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Originaltitel: Die nackte Bovary
Herstellungsland: Deutschland/Italien (1969)
Regie: Hans Schott-Schöbinger
Darsteller: Edwige Fenech, Gerhard Riedmann, Manja Golec, Peter Carsten, Patrizia Adiutori, Franco Borelli, Franco Ressel, Gianni Dei und Maria Pia Conte.
Ich habe die DVD von Mya (The Sins of Bovary). Die Bildqualität ist gut, der Film ist in Ordnung (gute Besetzung mit Riedmann, Carsten und natürlich La Fenech, die sich hier einmal mehr recht freizügig präsentieren darf).
1857. Das ist für den Literaturwissenschaftler eins dieser Jahre, die man als Markstein oder Epochengrenzen bezeichnen könnte. Gleich zwei Werke erscheinen nämlich hier, die stellvertretend sind für zwei unterschiedliche Herangehensweisen an das Problem, die sogenannte Realität in der sogenannten Fiktion abzubilden und damit in gewisser Weise zwei unterschiedliche, aber noch heute gleichberechtigt nebeneinander stehende Modernen einleiten. Da hätten wir zum einen Charles Baudelaires Gedichtzyklus LES FLEURS DE MAL. Für den poet maudit wird alles zur Allegorie, wie er selbst schreibt, während er einem sterbenden Schwan zuschaut. Statt die schnöde Wirklichkeit zu beschreiben errichtet der Dichter sich im Opium- und Lyrikrausch künstliche Paradiese, die unter ihrer Bilderflut nahezu zu ertrinken scheinen. Jeder Baustein der Wirklichkeit dient als Sprungbrett zu verwegenen Metaphern, morbiden Szenarien, einer mythischen Realität hinter dem Schleier der vermeintlich entzauberten. Zum anderen hätten wir da aber Gustave Flaubert mit seiner MADAME BOVARY, der einen komplett anderen Weg einschlägt. Wie auf einem Seziertisch ist in diesem Roman die Lebens- und Leidensgeschichte einer völlig gewöhnlichen Bauerntochter namens Emma Rouault ausgebreitet, die eine Flasche, den Landarzt Charles Bovary, heiratet, um anschließend, unzufrieden bis zur Verzweiflung mit ihrem ereignis- und glanzlosen Eheleben, eine heiße Liebesaffäre mit einer weiteren Flasche anzufangen, dem Weiberheld Rodolphe Boulanger, und, nachdem der sie fallengelassen hat, Befriedigung und Glück bei Léon Dupuis suchen, einem jungen, aufstrebenden Notar, mit dem sie einst eine platonische Liebe verband, die nun zu einer handfesten wird. Hochverschuldet, emotional eine Ruine flüchtet Emma letztlich in die Selbsttötung und beschließt damit ein Schicksal wie es banaler nicht hätte sein können, ein Schicksal, von dem wir heute wahrscheinlich gar nicht mehr so recht nachvollziehen können, worin genau das subversive Potential bestanden haben soll, das Flauberts Zeitgenossen so sauer aufstieß, dass sie ihn gar vor Gericht zerrten. Die Urteilsverkündung der Richter indes spricht ihn nicht nur frei, sondern außerdem Bände: Flaubert, so heißt es, habe weder den Ehebruch noch sonst eine der mannigfaltigen, im Roman thematisierten moralisch alles andere als einwandfreien Handlungen legitimiert, sondern diese lediglich dokumentiert, so nüchtern und objektiv wie möglich. Genau das ist eben auch, was den Roman so zeitlos macht, dass er, meine ich, noch heute die meisten seiner Leser direkt ansprechen wird. Sicher, das Sujet an sich ist an keinen historischen Ort und keine historische Zeit gebunden, denn unzu-friedene Menschen in engen, erdrückenden Ehe- und gesellschaftlichen Verhältnissen wird es wohl leider immer geben, die Art und Weise wie Flaubert es ausführt und vor allem die Figuren, die er es ausagieren lässt, stellen dennoch ein gar nicht genug zu würdigendes Novum in der Literaturgeschichte dar.
