Die Teufelskirche - Mierendorff/Degener (1919)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Die Teufelskirche - Mierendorff/Degener (1919)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Bild

Originaltitel: Die Teufelskirche

Produktionsland: Deutschland 1919

Regie: Hans Mierendorff /Friedrich Degener

Darsteller: Paul Rehkopf, Hans Mierendorff, Agnes Straub, Otto Werther
Würde man eine zufällig zusammengestellten Gruppe Cineasten nach ihren liebsten Stummfilmen der Weimarer Republik fragen, wären die Antworten, meine ich, in den meisten Fällen recht einfach vorauszusehen. Sicherlich würden an erster Stelle die Meisterwerke des Phantastischen Kinos genannt werden, die man oftmals, wenn auch etwas inkorrekt, synonym mit dem Begriff des Stummfilmexpressionismus verwendet. Filme wie DAS CABINETT DES DOKTOR CALIGARI (Robert Wiene, 1919), DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM (Paul Wegener, Carl Boese, 1920), DER MÜDE TOD (Fritz Lang, 1921) oder NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (Friedrich Wilhelm Murnau, 1922) dürften mit Sicherheit zu ersten Garde derjenigen Werke gehören, die die meisten Menschen mit dem post-monarchistischen Kino Deutschlands verbinden. Etwas seltener genannt werden, jedoch ebenfalls vertreten sein würden eine Reihe von Filmen, die sich nicht das (neo-)romantische Wiederbeleben von Sagen- und Märchenstoffen auf die Fahnen geschrieben haben, sondern denen es vorrangig darum geht, die aktuelle Gegenwart der 20er Jahre mit ihrem zunehmenden Verstrickungen des modernen Menschen in einer immer undurchsichtiger, bürokratisch strukturierter, gleichsam kafkaesker werdenden Welt, auf eine visuelle Formel zu bringen. Während schon DER STUDENT VON PRAG (Paul Wegener, Stellan Rye, 1913), die Geburtsstunde des deutschen Horrorfilms, seine helle Freude daran hat, sich mit den Nachtseiten der menschlichen Seele und Mythenwelt, mit Doppelgängern und Teufelsspuk in höchst naiver und höchst atmosphärischer Weise auseinanderzusetzen, suchen Filme wie VON MORGENS BIS MITTERNACHT (Karlheinz Martin, 1920), DER LETZTE MANN (Friedrich Wilhelm Murnau, 1924), DIE FREUDLOSE GASSE (Georg Wilhelm Pabst, 1925) oder MENSCHEN AM SONNTAG (Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer u.a., 1930) ihre Themen in der unmittelbaren Alltagswirklichkeit, um sie wahlweise satirisch zu überzeichnen, so naturalistisch wie möglich in bewegte Bilder zu übersetzen, sie subtil politisch zu kommentieren oder ihr dadurch beizukommen, dass sie ihre chaotischen Zustände in eine ihnen entsprechende, experimentelle Filmform gießen. Ein Film, der eher der romantischen Schule zugerechnet werden muss, und der, darauf soll meine langatmige Einleitung hinführen, von niemandem bei unserer imaginären Umfrage genannt werden würde, ist DIE TEUFELSKIRCHE von Hans Mierendorff (Oberspielleitung) und Friedrich Degener (Szenenleitung) nach einer literarischen Vorlage des mir völlig unbekannten Adolf Paul aus dem Jahre 1919 – und nachdem ich nun schon seit Jahren immer mal wieder die völlig verrauschte VHS-Kopie aus meinem Archiv geholt habe, um mich an ihr zu ergötzen, kann ich immer weniger verstehen, weshalb dieses kleine Meisterwerk von der offiziellen Filmkritik scheinbar bislang nicht mal am Rande zur Kenntnis genommen worden ist.

DIE TEUFELSKIRCHE schlägt zunächst einmal so viele Fliegen mit einer Klappe wie der Teufel in der Not fressen würde. Wir haben es hier mit einem sehr ungewöhnlichen, sehr seltsamen und trotzdem außerordentlich homogenen Hybriden aus mehreren Genres zu tun. Nennt, was ihr sehen wollt: dieser Film hat es in sich! Es gibt Elemente des Heimatfilms, des Liebesdramas, des Dorfschwanks, des Kinder- und Hausmärchens. Es finden sich große Anteile des Horrorfilms, des Sexfilms sowie frommer, bibeltreuer Kinopredigt. Nicht zuletzt ist DIE TEUFELSKIRCHE an seinen entscheidendsten Stellen ziemlich wagemutig, was seine Zeigefreudigkeit betrifft – und die Art und Weise wie er zeigt, was er zeigt -, dass ich ihn unter Vorbehalt sogar als ein bisschen avantgardistisch bezeichnen würde.

