Der letzte Mann - F.W. Murnau (1924)

Moderator: jogiwan

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fritzcarraldo
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Der letzte Mann - F.W. Murnau (1924)

Beitrag von fritzcarraldo »

Der letzte Mann
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269721799_2232149416934398_6538266435352497876_n (1).jpg (77.19 KiB) 320 mal betrachtet
(Restaurierte 2K Fassung, Musikalische Begleitung Landesjugendorchester Bremen. Kino City 46 Bremen im Theater Bremen)
(Deutschland 1924)
Regie: F.W. Murnau
Mit Emil Jannings.
Murnaus Meisterwerk über Altersdiskriminierung und was es bedeuten kann, eine Uniform zu tragen, lief in einer toll restaurierten 2K Fassung im Theater Bremen. Emil Jannings spielt den Portier des Berliner Atlantic Hotels als zwar stolzen Mann, der aber immer gebeutelter durchs Leben geht. Und dies stellt er fast schon als ständig wankend dar. Man hat im Laufe des Films immer mehr das Gefühl, dass er jeden Moment auch wahrsten Wortsinn stürzen könnte. Karl Freunds (Dracula) entfesselte Kamera unterstützt dies alles nur noch. Das Ende wurde Murnau dann wohl auch aufgezwungen. Es wirkt auch sehr angeklatscht an den Film, könnte aber auch als Traumsequenz o.ä. durchgehen, da die ganze Feierei fast schon überkandidelt dargestellt wird.
Die Musik von Bernd Wilden war toll und wurde vom Orchester kongenial dargeboten. Dies war schon ein grandioses Erlebnis und steht bei mir daher fast schon auf einer Stufe mit der Sichtung von Häxan (1922), den ich mal in einer Kirche mit Orgelbegleitung sehen durfte.
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Salvatore Baccaro
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Re: Der letzte Mann - F.W. Murnau (1924)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Huch!, mir scheint es fast, dass wir auf dem selben Konzert gewesen sind... ;-)

DER LETZTE MANN auf der großen Leinwand bestätigt meine bislang in Heimkinosichtungen gewonnenen Eindrücke: Die Geschichte um einen Hotelportier, der aufgrund von Altersschwäche zum Toilettenmann degradiert wird und dies vor seinem sozialen Umfeld zu verheimlichen versucht, indem er seine ehemalige Uniform stibitzt und sich mit dieser außerhalb seiner Arbeitstätte weiterhin herausputzt, ist wirklich herzzerreißend und derart auf Visualität ausgerichtet, dass sie (fast) völlig ohne Zwischentitel auskommt. Emil Jannings in der Titelrolle wirkt anfangs noch, wenn er im strömenden Regen Koffer von Autodächern hievt, wie ein massiges Walross; je übler ihm das Schicksal jedoch mitspielt desto mehr schrumpft er in sich zusammen; irgendwann scheint er sich nur noch gebückt wie ein gehetztes Tier fortzubewegen - wahrscheinlich eine der beeindruckendsten Schauspielleistungen der Stummfilmzeit. Besonders imponiert mir nach wie vor die Kameraarbeit Karl Freunds: Wie hier der Apparat auf alle möglichen beweglichen Gerätschaften geschnallt wird, um Kamerafahrten in einer Zeit zu realisieren, wo dies nicht so ohne weiteres möglich gewesen ist, das muss man wahrhaft entfesselt nennen, - zumal all diese "Zooms" und "Schwenks" ja nicht einfach nur selbstbezügliches Gimmick sind, sondern stets essentiell mit der Narration verwoben. Das Bremer Jugendorchester intonierte den Score eines gewissen Bernd Wilden tadellos, wenn ich auch auf einige Mickey-Mousing-Effekte hätte verzichten können, und irgendwie war's insgesamt auch etwas zu laut für einen solch ruhig erzählten, überhaupt nicht pompösen Film. Womit ich mich indes wohl niemals werde anfreunden können, das sind die finalen fünf bis zehn Minuten, - ein von Produzentenseite aufoktroyiertes Happy-End, dem Murnau & Co. zwar inszenatorisch mit unverhohlener Ironie begegnen, das aber trotzdem angesichts des niederschmetternden Realismus des "eigentlichen" Films außerordentlich deplatziert wirkt.
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fritzcarraldo
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Re: Der letzte Mann - F.W. Murnau (1924)

Beitrag von fritzcarraldo »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Mo 10. Jan 2022, 15:29 Huch!, mir scheint es fast, dass wir auf dem selben Konzert gewesen sind... ;-)

Das Bremer Jugendorchester intonierte den Score eines gewissen Bernd Wilden tadellos, wenn ich auch auf einige Mickey-Mousing-Effekte hätte verzichten können, und irgendwie war's insgesamt auch etwas zu laut für einen solch ruhig erzählten, überhaupt nicht pompösen Film.
Ah. Dann warst Du das doch! :wink: :kicher: Nächstes Mal hab ich dann bestimmt auch mehr Zeit. Sorry, dass ich schon so schnell gehen musste.

