Die Fälschung - Volker Schlöndorff (1981)
Moderator: jogiwan
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Die Fälschung - Volker Schlöndorff (1981)
Originaltitel: Die Fälschung
Produktionsland: Deutschland/Frankreich 1981
Regie: Volker Schlöndorff
Cast: Bruno Ganz, Hanna Schygulla, Jerzy Skolimowski, Jean Camet, Gila von Weitershausen, Hans Peter Korff
Der Kommentar zu einer Lehrveranstaltung an der Universität Mainz von vor zehn Jahren fasst die Stellung des mit gerade mal Anfang 30 im Jahre 1979 an einem Krebsleiden verstorbenen Schriftsteller Nicolas Born innerhalb der bundesdeutschen Nachkriegsliteraturszene, finde ich, pointiert zusammen: „Wollte man für literaturgeschichtsdidaktische Zwecke einen Autor erfinden, an dem möglichst alle Strömungen, Stadien und Widersprüche der 1960er und 70er Jahre exemplarisch zu studieren wären, es käme wohl ziemlich genau Nicolaus Born (1937-1979) heraus: Kölner Realismus und Nouveau Roman, die 68er-Revolte und ihre Folgen, Glanz, Elend und Neuaneignung gesellschaftlicher Utopien, US-amerikanische Popkultur und Underground-Lyrik, Neue Subjektivität, die Spannung zwischen kleinbürgerlich-provinzieller Herkunft (Ruhrgebiet), Großstadt-Bohème (Berlin) und alternativem Landleben (Lüchow-Dannenberg), zwischen Künstlerfreiheit und familiärer Verantwortung, Engagement und Rückzug, der Kampf gegen Atomenergie und Überwachungsstaat, Radikalkritik am Wirklichkeitsraubbau der mediatisierten Welt und nicht zuletzt das relative Vergessensein all dieser Themen und Impulse heute – all das deckt Born phänotypisch ab.“
Bereits zweimal stand ich vor Borns Grab in dem Dörfchen Damnatz unweit der Elbe; mehrfach begegneten mir in meinem Literaturwissenschaftsstudium einschlägige Texte Borns; in einer Hitzacker Bibliothek, die nach Born benannt ist, hielt ich Anfang des Jahres gar einen Vortrag im Rahmen einer Konferenz, die von einer Stiftung finanziert wurde, die ebenfalls auf Borns Namen hört. Dennoch: Wirklich warm geworden bin ich mit dem Oeuvre Borns niemals. Das eine oder andere Gedicht besitzt das Potential, mich zu berühren, jedoch merke ich alles in allem immer wieder, dass mich nach 1945 Literatur (und insbesondere deutschsprachige) nur selten wirklich zu begeistern vermag: Mein Faible gilt dem 18. und 19. Jahrhundert – und auch wenn ich Borns Schaffen rein objektiv zu schätzen weiß, sprang der Funken (bislang), ehrlich gesagt, ganz selten über.
Das gilt besonders für seinen wohl berühmtesten Roman „Die Fälschung“, der kurz vor Borns Tod 1979 bei Rowohlt erschien: Auf mehreren hundert Seiten breitet sich dort das Bürgerkriegspanorama des zerschossenen Beiruts aus, durch das der Protagonist, ein deutscher Journalist namens Laschen, weitgehend orientierungslos stolpert, zwischendurch reißerischere Medienberichte verfasst, ansonsten eine Affäre mit einer deutschstämmigen Botschaftsmitarbeiten anfängt, obwohl zu Hause in Deutschland Frau und Kinder auf ihn warten, und sich vor allem in endlosen inneren Monologen selbstbemitleidet. Gerade letzterer Aspekt stieß mich bei der Lektüre regelrecht von dem Text hinfort: Ernsthaft, ich soll mir 300 Seiten lang anhören, wie ein Mann mittleren Alters vor Weltschmerz vergeht, mit seinen Gefühlen nicht klarkommt, sich in emotionale und sexuelle Abenteuer stürzt, während um ihn herum gerade der gesamte Libanon brennt? Sicher, „Die Fälschung“ birgt eine begrüßenswerte pazifistische Grundaussage, und funktioniert vor allem als Kritik am Medienbetrieb, dem sensationelle Bilder wichtiger sind als jedwede Ethik und Moral, irgendwie treten diese Momente jedoch stets in den Hintergrund, wenn Born die Kulisse des kriegsversehrten Beirut im Grunde primär nutzt, um seinen Helden weinerliche, pseudo-philosophische, stilistisch eher anstrengende Selbstgespräche führen zu lassen.
