Hagazussa - Der Hexenfluch - Lukas Feigelfeld (2017)

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Salvatore Baccaro
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Hagazussa - Der Hexenfluch - Lukas Feigelfeld (2017)

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Originaltitel: Hagazussa - Der Hexenfluch

Regie: Lukas Feigelfeld

Produktionsland: Deutschland/Österreich 2017

Darsteller: Aleksandra Cwen, Claudia Martini, Tanja Petrovsky, Celina Peter, Haymon Maria Buttinger
Wer sich den Film völlig unvoreingenommen anschauen möchte, sollte den ersten Absatz tunlichst meiden...

Irgendwo in den Alpen, irgendwann im fünfzehnten Jahrhundert lebt die kleine Albrun mit ihrer Mutter am Rande einer Dorfgemeinschaft, sowohl topographisch als auch, was ihren sozialen Status betrifft. Verschrien als Hexen beschränkt sich ihre Interaktion mit den Dörflern auf die nötigsten kaufmännischen Kontakte, und selbst der Pfarrer der Gemeinde scheint das Gemisch aus irrationaler Angst, Verachtung und Faszination, das seine Schäfchen den Frauen entgegenbringt, mehr zum eigenen Vorteil, nämlich zum Etablieren eines Sündenbocks zu gereichen, auf den man gegebenenfalls göttlichen Liebesentzug wie einen besonders kalten Winter oder eine besonders schlechte Ernte schieben kann. Dass allerdings die Pest in den schneeverhangenen Gauen grassiert, das kann Albrun und ihrer Mutter nicht unbedingt angekreidet werden, stirbt letztere doch nach tagelanger körperlicher Qual, halluzinierend und erbrechend, nachdem der herbeizitierte Medikus sie aufgegeben hat, einzig im Beisein ihres Töchterchens. Wie diese die kommenden fünfzehn Jahre überstanden hat, erfahren wir, wie so vieles in Lukas Feigelfelds Abschlussfilm seines Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, nicht. Ein Zeitsprung katapultiert uns stattdessen in eine Zukunft, wo Albrun noch immer die Geächtete des Dorfes ist, ein ärmliches, einsames Leben in ihrer Holzhütte als Ziegenhirtin führt, nur mit dem Unterschied, dass sie nun nicht mehr ihre Mutter, sondern einen Säugling bei sich hat. Woher dieser stammt, und was aus dem Vater wurde? Der Film verschweigt es uns, so wie Albruns vermeintlich einzige Freundin, Swinda, ihr verschweigt, dass sie nur Schlechtes im Schilde führt, als sie Albrun und einen jungen Burschen zu einem unverfänglichen Almspaziergang einlädt. Vergewaltigt und gedemütigt, zusätzlich angefeuert von den Zuflüsterungen des Totenschädels der verstorbenen Mutter, der ihr vom Pfarrer als makaberes Andenken vermacht worden ist, sinnt Albrun auf eine Rache, die sich zugleich körperlich wie auch metaphysisch ausagier: Ihr Urin benetzt einen Rattenkadaver, der sodann in den Fluss geworfen wird, aus dem die Dörfler ihr Wasser schöpfen. Kurz danach rollen wieder die Pestkarren über die Wiesen, und Albrun schmunzelt zufrieden in sich hinein. Ihr Säugling findet sein nasses Grab in einem Tümpel, sie selbst eine Methode, die eigenen physischen Grenzen zu überwinden, indem sie von halluzinogenen Pilzen kostet. Am Ende hat sich die Prophezeiung, die ihr von der eigennützigen, verrohten, empathielosen Gesellschaft seit jeher in Aussicht gestellt wurde, auf beklemmende Weise erfüllt: Sie hat die Pest ins Dorf gebracht, sie hat ein Kind getötet, und sie wird von einem Meer aus Flammen verschlungen.

