Kalt wie Eis - Carl Schenkel (1981)
Moderator: jogiwan
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40644
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: Kalt wie Eis - Carl Schenkel (1981)
Neo-Noir in Neon
„Sieh doch ein, wir sind hier nicht im Dschungel – es sieht nur manchmal so aus…“
Anfang der 1980er finanzierten die Unterhaltungs- und Schmuddelfilm-Produzenten Karl Spiehs und Wolf C. Hartwig dem jungen Schweizer Regisseur Carl Schenkel („Knight Moves – Ein mörderisches Spiel“) dessen Abschlussarbeit für die Filmhochschule, nachdem er 1979 bereits für Spiehs unter Pseudonym den Schwank „Graf Dracula in Oberbayern“ gedreht hatte. 1981 schließlich wurde der Film unter dem Titel „Kalt wie Eis“ veröffentlicht und ist aus heutiger Sicht nicht nur eine exploitative Mischung aus Jugenddrama und Krimi, sondern ein faszinierendes Stück Berliner Zeit- und Lokalkolorit.
Schrauber Dave (Dave Balko) sitzt im Jugendknast für das Frisieren gestohlener Motorräder ein. Um wieder ungesiebte Berliner Luft zu schnuppern, nach seiner Freundin Corinna (Brigitte Wöllner) zu schauen und seinem ehemaligen Auftraggeber Kowalski (Otto Sander, „Das Boot“) die Möbel geradezuziehen, inszeniert er einen Selbstmordversuch und flieht beim Krankentransport, wobei sich ein Schuss löst, der einen Aufseher schwer verletzt. Hilfe bekommt Dave von einem Bekannten (Hanns Zischler, „Der Zementgarten“), der einen Musikclub betreibt. Nachdem er Corinna wiedergetroffen hat, kümmert er sich um Kowalski, schlägt ihn zusammen und knöpft ihm eine höhere Summe Geld ab. Daraufhin wird ein Schlägertrupp auf Dave gehetzt – und ebenfalls auf ihn abgesehen hat es Stripclub-Betreiber Hoffmann (Rolf Eden, „Ich – Ein Groupie“), für den Corinna seit einiger Zeit arbeitet und der etwas dagegen hat, dass Dave mit ihr durchbrennt. Die Luft der Mauerstadt wird für Dave immer dünner…
Von der Vorgeschichte weiß man zunächst nichts, denn Schenkels Film beginnt direkt im Jugendknast, in Daves karger Zelle. Schon die Flucht mit dem sich lösenden Schuss zeigt an, in welche Richtung es geht: Kein Sozialarbeiterfilm, hier wird scharf geschossen. Ein Konzertausschnitt einer Punkband leitet über zu Daves Beziehungskiste mit der fragilen, rehhaften Schönheit Corinna und anhand der Dialoge erfährt der Zuschauer etwas über die Hintergründe. Dass „Kalt wie Eis“ auch nicht mit Erotik geizt, wird deutlich, wenn Corinna mit Stöckelschuhen – und nichts außer ihnen – ins Bad geht, für Gleichberechtigung sorgt das Blankziehen Daves. Man erfährt noch, dass Corinna schwanger ist, bevor Dave seinen Rachefeldzug gegen Kowalski, der ihn in den Knast brachte, einleitet. Wut und Kompromisslosigkeit bestimmen diese Szenen; später wird Dave von Hoffmanns Schlägern übel zugerichtet und misshandelt Kowalskis Mob einen Freund Daves mit einem Rasiermesser. Blut fließt; Schenkel lässt keinen Zweifel daran, welch große Rolle Gewalt in seinem Film spielt.