Möglicherweise, dachte ich mir, könnte es ein Schlüssel für die Euphorie sein, die der Roman bei Erscheinen auslöst, wenn ich mir die Verfilmung anschaue, die unter Regie Volker Schlöndorffs drei Jahre später entsteht. Laschen wird verkörpert von Bruno Ganz, seine Geliebte von Hanna Schygulla, der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski agiert in einem seiner seltenen Ausflüge vor die Kamera als Laschens Kameramann; das Drehbuch stammt, unter anderem, aus der Feder von Margarethe von Trotta und Jean-Claude Carrière, Igor Luther führt die Kamera, Maurice Jarre steuert den Score bei. Anders gesagt: DIE FÄLSCHUNG liest sich wie ein Who is Who des Neuen Deutschen Films nach seiner Kampfphase, als einstige Bilderstürmer wie eben Schlöndorff längst im institutionalisierten, gutbürgerlichen Kunstkino™ angekommen sind – und sich, wenig verwunderlich, an literarischen Vorlagen vergreifen, die genau dasselbe gutbürgerliche Publikum ansprechen wie ihre Filme.
Es mag nun für oder gegen mich sprechen, aber, puh, ich persönlich gehöre definitiv nicht zu diesem Publikum, hat mir die Sichtung von DIE FÄLSCHUNG doch einmal mehr vor Augen geführt, was ich am sogenannten anspruchsvollen deutschen Kino der 70er und 80er so grausig finde: Borns Roman wird quasi 1:1 adaptiert, zumindest, was seine reine Story betrifft; die teilweise wilde Montagestruktur, die Rückblenden, Gegenwart, Gedachtes mischt, auf die Leinwand zu übertragen, dafür hat Schlöndorff kein Interesse. Stattdessen ist DIE FÄLSCHUNG technisch-ästhetisch so konventionell wie man nur sein kann: Wir folgen Bruno Ganz für fast zwei Stunden durch ein zerstörtes Beirut, das man in Studiokulissen nachgebaut hat, und alles, was ich an Borns Vorlage wenig erträglich finde, potenziert sich in der Filmversion noch, wenn unser Held pausenlos aus dem Off die eigenen Zweifel an seinem Job, an seiner Ehe, an der Welt an sich preisgibt, zwischenzeitlich mit Hanna Schygulla als absolut marginalisierter Frauenrolle ins Bett steigt, und wir ansonsten mit marktschreierischen Gewaltbildern voller Explosionen, Schusswechsel, brennender Leichen befeuert werden. Der Bürgerkrieg im Libanon wird zur bloßen Hintergrundfolie, auf der der westliche Mann seine vergleichsweise mickrigen, jedoch vom Film ins Unermessliche aufgebauschten zwischenmenschlichen Probleme bejammern kann; die Medienschelte geschieht quasi en passant und ohne Pfeffer; die dramaturgisch reichlich unausgegorene Story mäandert vor sich hin und kulminiert in einem Finale, von dem ich mich nur wundern kann, dass die Verantwortlichen es NICHT ironisch, sondern offenbar bierernst gemeint haben: Ganz hat sich in Schygulla verliebt; die jedoch trifft einen anderen Mann; heimlich beobachtet unser Held die beiden bei einem Stelldichein; Ganz reist zurück nach Deutschland, sitzt im Regen in seinem Wagen vor dem eigenen Haus, die Ehefrau beäugend, die seine Rückkehr noch nicht bemerkt hat. Es ist ja fast schon eine Frechheit, das (reale) Leid einer vom Bürgerkrieg zerrissenen Gesellschaft zu instrumentalisieren, um derartige Soap-Opera-Stoffe mit einer theatralischen Kulisse auszustaffieren.