Wem schon Robert Eggers THE VVVITCH noch zu geizig mit seine Geschichte begleitenden (rationalen) Erklärungen umgesprungen ist, dem wird es wahrscheinlich schwerfallen, in den inkohärenten, elliptischen Plot-Fragmenten von HAGAZUSSA – DER HEXENFLUCH überhaupt so etwas wie eine lineare Erzählung auszumachen. Tatsächlich liebt Feigelfeld es, mit Aussparungen zu arbeiten, mit Momenten, in denen der Handlungsfluss reißt oder im Dunkeln verschwindet, mit Andeutungen, die so zart sind, dass sie breiten Raum für Interpretationen bieten. Hämisch könnte man sagen: HAGAZUSSA besteht größtenteils aus beeindruckenden Landschaftsaufnahmen der Bergriesen nahe des Wolfgangsees bei Salzburg, wo Nebelbänke sich um Gipfel schlängeln und Schatten sich zwischen Baumstämmen spannen, genauso vielen Szenen, in denen wir unsere verzweifelte, verletzliche, naive Heldin ganz still und leise beim Abgleiten in den Wahnsinn beobachten dürfen, und einigen wenigen transgressiven Einsprengseln, in denen Rehkadaver mit aufgeplatztem Bauch, Erbrochenes und sonstige Körperflüssigkeit eine, wenn auch vergleichsweise dezente, Rolle spielen, wozu klaustrophobische Drones der Griechen MMMD ertönen. Ganz ohne Häme, sondern begeistert, betört, betroffen von diesem schmerzlichen Drama, das weitaus weniger mit Genre-Kino zu tun hat als es sein Titel vermuten ließe, könnte man aber Feigelfelds deutlich rezipierten Vorbilder herausstellen - bewusst gesetzte Story-Lücken wie bei Robert Bresson, und lange, elegische Einstellungen, in denen vermeintlich nichts passiert, und dadurch alles, wie bei Béla Tarr –, oder das schlicht superbe Schauspiel Aleksandra Cwens, der man jede Sekunde ihre zunehmende psychische Instabilität abkauft, oder die ganz eigene Stimmung, mit der HAGAZUSSA spätestens nach dem Prolog eine soghafte Wirkung auf den unvoreingenommenen Zuschauer ausübt, und ihn in eine Situation versetzt wie die, in der Albrun sich befindet, nachdem sie von den Zauberpilzen genascht hat: Ich stolpere durch diese wunderschönen und doch furchteinflößenden, entsetzlichen, tieftraurigen Bilder, und kann meine Augen nicht abwenden davon, wie sie sich mehr und mehr zu einem menschlichen Drama verdichten, bei dem die Worte nun wirklich versagen, die Totenschädel flüstern, die Perchten mit Fackeln nachts im Schnee waten, und die Ziegenhörner sich gespenstisch vorm hellblauen Himmel abzeichnen.
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Maulwurf
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Re: Hagazussa - Der Hexenfluch - Lukas Feigelfeld (2017)

Beitrag von Maulwurf »

 
Hagazussa – Der Hexenfluch
Hagazussa
Deutschland/Österreich 2017
Regie: Lukas Feigelfeld
Haymon Maria Buttinger, Aleksandra Cwen, Claudia Martini, Celina Peter, Tanja Petrovsky


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In einer anderen Zeit, die das 15.Jahrhundert, wohl aber auch das beginnende 20. Jahrhundert sein könnte, lebt die kleine Albrun mit ihrer Mutter irgendwo in den Bergen. Die Mutter stirbt an der Pest, und aus der kleinen Albrun wird die erwachsene Albrun, die mit ihrer kleinen Tochter das gleiche Problem hat wie ihre eigene Mutter: Beide Frauen werden von den nahewohnenden Dörflern als Hexen angesehen, und beide können sich ihres Lebens nie wirklich sicher sein. Eine vorsichtige Freundschaft zu Swinda beginnt, welche die erste aus dem Dorf ist die ihr nicht feindlich gegenübersteht, und Albrun beginnt durch diese Nähe zu einem anderen Menschen richtiggehend aufzuleben. Aber Swinda ist eine Lügnerin und Betrügerin: Sie überredet einen Mann, Albrun zu vergewaltigen, und sie selber hält Albrun dabei auch noch fest. Und nicht nur das: Als Albrun nach Hause kommt, findet sie dort den Kadaver ihrer geliebten Ziege aufgehängt. Ihre Rache ist furchtbar: Sie legt eine tote Ratte in die Wasserversorgung des Dorfes und pinkelt zusätzlich noch darauf. Das Ergebnis ist schnell zu sehen – Die Pest kommt wieder ins Dorf, und Albrun lächelt sich heimlich eins.

Seit einigen Jahren stelle ich zunehmend fest, dass ich mit sogenannten Style over Substance-Filmen immer weniger anfangen kann. Die letzten Filme Nicolas Winding Refns, ONLY GOD FORGIVRS und THE NEON DEMON, stehen symptomatisch für diese Haltung, dass allein beeindruckende Bilder mir wenig geben können, wenn sie nicht von einer guten Story unterfüttert werden, wobei mir das aber bemerkenswerterweise auch bei Filmen Mario Bavas häufiger auffällt. Trotzdem versuche ich immer wieder, Filme wie eben HAGAZUSSA zu verstehen, in sie hineinzufallen, und mich einem, von anderen Besprechungen testierten, Rausch hinzugeben. Allein: Ich finde da nichts …

Ich sehe, dass HAGAZUSSA eine, bei aller Einfachheit, tiefe und dunkle Geschichte erzählt. Ich sehe die Abgründe in Albrun, und wie das Zusammentreffen einer sensiblen Einzelgängerin mit den dumpfen Dorfbewohnern zur Korruption einer empfindsamen Seele führt, aber die Kombination aus extrem langgezogenen Einstellungen und schönen Naturaufnahmen weckt in mir einfach nicht die Emotionen, welche der Regisseur vermutlich wecken möchte.

