Fisch im Fell - Dean Benzin (2022)
Moderator: jogiwan
- Salvatore Baccaro
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Fisch im Fell - Dean Benzin (2022)
Originaltitel: Fisch im Fell
Produktionsland: Deutschland 2022
Regie: Dean Benzin
Cast: Lene Deike, Falco Heidzig, Phelan Brunk, Leabé, Amalia Teuber, Leonie Fries, Dieter Hallervorden, Frederick Lau
Ein paar Minuten Fußweg von meiner Wohnung entfernt befindet sich seit einigen Jahren die Zentrale der wohl größten regionalen Tageszeitung. Ein gigantischer Bildschirm, eine digitale Litfaßsäule sozusagen, informiert mich, wenn ich von zu Hause in Richtung Altstadt spaziere, schon von Weitem über die wichtigsten Nachrichtenmeldungen. Dass die Bahn- und Bus-Tickets nächstes Jahr teurer werden, konnte ich beispielweise letzte Woche lesen. Und dass die örtliche Notaufnahme überlastet sei, und zwar wegen Katzenbissen und Muskelfaserrissen. Außerdem vermeldete eine Headline: „Neu bei Braunschweiger Filmfest: Kirche produziert Kinofilm“. Der Untertitel präzisiert: „Jugendliche aus der Propstei Bad Harzburg haben mit Stars wie Dieter Hallervorden und Frederick Lau einen Spielfilm gedreht – ist er sehenswert?“ Da ich kein Geld für die zugehörige Zeitungsausgabe löhnen wollte, muss ich mir diese Frage selbst beantworten, nachdem ich mir FISCH IM FELL, wie der hermetische Titel des besagten Filmprojekts lautet, im Vorfeld seiner Filmfest-Premiere nun schon einmal zu Gemüte geführt habe…
Wie ambitioniert die zumeist minderjährigen Menschen vor und hinter der Kamera bei FISCH IM FELL zu Werke gegangen sind, kann man detailliert auf der Homepage der Propsteijugend Bad Harzburg nachverfolgen: Bereits 2017 haben die frommen Kids ein erstes Filmprojekt auf die Beine gestellt; 2019 folgte eine selbsterdachte sechstteilige Serie; in die Zeit des Jahreswechsels 2019/2020 fallen die ersten Überlegungen zu einem Langspielfilm, bei dem es sich entweder um einen Krimi oder ein Roadmovie handeln soll, und aus dem schließlich in fast dreijähriger Arbeit der vorliegend Streifen mit dem felligen Fisch erwächst. Das Hobbyprojekt mausert sich rasch zum professionellen Unterfangen: Fachleute aus den Sektoren Kamera, Maske, Licht etc. unterstützen die Amateure; der „renommierte Drehbuchautor Christian Pasquariello“ wird durch Zuspruch des Landesjugendpfarrers und des zuständigen Diakons für die Mitarbeit am Skript gewonnen; letztendlich bitten die Jugendlichen per Spendenaufruf die Öffentlichkeit darum, dafür zu sorgen, dass ihr Ziel erreicht wird, „den Spielfilm bundesweit zugänglich zu machen und mit einer gesellschaftlich-relevanten Botschaft ein großes Publikum“ anzusprechen. Im O-Ton heißt es auf der Netzseite: „Deswegen investieren Sie in die Bildung, um dadurch Jugendliche zu qualifizieren, zu fördern und letztendlich die lebensbejahende Botschaft des Evangeliums mittels eines modernen Mediums Menschen wieder zugänglich zu machen, die sich derzeit perspektivlos, abgehängt und alleine fühlen.“
Aus technisch-ästhetischer Sicht wirkt FISCH IM FELL kein bisschen wie ein Film, der hauptsächlich von Amateuren und Amateurinnen in Szene gesetzt worden ist, sondern erweckt vielmehr den Eindruck eines glattgeschleckten Mainstream-Produkts: Die Bilder sind auf Hochglanz getrimmt, gestochen scharf; der Schnitt ist smooth; die Kamera gleitet dahin; die Post-Production hat ganze Arbeit dabei geleistet, den Streifen vor allem durch Colorgrading im Nachgang weitaus hochbudgetierter wirken zu lassen; das Sounddesign ist ausgeklügelt, und lässt es zu, - im Amateurbereich keine Selbstverständlichkeit!; fragt mal nach bei der bundesdeutschen Wald-&-Wiesen-Splatterszene! -, dass wir jede einzelne Silbe der Dialoge verstehen; hinzukommt ein Soundtrack voll von nicht