Vor dem erschreckend konsequenten, fatalistischen Ende arbeiten Schenkel und Kameramann Horst Knechte immer wieder mit authentischen, teilweise ausgiebigen Konzertausschnitten der zeitgenössischen Berliner Punk- und New-Wave-Szene sowie mit künstlerischen Kniffen wie dramatischen Zeitlupen, kreativen Schnitten, Verfremdungen etc., an eine sehr freizügige Sexszene zwischen Corinna und Dave knüpft gar eine argentoeske Kamerafahrt. Atonale, enervierende Musik untermalt die eine oder andere Szene, Radio-Störgeräusche werden gezielt eingesetzt, um psychischen Stress zu unterstreichen. Daraus ergibt sich eine ebenso gewagte wie gelungene Mischung aus exploitativen Elementen und ebenso schöngeistiger wie effektiv eingesetzter Filmkunst sowie der Porträtierung der Subkultur im Kontext mit der Vermittlung eines authentisch anmutenden Berlin-Bilds.
Und eben dieses macht einen großen Teil des Reizes des Films aus. Es zeichnet die geteilte Stadt zwischen Nato und Warschauer Pakt als düsteren Ort mit beinharter Unterwelt und aufstrebender kreativer Szene, die die Eindrücke das Kalten Kriegs und der Post-Punk-Stimmung in ihren Liedern verarbeitet. Und während sich Bands wie „Tempo“ oder die „Neon Babies“ auf der Bühne ausdrücken, sitzen „Malaria“ bei Aufnahmen im Studio und Blixa Bargeld von den „Einstürzenden Neubauten“ wiederum als lebende Skulptur in einer Upper-Class-Kunstausstellung, den Skorbut-Song skandierend. Der Umgang der Menschen untereinander scheint kalt und verschlossen wie die Grenzmauern, emotionale Kälte und Armut bestimmt das wenig soziale Miteinander und macht das Lebensgefühl einer desillusionierten, perspektivlosen „No future“-Generation spürbar.
Hauptdarsteller Dave Balko war selbst Sänger bei „Tempo“, zusammen mit den genannten und weiteren Kollegen der Punk- und New-Wave-Bewegung sorgen sie für den großartigen und perfekt passenden Soundtrack zu Schenkels Berlin-Panorama. Auch als Schauspieler macht er eine gute Figur, möglicherweise seiner Unerfahrenheit geschuldete zeitweise Ausdruckslosigkeit scheint der Rolle wie auf den Leib geschneidert. Auch Brigitte Wöllner beweist viel Potential, so dass es schade ist, dass es bei diesem einzigen Einsatz als Schauspielerin für das ehemalige „Playboy-Playmate“ bleiben sollte. Ein Rolf Eden wiederum spielt sich anscheinend größtenteils schlicht selbst.
„Kalt wie Eis“ ist ein weitestgehend unterschätztes Kind seiner Zeit, das es versteht, den Zeitgeist nicht nur durch seine kalte Farbgebung zu visualisieren und akustisch zu untermalen, weshalb es als wichtiges Zeitdokument betrachtet werden sollte – das all seiner exploitativen Ausflüge, die aber eigentlich nur auf den ersten Blick dem Geist seiner Punk-Protagonisten widersprechen, und seines vermehrten Einsatzes betont langsamer, in ihrer Ausgewalztheit mitunter redundant erscheinenden Szenen (die wiederum die negative Atmosphäre begünstigen) sowie seiner Früh-’80er Künstlichkeit, die sich immer wieder Bahn bricht, zum Trotz gut gealtert ist und als Unterhaltungsfilm der etwas anderen Art und mit tiefschürfendem Subtext wunderbar funktioniert. 7,5 von 10 frisierten Krafträndern sind da locker drin, die mich hoffentlich nicht mit dem Gesetz in Konflikt bringen.
„Sieh doch ein, wir sind hier nicht im Dschungel – es sieht nur manchmal so aus…“
Anfang der 1980er finanzierten die Unterhaltungs- und Schmuddelfilm-Produzenten Karl Spiehs und Wolf C. Hartwig dem jungen Schweizer Regisseur Carl Schenkel („Knight Moves – Ein mörderisches Spiel“) dessen Abschlussarbeit für die Filmhochschule, nachdem er 1979 bereits für Spiehs unter Pseudonym den Schwank „Graf Dracula in Oberbayern“ gedreht hatte. 1981 schließlich wurde der Film unter dem Titel „Kalt wie Eis“ veröffentlicht und ist aus heutiger Sicht nicht nur eine exploitative Mischung aus Jugenddrama und Krimi, sondern ein faszinierendes Stück Berliner Zeit- und Lokalkolorit.