Positiv gibt es eigentlich nur zu vermelden, dass die Actionszenen kompetent inszeniert sind, dass der Score Jarres manchmal genug aufstampft, um mich aus der Lethargie zu scheuchen, und dass Skolimowski als skrupelloser Kriegsberichterstatter den ansonsten eher auf Autopilot agierenden Cast problemlos an die Wand spielt. Von all den Regisseuren, die sich in den 60ern anschickten, das deutsche Kino zu revolutionieren, ist Schlöndorff wohl weiterhin derjenige, mit dem ich am wenigsten einen Kaffee trinken wollen würde: Ich liebe Werner Herzogs nüchternen Surrealismus, ich schätze den Brechtianismus Fassbinders, selbst mit Wim Wenders ostentativ ausgelebtem Autismus kann ich mich zuweilen anfreunden, doch bei Schlöndorff habe ich stets das Gefühl, dass seine Filme oft derart dem Standard gleichen, dass mir nicht mal besonders aussagekräftige Attribute einfallen – und DIE FÄLSCHUNG ist hierfür das beste Beispiel…
- Salvatore Baccaro
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Re: Die Fälschung - Volker Schlöndorff (1981)
...und wer sich die volle Dröhnung geben will: Der Film wird alsbald in Berlin gescreent...
- buxtebrawler
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Re: Die Fälschung - Volker Schlöndorff (1981)
Schöne Charakterisierung der populärsten Autorenfilmer des NDF. Werde ich vielleicht beizeiten mal gegenprüfenSalvatore Baccaro hat geschrieben: ↑Do 21. Sep 2023, 19:06 Ich liebe Werner Herzogs nüchternen Surrealismus, ich schätze den Brechtianismus Fassbinders, selbst mit Wim Wenders ostentativ ausgelebtem Autismus kann ich mich zuweilen anfreunden, doch bei Schlöndorff habe ich stets das Gefühl, dass seine Filme oft derart dem Standard gleichen, dass mir nicht mal besonders aussagekräftige Attribute einfallen – und DIE FÄLSCHUNG ist hierfür das beste Beispiel…
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
Re: Die Fälschung - Volker Schlöndorff (1981)
Dass der Salvatore und der Volker niemals dicke Freunde werden, das ist schon klar. Ich für meinen Teil kann aus dieser deutschen Autorenfilmecke gerade mit den Schlöndorff-Filmen sehr viel anfangen, weil die im Normalfall gut erzählt sind, und sich in Struktur und Narration an den Mainstream anlehnen, damit also gut ansehbar sind und den Begriff Langeweile tunlichst vermeiden. Darum möchte ich Salvatores Darstellung eine andere Sichtweise an die Seite stellen, damit niemand denkt dass DIE FÄLSCHUNG abgrundtief schlecht sei. Gesehen habe ich das Teil vor 10 Jahren, und ja, der Film hat seine Schwächen, aber auch seine Stärken. Außerdem sehe ich Hanna Schygulla gerne ...
Der Journalist Laschen (Bruno Ganz) entflieht seinen Eheproblemen mit einem Auftrag, der ihn in den frisch entbrannten Bürgerkrieg im Libanon führt. Zusammen mit dem Fotografen Hoffmann (Jerzy Skolimowski) versucht er im umkämpften Beirut seinen Job zu machen und gleichzeitig eine Liaison mit der in Beirut lebenden Deutschen Arianna (Hanna Schygulla) am Laufen zu halten. Als er Augenzeuge eines Massakers wird entscheidet er sich, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren, sondern im Libanon zu bleiben.
Zu Beginn dachte ich mir ja schon noch „Deutsche Filme … Kein Wunder dass die niemand mag, so hölzern wie die Jungs und Mädels da spielen.“ Aber was wie ein ZDF-Fernsehspiel beginnt, gewinnt mit dem Beginn der eigentlichen Handlung in Beirut an Drive. Laschen lässt sich durch Beirut treiben, kommt selber in einen Schusswechsel, muss vor Artilleriebeschuss flüchten, und in einer sehr schönen Szene kommt er mit mehrstündiger Verspätung im Haus von Arianna an, von Kopf bis Fuß verdreckt, der Anzug ruiniert, und meint nur lakonisch, dass es umständlich war herzukommen.