originär für FISCH IM FELL verfasster Popmusiksongs beispielweise aus der Feder der schwedischen Folk-Schwestern First Aid Kit oder der ehemaligen Trainingsjackenträger von Tocotronic, - lediglich das Rapstück, das während des Vorspanns ertönt, scheint auf Konto eines der jugendlichen Darstellers zu gehen, der auch innerhalb der Filmfiktion einen angehenden Hip-Hop-Artist verkörpert. Zu den ebenfalls absolut sehenswerten Drohnenaufnahmen eines durch die Harzer Landschaft brausenden PKWs droppt der Jüngling solche Lines wie: „Was sind das für Ticks? / Das ist doch wohl ein Witz, ey!/ Sie lesen die Bibel und machen daraus ein Mixtape. / Komm mal runter, Habibi! / Du hyperventilierst, yo!/ Chillen mit den Churchies! / Was geht ab bei Dir, Bro?“
Allerdings ist diese, sagen wir, für meine unchristlichen Öhrchen ein wenig befremdliche Musikeinlage eine der ganz wenigen Instanzen, bei denen FISCH IM FELL die Glaubenskonfession seiner Verantwortlichen in den Vordergrund kehrt. Mal abgesehen davon, dass die meisten Teenager ostentative Kreuzketten um den Hals tragen, und dass man in einer Schlüsselszene Kraft beim gemeinsamen Gebet tankt, versteckt sich eine christliche Botschaft höchst im Subtext des Streifens, (und raunt auch dort nicht von Dogmen, sondern recht allgemein von Toleranz und Nächstenliebe und Gottvertrauer), weshalb FISCH IM FELL folgerichtig ungefähr tausend Katzensprünge entfernt ist von solchen verfilmten Holzhammerpredigen wie beispielweise 2025 – THE WORLD ENSLAVED BY A VIRUS der freikirchlichen Wesely-Geschwister. Leider macht das Fehlen plakativer Evangelisation aus FISCH IM FELL noch immer nicht unbedingt einen besonders unterhaltsamen Film für mich, was ich vor allen Dingen dem ziemlich zerfaserten, teilweise regelrecht konfusen Drehbuch ankreiden möchte, (und implizit somit auch dem angeblichen Meisterautor Pasquariello, der, zumindest laut IMDB, gerade mal eine Handvoll Kurzfilme und Fernsehserien auf dem Kerbholz hat.) So sehr sich die Buben und Mädchen bemühen, ihren Figuren Leben einzuhauchen, ihre Sätze fehlerfrei und vor allem weder zu theatralisch noch zu steif aufzusagen, sich durchaus überzeugend in nuancenreichem Mienenspiel zu üben, so sehr hat mir die manchmal kaum intelligible Story den Genuss des Neunzigminüters erschwert.
Worum geht es aber überhaupt? Ich konnte mir folgende grundlegende Geschichte zusammenreimen: Die sogenannten „Absteiger“, benannt nach ihrer geliebten Freizeithütte, der „Absteige“, sind ein Verbund gemischtgeschlechtlicher, allesamt evangelisch gestimmter Jugendlicher im Harzdörfchen Allrode. Kurz vor Filmbeginn haben sie aktiv an einem Frühlingsfest ihrer Gemeinde mitgewirkt und mehr Spenden eingenommen als erwartet, weshalb ihnen ihr Pfarrer (Frederick Lau) als Dankeschön eine satte Summe von 1.2000 Euro zur freien Verfügung stellt. Lange zerbrechen sich die Kids ihre Köpfe, was man mit dem unverhofften Geldsegen anstellen solle: Einer möchte unbedingt mal die Reeperbahn unsicher machen; eine besonders fromme Dame hegt den Traum, mit ihren Freunden einen speziellen Pilgerweg entlangzuwandern; schließlich einigt man sich aber darauf, zusammen einen Film zu drehen. Im Folgenden wird FISCH IM FELL zum Meta-Streifen: Erst brainstormt man, welche Art von Film es sein soll, wozu uns Ausschnitte all dieser einzig mental realisierter Werke vorgeführt werden, vom Science-Fiction-Abenteuer über einen Kostümschinken bis hin zu einer Art pubertärem SUICIDE SQUAD. Letztendlich einigt man sich darauf, die Story des Films einfach im Kollektiv wie bei einem Prozess kreativen Schreibens zu entwickeln – und wir sehen quasi in Echtzeit, wie sich der Film, der FISCH IM FELL sein wird, vor den geistigen Augen unserer Helden und Heldinnen formiert.