Schrauber Dave (Dave Balko) sitzt im Jugendknast für das Frisieren gestohlener Motorräder ein. Um wieder ungesiebte Berliner Luft zu schnuppern, nach seiner Freundin Corinna (Brigitte Wöllner) zu schauen und seinem ehemaligen Auftraggeber Kowalski (Otto Sander, „Das Boot“) die Möbel geradezuziehen, inszeniert er einen Selbstmordversuch und flieht beim Krankentransport, wobei sich ein Schuss löst, der einen Aufseher schwer verletzt. Hilfe bekommt Dave von einem Bekannten (Hanns Zischler, „Der Zementgarten“), der einen Musikclub betreibt. Nachdem er Corinna wiedergetroffen hat, kümmert er sich um Kowalski, schlägt ihn zusammen und knöpft ihm eine höhere Summe Geld ab. Daraufhin wird ein Schlägertrupp auf Dave gehetzt – und ebenfalls auf ihn abgesehen hat es Stripclub-Betreiber Hoffmann (Rolf Eden, „Ich – Ein Groupie“), für den Corinna seit einiger Zeit arbeitet und der etwas dagegen hat, dass Dave mit ihr durchbrennt. Die Luft der Mauerstadt wird für Dave immer dünner…
Von der Vorgeschichte weiß man zunächst nichts, denn Schenkels Film beginnt direkt im Jugendknast, in Daves karger Zelle. Schon die Flucht mit dem sich lösenden Schuss zeigt an, in welche Richtung es geht: Kein Sozialarbeiterfilm, hier wird scharf geschossen. Ein Konzertausschnitt einer Punkband leitet über zu Daves Beziehungskiste mit der fragilen, rehhaften Schönheit Corinna und anhand der Dialoge erfährt der Zuschauer etwas über die Hintergründe. Dass „Kalt wie Eis“ auch nicht mit Erotik geizt, wird deutlich, wenn Corinna mit Stöckelschuhen – und nichts außer ihnen – ins Bad geht, für Gleichberechtigung sorgt das Blankziehen Daves. Man erfährt noch, dass Corinna schwanger ist, bevor Dave seinen Rachefeldzug gegen Kowalski, der ihn in den Knast brachte, einleitet. Wut und Kompromisslosigkeit bestimmen diese Szenen; später wird Dave von Hoffmanns Schlägern übel zugerichtet und misshandelt Kowalskis Mob einen Freund Daves mit einem Rasiermesser. Blut fließt; Schenkel lässt keinen Zweifel daran, welch große Rolle Gewalt in seinem Film spielt.
Vor dem erschreckend konsequenten, fatalistischen Ende arbeiten Schenkel und Kameramann Horst Knechte immer wieder mit authentischen, teilweise ausgiebigen Konzertausschnitten der zeitgenössischen Berliner Punk- und New-Wave-Szene sowie mit künstlerischen Kniffen wie dramatischen Zeitlupen, kreativen Schnitten, Verfremdungen etc., an eine sehr freizügige Sexszene zwischen Corinna und Dave knüpft gar eine argentoeske Kamerafahrt. Atonale, enervierende Musik untermalt die eine oder andere Szene, Radio-Störgeräusche werden gezielt eingesetzt, um psychischen Stress zu unterstreichen. Daraus ergibt sich eine ebenso gewagte wie gelungene Mischung aus exploitativen Elementen und ebenso schöngeistiger wie effektiv eingesetzter Filmkunst sowie der Porträtierung der Subkultur im Kontext mit der Vermittlung eines authentisch anmutenden Berlin-Bilds.
