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Originaltitel: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
Herstellungsland: Deutschland / 2017
Regie: Arne Feldhusen
Darsteller(innen): Charly Hübner, Annika Meier, Detlev Buck, Marc Hosemann, Bastian Reiber, Jacob Matschenz, Jan Peter Kampwirth, Sarah Viktoria Frick, Leon Ullrich, Sarah Bauerett, Bjarne Mädel, Lina Beckmann, Maximilian Pekrul, Felix Goeser, Daniel Flieger, Chris Theisinger, David Bredin u. A.
Fünf Jahre sind seit dem Mauerfall vergangen, fünf Jahre seit Objektkünstler Karl Schmidt (Charly Hübner) einen Komplettzusammenbruch erlitt, der von Alkohol und Drogen unterfüttert war - und seit fünf Jahren residiert er in einer Alkoholiker-Wohngruppe in Altona, während er sich als Hausmeister verdingt. Just als er seinen bisher nicht angetretenen Urlaub in der Lüneburger Heide verbringen soll, erreicht ihn ein Anruf seiner alten Kumpel Raymund (Mark Hosemann) und Ferdi (Detlev Buck), die ihn nach Berlin einladen. Die beiden haben ein äußerst lukratives Technolabel namens Bumm Bumm Records hochgezogen, reiten trotz fortgeschrittenen Alters die große Welle und wollen jetzt - angedenk den "Beatles" - eine "Magical Mystery"-Tour quer durch Deutschland machen, wo sie mit ihren besten DJs in angesagten Clubs auflegen. Karls Aufgabe dabei: er soll die neun Leute fahren, Tourmanager spielen und vor allem zu festgelegten Zeitpunkten alle aus den Locations bergen, damit sie nicht im Drogenrausch die Termine verpassen. Für den stabil cleanen Karl ist das alkohol- und drogengeschwängerte Umfeld natürlich ein Reizthema, doch er setzt sich dennoch von seinen Urlaubsplänen ab. Immer noch gegeißelt von Panikattacken und Angstschüben rollt "Charly" mit seinen Freunden aus der Szene durch die BRD der 90er und gewinnt neues Selbstvertrauen zurück...
Diese, wenn ich richtig informiert bin, nach „Herr Lehmann“ und „Neue Vahr Süd“ dritte Verfilmung eines Sven-Regener-Romans stammt aus dem Jahre 2017 und wurde von Arne Feldhusen („Stromberg“) inszeniert. Wie für „Herr Lehmann“ verfasste Regener höchstpersönlich das Drehbuch; zudem konnten mit Detlev Buck („Das Pubertier“) und Charly Hübner („Bornholmer Straße“) zwei „Herr Lehmann“-Veteranen fürs Ensemble gewonnen werden, sodass eigentlich nicht mehr viel schiefgehen konnte – vielleicht abgesehen von der anfänglichen Verwirrung, weil Hübner nun Bucks Rolle aus „Herr Lehmann“ einnimmt und Buck wiederum eine ganz andere Figur mimt.
„Was sind das denn für Typen, die dich Charly nennen?!“
„Magical Mystery“ stellt Karl „Charly” Schmidt in den Mittelpunkt: Fünf Jahre nach seinem Nervenzusammenbruch am Tag der Maueröffnung 1989 bewohnt Karl eine drogentherapeutische WG in Hamburg-Altona, verdingt sich als Hausmeister eines Zoos und ist absolut clean. Aus diesem seinem Leben wird er jedoch herausgerissen, als er seinen alten Berliner Bekannten Raimund (Marc Hosemann, „Zweiohrküken“) wiedertrifft, der nun zusammen mit Ferdi (Detlev Buck) in Techno macht und mit dem Label „Bumm Bumm Records“ gut Schotter verdient. Sie wollen es noch einmal wissen und suchen einen stets nüchternen Fahrer für die „Magical Mystery“-DJ-Tour durch die angesagten Clubs, doch an dieser sind bereits die Beatles gescheitert...
„Magical Mystery – was für die Seele!“
Es war die reinste Seuche in den 1990ern: Rave und anderer Stumpftechno sowie Eurodance boomten wie Hulle. „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“ ist eine liebevolle Persiflage auf diese unsägliche Welle und das dämliche Hippie-Getue des Raver, zudem ein komödiantisches Milieu- und Zeitporträt – darüber hinaus aber auch ein großes Abenteuer, im Zuge dessen Karl wieder zu sich selbst zu finden scheint. Der Prolog zeigt u.a. Charlys Sozialarbeiter Werner (Bjarne Mädel, „Der Tatortreiniger“) sowie die schicksalhafte Begegnung Charlys und Raimunds in einem Eiscafé. Anschließend vergeht nicht mehr viel Zeit, bis die Tour beginnt, auf die Charly sich unvernünftiger-, aber auch nachvollziehbarerweise einlässt: Als Tourmanager gilt es, Betreuer für neun Personen zu sein und sie pünktlich zu ihren Auftritten und Terminen zu kutschieren.
„Wie bei den Beatles – nur auf Rave!“
Die Prämisse ist herrlich absurd und realitätsnah zugleich (Druffis suchen ständig verlässliche Fahrer und scheuen sich selten, trockene Alkis oder jemanden mit ähnlicher Vorgeschichte einzuspannen zu versuchen), die eigentliche Handlung jedoch eher nebensächlich. Ferdi faselt permanent von Liebe, alle sind ständig und überall am Rauchen, man hat ein erstes Handy dabei, Charly und Rosa (Annika Meier, „Green Frankenstein“) kommen sich näher, machen rum und vögeln miteinander (wobei Meier auch onscreen blankzieht), Charly hält eine Trauerrede für ein totes Meerschweinchen an einem öffentlichem Mülleimer – und dazwischen werden recht prominent Raves präsentiert, an deren Ende Charly seine zerschossene Bagage wieder einsammeln muss. Die gelegentlichen paranoiden Visionen, die ihn einholen, werden visualisiert, ansonsten fängt die Kamera mit Vorliebe die Mimik der Figuren ein. Dabei gelingt Hübner das Kunststück, auch ohne die inneren Monologe, die Regeners literarische Vorlage mutmaßlich enthält (ich habe sie nicht gelesen), mittels minimalistischen Mienenspiels der Gefühlswelt seiner Figur Ausdruck zu verleihen.
„Bier!“
Die Dialoge und der Humor sind angenehm lakonisch und trocken und die Handlung verläuft überraschend konfliktarm, womit eine etwaige Erwartungshaltung unterlaufen wird. Dennoch ist der Kontrast aus psychisch angeknackstem Ex-Drogi und sich alles reinziehenden Techno-Spacken unterhaltsam und dabei seine Figuren zwar karikierend, aber nur wenig vorführend, sodass auch Szenemusiker sich zu Nebenrollen bereiterklärten. Der Subtext scheint zwischen vor Alkohol und Drogen warnend und sie zu verharmlosen zu schwanken, zeigt im Endeffekt aber beide Seiten der Medaille. Mit „Drogen nehmen und rumfahren“ fand ein echter Indie-Hit in den Soundtrack und wenn der Film vorbei ist, bin zumindest ich froh, dass die ‘90er es auch schon lange sind…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)