Sein Prolog sowie Erster Akt, wohl etwa zehn Minuten von insgesamt knapp sechzig, sind leider verschollen. In der mir vorliegenden Fassung hilft man sich daher mit Filmstills aus, über denen in schlecht lesbarem Deutsch zusammengefasst wird, was wir wohl niemals zu Gesicht bekommen werden. Innerhalb dreier Dörfer bricht ein Streit aus, heißt es dort, nachdem das Gotteshaus, das sich sämtliche drei Gemeinden ursprünglich geteilt hatten, einem Brand zum Opfer gefallen ist. Jede Gemeinde nämlich möchte, dass die neue Kirche auf ihrem Grund und Boden errichtet wird. Der Pfarrer, gespielt von Regisseur Hans Mierendorff höchstpersönlich, schaltet sich schließlich als Schlichter ein, um die erhitzten Bürgermeister zur Vernunft zu bringen. Seiner Logik nach sollte die neue Kirche an einem Platz in die Höhe wachsen, der von allen drei Ortschaften gleichweit entfernt liege, sodass keine von ihnen den alleinigen Anspruch auf das Gotteshaus erheben könne. Allerdings gibt es in der gesamten Gegend nur einen Ort, der diese Kriterien erfüllt, und das ist der Bauernhof des braven Asmus, der dort eine stille, jedoch bislang leider kinderlose Liebesehe mit seinem Weib Ane führt. Asmus indes ist von der Idee, sein Haus und Hof aufzugeben, wenig begeistert – zumal er seinem seligen Vater versprochen hat, das von ihm ererbte Grundstück nie und nimmer zu verkaufen. Den Bürgermeistern und dem Pfarrer sind die Hände gebunden, man zieht sich zu weiteren Beratungen zurück, während Asmus, um sein Gemüt zu kühlen, in den Wald stapft. Ane, nun allein zu Hause, bekommt kurz darauf Besuch eines etwas schmierigen, alles in allem aber recht gutaussehenden Mannes, der Kesselflickerkleidung trägt, in Wirklichkeit aber niemand anderes ist als ein verkleidetes Teufelchen.

Der eigentliche Film setzt in der mir vorliegenden Fassung zu Beginn des zweiten Akts mit Szenen ein, die mich aufgrund ihrer Direktheit noch immer reichlich erstaunen. Der Feind dringt in Asmus‘ Stube ein, umwirbt Ane, schafft es mit leichter Hand, sie zur Sinneslust zu verführen und ihren vernachlässigten Kessel zu flicken. Eine schwüle Erotik, die auch den Weimarer Zensoren, wie man in deren Gutachten nachlesen kann, nicht entgangen ist, liegt ausgebreitet über den Bildern, und gipfelt in einer nahezu halluzinatorischen Szene draußen im Wald, in den der Teufel die wehrlose Ane geführt hat. Um zu veranschaulichen, dass Ane und Satan wildesten Sex haben, greifen Mierendorff und Degener auf eine völlig überraschende, mir den Atem raubende Metapher zurück: aus dem Dickicht taucht ein Reigen wollüstiger, leichtbekleideter Nymphen auf, deren ekstatische Tanzeinlagen keinen Zweifel daran lassen, was sie einem mit ihnen sagen wollen. Als Asmus unterdessen vom Feuerholzsammeln zurückkehrt, findet er seinen Hof begraben unter meterhohem Flammenzüngeln. Er versucht verzweifelt, den sein Hab und Gut verzehrenden Brand zu löschen, da tritt Ane aus dem Unterholz und hindert ihn mit hysterischem Lachen und dem Argument daran, das sei nun die Strafe Gottes dafür, dass er sich den Kirchenbauplänen des Herrn Pfarrer widersetzt habe. Dass der Teufel mit ihrer Zunge spricht, wird spätestens dann deutlich, als sie, noch verrückter und verzückter als die Waldnymphen zuvor, ein epileptisches Herumhüpfen beginnt, während der arme Asmus niedergeschlagen und mit hängenden Schultern daneben steht, und vor Kummer zu keiner Handlung mehr fähig ist.