Und eben dieses macht einen großen Teil des Reizes des Films aus. Es zeichnet die geteilte Stadt zwischen Nato und Warschauer Pakt als düsteren Ort mit beinharter Unterwelt und aufstrebender kreativer Szene, die die Eindrücke das Kalten Kriegs und der Post-Punk-Stimmung in ihren Liedern verarbeitet. Und während sich Bands wie „Tempo“ oder die „Neon Babies“ auf der Bühne ausdrücken, sitzen „Malaria“ bei Aufnahmen im Studio und Blixa Bargeld von den „Einstürzenden Neubauten“ wiederum als lebende Skulptur in einer Upper-Class-Kunstausstellung, den Skorbut-Song skandierend. Der Umgang der Menschen untereinander scheint kalt und verschlossen wie die Grenzmauern, emotionale Kälte und Armut bestimmt das wenig soziale Miteinander und macht das Lebensgefühl einer desillusionierten, perspektivlosen „No future“-Generation spürbar.
Hauptdarsteller Dave Balko war selbst Sänger bei „Tempo“, zusammen mit den genannten und weiteren Kollegen der Punk- und New-Wave-Bewegung sorgen sie für den großartigen und perfekt passenden Soundtrack zu Schenkels Berlin-Panorama. Auch als Schauspieler macht er eine gute Figur, möglicherweise seiner Unerfahrenheit geschuldete zeitweise Ausdruckslosigkeit scheint der Rolle wie auf den Leib geschneidert. Auch Brigitte Wöllner beweist viel Potential, so dass es schade ist, dass es bei diesem einzigen Einsatz als Schauspielerin für das ehemalige „Playboy-Playmate“ bleiben sollte. Ein Rolf Eden wiederum spielt sich anscheinend größtenteils schlicht selbst.
„Kalt wie Eis“ ist ein weitestgehend unterschätztes Kind seiner Zeit, das es versteht, den Zeitgeist nicht nur durch seine kalte Farbgebung zu visualisieren und akustisch zu untermalen, weshalb es als wichtiges Zeitdokument betrachtet werden sollte – das all seiner exploitativen Ausflüge, die aber eigentlich nur auf den ersten Blick dem Geist seiner Punk-Protagonisten widersprechen, und seines vermehrten Einsatzes betont langsamer, in ihrer Ausgewalztheit mitunter redundant erscheinenden Szenen (die wiederum die negative Atmosphäre begünstigen) sowie seiner Früh-’80er Künstlichkeit, die sich immer wieder Bahn bricht, zum Trotz gut gealtert ist und als Unterhaltungsfilm der etwas anderen Art und mit tiefschürfendem Subtext wunderbar funktioniert. 7,5 von 10 frisierten Krafträndern sind da locker drin, die mich hoffentlich nicht mit dem Gesetz in Konflikt bringen.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- FarfallaInsanguinata
- Beiträge: 2519
- Registriert: Mi 20. Nov 2013, 22:57
Re: Kalt wie Eis - Carl Schenkel (1981)
Ein Lob für diese schöne und erfreulich differenzierte Besprechung, bux!
Ich möchte gerne trotzdem noch meinen eigenen, rein subjektiven Senf hinzufügen. Wer das nicht lesen mag, soll es einfach lassen!
Der Film erschien in einer recht extremen und polarisierenden Zeit. Es war eine Art Aufbruchsstimmung; viele Leute wollten was neues versuchen, aber es gab diverse unterschiedliche Ideen und Modelle, die sich untereinander nicht unbedingt grün waren.
"Wir" Punks und Skinheads (die Früh-Achtziger-Skins in Deutschland hatten mit Nazis (noch) nix am Hut, sondern waren im Prinzip nur Punks mit Glatze) hatten sehr, sehr klar umrissene Vorstellungen. Wir hassten Hippies, wir hassten Künstler, wir hassten jede Form von "New Wave"- und "Neue Deutsche Welle"-Abkömmlingen, wir hassten jeden Anflug von kommerzieller Anbiederung und Ausverkauf. Spießer und Normalos hassten wir selbstverständlich sowieso. Ergo hassten wir de fakto alle außer uns selbst.