Überhaupt das dargestellte Leben in Beirut. Der Film spielt 1976, ein Jahr vorher hatte der Bürgerkrieg begonnen. Die Altstadt von Beirut, ja die gesamte Innenstadt, galt als No Man’s Land: Nur Ruinen, durch die Straßen ziehende Milizen, ständig irgendwo Schüsse oder Explosionen, Menschen die nach Wasser anstehen und die Straßen nur rennend überqueren, Scharfschützen die alles beharken was noch lebt. Bilder wie aus Berlin 1945 oder Sarajevo 1995.
Der Film wurde tatsächlich in Beirut während des Bürgerkriegs gedreht, und es sind keine Kulissen und keine Statisten zu sehen. Schlöndorff erzählt, dass die Milizen ganz begeistert waren in dem Film mitzuspielen. Allerdings haben alle darauf bestanden mit echter Munition zu schießen, weil Platzpatronen die Gewehre kaputtmachen. Das heißt, dass wirklich alles in diesem Film echt ist.
Somit sind die Settings, ist die Stimmung im Film sehr authentisch und beeindruckend, was der Handlung wiederum zugute kommt. Laschen versinkt im Laufe des Filmes im mehr in der Gewalt die ihn umgibt. Während er zu Beginn noch über den Tod eines alten Mannes staunt und philosophiert, ist er spätestens nach dem als Augenzuge erlebten Massaker an moslemischen Zivilisten konsterniert. Er sieht wie Leichen verbrannt werden, und gleichzeitig erlebt er den Geschäftssinn und den Zynismus seiner Kollegen, wenn die Fotos von Opfern als Handelsobjekte gesehen werden und den Status von Fußballsammelbildern haben. Als er, um nicht selber ums Leben zu kommen, einen Mann töten muss, erkennt er wie leicht man sich in einer solchen Umgebung verlieren kann und er entscheidet sich doch nach Deutschland zurückzukehren. Die Hybris ist dann die Szene in der Redaktionskonferenz, wenn er die Bilder des Massakers vorlegt, die Antwort „Beirut, das interessiert doch keinen mehr“ lautet, und er um die Anzahl der verfügbaren Seiten feilschen muss.
Diese Momente sind die stärksten des Filmes, hier kann auch Bruno Ganz glänzen, und hier macht man sich als Zuschauer auch so seine Gedanken über die aktuellen Kriegsspielchen. Leider empfinde ich Ganz in vielen Situationen als glatte Fehlbesetzung, was dem Film natürlich nicht gut tut. Seine stoische Leidensmiene, seine Reserviertheit, auch in Momenten die ihn emotional fordern, da würde ich mir mehr Gefühl und mehr Engagement wünschen. Und wenn er im Bonusmaterial selber erzählt, dass er sich vom Regisseur des Öfteren allein gelassen gefühlt hat, dann ist klar, dass er erheblich mehr Führung gebraucht hätte um die Rolle auch wirklich auszufüllen. Da haben Regisseur und Schauspieler wohl nicht so ganz zusammengepasst. Wie wohltuend wirkt daneben Hanna Schygulla, die ihre Rolle fühlt, lebt, und geradezu somnambul durch die zerstörte Stadt schwebt. Laut DVD-Bonusmaterial ist Hanna Schygulla nach Abschluss der Dreharbeiten noch einige Zeit in Beirut geblieben, und diese Verbundenheit ist auch deutlich zu spüren, was bei Bruno Ganz aber leider gar nicht zutrifft. Seine Entscheidung in Beirut zu bleiben ist schauspielerisch nicht nachzuvollziehen, das Unbehagen über den Aufenthalt in Beirut hingegen in fast jeder Minute zu spüren.
Fazit: Ein starker Anti-Kriegsfilm, der nicht mit übertriebenen Greueltaten zu punkten versucht, sondern die Entmenschlichung des Krieges anhand der Entwicklung des Protagonisten darstellt, dabei aber nicht vergisst dass ein Film auch unterhalten muss. Der Film ist definitiv keine Kopfgeburt, und damit auf jeden Fall sehenswert.