Anders als beispielweise bei seinen direkten Vorläufern, was die realistische Erzählkunst in Frankreich betrifft, wie Balzac oder Stendhal sind seine Helden eben genau das nicht. Wo man bei Stendhal, bei Balzac im Mittelpunkt immer wieder Ausnahmeerscheinungen, d.h. besonders außergewöhnliche Menschen findet, regiert bei Flaubert die pure Mittelmäßigkeit. Außer ihre Schönheit hat Emma Bovary nichts, was sie irgendwie aus der Masse herausheben würde. Genau das Gleiche gilt für die versammelte Bewohnerschaft des fiktiven Provinzstädtchens Yonville, in dem der Großteil der Handlung angesiedelt ist. Neid, Missgunst, Tratscherei, Prahlsucht, Kleinbürgertum, das alles kann man dort besichtigen, nur eben keine Helden. Zudem, und das finde ich sehr wichtig, keine großen, erhabenen Gefühle. Obwohl die Story von verbotener Liebe und verruchter Leidenschaften ohne viele Änderungen gut und gerne ein Jahrhundert zuvor in irgendeinem sentimentalen, empfindsamen Roman hätte stattfinden können, ist Flauberts entscheidende Neuerung, sie von all den pathetischen Tränen und brustgeschwellten Monologen reinzuwaschen, so wie ein Arzt, der mit schonungsloser Härte die Knochen unter einem Leichnam freilegt. In Flauberts Universum scheint es keinen Gott zu geben, keine Moral, keine Herzen, deren Liebe alles überwindet und erträglich macht. Zuweilen mit einem Zynismus, der einem das Lachen im Halse steckenbleiben lässt, zeichnet er als unerbittlicher Chronist die reinen Fakten auf, die zu Emmas Suizid führen, und enthält sich weitgehend irgendwelcher Eingriffe von Autorenseite. Für ihn sind seine Figuren, und das deutet schon auf Zola voraus, mehr so etwas wie fremdartige Insekten, deren Verhalten er mit dem Blick eines Wissenschaftlers oder, manchmal, eines ein bisschen amüsierten Außerirdischen beäugt. Anders jedoch als Zola, der, in Bruderschaft mit Positivismus und Weltverbesserungsglauben, oder Balzac, dessen Anliegen es war, eine Sittengeschichte der Franzosen zu entwerfen, liest man bei Flaubert nichts von irgendeiner Programmatik, unter der sie ein Werk stehen würde. Nein, die Geschichte Emma Bovarys hat, so weh es tut, keinen Sinn, nichts, worauf sie hinausläuft, sie ist die buchgewordene Banalität unseres Menschseins, das Bildnis eines mittleren Charakters, das Bildnis einer mittleren Gesellschaft, deren Mitglieder die Kunst bis zur Perfektion beherrschen, einander das Leben schon auf Erden zur Hölle zu machen.
MADAME BOVARY ist für mich einer der Romane, bei denen eine Verfilmung sich im Grunde erübrigt, wirkt er doch selbst beinahe schon wie ein Drehbuch, so plastisch und so präzise wie Flaubert zu schildern versteht. Dennoch hat man natürlich auch von diesem Klassiker nicht Finger und Kameras lassen können, und so ist die vorliegende Adaption bei weitem nicht die erste und letzte. Es handelt sich um eine deutsch-italienische Co-Produktion, deren Titel schon stutzen machen. I PECCATI DI MADAME BOVARY heißt das Sittendrama im Italienischen, und deutet mit dem Begriff der Sünde schon etwas an, was bei Flaubert naturgemäß fehlen muss, nämlich eine negativ verurteilende Bewertung der Ehebrüche Emmas in einem religiös konnotierten Kontext. Noch derber wird’s im Deutschen. DIE NACKTE BOVARY. Das klingt so, als gäbe es zwei Varianten Emmas, einmal die bekleidete Flauberts und dann die, die uns jetzt vorgestellt wird, die ohne Klamotten, die, die ihr Fleisch zeigt, Hans Schott-Schöbingers Bovary sozusagen. Besagter Schott-Schöbinger wiederum ist genau jener Regisseur, der der Filmgeschichte solche Klassiker geschenkt hat wie KAISERJAGD IM SALZKAMMERGUT, DER BAUERNDOKTOR VON BAYRISCHZELL und, last but not least, DER PASTOR MIT DER JAZZTROMPETE. Vermag denn nun dieser Virtuose es, der Romanvorlage irgendetwas Nennenswertes entgegenzustellen, sie bei der Transformation ins Filmische gar aufzuwerten oder ihr neue Aspekte abzugewinnen? Immerhin sind daran ja schon Männer wie Jean Renoir oder Claude Chabrol gescheitert.
