Drei Anmerkungen (und eine Vorbemerkung) zu Olaf Ittenbachs GARDEN OF LOVE, den ich am diesjährigen Samhain-Fest auf der großen Leinwand sehen durfte:
Vorbemerkung: Für mich zählt BLACK PAST, Ittenbachs Regiedebut, das der seinerzeit gerade mal zwanzigjährige Zahntechniker im Jahre 1989 veröffentlicht, nicht nur zu den besten deutschsprachigen Genre-Filmen der letzten drei Dekaden, sondern bildet für mich (neben Norbert Georges Mount ORGROFF von 1983) die absolute Apotheose des Independent-Splatters. Im Grunde begeistert mich alles an diesem oberbayrischen Zugriff auf Sam Raimis EVIL DEAD: Die zahllosen selbstreflexiven Zitate; die unbändige Kreativität, die jede Faser dieses Freizeitprojekts durchdringt; die wirklich herben, stellenweise gar infernalischen Spezialeffekte; nicht zuletzt natürlich Ittenbachs Schauspiel, der in seiner Rolle als dicklicher Jugendlicher namens Tommy nicht nur das Schreien wie am Spieß meisterhaft beherrscht, sondern auch für völlig unvergessliche Szenen sorgt wie die, in der er sich beispielweise zum Frühstück erstmal einen Schluck Schnaps gönnt, oder sich weckt, indem er sich schales Bier vom Vortrag ins Gesicht schüttet. So sehr BLACK PAST mich seinerzeit, als ich mich als junger Mensch auch einmal aufs Feld des deutschen Amateur-Splatters wagte, in Verzückung geraten ließ, so schwer fiel es mir, vom restlichen Oeuvre Ittenbachs zu ähnlicher Euphorie angefacht zu werden: Sicher, auch der Episodenstreifen THE BURNING MOON (1992) ist eine unterhaltsame Angelegenheit, und der monumentale PREMUTOS (1997) dürfte das einzige ernstzunehmende Epos des bundesdeutschen Wald-und-Wiesen-Splatters zu sein. Doch sobald Ittenbach begann, „professionell“ zu werden, mit Hollywood zu flirten, sich an „ambitioniertere“ Projekte zu wagen, waren mir all die Filme, die ich danach noch zu Gesicht bekam – BEYOND THE LIMITS (2003), GARDEN OF LOVE (2003) oder CHAIN REACTION (2005) – halbherzige Versuche eines Spagats zwischen subversivem Splatter der Anfangstage und Mainstream-Konventionen. Auch deshalb freue ich mich, GARDEN OF LOVE nach so vielen Jahren erneut zu sehen, und diesmal gar auf einer Kinoleinwand: Bin ich selbst älter geworden, und entdecke Ittenbach auf einmal als einfühlsamen Geschichtenerzähler, oder werde ich mich nach der Sichtung zum inzwischen zehnten Mal in die BLACK PAST des Manns aus Fürstenfeldbruck flüchten?
Zunächst aber noch vier, fünf Sätze zum Plot: Im Zentrum von Ittenbachs eigenhändig mitverfasstem Drehbuch steht Rebecca, eine junge Studentin, die bei ihrem Onkel und dessen Frau aufgewachsen ist, da ihr Vater nebst seiner Hippiekommune vor Jahren bestialisch ermordet wurde: Einzig die kleine Rebecca, ein Säugling damals noch, hat das Blutbad überlebt, über dessen Hintergründe die Polizei bis heute im Dunkeln tappt. Dass weder ein Motiv noch ein Täter bislang aufgetaucht sind, liegt auch daran, dass Rebecca selbst überhaupt keine Erinnerungen mehr an die verhängnisvolle Nacht und schon gar nicht an ihre eigene Vergangenheit an: Erst, als sie zufällig einen Song ihres Rockmusiker-Daddys Gabriel Verlaine im Radio hört, dämmert ihr allmählich, dass ihre vermeintlichen Eltern gar nicht ihre Eltern sind. Sie stellt Nachforschungen an, die ihr nicht nur das Gemetzel zurück ins Gedächtnis rufen, sondern sie auch darüber in Kenntnis setzen, dass sie Alleinerbin sowohl der Farm ist, auf der Verlaine mit seinen Anhängern gewohnt hat, als auch des beachtlichen Vermögens ihres Papas. Der lässt indes ebenfalls nicht lange auf sich warten: Als Untoter erscheint er seiner Tochter, um sie zu bitten, seine Mörder zu finden und ihm zuzuführen, damit er sich grausam an ihnen rächen könne; erst dann sei es ihm und seiner Kommune nämlich möglich, endlich Frieden zu finden, und die Farm, an die sie als übernatürliche Entitäten gebunden, sind, gen Jenseits zu verlassen…
