Jagdszenen aus Niederbayern - Peter Fleischmann (1969)

Moderator: jogiwan

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jogiwan
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Jagdszenen aus Niederbayern - Peter Fleischmann (1969)

Beitrag von jogiwan »

Jagdszenen aus Niederbayern

Bild

Originaltitel: Jagdszenen aus Niederbayern

Herstellungsland: Deutschland / 1969

Regie: Peter Fleischmann

Darsteller: Martin Sperr, Angela Winkler, Else Quecke, Maria Stadler, u.a.

Story:

Die heile Welt von Unholzing ist recht rustikal: Es wird getrunken, geschlachtet und besamt. Vor allem aber herrscht ein unterschwelliges Klima der Intoleranz und Härte gegenüber allen Außenseitern, sei es die Dorfhure, der Gastarbeiter oder Ernst, der geistig zurückgebliebene Sohn der verwitweten Maria. Den schwersten Stand hat jedoch der junge Mechaniker Abram. Getuschelt und gelästert wird über den "warmen Bruder", der vergebens versucht, Hohn und Spott zu überhören. Bald schlagen die Vorurteile in blanken Hass um und die gefernde Meute formiert sich zu einer makabren Menschenjagd. Mehr und mehr in die Enge getrieben, wird der verzweifelte Bauernbursche schließlich selbst zum erbarmungslosen Jäger.

(quelle: amazon.de)
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jogiwan
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Re: Jagdszenen aus Niederbayern - Peter Fleischmann (1969)

Beitrag von jogiwan »

erscheint am 09.02.2012 im Rahmen der wiederauferlebten "Kino Kontrovers"-Reihe auf DVD! Kennt den wer?
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Arkadin
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Re: Jagdszenen aus Niederbayern - Peter Fleischmann (1969)

Beitrag von Arkadin »

jogiwan hat geschrieben:erscheint am 09.02.2012 im Rahmen der wiederauferlebten "Kino Kontrovers"-Reihe auf DVD! Kennt den wer?
Ohn "Kino Kontrovers" geht weiter? Das ist ja eine gute Nachricht!

Zu den "Jagdszenen". Geshen ahbe ich den noch nicht, nur davong ehört. Gehört zu den Klassikern des "Neuen Deutschen Films". Den Fleischmann habe ich schon seit längerer Zeit auf dem Schirm. Sein Werk (Dorotheas Rache, Der dritte Grad, Die Hamburger Krankheit, Es ist nicht leicht ein Gott zu sein) klingt sehr interessant. Leider konnte ich bisher noch nichts von ihm sichten. Das wird aber demnächst (wenn der Geldbeutel wieder etwas voller ist) nachgeholt.
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purgatorio
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Re: Jagdszenen aus Niederbayern - Peter Fleischmann (1969)

Beitrag von purgatorio »

Arkadin hat geschrieben: Ohn "Kino Kontrovers" geht weiter? Das ist ja eine gute Nachricht!
http://www.cintega.com/de/news/Kino-Kon ... nommen-154

Das Cover-Design ist geändert worden. Von diesem hier hab ich kürzlich was gelesen.

Bild

Bei amazon sind zwei neue und offenbar einige Neuauflagen im angepassten Design gelistet:
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
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Arkadin
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Re: Jagdszenen aus Niederbayern - Peter Fleischmann (1969)

Beitrag von Arkadin »

Das neue Design habe ich auch schon gesehen. Gefällt mir sehr gut.
Mal gucken, was aus der Reihe wird. "Dog Bite Dog" und "Tyrannosaur" interessieren mich nicht so sehr, aber die "Jagdszenen" werde ich mir dann wohl irgendwann zulegen.
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Salvatore Baccaro
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Re: Jagdszenen aus Niederbayern - Peter Fleischmann (1969)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

JAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN muss ich ohne Umschweife als einen der besten deutschen Filme bezeichnen, die ich jemals gesehen habe, so wie sich Peter Fleischmann überhaupt mit der Zeit zu einem meiner favorisierten Regisseure überhaupt mauserte, da er bislang in jedem seiner von mir gesichteten Filme einen ganz unverwechselbaren, eigenwilligen Stil aufweist, in dem so ziemlich alles zusammenfällt, was Filmkunst für mich ausmacht.