Ich könnte es kurz machen, und in roten Neonreklamelettern ein lautes NEIN! aufblinken lassen. Man mag einwenden: aber der Film angelt sich doch getreu bis in Details an der Romanhandlung entlang. Das stimmt, erwidere ich, und bin selbst davon verblüfft. Zwar setzt der Film erst zu einem Zeitpunkt ein, als Emma schon mit Charles liiert ist, und spart somit die kompletten Anfangskapitel aus, das sei jedoch aus Straffungsgründen verziehen und fällt gar nicht mal allzu schwer ins Gewicht. Man merkt jedenfalls: die Drehbuchschreiber müssen den Roman tatsächlich gelesen haben, und es ist nicht so, dass man den Namen Bovary einfach einem Film als Stempel aufdrückte, um ihn besser verkaufen zu können, der damit rein gar nichts zu tun hat. Alle drei Männer, an die Emma ihr Herz verliert, werden nach und nach, chronologisch korrekt, zum Aufmarschieren gebracht: ein Vicomte, den sie auf einem Ball kennenlernt und fortan als illusorisches Traumbild mit sich herum trägt, Rodolphe, den sie zufällig in der Praxis ihres Gatten trifft und mit ihm zum ersten Mal in ihrem Leben wilden Sex erlebt, sowie Léon, ihr Jugendfreund, mit dem es ebenfalls ein schlimmes, d.h. in Gleichgültigkeit untergehendes Ende nimmt. Ganze Details sind aus dem Roman übernommen worden: ein Korb voll frischer Erdbeeren, in denen Rodolphe jenen Brief versteckt, der die Verbindung zu Emma aufkündigt, ein Aderlass, bei dem Charles seine halbe Praxis mit Blut besudelt, ein Zigarrenetui, das der Vicomte verliert, und an dem sich Charles so freimütig bedient bis ihm von dem ungewohnten Genuss schlecht wird. Andererseits, sicher ebenfalls Straffungsgründen geschuldet, legt der Film seinen Fokus so sehr auf Emmas Liebesplänkeleien, dass die gesamte Fülle an Nebencharakteren, die Flauberts Roman so reich machen, völlig unter den Tisch fällt. Wo ist denn der gottlose, sich ständig mit dem Ortspriester zankende Apotheker Homais hingeraten, und was ist aus Emmas herrischer, eifersüchtiger Schwiegermutter geworden, und wo steckt Justin, der heimlich in Emma verschossene Apothekergehilfe, der am Ende weinend an ihrem Grab zusammenbricht, da er sich die Mitschuld an ihrem Selbstmord gibt? Von ihnen allen fehlt, was äußerst schade ist, jede Spur, entkleidet der Film den Roman damit ja um einen wichtigen Aspekt, nämlich den der zuweilen gar satirische Züge annehmenden Zeitkritik, mit der Flaubert das Städtchen Yonville als einen Mikrokosmos gestaltet, in dem sich die gesamte, nicht nur französische, Gesellschaft wiederfinden lässt. Emma und Charles in DIE NACKTE BOVARY scheinen unabhängig des sie umgebenden sozialen Kontextes zu existieren, und statt dass dieser, wenn auch nur zaghaft, miteinbezogen werden würde, um Emmas Schicksal um eine zusätzliche Determinante zu erweitern, wälzt man lieber die eine oder andere Liebesszene länger als nötig aus oder verschwendet kostbare Minuten, um Edwige Fenechs blanken Busen ins rechte Licht zu rücken.