Ein nahezu gleichaltriger Kumpel von mir mit gleichartiger Sozialisation meinte mal: "Das war auch gut so, dass wir so puristisch waren, denn nur deshalb hat Punk so lange überlebt." Darüber könnte man sicherlich diskutieren, und bei mir persönlich bekam dieser Absolutheitsanspruch schon sehr schnell Risse. So liebte ich trotz meines Punk- und Skin-Outfits immer noch meinen Helden "David Bowie" oder Hitparaden-Pop-Mädels wie "Kim Wilde" und "Cyndi Lauper". Auch "Neonbabies" hörte ich ausgesprochen gern, wo sich endlich meine Ausführungen wieder direkt auf den Film "Kalt wie Eis" zu beziehen beginnen.
So oder so fiel das Werk damals bei uns Gossen-Kids mit unserem Anspruch auf alleinige Erkenntnis der Wahrheit gnadenlos durch. "Tempo" wurden nicht umsonst bei der "Geräusche für die 80er"-Nacht von den Lederjacken-Trägern von der Bühne vertrieben, der Soundtrack bestand nur aus "Plastik"-Bands, Brigitte Wöllner war eine unerträgliche langhaarige Schicki-Tusse usw. ... Alles kommerzielle Kunst-Kacke!
Glücklicherweise gibt es auch Menschen, die nicht nur älter, sondern auch weiser werden. Da zähle ich mich großkotzig einfach dazu.
Deshalb kommt dieser Film bei mir heute deutlich besser weg. "Tempo" waren eine verdammt coole PowerPop-Mod-Band mit Ohrwurm-Potential, als "Neonbabies"-Fan hatte ich mich ja eh schon geoutet, und Brigitte Wöllner finde ich mittlerweile überdurchschnittlich attraktiv. Diesen Authentizitätsanspruch was die Punk- und Wave-Szene der Früh-Achtziger angeht, würde ich dem Film aber nach wie vor absprechen. Das wurde irgendwie nur als Aufhänger und Vehikel benutzt, dabei bleibe ich, auch wenn sich einige artgerechte Bands zur Mitwirkung überreden ließen. Wirkt immer noch aufgesetzt, was aber leider nur Leute beurteilen können, die die Zeit wirklich erlebt haben.
Trotzdem ein spannender Krimi, Exploitationfilm oder wie auch immer, und ein Zeitdokument auf seine Art selbstverständlich trotzdem.
btw: Dave Balkos Zweitling "Frankfurt Kaiserstraße" gefällt mir gut, gerade weil er sich nicht als irgendwas versucht zu verkaufen, sondern sich als reine (S)Exploitation darstellt.
Ich möchte gerne trotzdem noch meinen eigenen, rein subjektiven Senf hinzufügen. Wer das nicht lesen mag, soll es einfach lassen!
Der Film erschien in einer recht extremen und polarisierenden Zeit. Es war eine Art Aufbruchsstimmung; viele Leute wollten was neues versuchen, aber es gab diverse unterschiedliche Ideen und Modelle, die sich untereinander nicht unbedingt grün waren.
"Wir" Punks und Skinheads (die Früh-Achtziger-Skins in Deutschland hatten mit Nazis (noch) nix am Hut, sondern waren im Prinzip nur Punks mit Glatze) hatten sehr, sehr klar umrissene Vorstellungen. Wir hassten Hippies, wir hassten Künstler, wir hassten jede Form von "New Wave"- und "Neue Deutsche Welle"-Abkömmlingen, wir hassten jeden Anflug von kommerzieller Anbiederung und Ausverkauf. Spießer und Normalos hassten wir selbstverständlich sowieso. Ergo hassten wir de fakto alle außer uns selbst.
Ein nahezu gleichaltriger Kumpel von mir mit gleichartiger Sozialisation meinte mal: "Das war auch gut so, dass wir so puristisch waren, denn nur deshalb hat Punk so lange überlebt." Darüber könnte man sicherlich diskutieren, und bei mir persönlich bekam dieser Absolutheitsanspruch schon sehr schnell Risse. So liebte ich trotz meines Punk- und Skin-Outfits immer noch meinen Helden "David Bowie" oder Hitparaden-Pop-Mädels wie "Kim Wilde" und "Cyndi Lauper". Auch "Neonbabies" hörte ich ausgesprochen gern, wo sich endlich meine Ausführungen wieder direkt auf den Film "Kalt wie Eis" zu beziehen beginnen.