Generell könnte man sein Oeuvre wohl am ehesten noch mit dem frühen Werner Herzog vergleichen: beide interessieren sich hauptsächlich für das Aufbegehren des Einzelnen gegen eine übermächtige Gesellschaft, allerdings agiert Herzog dabei, mit Ausnahme vielleicht von AUCH ZWERGE HABEN KLEIN ANGEFANGEN, eher ruhig und kleidet seine Botschaft in gemessene, lange Einstellungen, die meist darauf bedacht sind, eine betörende oder verstörende Naturkulisse als Seelenlandschaftshintergrund für seine Figuren mit einzubeziehen, während in Fleischmann eher Zulawski-Gene pochen, und er in einigen seiner Werke dazu tendiert, seine Zuseher regelrecht zu überfordern und mit Ideen förmlich zu bombadieren, dabei zwar stets politisch und kritisch, immer aber einen Schalk im Nacken, von dem ein zuweilen unfassbar absurder Humor ausgeht. Nicht zufällig hat Fleischmann schon früh Kontakte zu Leuten wie Fernando Arrabal und Roland Topor geknüpft (letzterer war am Drehbuch von DOROTHEAS RACHE beteiligt, ersterer spielt eine der Hauptrollen in DIE HAMBURGER KRANKHEIT, wo er als nerviger Rollstuhlfahrer durch eine Welt am Rande der Apokalypse rollt), orieniert sich damit, ungleich seiner Kollegen des Neuen Deutschen (Autoren-)Films, überdeutlich an Kunstkonzepten wie dem Surrealismus, verbindet diese aber mit einem ambitionierten 68er Blick auf Gesellschaften, die erstarrt scheinen in ihren Konventionen und ergrauten Moralvorstellungen, wodurch in seinen Filmen oft eine interessante Melange aus realen und surrealen Elementen entsteht.

In JAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN bspw. scheint er den Surrealismus im Alltäglichen zu suchen. Fleischmann, der öfter mit Laien als mit Stars drehte (der einzige mir bekannte Film, in dem man tatsächlich große Name findet, wäre DER DRITTE GRAD, zugleich auch sein mainstreamigster und am ehesten einem breiten Publikum zugänglicher), benutzt die Wirklichkeit als Ausgangsfläche zu unwirklich scheinenden Bildern, bringt die Realität allein dadurch, dass er sie aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel betrachtet, in einen Bereich, in dem wir sie kaum noch für real halten. Eine lange Schweineschlachtszene ist die Krönung dieser Suche und erinnert sicherlich bewusst an George Franjus Kurzfilm LE SANG DES BÊTES. Während das Tier von den Dörflern ungerührt und fast schon automatisch getötet und dann nach allen Regeln der Kunst ausgenommen wird, unterhalten die sich über den neuesten Dorfklatsch, verlieren sich in zotigen Witzchen und necken sich mit Einzelteilen des Schweis. JAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN darf dabei aber nicht als ein relativ eindeutiges Plädoyer für mehr Toleranz verstanden werden. Fleischmann ist klug genug, seinen Film nicht als reines Gutmenschenwerk abzuliefern. In JAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN steht nicht ein unschuldiger, unterdrückter Homosexueller im Vordergrund, der von einer rückwärtsgewandten Dorfgemeinschaft aufgrund seiner sexuellen Neigung attackiert wird, vielmehr schildert Fleischmann hier ein hierarchisches Bild, das universelle Geltung hat: die Starken treten auf die Schwachen, worauf die sich noch Schwächere suchen, um an denen ihre Wut auszulassen. Folgerichtig bringen sich die schwächsten Figuren des Films beinahe gegenseitig um. Damit nimmt Fleischmann auch bereits viel von Hanekes DAS WEISSE BAND vorweg, und wenn ich mich nicht völlig täusche, zitiert Haneke in seinem letzten Film die JAGDSZENEN sogar recht deutlich.

Von hier aus bewegte Fleischmann sich in immer abseitigere Gefilde. Mein persönlicher Favorit, DAS UNHEIL, sein zweiter Spielfilm von 1970, verlagert die grimmige Gesellschaftanalyse Niederbayerns in einen kleinen pfälzischen Ort. Fleischmann, selbst Pfläzer, bei mir um die Ecke in Zweibrücken geboren, gelingt damit ein beunruhigender Effekt bei mir. Durch den Dialekt, die Landschaften, die kulturellen Eigenheiten, die in DAS UNHEIL zwangsläufig auftreten, kommt mir der Film seltsam vertraut vor, was bei seinem Inhalt kein unbedingt angenehmes Gefühl ist. Die Hauptperson, Schüler noch, sollte eigentlich für ihr Abitur lernen, das der junge Mann schon einmal vergeigte, wird dabei aber von allerlei Widrigkeiten abgehalten. Sein Vater, der evangelische Pfarrer des Ortes, plant mit einem Vertriebenenbund eine als Fest zu Ehren der Kirchenglocken getarnte Gala der Altnazis, die ihr verlorenes Schlesien zurückfordernd, sich dabei aber permanent gegenseitig von aller Partizipierung an der Politik des Dritten Reichs freisprechen. Seiner Schwester, die, nachdem sie das Elternhaus einst verließ, um als Model in Rom ihr Geld zu verdienen, völlig ausgebrannt und desillusioniert in die Heimat zurückkehrt, streift als lethargischer Schatten durch die Ortschaft, auf Suche nach Männern, die ihr für Sex Geld leihen. Ein Umweltaktivist hat die örtliche Firma im Visier, das Grundwasser zu vergiften, wofür er ständig im Dreckwasser verendende Ratten filmt und gar einen an Krebs erkrankten Schwan bei sich zu Hause einquartiert. Eine Gruppe Linksradikaler, die gemeinsam mit einem Bundeswehrdeserteuren planen, eine Bombe im Kirchenturm zu zünden und damit die gesamte Ortschaft auszuradieren, spannen ihn zuletzt in ihre Vernichtungspläne ein und lassen sich von ihm heimlich im Gotteshaus einquartieren, das sie kurzum zum Waffenlager umfunktionierten. DAS UNHEIL ist zum Bersten vollgepackt mit fundierten, scharfen Analysen einer Gesellschaft, die sich vom Alten (NS) distanziert und das Neue (68) nicht duldet, dabei in einem grauen Zwischenreich vor sich hin vegetiert, und einen jungen Mann, unser Anti-Held, in eine Verwirrung stürzt, aus der er sich zu befreien sucht, indem er dem Zuschauer endlose pseudo-intellektuelle Monologe hält, die ebensowenig irgendwohin führen wie sein Vorhaben fürs Abitur zu lernen, was er dann doch nie tut.

