Dr. Crippen an Bord
Deutschland 1942
Regie: Erich Engels
Rudolf Fernau, Anja Elkoff, Gertrud Meyen, René Deltgen, Walter Lieck, Max Gülstorff, Ernst Waldow, O.E. Hasse, Heinz Schorlemmer, Paul Dahlke, Elisabeth Scherer, Olga Engl, Rolf Weih, Robert Bürkner, Wilhelm Bendow, Günther Hadank, Ernst Leudesdorff

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OFDB
Was mich an DR. CRIPPEN AN BORD so unglaublich irritiert ist diese strikte Dreiteilung der Narration: Drei etwa gleichlange Teile, die jeweils einen Teil der zusammenhängenden Geschichte behandeln, aber mit Abstrichen auch für sich und als Kurzfilm stehen könnten.
Teil 1: Ouvertüre. Die Ehefrau von Dr. Crippen, die erfolgreiche Artistin Cora Crippen, erfährt, dass sie aufgrund einer Verletzung nie wieder auftreten können wird. Ihr Verehrer Dr. Morrison, ein Verwandlungskünstler beim Varieté, ist derjenige, der ihr diese Mitteilung macht, und er fügt wie selbstverständlich auch hinzu, dass Dr. Crippen selber dies bereits weiß. Jeder weiß es, nur sie nicht. Cora ist schwer getroffen und lässt sich von ihrem liebenden Ehemann einen Tee machen. Am nächsten Tag heißt es, dass Cora Crippen ihren Mann verlassen hat, um in Rio de Janeiro einen anderen zu heiraten. Dr. Crippen selber ist mit den Nerven am Ende, doch ein junger Künstler, der Cora eigentlich malen wollte und mit ihr verabredet war, schluckt die Geschichte nicht und geht zur Polizei. Inspektor Düwell glaubt dem jungen Mann und stochert selber bei Crippen herum. Mit dem Erfolg, dass Crippen und seine Geliebte Lucie Talbot von heute auf morgen spurlos verschwinden.
Teil 2: Die Titelstory. An Bord des Dampfers Montrose nach Venezuela haben unter anderem ein Reverend und sein Sohn eingecheckt. Der pfiffige Steward Petersson erkennt in dem Reverend den mittlerweile weltweit gesuchten Dr. Crippen wieder, und vergewissert sich auch, dass der Sohn in Wirklichkeit eine Frau ist (wie er das macht, das verrate ich jetzt nicht. Aber die Idee ist genial!). Ein Funkspruch an die Polizei, und sofort bewegt sich Inspektor Düwell in Richtung Südamerika, um den Dampfer vor der Dreimeilenzone noch aufzuhalten. Crippen aber ist kein Dummkopf und merkt, dass sich an Bord einiges verändert, und dass sich das Netz um ihn herum zuzieht. Er versucht unterzutauchen und dem Zugriff des Inspektors zu entgehen.
Teil 3: Apotheose. Zurück in der Heimat wird Dr. Crippen der Prozess gemacht. Der Verteidiger holt aus dem Fall heraus was nur möglich ist, und er geht sogar soweit, einen weiteren dringend Tatverdächtigen zu präsentieren, nämlich Dr. Morrison, den Verwandlungskünstler. Wer war jetzt wirklich der Mörder der armen Cora Crippen?
Wie gesagt, drei deutlich voneinander getrennte Teile. Zuerst befinden wir uns in der gehobenen Bürgerschicht, mit gut geführtem Haus und entsprechendem Dienstmädchen, und schauen gleichzeitig der Polizei bei ihrer Arbeit zu. Teil 2 hat zwar auch die Polizei zum Akteur, aber eigentlich ist das Schiff die Bühne für die Geschichte. Und Teil 3 verlässt den Gerichtssaal gar nicht mehr. Der Erzählfluss ist dadurch nicht ganz so stringent wie man es heute gewohnt ist, und auch die Spannung leidet ein klein wenig. Denn spannend ist der Film prinzipiell schon, oh ja. Die Frage nach dem Mörder wird vor allem im letzten Drittel dank der Schauspielkunst Paul Dahlkes als Verteidiger von Grund auf neu verhandelt, und als Zuschauer kommt man gar nicht umhin, die Schuld Crippens glatterdings abzulehnen und sich auf den aalglatten und unsympathischen Morrison (O.E. Hasse) zu stürzen.
Überhaupt sind es die Schauspieler, die der etwas mühsam erzählten Geschichte ihr Leben einhauchen. Rudolf Fernau ist als Dr. Crippen theatralisch und eiskalt, immer höflich aber distanziert, immer absolut undurchschaubar. Ein Mörder wie man ihn sich besser kaum vorstellen kann. Wenn er denn der Mörder ist. Daneben René Deltgen als Inspektor Düwell, nur echt im Doppelpack mit seinem gefühlt doppelt so großen Assistenten Michels. Deltgen ist hemdsärmelig und steht mit beiden Beinen voll im Leben. Seine Ausstrahlung ist die eines Klaus Löwitsch – Aggressiv, engagiert, voller Leben und voller Gefühle. Das perfekte Gegenstück zu dem kühlen Fernau. Nicht ganz so überzeugend sind dann Figuren wie der Steward Petersson oder der Apotheker Harras – Interessante und schräge Rollen, die aber in ihrer Anlage leider alles etwas ins Komische ziehen, und damit ein Gegengewicht zur Spannung aufbauen, was vor allem auf dem Schiff viel Substanz herausnimmt und das zweite Drittel öfters mal zu einer
Eine Seefahrt die ist lustig-Farce mutieren lässt.
Aber insgesamt ist DR. CRIPPEN AN BORD spannend, und er ist in seiner ganzen Machart ein Film, den ich eher in den 50er-Jahren verortet hätte als in den frühen 40er-Jahren, wo ein so modern erzählter Kriminalfall doch eher eine Seltenheit war. Entsprechend wurde der Film 1943 ein großer Erfolg beim Publikum, der eine Menge Geld einspielte und gute Kritiken einfuhr. Vielleicht sollte ich also nicht so streng sein mit dem Film, denn wenn ich in der Wikipedia über den Fall des Dr. Crippen lese fällt schnell auf, dass sich das Drehbuch sehr stark am Originalfall orientiert. Und während ich darüber nachdenke fällt mir weiter auf, dass der Film eigentlich gar nicht schlecht ist. Und dass diese Dreiteilung auch ihren Reiz hat, jedenfalls können alle Aspekte der Story mit der gleichen Intensität behandelt werden. Sehenswert ist er also auf jeden Fall. Wie sehenswert, das liegt wie so oft im Auge des Betrachters …
6/10
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)