7/10
Die Fälschung
Deutschland/Frankreich 1981
Regie: Volker Schlöndorff
Bruno Ganz, Hanna Schygulla, Jerzy Skolimowski, Jean Carmet, Gila von Weitershausen, Peter Martin Urtel, John Munro, Fouad Naim, Josette Khalil, Ghassan Mattar, Sarah Salem, Rafic Najem, Magnia Fakhoury, Jack Diagilaitas, Roger Assaf, Hakmeh Abou Ali, Hassan Husseiny
OFDB
Deutschland/Frankreich 1981
Regie: Volker Schlöndorff
Bruno Ganz, Hanna Schygulla, Jerzy Skolimowski, Jean Carmet, Gila von Weitershausen, Peter Martin Urtel, John Munro, Fouad Naim, Josette Khalil, Ghassan Mattar, Sarah Salem, Rafic Najem, Magnia Fakhoury, Jack Diagilaitas, Roger Assaf, Hakmeh Abou Ali, Hassan Husseiny
OFDB
Der Journalist Laschen (Bruno Ganz) entflieht seinen Eheproblemen mit einem Auftrag, der ihn in den frisch entbrannten Bürgerkrieg im Libanon führt. Zusammen mit dem Fotografen Hoffmann (Jerzy Skolimowski) versucht er im umkämpften Beirut seinen Job zu machen und gleichzeitig eine Liaison mit der in Beirut lebenden Deutschen Arianna (Hanna Schygulla) am Laufen zu halten. Als er Augenzeuge eines Massakers wird entscheidet er sich, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren, sondern im Libanon zu bleiben.
Zu Beginn dachte ich mir ja schon noch „Deutsche Filme … Kein Wunder dass die niemand mag, so hölzern wie die Jungs und Mädels da spielen.“ Aber was wie ein ZDF-Fernsehspiel beginnt, gewinnt mit dem Beginn der eigentlichen Handlung in Beirut an Drive. Laschen lässt sich durch Beirut treiben, kommt selber in einen Schusswechsel, muss vor Artilleriebeschuss flüchten, und in einer sehr schönen Szene kommt er mit mehrstündiger Verspätung im Haus von Arianna an, von Kopf bis Fuß verdreckt, der Anzug ruiniert, und meint nur lakonisch, dass es umständlich war herzukommen.
Überhaupt das dargestellte Leben in Beirut. Der Film spielt 1976, ein Jahr vorher hatte der Bürgerkrieg begonnen. Die Altstadt von Beirut, ja die gesamte Innenstadt, galt als No Man’s Land: Nur Ruinen, durch die Straßen ziehende Milizen, ständig irgendwo Schüsse oder Explosionen, Menschen die nach Wasser anstehen und die Straßen nur rennend überqueren, Scharfschützen die alles beharken was noch lebt. Bilder wie aus Berlin 1945 oder Sarajevo 1995.
Der Film wurde tatsächlich in Beirut während des Bürgerkriegs gedreht, und es sind keine Kulissen und keine Statisten zu sehen. Schlöndorff erzählt, dass die Milizen ganz begeistert waren in dem Film mitzuspielen. Allerdings haben alle darauf bestanden mit echter Munition zu schießen, weil Platzpatronen die Gewehre kaputtmachen. Das heißt, dass wirklich alles in diesem Film echt ist.
Somit sind die Settings, ist die Stimmung im Film sehr authentisch und beeindruckend, was der Handlung wiederum zugute kommt. Laschen versinkt im Laufe des Filmes im mehr in der Gewalt die ihn umgibt. Während er zu Beginn noch über den Tod eines alten Mannes staunt und philosophiert, ist er spätestens nach dem als Augenzuge erlebten Massaker an moslemischen Zivilisten konsterniert. Er sieht wie Leichen verbrannt werden, und gleichzeitig erlebt er den Geschäftssinn und den Zynismus seiner Kollegen, wenn die Fotos von Opfern als Handelsobjekte gesehen werden und den Status von Fußballsammelbildern haben. Als er, um nicht selber ums Leben zu kommen, einen Mann töten muss, erkennt er wie leicht man sich in einer solchen Umgebung verlieren kann und er entscheidet sich doch nach Deutschland zurückzukehren. Die Hybris ist dann die Szene in der Redaktionskonferenz, wenn er die Bilder des Massakers vorlegt, die Antwort „Beirut, das interessiert doch keinen mehr“ lautet, und er um die Anzahl der verfügbaren Seiten feilschen muss.