Es reicht eben nicht, um einem Roman gerecht zu werden, seine bloße Story eins zu eins in Bilder zu gießen, und dafür ist DIE NACKTE BOVARY eins der besten Beispiele, dem Geiste Flauberts treu ist hier nämlich kaum etwas. Das beginnt schon allein damit, dass Fenechs Bovary nicht nur als Opfer der Umstände, sondern außerdem als Erzählerin fungiert. Es hebt Flauberts innovativen Ansatz, wie ich finde, komplett aus den Angeln, dass die Geschichte auf einmal als eine angerichtet wird, bei der die Heldin zugleich aus dem Off und aus der Ich-Perspektive ihre Handlungen kommentiert und damit einen Reflexionsgrad beweist, der der echten, d.h. der angezogenen Emma völlig abgeht. Überhaupt: wer sich selbst noch beobachten und beurteilen kann, der ist so verzweifelt nicht, und genau das wäre mein vielleicht größter Kritikpunkt. Während die Emma Flauberts immer wieder in Grenzzustände verfällt, wo sie nicht viel vom Wahnsinn trennt, spüre ich bei der nackten Emma davon so gut wie gar nichts. Nicht nur, dass die wahren Gründe für den Umzug nach Yonville verschwiegen werden, im Roman erleidet Emma in ihrer Alltagsödnis wirklich heftige Nervenzusammenbrüche, die schließlich dazu führen, dass ihr Mann einen Ortswechsel für ratsam hält, sogar das schockierende Finale wurde kurzerhand umgeschrieben und damit zu einem Zeitpunkt, als ich es gar nicht mehr erwartet habe, in die Struktur des Textes harsch eingegriffen. Nein, Edwige Fenech schluckt kein Arsen, vielmehr wird der Konflikt ins Horizontale verlagert, wenn sie ihrem Erpresser, dem Tuchhändler und Geldleiher Lheureux, der bei Schott-Schöbinger viel mehr Raum bekommt als bei Flaubert, um ihre Schulden zu tilgen zu willen ist. Das gibt zwar Gelegenheit für eine weitere dieser angeblich äußerst offensiven, in Wirklichkeit aber eher tranig inszenierten Softsexxzenen, sonst erschließt sich mir der Sinn nicht wirklich, es sei denn, man betrachtet DIE NACKTE BOVARY unter der Prämisse, dass hier hatte versucht werden sollen, der Romanvorlage sämtliche Stachel zu ziehen und das Ganze sozusagen familienfreundlich zu servieren, für die Damen mit viel Herzschmerz und in den entscheidenden Momenten derart kitschiger Musik, dass es die Ohrmuscheln verklebt, und für die Männer mit genügend nackter Edwige, dass ihnen nicht ganz die Lider runterklappen. Dafür spräche auch die betont betuchte Inszenierung, die von Plotpunkt zu Plotpunkt schlendert, als befände man sich auf einem Biedermeierspaziergang, stilecht mit Regenschirm, obwohl am Himmel keine einzige Wolke ist, und die sittsame Ästhetik, die im Prinzip nicht viel von der eines beliebigen Heimat- oder Kostümfilms unterscheidet. Subversion jedenfalls, das hört man wohl schon heraus, ist hier schon sehr weit in den Minusbereich gerutscht, denn das bisschen harmlose Gefummel kann wohl kaum als eine solche durchgehen, und selbst für Freunde der nackten Edwige gibt es wohl unzählige andere Werke, in die diese mehr auf ihre Kosten kommen.
Nein, ich kann mich mit DER NACKTEN BOVARY, da mag sie noch so nackt sein, nicht anfreunden, ich ziehe tatsächlich die vor, deren Nacktheit höchstens zwischen den Zeilen angedeutet wird, die tote und doch unsterbliche Heldin der Banalität, die Frau ohne Eigenschaften, in deren hübschem Köpfchen das Lesen zu vieler dramatischer Liebesromane den Grundstein zu einer Unzufriedenheit gelegt hat, die schließlich in ihrem Suizid münden musste. Es fällt leicht, Flaubert damit auf eine Metaebene zu heben, von der aus er ernste Kritik am Literaturbetrieb nicht nur seiner Zeit übte. Romane, die in verklärten Welten mit Rittern in glänzender Rüstung und ihnen schmachtend ergebenen Jungfern spielen, richten großes Unheil an, da sie der Realität Wünsche gegenüberstellen, die von dieser niemals eingelöst werden können, scheint er zu sagen. Mit seinem eigenen Roman, könnte man sagen, wird so etwas nicht passieren. Da werden die jungen Leserinnen und Leser gleich zur Genüge ernüchtert, um nicht mehr an solche Szenarien glauben zu können. DIE NACKTE BOVARY wiederum wäre, hätte es zu Flauberts Zeit das Kino schon gegeben, mit Sicherheit einer der Filme, auf die er seine Kritik ausgeweitet hätte. Die Ecken sind geschliffen, die Schmerzen sind ein leises Pochen, nicht mehr als ein unangenehmes Jucken, die Tragik der Alltäglichkeit ist einmal mehr auf eine Theaterbühne gestellt worden, auf der bloß Masken, keine echte Menschen herumscharwenzeln. Kongenialer kann man wohl nicht krampfhaft an Illusionen festhalten.