Noch wilder wird es in DOROTHEAS RACHE von 1973, eine schlicht unglaubliche Parodie auf die damals grassierende Sexfilmwelle, bei der die Grenze zwischen Spaß und Ernst konsequent und permanent überschritten wird, und man am ehesten noch von einem deutschen Arrabal oder Jodorowsky sprechen könnte, inklusive krasser SM-Szenen, Genitalien, Jesus, der zu Besuch vorbeischaut, alberner Klamaukeinlagen und überstilisierter, theatralischer Dialoge. In der Folgzeit scheint er dann mit Filmen wie DER DRITTE GRAD und DIE HAMBURGER KRANKHEIT Genreschemata zu akzeptieren, um sie dann ad absurdum zu führen: so werden in diesen beiden Filmen der Polit-Thriller bzw. der Endzeit-Film relgerecht dekonstruiert, auseinandergenommen wie ein Setzkasten und auf kuriose Weise neu zusammengefügt.

Als Einstieg in die Fleischmann-Welt ist JAGDSZENEN IN NIEDERBAYERN indes wohl die beste Wahl.
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jogiwan
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Re: Jagdszenen aus Niederbayern - Peter Fleischmann (1969)

Beitrag von jogiwan »

Bild

Der junge Mechaniker Abram kommt nach längerer Abwesenheit wieder in sein Heimatdorf in Niederbayern zurück, wo die meisten der einfachen Leute gerade mit der Ernte beschäftigt sind. Obwohl die Fähigkeiten des schweigsamen Mannes gefragt sind, kommen bald in Gerüchte in Umlauf, die sich vor allem mit seiner Abwesenheit und sexuellen Neigung beschäftigen. Den Abram ist angeblich „ein warmer Bruder“, der wegen seiner“ Abartigkeit“ im Gefängnis gesessen ist und Schande über seine Mutter und das gesamte Dorf bringt.

Schwer zu ertragender Film von Peter Fleischmann über einen Mann, der sich den Zorn der ach so anständigen Bevölkerung eines kleinen Dorfes zuzieht und auf den nach anfänglichen Hänseleien auch körperlich losgegangen wird. Wirkt auf den ersten Blick auch dank seiner traditionellen Musik wie ein Heimatfilm und entlarvt die vermeintliche Idylle als feindseeliger Ort, in dem systematisch und im Kollektiv auf alles Andersartige oder moralisch Verwerfliche vorgegangen wird. Interessanter als der eigentliche Film ist aber auch der Sturm der Entrüstung, den der Film seinerzeit in konservativen Kreisen ausgelöst hat. 8/10
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untot
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Re: Jagdszenen aus Niederbayern - Peter Fleischmann (1969)

Beitrag von untot »

Bitterböser Film der einem die Zornesfalten auf die Stirn treibt, denn über so viel Intolleranz, Engstirnigkeit und offene Feindseligkeit, kann man nur verständnisslos den Kopf schütteln!!
Ich kann mir gut vorstellen, das es früher auf den Dörfern so zugegangen ist, denn das Gerede auf dem Dorf ist auch heute noch nicht viel besser geworden, nur nicht mehr ganz so offensichtlich und findet meist hinter vorgehaltener Hand statt.
Ist schon schwer verdauliche Kost dieser Streifen, aber gekonnt erzählt und auf die Leinwand gebracht von Fleischmann.

8/10
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Tomaso Montanaro
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Re: Jagdszenen aus Niederbayern - Peter Fleischmann (1969)

Beitrag von Tomaso Montanaro »

Abram kehrt nach Verbüßung einer Haftstrafe in sein heimatliches Bauerndorf zurück. Bald machen Gerüchte die Runde, dass er wegen Unzucht mit Männern gesessen haben soll. Die Dorfhure will ihm die Schuld an ihrer Schwangerschaft anhängen, und als er mit einem geistig behinderten, minderjährigen Buben aus dem Dorf gesehen wird, eskaliert die Situation...

Das alles ist so akribisch, autentisch und realistisch auf Zelluloid gebannt worden, dass einem Angst und Bange werden kann. In das beschauliche Dorfleben, das wie in einem Dokumentarfilm festgehalten wird, schleicht sich das reale Grauen in Form von aus heutiger Sicht unglaublichen Intoleranz ganz, ganz langsam ein. Vielleicht der beste "Heimatfilm" der je gedreht wurde.

8/10 Punkten
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