Originaltitel: Der Witzekongress
Produktionsland: Deutschland 2017
Regie: Christian Grundey
Darsteller: Jannika Jira, Alexander F. Obe, Martin Maecker, Georg Peetz, Thomy Kessler, Jens-Holger Lemke, Dietrich Kuhlbrodt
Alljährlich treffen sie sich im spießbürgerlichen Vereinslokal und halten ihren sogenannten „Witzekongress“ab – eine triste Stammtischrunde, bei der man versucht, sich gegenseitig mit pointenreichen, politisch inkorrekten, postpubertären Kalauern, Scherzfragen und Wortspielen zum bauchspeckschüttelnden Lachen zu zwingen: Heinz (53), Frührentner, der angibt, bereits dreihundert Witze in sieben verschiedenen Magazinen veröffentlicht zu haben; Karl (27), Student, der eintritt für eine Revolution des unbändigen Humors; Rudolf (40), Kolumnist, Intimfeind von Heinz und Betreiber eines, laut Eigenaussage, weltberühmten Witzeblogs namens „C’est de l’humour“; Manfred (40), Hobbycartoonist und immer an der Front, die Launen des gemeinen Volkes erfahrbar zu machen. Ebenfalls immer präsent ist Otto, Vereinsvorsitzender und Moderator des schenkelklopfenden Stelldicheins, sowie der einstige Begründer der munteren Gemeinschaft, der aufgrund seines bereits erfolgten Todes die Veranstaltung einzig als Ölgemälde an der Wand überwachen kann. Einen neuen Gast darf die eingeschworene Truppe jedoch dieses Jahr begrüßen: Laila (26), deren laszive Garderobe in der Runde nicht nur zu einem vermehrten Aufkommen sexistischer Sprüche und gruppeninterner Rivalitäten führt, sondern bei der es sich, wie Otto bekanntgibt, außerdem um die Tochter des Vereinsgründers handelt, die zuletzt als kleines Mädchen zwischen den rustikalen Holzbänken des Lokals umhergewuselt sei…
Bereits vor zweieinhalb Jahren hatte mir unser Arkadin einen Link zu vorliegendem deutschen Independent-Film zugeschickt, mit dem Hinweis, dass das etwas für mich sein könne, doch der haushohe Stapel noch abzuarbeitender Werke hatte mir tatsächlich jetzt erst Gelegenheit gelassen, ein Auge auf diesen WITZEKONGRESS zu werfen, der sich dann auch als recht eigenartige und reichlich ziellose Mixtur aus satirischer Farce, Sammelsurium größtenteils eher peinlicher Witzeleien und der einen oder anderen performativen Einlage entpuppt, die mich dann doch nicht nur zutiefst erstaunt, sondern auch zum Jauchzen gebracht haben. Trotz seiner Länge von achtzig Minuten und des Umstands, dass der Film – bis auf eine einzige Szene, in der unsere Helden vor der Vereinslokaltür kollektiv eine rauchen – in einem einzigen schummrig-muffigen gartenlaubenartigen Raum spielt, versteht es Regisseur, Kameramann, Drehbuchautor, Produzent, Tonmensch in Personalunion Christian Grundey durch seine agile Montage, die Wahl ausgefallenerer Bildkompositionen und die lebhaften, ping-pong-haften Dialoge der Gefahr einen Riegel vorzuschieben, sein Streifen könne allzu statisch, allzu langatmig, allzu ereignislos wirken. In seinen besten Momenten wird DER WITZEKONGRESS stattdessen beseelt von einem dezidiert dokumentarischen Gestus: So, als würden wir einer tatsächlichen Ansammlung im Grunde bemitleidenswerter Gestalten dabei zusehen, wie sie sich einander gegenüber als die Meister der Komik inszenieren, während sie in ihren Alltägen jenseits des konspirativen Kreises mutmaßlich wenig zu lachen haben. Heinz entlarvt sich dauernd selbst als Rassist und Sexist; Rudolf weicht sein selbstverliebtes Grinsen vor allem dann nicht vom Gesicht, wenn er den angeblich raffiniertesten „Tiere-im-Wald-Witz“ aller Zeiten zum Besten gibt; Manfred schmaucht mit einstudiert anmutender snobistisch-dandyhafter Attitüde unaufhörlich an seiner Pfeife; mehr als einmal redet sich der pausenlos plappernde Karl um Kopf und Kragen, beispielweise, wenn er lang und breit die Gründe darlegt, weshalb ihm nur Billigkaffee ins Haus komme; Laila währenddessen leert den Inhalt mehrerer Mini-Bars, kann sich bald kaum noch auf den grazilen Beinen halten; einzig Otto steht etwas außen vor, wenn er auch verantwortlich ist für das nicht minder bizarre Programm an Gästen, die intervallweise in den humorigen Schlagabtausch hereinschneien. Für all die als Witze getarnte Peinlichkeiten benötigt man als Zuschauer ein durchaus starkes Fell, - ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, jemals in derart großer Dichte mit derart vielen Fremdschammomenten konfrontiert worden zu sein, bei denen man, wie es sicher auch die Absicht Grundeys gewesen ist, weniger mit den Protagonisten über ihre süffisant gesäuselten Pointen lacht, sondern eher über die Figuren, die solcherlei für das Nonplusultra des Humors halten: „Zwei Kannibalen essen einen Clown. Sagt der eine: Das schmeckt aber komisch.“ Andererseits beschlich mich nie das Gefühl, der Film wolle sich über seine Charaktere erheben und sie der Lächerlichkeit preisgeben. Eher ist es so, dass ein überhebliches Lachen, mit dem man die schrägen Typen bedenken möchte, unvermittelt in ein schamerfülltes verkniffenes Grinsen umschlägt.