1. In seinen Spielszenen zeichnet GARDEN OF LOVE eine unglaubliche Stasis aus. Wo BLACK PAST sich noch in jugendlichem Übermut, experimentellen Bildkompositionen und wilden Kamerafahrten suhlt, die gerade deshalb, weil sie nicht technisch einwandfrei daherkommen, den Charme des Amateurhaften versprühen, hat sich Ittenbach für vorliegenden Film bald fünfzehn Jahre später offensichtlich noch die schmächtigsten Bockshörner abgestoßen, und watet mitten drin im Sumpf konventionellster (und dadurch langweiligster) Inszenierungsmittel: So ziemlich jede Dialogszene wird nach dem banalsten Schuss/Gegenschuss-Prinzip abgehandelt; dass die Kamera sich überhaupt mal großartig aus ihrer allgemeinen Starre lösen würde, ist ebenfalls Mangelware, sprich, höchstens mal ein Zoom ist drin; die Bildkompositionen schließlich muss man unter dem Banner „zweckdienlich“ zusammenfassen: Wäre GARDEN OF LOVE ein Roman, dann würde in ihm immer nur genau das beschrieben werden, was für die Handlung von unmittelbarer Bedeutung ist: Keine poetischen Überschüsse, keine Redundanzen, keine Details, die plötzlich einfach um ihrer selbst willen ins Blickfeld geraten, (etwas, was sich bei einem Film voller überschüssiger Energie, voller Detailfülle und voller redundanter Plotvolten wie BLACK PAST per se ausschließt). Den Vogel schießt Ittenbach in einer Szene ab, in der ein mir zuvor unbekannter Schauspieler namens James Matthews-Pyecka einen mehrminütigen Monolog zu den Hintergründen des Blutbads, das Rebeccas Vater das Leben kostete, hält: Während der übrigens stets am Rande des Overactings entlangbalancierende Mime seinen Text rezitiert, als würde er um den Iffland-Ring buhlen, beschränkt sich die Kamera darauf, in Schneckentempo auf sein Gesicht zuzuzoomen, und das, ich wiederhole, mindestens fünf Minuten lang! Das ist schon derart konsequent in seiner Verweigerung jedweden Einfallsreichtums, dass man es beinahe wieder als avantgardistisch empfinden kann. Die vier Personen, die außer mir im Kinosaal saßen, johlten jedenfalls wie von Sinnen, als diese öde Ansprache einfach nicht enden wollte. (Schauspielerisch ist Herr Matthews-Pyecka übrigens der wahre Held der Chose, der selbst Bela B. Felsenheimer als Hippie-Zombie locker die Federn stiehlt: In seinen besten Moment erinnert sein exaltiertes Schauspiel sowohl an die homoerotische Latenz eines Udo Kier als auch an die Getriebenheit eines Laien-Kinskis, und stellt ein erfrischendes Kontrastprogramm zu den übrigen Darstellern dar, denen meist nur eine Auswahl von ein, zwei Gesichtsausdrücken zur Verfügung steht.)
2. Einen Ittenbach-Film schaut man sich in den seltensten Fällen wegen seiner komplexen Handlung an. Allerdings bleibt einem bei GARDEN OF LOVE nicht viel anderes übrig, denn die Splatterszenen beschränken sich – (wenn man einmal von den satirischen Sequenzen absieht, in denen Rebeccas Vater sich in Fernsehschirmen bspw. als Nachrichtensprecher oder Shopping-Kanal-Koch materialisiert, und dabei auch mal eine Hand absäbeln darf) – auf ganze drei Instanzen, und zwar: A) Die Prologsequenz, in der wir das damalige Blutbad an Verlaines Kommune zu sehen bekommen, B) Eine Szene etwa im Mittelteil, in der mehrere Polizisten, darunter Olaf höchstselbst, die Verlaine-Farm stürmen, und von den dort zirkulierenden Untoten allesamt auf garstige Weise vom Leben in den Tod befördert werden, und C) Das große Finale, in dem sich quasi Rebeccas gesamtes nähere Umfeld als mitschuldig an Verlaines Tod entpuppt, und sie ihre Erzfeinde, wie vom Papa verlangt, in Verlaines Wohnhaus lockt, damit dieser dort mit ihnen kurzen Prozess macht. Letzteres ist nicht der Rede wert, und wird innerhalb von Sekunden abgefrühstückt, dass es mir schwerfällt, mich überhaupt noch recht daran zu erinnern. Auch der Prolog suppt zwar voller roter Soße, doch neben etlichen