Von nun an ist Ane besessen vom göttlichen Widersacher, der in seinem guten, alten Chauvinismus weiß, dass Frauen noch immer die besten Überträger von Arg und Fehl gewesen sind. Sie treibt sich im Dorf herum, reißt Männer auf. Bereits drei hat sie von ihren neugewonnenen Flirtkünsten überzeugt, als ihr der Herr Pfarrer begegnet und sie aufgrund der schlimmen Wege tadelt, die er sie seit Kurzem wandeln sieht. Diese Warnung führt jedoch bloß dazu, dass Ane sich jetzt auf den Geistlichen einschießt. Sie besucht ihn unter einem Vorwand zu Hause, nutzt vollen Körpereinsatz, um den Priester seinem Gott auszuspannen. Trotz quälenden Kampfes mit sich selbst, erliegt der Pfarrer Anes Reizen und küsst sie leidenschaftlich. Standhaft genug ist er trotz allen wallenden Blutes, sich sofort darauf selbst zu verwünschen, die Kokette aus seinem Haus zu jagen und in schweren Glaubenszweifeln zu verfallen. Gerade recht kommt da unser Teufelchen und bietet ihm eine Wette an. Er, der Teufel, erklärt sich bereit, zwischen zwei Lidschlägen die neue Kirche – und was für eine!, eine richtige Kathedrale soll es werden! – aus dem Nichts heraus zu erschaffen – und zwar auf dem Gelände des reuigen Asmus, der dieses inzwischen den Gemeinden geschenkt hat, denn immerhin habe sein Vater ihm nur verboten, es zu verkaufen, nicht, es kostenfrei herzugeben. Sollte der Priester es nun fertigbringen, am Altar besagter Kathedrale niemals seinen Gott zu verleugnen, sei die Kirche für alle Zeiten Eigentum der Christenheit. Sollte dem Priester indes andererseits, am Altar stehend, auch nur eine Andeutung darüber über die Lippen kommen, dass er an seinem Herrn und Meister zweifle, würde die Kirche mitsamt aller in ihr befindlichen Seelen ebenso für alle Zeiten dem Höllenbewohner anheimfallen. Dass der Pfarrer auf diesen Deal eingeht, kann man sich denken, nicht aber wie bunt und wirr der Film dann noch in seinem vierten und letzten Akt wird, wenn Mierendorff und Degener in all ihrem Ideenüberfluss auch noch Gottvater persönlich auftreten lassen und alles auf einen Finalkampf zwischen Licht und Schatten hinausläuft..

Einmal abgesehen von seiner naiv erzählten und mit den üblichen Geschlechterklischees vollgestopften, zugleich aber ordentlich bizarren, satirischen Geschichte, sind es vor allem zwei Dinge, die mich an DIE TEUFELSKIRCHE noch immer begeistern. Zunächst muss ich seine Bilder nennen. Sicher, die Studioaufnahmen sind, wie für das Jahr 1919 üblich, recht statisch geraten, mehr abgefilmtes Theater als wirklich originär filmischer Augenschmaus – trotzdem: was Mierendorff und Degener an Montagekunst, Kamerafahrten oder expressionistischen Dekors fehlt, machen sie problemlos durch das Schauspiel ihrer Darsteller und die eine oder andere wundervolle Bildkomposition wett. Wenn zum Beispiel Ane und der namenlose Pfarrer sich außerhalb des Dorfes in einer Landschaft aus wogenden Weizenfeldern begegnen, zeigt der Film ein ungemeines Gespür dafür, wie man inszenierte Realität, d.h. Schauspieler, und tatsächliche Realität, d.h. eine unverfälschte Naturkulisse, in harmonischen Einklang bringen kann. Ein bisschen weist DIE TEUFELSKIRCHE mit seinen vielen Außenaufnahmen für mich damit schon den Weg, den NOSFERATU später zur Vollendung bringen sollte: ein echter Wald kann eben doch manchmal weitaus grusliger sein als ein falscher, wie nicht nur die oben schon erwähnte schlicht unglaubliche Nymphen-Sexszene unterstreicht. Schauspielerisch sind vor allem Hans Mierendorff als Pfarrer, Paul Rehkopf als Satanas und Agnes Straub als Ane ein Genuss. Wenn Mierendorff sich halb von Anes feuchtes Lippen abwendet, sich gleichzeitig aber unwiderstehlich zu ihnen hingezogen fühlt, und man seinem ganzen Körper den inneren Kampf anmerkt, den er ausfechten muss, und wenn Agnes Straubs Ane wie von Sinnen vor der brennenden Hütte herumtanzt – im Übrigen eine weitere großartige Bildkomposition! -, während ihr gebeutelter Mann nur noch den Kopf auf die Brust sacken lassen kann, und wenn Rehkopfs potenter Luzifer in der von Zauberhand errichteten Kirche das Nahen Gottes spürt und sich, ein bisschen wie eine Spinne, langsam, widerwillig hinter den Altar zurückzieht, dann sind das Momente, die man jedem entgegenhalten möchte, der behauptet, die stumme Schauspielkunst habe nicht viel mehr hervorgebracht als übertriebene Gesichter und Gebärden, über die man heute eigentlich bloß noch lachen kann.

