar noch einen Doppelgänger, der ihn bei Terminen, an denen er nicht teilnehmen will, vertritt …
Film hat ja bekanntlich viele Aufgaben. Filme können als reine Kunstobjekte laufen. Filme können Kritik an bestehenden Verhältnissen vorbringen. Filme können Visionen einer wie auch immer gearteten Zukunft sein. Und Filme können auch schlicht und ergreifend unterhalten und dem Zuschauer eine Fluchtmöglichkeit bieten. 1931 kletterte die Arbeitslosenquote im Deutschen Reich nach und nach in Richtung der 30 % (die dann im Februar 1932 erreicht wurde), und viele Menschen hatten nur noch das Kino als Möglichkeit, ihrem Elend zumindest für kurze Zeit zu entkommen. Die Tonfilmoperette als Fluchtmöglichkeit par excellence feierte in dieser Zeit riesige Erfolge, und DER KONGRESS TANZT ist nichts anders als genau dieses: Eine eskapistische Operette, deren Figuren aussehen wie aus einem Spitzweg-Gemälde entlaufen, wo alle Menschen gut genährt, gut gelaunt und gut angezogen sind. In einer gigantischen Plansequenz fährt Christel in einer offenen Kutsche durch die Straßen, und alle, aber wirklich alle Menschen, bleiben stehen, winken und jubeln, und singen mit ihr gemeinsam „Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder“. Eskapismus, ja, und zwar der von der kitschigen Art. Aber soll ich was sagen? Diese Szenen funktionieren auch heute noch genauso gut wie der Film in seiner Gesamtheit! Die gute Stimmung überträgt sich, zugegeben mit ein wenig Entgegenkommen und gutem Willen, auch auf den modernen Zuschauer, und sorgt für ein beschwingt-heiteres Gefühl.
In den USA hatten in dieser Zeit unter anderem die Revue-Filme von Ziegfeld großen Erfolg. In Deutschland sollte es bis zu ES LEUCHTEN DIE STERNE oder GASPARONE noch ein paar Jahre dauern, um zumindest einen Echo der Exzesse von Busby Berkeley zu erreichen, aber DER KONGRESS TANZT geht bereits in diese Richtung. Das Ende des Films ist eine lange und ausschweifend gefilmte Ballszene mit einer bemerkenswerten Choreographie, in der Hunderte von Menschen zu Walzermusik schunkeln und tanzen. Tatsächlich wirkt die Tanzfläche mindestens genauso gefüllt wie in einer durchschnittlichen modernen Discothek, und alle lachen und freuen sich, und die Kamera filmt von oben (eben wie öfters bei Berkeley) und sorgt dafür, dass die Freude der Filmfiguren sich auf den Zuschauer überträgt. Noch extremer ist Alexanders und Christels Heimweg aus der Weinstube, wenn gefühlt halb Wien die beiden begleitet und „Das muss ein Stück vom Himmel sein“ singt und singt und singt und tanzt und tanzt und tanzt …
Auf der anderen Seite haben wir einen wundervoll-diabolischen Conrad Veidt als Fürst Metternich, der einen herrlich abgefeimten Schurken gibt – Nicht unsympathisch, aber halt intrigant: Schon beim Frühstück im Bett lauscht er, was in den Räumen seines Schlosses so geredet wird. Dann geht er in das „Schwarze Kabinett“, wo die Post der Diplomaten gelesen wird, und um sich seine Widersacher vom Hals zu halten, die zur Causa Napoleon eventuell eine andere Meinung haben könnten als er, setzt er hemmungslos eine attraktive Frau als Liebesfalle ein. Und dies alles mit einem ständigen Lächeln im Gesicht (Der Mann der lacht!) und mit Freude im Herzen an seinem schändlichen Tun. Wenn es nicht Conrad Veidt wäre hätte dies schnell eine schwache und stereotype Figur sein können, aber Veidt gibt dem Mann durch seine Ausstrahlung so viel Tiefe und Hintergrund, so viel Leben - Metternich wird zum Charakter! Dagegen wirkt der ständig nur debil grinsende Willy Fritsch als Zar Alexander so flach wie der Unfug von Zar Putin. Stärker ist der Adjutant Bubikoff (Otto Wallburg), der unglaublich fett und unglaublich agil die Befehle seines königlichen Herrn ausführt, und dabei den armen Uralsky, den Doppelgänger des Zaren, von Rendezvous zu Rendezvous hetzt und diesem dabei nicht einmal die Küsse gönnte. Als „Belohnung“ darf Uralsky dann alle auf dem Abschlussball anwesenden Damen küssen – Nach jedem Kuss wischt er sich die Lippen ab, und der Stoß Tücher hinter ihm wächst schier in den Himmel …
Ja, der Film kann auch heute noch begeistern! Die Figuren sind frisch und lebendig (außer vielleicht Alexander, aber der ist eine Ausnahme), die Witze sind witzig, die Situationskomik ist situativ und komisch, und die Musik bekommt man auch heute noch kaum aus dem Kopf. Paul Hörbiger als Heurigensänger und Carl-Heinz Schroth als Metternichs Geheimsekretär Pepi machen genauso Stimmung wie die ganz extrem burschikose Lilian Harvey als Christel (Liselotte Pulver soll in DAS WIRTSHAUS IM SPESSART burschikos sein? Pff, Lilian Harvey muss als Bursche geboren worden sein …), und Nebenfiguren wie der sadistische Exekutor mit dem Rohrstock oder die Gräfin mit den sarkastischen Kommentaren (Adele Sandrock) bringen noch ein zusätzliches Vergnügen. Und a propos Lilian Harvey: Die wird hier, konträr zu ihrem männlichen Auftreten, ausgesprochen erotisch in Szene gesetzt, und darf vor allem in den ersten Szenen schlecht verhüllt vieles von dem zeigen was Frauen so haben. Eine Menge Unterwäsche gibt es noch obendrein, und für einen deutschen Film des Jahres 1931 ist DER KONGRESS TANZT ausgesprochen sexy geworden.
DER KONGRESS TANZT ist pures Unterhaltungskino mit dem Anspruch, 94 Minuten möglichst viel Vergnügen zu bereiten. Punkt. Und dieser Anspruch wird ganz locker eingelöst. Ausrufezeichen.
7/10