Tja, und worum geht es nun in diesem Film-im-Film? Die „Absteige“ fängt aus unerfindlichen Gründen Feuer, brennt bis auf die Grundmauern nieder. In der Ruine finden unsere Freunde eine Schatulle, in der zeitkapselgleich diverse Notizen und Photographien verschlossen sind: Offenbar hat sie jemand vor vielen Jahren in der Hütte verborgen, und wäre diese nicht ein Raub der Flammen geworden, wäre sie so schnell sicher nicht aufgetaucht. Eine der Jugendlichen, Lydia, erkennt auf einem der Bilder ihre eigene Mutter als Halbwüchsige mit einem ihr fremden Mann; außerdem sind Koordination notiert, die auf einen Ort irgendwo in Südtirol verweisen. Da die Sommerferien ins Haus stehen, gibt es für Lydia und ihre Crew kein Zaudern: Der Sache muss nachgegangen werden, zumal Lydias Mutter sich auffallend reserviert verhält, als sie auf die Fundstücke, die ja in irgendeiner Beziehung zu ihr stehen müssen, angesprochen wird. Mit einem gemieteten Bus geht’s vom Harz gen Süden, und die Reise wird zu einem ausgemachten Coming-of-Age-Trip, bei dem sich die Jugendlichen diversen Dingen stellen müssen, die die Pubertät nicht nur für junge Christen nunmal zwangsläufig mit sich bringt: Einer von ihnen vermutet, homosexuell zu sein; andere machen erste Drogenerfahrungen; Lydia wiederum trifft, was irgendwie kaum wie ein Knalleffekt daherkommt, in den Bergen ihren bislang unbekannten Vater sowie ihren Großvater, bei dem es sich um Dieter Hallervorden handelt. Dabei ist FISCH IM FELL sehr episodenhaft angelegt, wechselt munter zwischen Szenen, die tragisch anmuten sollen, und haarsträubendem Klamauk – (namentlich ist es eine Szene, in der ein im Rollstuhl sitzender Jugendlicher einen die Gruppe bedrohenden Braunbären im wahrsten Wortsinne hinwegkatapultiert, indem er in voller Fahrt auf ihn zurast, die mich sprachlos irgendwo zwischen Bewunderung, Belustigung und Beschämung zurückgelassen hat, zumal der finale Zusammenprall auch noch mit dokumentarischen Aufnahmen von Feuerwerken, Vulkanausbrüchen, Explosionen garniert wird, ehm) –, verliert sich immer wieder in sich mir nicht erschließenden Subplots – (wie zum Beispiel dem, dass eine Autobahn quer durch Allrode gebaut werden soll, wogegen sich vor allem eine besonders social-media-affine unserer Heldinnen einsetzt, indem sie Anwohner nach ihrer Meinung zu dem Bauvorhaben befragt und die kurzen Clips auf ihrem Instagram-Account hochlädt) –, mäandert dramaturgisch hin und her, reißt tausend Themen an, ohne irgendeins wirklich zu vertiefen, führt Charaktere ein, um sie kurz darauf einfach wieder verschwinden zu lassen – (wie ein gleichaltrige Tramperin, die unsere Freunde kurzzeitig in Tirol begleitet, und dann irgendwann förmlich vom Erdboden verschluckt wird) –, und endet irgendwann genauso unvermittelt wie er angefangen hat.
Man verstehe mich bitte nicht falsch: Von Herzen sei es den jungen Christen aus Bad Harzburg gegönnt, im tosenden Premierenapplaus unterzugehen, und in naher Zukunft noch das eine oder andere Filmprojekt entwerfen zu können, denn es gibt sicher weitaus Schlimmeres, was eine Leinwand berieseln kann, als einen ehrgeizigen Coming-of-Age-Film, mit dem sich viele gleichgesinnten Kids möglicherweise weitaus mehr identifizeren dürften als ich. Mich jedoch hat FISCH IM FELL dann doch eher ungeküsst vom Holy Spirit zurückgelassen. Hm, vielleicht bin ich einfach nicht dazu geschaffen, mit den „Churchies“ zu chillen…
- Salvatore Baccaro
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Re: Fisch im Fell - Dean Benzin (2022)
...und nunmehr ist die Premiere beim Braunschweiger Filmfest in knapp eineinhalb Wochen bereits restlos ausverkauft!
- Salvatore Baccaro
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- Salvatore Baccaro
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Re: Fisch im Fell - Dean Benzin (2022)
...und wie ich heute erfahren habe, ist nunmehr auch dieser eigensinnige Film endlich auf DVD erhältlich. Wer traut sich an eine Besprechung?
- buxtebrawler
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Re: Fisch im Fell - Dean Benzin (2022)
Salvatore Baccaro hat geschrieben: ↑So 22. Okt 2023, 22:31 ...und wie ich heute erfahren habe, ist nunmehr auch dieser eigensinnige Film endlich auf DVD erhältlich. Wer traut sich an eine Besprechung?
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!