So oder so fiel das Werk damals bei uns Gossen-Kids mit unserem Anspruch auf alleinige Erkenntnis der Wahrheit gnadenlos durch. "Tempo" wurden nicht umsonst bei der "Geräusche für die 80er"-Nacht von den Lederjacken-Trägern von der Bühne vertrieben, der Soundtrack bestand nur aus "Plastik"-Bands, Brigitte Wöllner war eine unerträgliche langhaarige Schicki-Tusse usw. ... Alles kommerzielle Kunst-Kacke!
Glücklicherweise gibt es auch Menschen, die nicht nur älter, sondern auch weiser werden. Da zähle ich mich großkotzig einfach dazu.
Deshalb kommt dieser Film bei mir heute deutlich besser weg. "Tempo" waren eine verdammt coole PowerPop-Mod-Band mit Ohrwurm-Potential, als "Neonbabies"-Fan hatte ich mich ja eh schon geoutet, und Brigitte Wöllner finde ich mittlerweile überdurchschnittlich attraktiv. Diesen Authentizitätsanspruch was die Punk- und Wave-Szene der Früh-Achtziger angeht, würde ich dem Film aber nach wie vor absprechen. Das wurde irgendwie nur als Aufhänger und Vehikel benutzt, dabei bleibe ich, auch wenn sich einige artgerechte Bands zur Mitwirkung überreden ließen. Wirkt immer noch aufgesetzt, was aber leider nur Leute beurteilen können, die die Zeit wirklich erlebt haben.
Trotzdem ein spannender Krimi, Exploitationfilm oder wie auch immer, und ein Zeitdokument auf seine Art selbstverständlich trotzdem.
btw: Dave Balkos Zweitling "Frankfurt Kaiserstraße" gefällt mir gut, gerade weil er sich nicht als irgendwas versucht zu verkaufen, sondern sich als reine (S)Exploitation darstellt.
Diktatur der Toleranz
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
- buxtebrawler
- Forum Admin
- Beiträge: 40644
- Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
- Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
- Kontaktdaten:
Re: Kalt wie Eis - Carl Schenkel (1981)
Vielen Dank, Farfalla.FarfallaInsanguinata hat geschrieben:Ein Lob für diese schöne und erfreulich differenzierte Besprechung, bux!
Ich möchte gerne trotzdem noch meinen eigenen, rein subjektiven Senf hinzufügen. Wer das nicht lesen mag, soll es einfach lassen!
Der Film erschien in einer recht extremen und polarisierenden Zeit. Es war eine Art Aufbruchsstimmung; viele Leute wollten was neues versuchen, aber es gab diverse unterschiedliche Ideen und Modelle, die sich untereinander nicht unbedingt grün waren.
"Wir" Punks und Skinheads (die Früh-Achtziger-Skins in Deutschland hatten mit Nazis (noch) nix am Hut, sondern waren im Prinzip nur Punks mit Glatze) hatten sehr, sehr klar umrissene Vorstellungen. Wir hassten Hippies, wir hassten Künstler, wir hassten jede Form von "New Wave"- und "Neue Deutsche Welle"-Abkömmlingen, wir hassten jeden Anflug von kommerzieller Anbiederung und Ausverkauf. Spießer und Normalos hassten wir selbstverständlich sowieso. Ergo hassten wir de fakto alle außer uns selbst.
Ein nahezu gleichaltriger Kumpel von mir mit gleichartiger Sozialisation meinte mal: "Das war auch gut so, dass wir so puristisch waren, denn nur deshalb hat Punk so lange überlebt." Darüber könnte man sicherlich diskutieren, und bei mir persönlich bekam dieser Absolutheitsanspruch schon sehr schnell Risse. So liebte ich trotz meines Punk- und Skin-Outfits immer noch meinen Helden "David Bowie" oder Hitparaden-Pop-Mädels wie "Kim Wilde" und "Cyndi Lauper". Auch "Neonbabies" hörte ich ausgesprochen gern, wo sich endlich meine Ausführungen wieder direkt auf den Film "Kalt wie Eis" zu beziehen beginnen.