Messerstichen und einer Replik von PSYCHOs Duschmord, nur diesmal natürlich in Farbe, bleibt da weder inszenatorisch noch vom Härtegrad besonders viel hängen. Dass GARDEN OF LOVE hierzulande indiziert und frei verkäuflich nur in einer um vier Minuten erleichterten Fassung erhältlich ist, liegt einzig und allein an der Gewaltorgie im Mittelfeld, die dann freilich auch zahllose Ideen aufbietet, die man schon aus Ittenbachs Frühwerken kennt (und liebt?): Kopfschüsse; umherfliegende Eingeweide; Menschen, die von Dämonenklauen an beiden Beinen gepackt und in der Mitte entzweigerissen werden. Innovativ ist allerdings auch das nicht, und steht zudem reichlich isoliert innerhalb des eigentlichen Plots: Dass eine gesamte Spezialpolizeieinheit einfach so spurlos in der Gewalt finsterer Gespenster verschwunden ist, wird im weiteren Verlauf zwar ein-, zweimal kurz erwähnt, nennenswert die Story voranbringen tut dieses Intermezzo in keiner Weise, sondern schadet vielmehr noch ihrer, eh, „Glaubwürdigkeit“: So, als ob Ittenbach sich gedacht hätte, er müsse unbedingt wenigstens einmal heftig an der Gore-Glocke läuten, und als seien die minutenlangen Metzeleien der Geschichte erst nachträglich aufgepfropft geworden, um die Fans der ersten Stunde wenigstens halbseiden zu befriedigen. Selbstzweckhaft sieht ganz sicher nicht anders aus.
3. Dass GARDEN OF LOVE trotzdem (oder gerade wegen der oben angeführten Kritikpunkte) dennoch als Trash-Kanone durchaus taugt, davon konnte ich mich am Halloween-Abend anhand der teilweise schrillen Gelächterschreie meiner Leidensgefährten und Leidensgefährtinnen eigenohrig überzeugen: GARDEN OF LOVE ist einer dieser Filme, die gar nicht erst den Versuch unternehmen, eine innere Logik zu etablieren, der sie sich dann verpflichten. Wenn man so will, torpediert der Film seinen quasi-professionellen, betuchten, formalistischen Anstrich, indem er auf Plot-Ebene andauernd Ideen aneinanderheftet, die sich gegenseitig tollwütig beißen. Anders gesagt: Wo Ittenbach als Regisseur so tut, als müsse er steif das Standard-ABC des Filmemachens runterbeten, da bringt es Ittenbach der Drehbuchautor nicht einmal zustande, eine relativ genre-konforme Geschichte wie vorliegende so zu erzählen, dass sie nicht dauernd von klaffenden Logik-Löchern verschluckt wird – und das bringt einen erheblichen Unterhaltungswert mit sich, ohne Frage. Dass Matthews-Pyecka sich mit zunehmender Laufzeit immer weiter um Kopf und Kragen chargiert, und dass auch mal eine vielköpfige Special-Force-Truppe einfach so spurlos verschwinden darf, ohne dass das zunächst zu ernsthaften Ermittlungen führt, habe ich ja schon angedeutet. Darüber hinaus gibt es aber noch viele wunderbare Momente. Zum Beispiel: Ein Polizeischüler soll eine VHS-Kassette mit den Tatort-Aufnahmen von einst herbeischaffen, legt das Band sichtbar neben einen Fernsehapparat, und im nächsten Moment, ohne dass seine Hände überhaupt in die Nähe des Video-Recorders gekommen wären, flimmern über dessen Schirm bereits die zugehörigen Bilder. Oder: Rebeccas Vater hat zu Lebzeiten Pophit an Pophit gereiht; trotzdem dauert es bis zu ihrer Studentenzeit, dass Töchterchen einen dieser Songs zu Ohren bekommt? Oder: Rebeccas Freund entpuppt sich beiläufig als Psychopath, der es auf ihr Erbe abgesehen hat, und sie deshalb umbringen möchte, obwohl er zu dem Zeitpunkt, als er Rebecca kennengelernt und diesen Plan geschmiedet haben soll, von ihrem Erbe noch kein Stück hätte wissen können. Aber es ist wohl kein besonders gutes Zeichen, wenn das einzig wirklich Gute, was ich über einen Film sagen kann, es ist, dass seine Story ziemlich sinnbefreit daherkommt, oder? Es bleibt wie es bleibt: BLACK PAST ist einer der besten Genre-Filme der letzten drei Dekaden, und GARDEN OF LOVE etwas für einen entspannten Halloween-Kinoabend, und sonst nicht viel.