Diese Momente sind die stärksten des Filmes, hier kann auch Bruno Ganz glänzen, und hier macht man sich als Zuschauer auch so seine Gedanken über die aktuellen Kriegsspielchen. Leider empfinde ich Ganz in vielen Situationen als glatte Fehlbesetzung, was dem Film natürlich nicht gut tut. Seine stoische Leidensmiene, seine Reserviertheit, auch in Momenten die ihn emotional fordern, da würde ich mir mehr Gefühl und mehr Engagement wünschen. Und wenn er im Bonusmaterial selber erzählt, dass er sich vom Regisseur des Öfteren allein gelassen gefühlt hat, dann ist klar, dass er erheblich mehr Führung gebraucht hätte um die Rolle auch wirklich auszufüllen. Da haben Regisseur und Schauspieler wohl nicht so ganz zusammengepasst. Wie wohltuend wirkt daneben Hanna Schygulla, die ihre Rolle fühlt, lebt, und geradezu somnambul durch die zerstörte Stadt schwebt. Laut DVD-Bonusmaterial ist Hanna Schygulla nach Abschluss der Dreharbeiten noch einige Zeit in Beirut geblieben, und diese Verbundenheit ist auch deutlich zu spüren, was bei Bruno Ganz aber leider gar nicht zutrifft. Seine Entscheidung in Beirut zu bleiben ist schauspielerisch nicht nachzuvollziehen, das Unbehagen über den Aufenthalt in Beirut hingegen in fast jeder Minute zu spüren.
Fazit: Ein starker Anti-Kriegsfilm, der nicht mit übertriebenen Greueltaten zu punkten versucht, sondern die Entmenschlichung des Krieges anhand der Entwicklung des Protagonisten darstellt, dabei aber nicht vergisst dass ein Film auch unterhalten muss. Der Film ist definitiv keine Kopfgeburt, und damit auf jeden Fall sehenswert.
7/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
- Salvatore Baccaro
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- Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10
Re: Die Fälschung - Volker Schlöndorff (1981)
Sehr fein, dass mein Verriss sofort engagierte Gegenpositionen hervorruft. Schreibe gerne nun auch herbe Kritiken zu Spät80er-Italo-Horror wie Fulcis UN GATTO NEL CERVELLO oder Lattanzis/D'Amatos KILLING BIRDS, die ich regelmäßig in den Olymp der besten Filme aller Zeiten hieve...Maulwurf hat geschrieben: ↑So 1. Okt 2023, 07:02 Dass der Salvatore und der Volker niemals dicke Freunde werden, das ist schon klar. Ich für meinen Teil kann aus dieser deutschen Autorenfilmecke gerade mit den Schlöndorff-Filmen sehr viel anfangen, weil die im Normalfall gut erzählt sind, und sich in Struktur und Narration an den Mainstream anlehnen, damit also gut ansehbar sind und den Begriff Langeweile tunlichst vermeiden. Darum möchte ich Salvatores Darstellung eine andere Sichtweise an die Seite stellen, damit niemand denkt dass DIE FÄLSCHUNG abgrundtief schlecht sei. Gesehen habe ich das Teil vor 10 Jahren, und ja, der Film hat seine Schwächen, aber auch seine Stärken. Außerdem sehe ich Hanna Schygulla gerne ...
Hast Du auch den zugrundeliegenden Roman von Born gelesen? Falls nicht, knallt der ja bei Dir auch total rein...
Re: Die Fälschung - Volker Schlöndorff (1981)
Nein, den Roman kenne ich nicht, von dem habe ich das erste Mal in Deinem Text gehört. Aber die Bemerkung, "ich soll mir 300 Seiten lang anhören, wie ein Mann mittleren Alters vor Weltschmerz vergeht", die schreckt mich ehrlich gesagt auch ein wenig ab. Mittleres Alter und Weltschmerz habe ich selber, und ein paar hundert ungelesene (und spannender klingende) Bücher ebenfalls ...Salvatore Baccaro hat geschrieben: ↑So 1. Okt 2023, 19:09 Hast Du auch den zugrundeliegenden Roman von Born gelesen? Falls nicht, knallt der ja bei Dir auch total rein...
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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