So oder so fiel das Werk damals bei uns Gossen-Kids mit unserem Anspruch auf alleinige Erkenntnis der Wahrheit gnadenlos durch. "Tempo" wurden nicht umsonst bei der "Geräusche für die 80er"-Nacht von den Lederjacken-Trägern von der Bühne vertrieben, der Soundtrack bestand nur aus "Plastik"-Bands, Brigitte Wöllner war eine unerträgliche langhaarige Schicki-Tusse usw. ... Alles kommerzielle Kunst-Kacke!
Glücklicherweise gibt es auch Menschen, die nicht nur älter, sondern auch weiser werden. Da zähle ich mich großkotzig einfach dazu.
Deshalb kommt dieser Film bei mir heute deutlich besser weg. "Tempo" waren eine verdammt coole PowerPop-Mod-Band mit Ohrwurm-Potential, als "Neonbabies"-Fan hatte ich mich ja eh schon geoutet, und Brigitte Wöllner finde ich mittlerweile überdurchschnittlich attraktiv. Diesen Authentizitätsanspruch was die Punk- und Wave-Szene der Früh-Achtziger angeht, würde ich dem Film aber nach wie vor absprechen. Das wurde irgendwie nur als Aufhänger und Vehikel benutzt, dabei bleibe ich, auch wenn sich einige artgerechte Bands zur Mitwirkung überreden ließen. Wirkt immer noch aufgesetzt, was aber leider nur Leute beurteilen können, die die Zeit wirklich erlebt haben.
Trotzdem ein spannender Krimi, Exploitationfilm oder wie auch immer, und ein Zeitdokument auf seine Art selbstverständlich trotzdem.
btw: Dave Balkos Zweitling "Frankfurt Kaiserstraße" gefällt mir gut, gerade weil er sich nicht als irgendwas versucht zu verkaufen, sondern sich als reine (S)Exploitation darstellt.
Ach ja, dieser alleinige Wahrheitsanspruch und der "Punk-Purismus" - ich war da glücklicherweise schon immer etwas breiter aufgestellt, drohte in der absoluten Hardcore-Phase (nicht bezogen auf die Musikrichtung HC) aber auch immer mal wieder, zum Hardliner zu werden, der quasi alles scheiße fand und außer authentischem Punk nichts gelten ließ - sowohl musikalisch als auch in anderer Hinsicht. Zum Glück habe ich aber die richtige Kurve bekommen. Die von dir beschriebene Abgrenzung war seinerzeit sicherlich wichtig, um ein eigenes Profil zu entwickeln, solch eine totale Scheuklappisierung lässt sich m.E. dauerhaft aber nur schwer mit dem Freiheitsdrang des Punk vereinbaren und deshalb bin ich froh, dass diese Mauern alsbald weitestgehend wieder eingerissen wurden.
Der "Frankfurt Kaiserstraße" hatte auch schon mal mein Interesse geweckt. Wusste gar nicht, dass Dave Balko da auch mitgespielt hat. Das macht ihn jetzt umso interessanter!
Ich habe mir übrigens gerade die Soundtrack-LP ersteigert. Hat den Soundtrack zufällig jemand in digitaler Form, die mir das manuelle Rippen ersparen würde?
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- FarfallaInsanguinata
- Beiträge: 2519
- Registriert: Mi 20. Nov 2013, 22:57
Re: Kalt wie Eis - Carl Schenkel (1981)
Von dem Scheuklappen-Punk-Purismus habe ich mich glücklicherweise auch nach etwa einem Jahr wieder verabschiedet, einer der Auslöser dafür war eine Radio-Berichterstattung über die legendären "Southall-Riots" im Sommer 1981, was mich verstärkt auf das Oi!-/Skinhead-Ding brachte, da Punk als Klischee mit seiner vorgegebenen Optik mich bereits zu langweilen begann.buxtebrawler hat geschrieben:Der "Frankfurt Kaiserstraße" hatte auch schon mal mein Interesse geweckt. Wusste gar nicht, dass Dave Balko da auch mitgespielt hat. Das macht ihn jetzt umso interessanter!