Ja. Die Effekte hätten nicht unbedingt sein müssen und besonders am Anfang wurden sie auch nicht eingesetzt, wenn ich mich richtig entsinne. Ich erinnere mich, dass da Jannings einmal in seine Portierspfeife blies und nichts passiert.
Das Orchester selbst empfand ich jetzt nicht als zu laut, aber wir saßen auch relativ weit hinten. Eventuell macht das ja schon etwas aus.
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Arkadin
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Re: Der letzte Mann - F.W. Murnau (1924)

Beitrag von Arkadin »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Mo 10. Jan 2022, 15:29 Huch!, mir scheint es fast, dass wir auf dem selben Konzert gewesen sind... ;-)
Huch! Du auch! Na sowas... :wink:

Tolles Erlebnis. Zum Film ist ja alles geschrieben. Grandios, grandios... bis zum bereits erwähnten, erzwungenen Ende, welches so over-the-top ist, dass das wirklich gar nichts mehr mit dem harten, traurigen Realismus des eigentlich Filmes zu tun hat, und welches ich immer als letzte Gehirnzuckungen eines Sterbenden interpretiere. Dann ist es erträglich. Trotzdem: Meisterwerk.
Die musikalische Untermalung durch das tolle LJO fand ich sehr gut. Ich hatte von der dritten reihe auch einen schönen Einblick in den Orchestergraben (sicherlich nicht so gut wie Salvatore und KarlAbundzu in der ersten Reihe - daher vielleicht auch die höhere Lautstärke). Klar war das manchmal etwas pompös, ich fand aber das passte. Wobei ich den Film auch gerne mal mit traurigem, eher minimalistischem Sound sehen/hören würde. So Max-Richter-mäßig oder Johann Johannson (okay, letzteres leider nicht mehr möglich). Egal. Ja, ich mag auch kein Mickey Mousing. Man muss aber sagen, dass das beim "normalen" Publikum seltsamerweise immer gut ankommt.
Insgesamt: Toll, toll, toll. Und es war schön neben meinem 35MM-Chefredakteur Clemens auch viele Delirianer und Freunde zu treffen. Schade, dass aufgrund von Corona bei uns in Bremen am Ende die Suche nach einem netten Platz zum Absacken sehr, sehr schwer wurde. Aber Salvatore, Clemens und ich haben dann doch noch was ganz gutes gefunden und nach dem letzten Mann, dann noch niedliche Tierbabies auf den Monitoren im Lokal zuschauen können. Hach...
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karlAbundzu
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Re: Der letzte Mann - F.W. Murnau (1924)

Beitrag von karlAbundzu »

Stummfilm mit orchestraler Live-Musik im Theater Bremen, im Sall verteilt saßen einige Bekannte!
Der Film ist großartig, wie Jannigs mit seinen 40 Jahren eine solche Lebenserfahrung und eine Veränderung der Figur reinlegt, ist Hammer. Dazu die wunderbare Kamera von Karl Frund , nicht nur die Entfesselung derselben, sondern auch in seinen Sehr-Nahaufnahmen genau zum richtigen Zeitpunkt. Auch die Bauten und die Innere Montage sind groß. Herrlich den nach Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, wieder zu sehen.
So vergass ich auch das Ende. Im Prinzip eine fünfminütige, beinahe Slapstickhafte Komödie, mit zwei klassischen Kumpels, leicht unbeholfen, aber das Herz am rechten Fleck, halten sie der reichen Gesellschaft den Spiegel vor. Klar, kann man als Traum deuten, oder mit der einzigen Schrifttafel ja auch eben als das, was es war: ein erzwungenes Happy End des Studios. Und auch gar nicht so schlecht: Denn sonst hätten wir nachher bedröppelt schweigend draussen gestanden.
Ich ochte die Musik, nichts besonders auffälliges, sehr passend, die Pfeife war vielleicht drüber. Von meinen Sitz aus konnte ich das Orchester und den Dirigenten ein wenig beobachten, und besonders schön war es, wir sich die jungen Leute wegen des gelungenen Auftritts am Ende freuten und sich egenseitig beglückwünschten. Ist ja auch irgendwie schräg, den Aufwand mit Proben pipapo in Zeiten, wo das Theater nur halb besetzt werden darf für einen Abend. Aber allein schon für die Freude der Musiker hat es sich gelohnt.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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karlAbundzu
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Re: Der letzte Mann - F.W. Murnau (1924)

Beitrag von karlAbundzu »

Arkadin hat geschrieben: Mo 10. Jan 2022, 21:17 ann noch niedliche Tierbabies auf den Monitoren im Lokal zuschauen können
wo war denn das? :pig:
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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