Ein weiterer Punkt, der mich an DIE TEUFELSKIRCHE fasziniert, ist, dass Mierendorff/Degener im Grunde die gleiche ambivalente Haltung gegenüber ihres sexuell und blasphemisch aufgeladenen Stoffes einnehmen wie man das später unter anderem von exploitativen Subgenres wie den Sex-Mondos, der Nazi-Exploitation oder manchem Nonnen-Exploiter kennt. Nach außen hin tut DIE TEUFELSKIRCHE sittlich und systemkonform, um gerade dadurch seinen freimütig ausgespielten subversiven Inhalt zu rechtfertigen. Obwohl es wirkt, als sei die Stoßrichtung des Films eine eindeutig christliche, da im Legenden- bzw. Parabelton vom erneuten Gefecht Gottes gegen den Teufel berichtet wird, scheint mir das nur eine Seite der Medaille zu sein, sind doch die bereits erwähnten Sexintermezzi von einer Drastik wie ich sie in einem kommerziellen Spielfilm der späten 1910er ganz sicher nicht erwartet hätte. Auch dass ausgerechnet ein Priester vom Teufel bei seinen Eiern gepackt und an ihnen in die Wollust gezerrt wird, hat dem Film von den damaligen Zensurbehörden ebenso Schelte eingebracht wie der Umstand, dass Gott selbst im Finale als am Stock daher schreitender Tattergreis erscheint. Dass Mierendorff/Degener wirklich bloß, wie man anbetracht der Rahmenhandlung denken könnte, einen gottesfürchtigen Erbauungsfilm hatten drehen wollen, schließe ich aus. Zu kreativ, erotisch, begeistert sind sie bei der Sache, die Fallstricke des Teufels en detail zu bebildern, und orgiastische Einfälle wie der gar nicht oft genug zu erwähnende Nymphentanz laufen der angeblichen Intention sichtlich zuwider: ich kann mir schon eher vorstellen, dass ein biederer Familienvater, der sich in eine Vorstellung von DIE TEUFELSKIRCHE verirrt hat, von den halbnackten Mädchen eher aufgegeilt als sittlich und moralisch gefestigt worden ist.

Gerade diese Paradoxien machen DIE TEUFELSKIRCHE allerdings für mich zu einem Vergnügen. Dieser Film hat einfach alles, was ich an einem Film schätze. Wild laviert er zwischen Genres. Seine Phantasie kocht zuweilen heftigst über. Dann ist er plötzlich so spießig wie man selbst nie sein will. Er sieht einfach zum Küssen aus. Er belügt mich nicht, sondern benennt die Dinge wie sie sind. Er belehrt mich, ohne erhobenen Zeigefinger. Er hat aalglatte Teufel, unkeusche Priester, verrückte Frauen und eine Moral, die sich selbst den Dolch in den Rücken stößt.
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Re: Die Teufelskirche - Mierendorff/Degener (1919)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

DIE TEUFELSKIRCHE kann übrigens - wenn auch in lausiger Qualität [allerdings scheint im Moment meines Wissens nirgendwo eine bessere Fassung aufzutreiben zu sein] - unter folgendem Link betreten werden:

[BBvideo][/BBvideo]
Antworten