Dave Balko scheint damals tatsächlich nur in "Kalt wie Eis" und "Frankfurt Kaiserstraße" mitgewirkt zu haben. Eine recht sparsame Filmographie, aber immerhin zwei Hauptrollen.
Danach verschwand er wohl mit der US-Amerikanerin Joy Davis, die sich vorher ebenfalls als Musikerin in der Berliner Wave-Szene aufhielt, gen New York.
Details hierzu, der Band "Tempo" und der Berliner Szene jener Zeit auch nachzulesen im Beiheft der ausgesprochen liebevoll gemachten Drei-Vinyl-LP-"Tempo"-Box von "Weird System" aus dem Jahre 2004. Da gibt's auch die viel schönere Ursprungsversion von "Kalt wie Eis" zu belauschen.
http://www.discogs.com/Tempo-Sie-Verlas ... ter/592131
Und "Frankfurt Kaiserstraße" ist tatsächlich ein persönlicher Tipp, für alle, die ihn noch nicht kennen.
Diktatur der Toleranz
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
- CamperVan.Helsing
- Beiträge: 10905
- Registriert: Sa 26. Dez 2009, 12:40
Re: Kalt wie Eis - Carl Schenkel (1981)
Kurzfristiger Veranstaltungstipp für Norddeutschland: "Kalt wie Eis" läuft heute um 19 Uhr noch einmal im Metropolis Hamburg als 35mm-Projektion!
Ich war gestern da, Kopie ist in gutem Zustand und der Film definitiv auch einen zweiten Blick wert.
Ich war gestern da, Kopie ist in gutem Zustand und der Film definitiv auch einen zweiten Blick wert.
My conscience is clear
(Fred Olen Ray)
(Fred Olen Ray)
- sid.vicious
- Beiträge: 2368
- Registriert: Sa 26. Jun 2010, 11:16
- Wohnort: Bochum
Re: Kalt wie Eis - Carl Schenkel (1981)
Ich habe KALT WIE EIS gestern zum (vermutlich) siebenten Mal (von Kino über Leih- und gekaufte VHS bis hin zur Subkultur-DVD) geschaut. Ich fand und finde den Film großartig, aber die Gründe für dieses Urteil haben sich geändert. Dereinst war es das Spät-Punkhafte. Als der Film 2012 als DVD, leider nicht in der EDV, kam, punkteten während der Sichtungen die Endzeitstimmung und dieser fortwährende Nihilismus. Der Film ist so herrlich düster wie aussichtslos, dass er nur so enden kann - wie er schlussendlich auch endet.
Diese drei Killer-Punks (Neon-Punks?) haben eine interessante Art zu reden und tragen dito interessante Stiefel (ich hatte in den frühen 1980ern in Motorradzeitschriften nach den Tretern gesucht und wurde unter der Bezeichnung "Easy Rider Stiefel" fündig). Lässt sich sagen, ob die drei Messerschwinger überhaupt aus der Szene kamen? Ich vermute: Nein, da ihr Dresscode eher seltsam ist. Aber da ich die Berliner Szene nicht kenne, kann ich das nicht wirklich beurteilen. Blixa soll ja auch mit einem Taucheranzug durch Berlin gelaufen sein, und Gummikleidung war an der Kings Road auch nicht unüblich.
Die Credits liefern leider nur die bekannten Namen.
Diese drei Killer-Punks (Neon-Punks?) haben eine interessante Art zu reden und tragen dito interessante Stiefel (ich hatte in den frühen 1980ern in Motorradzeitschriften nach den Tretern gesucht und wurde unter der Bezeichnung "Easy Rider Stiefel" fündig). Lässt sich sagen, ob die drei Messerschwinger überhaupt aus der Szene kamen? Ich vermute: Nein, da ihr Dresscode eher seltsam ist. Aber da ich die Berliner Szene nicht kenne, kann ich das nicht wirklich beurteilen. Blixa soll ja auch mit einem Taucheranzug durch Berlin gelaufen sein, und Gummikleidung war an der Kings Road auch nicht unüblich.
Die Credits liefern leider nur die bekannten Namen.