Ob Grundey nun einfach nur unter Beweis stellen wollte, wie viele grausige Witze er kennt, ob sich in seinem WITZEKONGRESS eine Gesellschaftskritik verbirgt, deren Tragweite sich mir nicht erschlossen hat, oder ob sein Film wirklich nur eine bewusst mäandernde Anhäufung mehr oder minder skuriller Momente ohne dramaturgischen Bogen, ohne Entwicklung der Charaktere, ohne narrativen Spannungsbogen sein sollte, mag ich nicht zu entscheiden. Irritiert hat mich jedoch, dass einige storytechnischen Feinheiten zwar angedeutet werden – das Verhältnis Lailas zu ihrem verstorbenen Vater; der Konflikt zwischen Heinz und Rudolf; das gesellschaftliche Scheitern, das alle Beteiligten des Kongresses scheinbar haben erleiden müssen, weshalb sie sich möglicherweise in eine Welt der Altherrenscherze flüchteten –, jedoch niemals so sehr ausformuliert werden, dass sie mehr seien als leicht zu übersehende Details am Rande. Die Figuren jedenfalls bleiben Schemen, - selbst Laila, die von ihren wiederkehrenden inneren Monologe als nominelle Heldin modelliert wird, - was aber freilich dann wieder dem erwähnten Dokumentarfilmanstrich zugutekommt, der sich eben nicht das Erzählen, sondern das ungefiltert ostenative Zeigen auf die Fahne geschrieben hat.
So unausgegoren ich DER WITZEKONGRESS stellenweise empfunden habe, so sehr bin ich bei jenen Szenen auf die Knie gegangen, wenn Otto die diesjährigen vier Gastdozenten auf die Bühne bittet: Einen Mann aus Ghana, der in seiner Muttersprache einen Witz erzählt, den keiner der Anwesenden aufgrund der Sprachbarriere versteht; einen völlig überdrehten, aggressiv wirkenden Russen, der seinen dadaistischen Nonsens in einer Schale aus Publikumsverachtung förmlich herausbrüllt; einen Hochzeitsunterhalter, der mit unseren Protagonisten infantile Spielchen treiben möchte, und dann auch nach nur wenigen Minuten von der Bühne gebuht wird. Womit ich indes kein bisschen gerechnet hätte, - und zwar nicht mal dann, wenn ich gut in Mathe gewesen wäre, höhö -, das ist das gleich zweimalige Auftreten des Oberstaatsanwalts a.D., Schlingensief-Stars und Hgich.T-Opas Dietrich Kuhlbrodt. Bei einem zugleich beklemmenden und beglückenden Handpuppenspiel belässt es dieses Urgestein des deutschsprachigen Subversiv-Kinos mitnichten. In einer Szene, die noch die Grenzen dieses kleinen, interessanten Films - mal abgesehen von denen des guten Geschmacks - weit überschreitet, veranstaltet Kuhlbrodt mit den Kongressteilnehmern eine Art Witze-Striptease: Für jede Pointe der Scherzfragen, die er stellt, entledigt er sich eines Kleidungsstück – und da Laila all diese Witze quasi mit der Vatermilch aufgesogen hat, steht Kuhlbrodt am Ende splitterfasernackt vor der Kameralinse: Ein wahrlich herrlicher Moment, der sich nun wirklich nicht zu verstecken braucht vor Schlingensief'schen Eskapaden oder derangierten Hgich.T-Musikvideos, von denen ich mir aber unterm Strich im Verlauf des WITZEKONGRESS noch ein paar mehr gewünscht hätte, um ihn zu einem kleinen Meisterwerk küren zu können.
Der Witzekongress - Christian Grundey (2017)
Moderator: jogiwan
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