Stattdessen beginne ich mich irgendwann zu langweilen ob der immergleichen Einstellungen der verschneiten Berge, frage mich wo der Film gedreht sein mag, und staune (ernst gemeint) über das unglaubliche und intensive Schauspiel von Aleksandra Cwen. Was Cwen schon nur allein mit ihren Augen auszudrücken vermag, das können andere mit noch so exaltierter Mimik und Gestik nicht. Die Vergewaltigung Albruns findet aus Sicht des Zuschauers allein in den Augen von Albrun statt –Ihr Grauen, ihre Angst, ihr Schmerz, das alles spiegelt sich im Gesicht und in diesen tiefen und schönen Augen. Der vergewaltigende Mann selber ist dabei nicht einmal zu sehen - Große Regiekunst fürwahr, aber eine Schauspielkunst in der Tradition und der Klasse eines Conrad Veidt …

Entsprechend ist es auch immer wieder Aleksandra Cwen die mich zum Weitersehen gezwungen hat. Die mit ihrer Präsenz dem unentschlossenen Drehbuch Kraft gibt und den Film vorantreibt. Der Vergleich zum erst kürzlich gesehenen THE VVITCH drängt sich auf, und dieser Vergleich ist bemerkenswert, gibt Robert Eggers seinem New-England-Folktale doch an genau den richtigen Stellen die Spannungsspitzen, um das Interesse des Zuschauers nicht abflauen zu lassen. Die Vvitch Anya Taylor-Joy ist stark und geht in ihrer Figur restlos auf, was dazu führt, dass THE VVITCH den Rezipienten tatsächlich mitzieht in ein Reich aus Schuld und Tod. Aleksandra Cwen ist mindestens genauso stark wie Taylor-Joy, vielleicht sogar stärker, aber sie kann die Schwächen der Regie und vor allem des Drehbuchs leider nicht völlig ausbügeln – Der Geschichte an sich mangelt es an genau diesen Spannungsspitzen, und es stellt sich schnell eine gewisse Müdigkeit und die erwähnte Langeweile ein. Die Gedanken schweifen ab und führen zu den ganz alltäglichen Problemchen, derweil das, was auf dem Bildschirm da so passiert, immer nebensächlicher wird.

Wahrscheinlich müsste man HAGAZUSSA auf der großen, der ganz großen Leinwand sehen, um sich diesen Bildern tatsächlich hinzugeben. In die dunklen Wälder genauso hineinzufallen wie in die verschneiten Berge oder den grün-gelben Sumpf, der soviel Bosheit ausstrahlt. Ein passendes Beispiel, dieser Sumpf: Albrun läuft in das brackige Wasser hinein, die Kamera bleibt am Ufer und filmt von hinten und mit einigem Abstand, was da jetzt an Unheiligem passiert. Es passiert auch vieles, was durch den Standort der Kamera allein im Kopf des Zuschauers Gestalt annimmt, aber die Szene ist einfach zu lang ausgedehnt. Das Timing passt nicht, und genau das ist eben der Unterschied zu THE VVITCH: Dieser ist genauso langsam erzählt, geht auf ähnliche seelische Abgründe ein und immanentisiert das Grauen in der den Menschen umgebenden Natur auf gleiche Weise. Aber dort stimmt das Timing, sind die Ausschläge auf der Aufmerksamkeitsskala gleichmäßig verteilt, wird der Zuschauer tatsächlich zum Hinschauen gezwungen. Die Anwesenheit des Zuschauers driftet nicht wie bei HAGAZUSSA ab, sondern bleibt bei den Figuren und begleitet sie hautnah in ihre eigene Hölle.

Und so bleibt HAGAZUSSA beim Versuch, Horror und Arthouse miteinander zu verbinden, leider auf dreivierteltem Wege stehen und dreht und wendet sich verzweifelt im Kreis - Im Teufelskreis aus einem Drehbuch, das nicht überzeugend geskriptet wurde, und einer Regie, welche die Schwächen des Drehbuchs nicht auszugleichen vermag, weil sie sich weitgehend auf die Optik konzentriert. HAGAZUSSA imponiert zwar mit überragenden Bildern und hochgradig eindrucksvollen Schauspielern, aber der Rest, der ja schließlich auch noch zu dem Gesamtkunstwerk Film gehört, der imponiert kein bisschen.

4/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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