Originaltitel: Die Insel der Seligen
Produktionsland: Deutschland 1913
Regie: Max Reinhardt
Cast: Wilhelm Diegelmann, Willy Prager, Gertrud Hackelberg, Lore Wagner, Werner Lotz, Ernst Hofmann, Greta Schröder, Erika de Planque
In die Kunstgeschichte eingegangen ist Max Reinhardt (1873-1943) vor allem als Theaterinnovator, allerdings hat der Österreicher seit jeher ein durchaus reges Interesse am kinematographischen Medium gehabt, was insgesamt viermal darin gipfelte, dass er selbst bei Filmen Regie geführt hat: 1910 bei der orientalistischen Pantomime SUMURUN, die später von Lubitsch neuverfilmt werden sollte; 1913/1914 bei EINE VENEZIANISCHE NACHT und DIE INSEL DER SELIGEN, sowie 1935 im US-Exil zusammen mit William Dieterle bei MGMs Shakespeare-Adaption A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM. Auf DIE INSEL DER SELIGEN, der sonst nirgendwo kommerziell zugänglich zu sein scheint, konnte ich bei einem kürzlichen Besuch im Filmarchiv des Bundesarchivs in Berlin-Zehlendorf einen Blick werfen, - und ich bin überrascht davon, wie sowohl klamaukig und schwül-erotisch dieses Werk ausgefallen ist: Da erwartet man ein gravitätisches Antiken-Epos, und erhält eine teilweise arg anstrengende Burleske, bei der die Schauspieler pausenlos over-acten, die Scherze mitunter sehr lau ausfallen, und die mythologische Kostümierung mit ihrem DIY-Charme an eine 60er Camp-Ästhetik à la Jack Smith oder preiswerte Creature Features aus den 50ern erinnern.
Inhaltlich rankt sich DIE INSEL DER SELIGEN um zwei Mädchen und ihre Väter, die Urlaub am Meer machen: Während erstere alsbald ein Auge auf zwei adrette Jünglinge werfen, haben die beiden Papas ihre ganz eigenen Pläne für den Nachwuchs, nämlich, ihn mit zwei ihrer Skatbrüdern zu verehelichen, die ebenfalls gerade an der See weilen. Diese völlig überzeichneten Figuren – (die potentiellen Ehepartner der Mädels erfüllen beispielweise jedwedes Klischee, das jemals in Bezug auf ältliche Junggesellen existiert hat, während einer der Väter mit einer überbordenden Perücke und einem künstlichen Schmerbauch ausgestattet ist, der ihn zur drei- oder vierfachen Leibesfülle anwachsen lässt) – unternehmen nunmehr gemeinsam einen Bootstrip, verlieren schnell die Orientierung und steuern, statt zurück zum Festland zu segeln, das titelgebende Eiland an, das sie für die Küste halten. Bewohnt wird die Seligeninsel von allerhand Getier aus der antiken Mythologie: Namentlich sind es Faune, Nymphen und Tritonen, die in den dichten Wäldern zu Panflötenklang auf ihren Bocksbeinen herumhüpfen oder sich träge auf den Strandfelsen dem Sonnenbaden hingeben – und dann ist da noch Amor, der an dem Tag, an dem der Film spielt, einmal mehr vom Übermut geküsst wurde, und zusammen mit seiner Liebsten Psyche den Mädels, Jungens und Herren fortgeschrittenen Alters einen Pfeil nach dem nächsten unter die Haut jagt. Ähnlich wie im erwähnten Shakespeare-Stück ist das Tohuwabohu bald nicht mehr zu bändigen, nachdem Amor sowohl unsere acht menschlichen Protagonisten wie auch den einen oder anderen Faun oder Wassermann dazu gebracht hat, sich ins Erstbeste zu vergucken, was ihm unter die Nase gerät. Wie es einer der Zwischentitel ausdrückt: Amor macht die Natur rebellisch und hetzt die Elemente auf die Menschenkinder.
Der Großteil des Films besteht dementsprechend aus Szenen, in denen wildgewordene Kreaturen den Mädchen hinterherstellen, in denen die Väter sich spontan in die Göttin Galatea verschießen, oder in denen sich ein Faun und ein Wassermann um ein und dieselbe Frau prügeln, - was zum einen auf Dauer sehr ermüdend ist, und zum andern außerordentlich von, sagen wir, eher naivem Humor geprägt. Gefallen haben mir, wie bereits angedeutet, zwar die irgendwo zwischen Bauerntheater, Mysterienspiel und dadaistischem Happening changierenden Kostüme, und einige der komplett am Ligurischen Meer und in der Toskana gedrehten Aufnahmen schmeicheln dem Auge, und ab und zu zündet auch mal ein Gag, wenn zum Beispiel Zauberin Circe die Väter, wie einst Odysseus' Gefährten, in zwei Hausschweine verwandelt; weit über eine Stunde wandelnden Karikaturen dabei zuzusehen, wie sie einander durch hübsche Landschaften hinterherhecheln, das ist jedoch nicht unbedingt etwas, das bei mir Begeisterungsstürme auslöst.
Eher für Aufsehen sorgte bei mir, wie offenherzig Reinhardt und Drehbuchautor Arthur Kahane mit dem sexuellen Subtext ihrer Geschichte umspringen: Blankbusige Nymphen; ein Amor-Pfeil, der einen Triton anscheinend exakt dort im Unterleib erwischt, wo sein Geschlechtsteil sitzt; schließlich eine Kussszene zwischen Amor und Psyche, die deswegen überrascht, weil der kleine Liebesgott augenscheinlich von einer Frau verkörpert wird, und das Ganze somit überdeutliche lesbische Obertöne evoziert. Was die Mise en Scene betrifft, ist das Spektakel indes wenig innovativ ausgefallen: Reinhardt belässt es meist bei zweckdienlich-statischen Bildkompositionen, die visuell zwar mit vollen Händen aus der Neoromantik schöpfen und immer mal wieder berühmte Gemälde zitieren, jedoch ziemlich weit hinter dem zurückbleiben, was der deutsche Kunstfilm zu diesem Zeitpunkt schon an ästhetisch-technischen Finessen gekannt hat. Über das ebenfalls schon bemängelte Overacting möchte ich das Mäntelchen des Schweigens genauso breiten wie über das fragwürdige Finale, dem man gut und gerne einen misogynen Touch unterstellen darf.
Alles in allem etwas Weirdes aus der Asservatenkammer, - und weshalb DIE INSEL DER SELIGEN nicht längst restauriert auf einem digitalen Bildmedium veröffentlicht worden ist, erschließt sich mir gerade aufgrund des Renommees seines Regisseurs kein bisschen…
Die Insel der Seligen - Max Reinhardt (1913)
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