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Originaltitel: Ein tödliches Wochenende
Herstellungsland: Deutschland / 1999
Regie: Torsten C. Fischer
Darsteller(innen): Helmut Berger, Jürgen Hentsch, Dominique Horwitz, Thomas Kretschmann, Nele Mueller-Stöfen, Andrea Sawatzki, Jochen Nickel, Manfred Möck, Katrin Sass u. A.
Eine fünfköpfige Gruppe wohlhabender, aber von schweren Neurosen geplagter Städter trifft sich regelmäßig mit ihrem Therapeuten auf einer Berghütte. Einer der Kursteilnehmer hat ein Geheimnis: Er hat auf der Fahrt zur Berghütte ein Kind überfahren und liegen lassen. Der aufgebrachte Vater will Rache nehmen und bedroht die Patienten.
„Dies ist unser letztes gemeinsames Therapie-Wochenende...“
Ich erinnere mich, dass die ARD um den von TV-Krimi-Routinier Torsten C. Fischer inszenierten und Klaus-Peter Wolf geschriebenen Fernsehfilm „Ein tödliches Wochenende“ ein gewisses Brimborium im Vorfeld der Erstausstrahlung am 7. März 2001 veranstaltete und die Mischung aus psychologischem Drama und Thriller offensiv bewarb sowie als etwas Besonderes herausstellte. Zumindest führte dies dazu, dass ich ihn mir damals ansah und entweder mein Vater oder ich ihn auch auf VHS mitschnitten. Diese Aufnahme sah ich mir nun, mehr als 24 Jahre später, noch einmal an.
„Keine körperliche Gewalt!“
Eine Apothekerin (Nele Mueller-Stöfen, „Das Superweib“), eine Lehrerin (Andrea Sawatzki, „Das Experiment“), ein Geschäftsmann (Thomas Kretschmann, „The Stendhal Syndrome“), ein Chirurg (Dominique Horwitz, „Nachtgestalten“) und ein Anwalt (Helmut Berger, „A.D.A.M.“) fahren regelmäßig am Wochenende in ein Gebirgsdorf, um sich bei Harry Bach (Jürgen Hentsch, „Der Totmacher“) in psychotherapeutische Behandlung zu begeben. Eine oder einer der neurotischen Städterinnen und Städter hat jedoch den kleinen Sohn des örtlichen Bauern Menzel (Jochen Nickel, „Bang Boom Bang – Ein todsicheres Ding“) angefahren und Fahrerflucht begangen. Als der Junge gefunden wird, ist es quasi schon zu spät, er erliegt wenig später seinen Verletzungen im Krankenhaus. Menzel will wissen, wer der Zugereisten dafür verantwortlich ist, übt sich in Selbstjustiz und bedroht die Verdächtigen mit dem Tode, sollten sie ihm den Verantwortlichen nicht ausliefern. Doch weiß die Gruppe selbst nicht, wer von ihnen der Gesuchte ist…
Ein reizvolles und Spannung versprechendes Sujet also, das musikalisch von Massive Attacks „Teardrop“ (später durch „Dr. House“ bekanntgeworden) eingeleitet wird. Regisseur Fischer scheint anstelle des Unfalls einen Zusammenprall mit einem Reh zu zeigen, der doch der Eindruck täuscht, wie die stark gemachte Eröffnungssequenz bald darauf verrät. In Form einer Parallelmontage sehen wir sodann die Mittelständler, die es sich im Zuge ihrer Therapie gutgehen lassen, und Bauer Menzel, der sein schwerverletztes Kind findet. Auch die Mutter (Katrin Sass, „Das vergessene Leben“) lernt man kennen und sieht den Jungen alsbald im Krankenhausbett, an Schläuchen hängend. Im Freund des Opfers gibt es auch einen Zeugen und Dorfbulle Paul (Manfred Möck, „Die Innere Sicherheit“) nimmt halbherzig die Ermittlungen auf.
Diese nimmt Menzel in die eigene Hand, als sein Junge stirbt, um dessen Leben die Ärzte zuvor erfolglos gekämpft haben. Der offenbar einzige Polizist ist machtlos gegen die Lynchjustiz der Dorfbewohner; ihm wird die Aufgabe zuteil, die Mutter des Jungen zu trösten. Therapeut Bach wiederum ist ganz gut darin, seine Klientel dazu zu bringen, die Masken fallenzulassen. Die Folge ist irrationales Verhalten, viel Gebrüll und Geschrei. Bald findet man sich in einem Belagerungszustand wieder, Menzel beschießt die Unterkunft der Therapiegruppe und übergießt Mauer- und Buschwerk mit Benzin, das er zu entzünden droht. Die Nerven liegen zunehmend blank und es entwickelt sich eine nicht ganz uninteressante Gruppendynamik. Erst im letzten Drittel kommt heraus, wer der Übeltäter ist.
Ein Kriminalfall gepaart mit innerdeutschem Culture Clash und Backwood Terror light, dazu ein Abgesang auf die Mitglieder einer als neurotisch und narzisstisch dargestellten Mittelschicht – das ist über weite Strecken gar nicht schlecht gemacht. Die Wahrnehmung der zunächst als idyllisch empfundenen Natur verkehrt sich ins Gegenteil, sobald zu akzeptieren ist, dass auf dem Lande eigene Gesetze gelten. Diese sind hart, aber gerecht (bzw. werden so vermittelt) und stehen im Kontrast zu den derart mit sich selbst beschäftigten Städtern, die für echte Empathie und über reine Posen hinausgehende Regeln des Zusammenlebens keine Zeit zu haben scheinen. Der Film ist schauspielerisch für den TV-Bereich zudem namhaft besetzt.
Dramaturgisch ist jedoch noch einige Luft nach oben. Das Tempo wirkt ungewöhnlich gedrosselt und die eingestreuten Privatszenen um Polizist Paul bremsen den Film darüber hinaus unnötig aus. Für meinen Geschmack hätte die ARD sich damals gern auch noch etwas mehr trauen dürfen – der Stoff hätte Potential für mehr Eskalation geboten.
Nachtrag: Zwar wurde der Film erst 2001 im Fernsehen erstausgestrahlt, seine Premiere feierte er aber bereits 1999 auf dem Filmfest München.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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