Momo - Johannes Schaaf

Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Momo - Johannes Schaaf

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Momo

Herstellungsland: Deutschland / Italien (1986)

Regie: Johannes Schaaf

Darsteller: Radost Bokel, Mario Adorf, Armin Mueller-Stahl, Leopoldo Trieste, Ninetto Davoli, Bruno Stori, Elide Melli, Francesco De Rosa, Sylvester Groth, Concetta Russino, Isabel Russinova, Pietro Tordi u. A.
In der kleinen italienischen Stadt, in der das kleine Mädchen Momo (Radost Bokel) lebt, läuft das Leben noch ruhig und gemächlich ab. Das ändert sich, als die grauen Herren erscheinen und den Menschen eine Art Zeitkonto aufschwatzen, mit dem sie Zeit sparen können. Das hat bald zur Folge, daß niemand mehr Zeit für den anderen hat und alle nur noch in Eile kommt. Die grauen Männer verfolgen diesen finsteren Plan, da sie von der Zeit leben, die sie den Menschen stehlen, indem sie sie als Zigarren gebündelt rauchen. Momo entschließt sich zum Widerstand und sucht mittels ihrer Schildkröte Kassiopeia den Herrn der Zeit, Meister Hora (John Huston) auf, um die Zustände zu ändern...
Quelle: www.ofdb.de
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buxtebrawler
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Re: Momo - Johannes Schaaf

Beitrag von buxtebrawler »

Die Realverfilmung von Michael Endes Kinder-/Jugendbuch „Momo“ aus dem Jahre 1986 war die letzte Regiearbeit Johannes Schaafs („Traumstadt“). Der Film entstand in deutsch-italienischer Koproduktion. In einem kleinen italienischen Ort erfreut sich das Mädchen Momo (Radost Bokel, „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“) mit ihren Freunden des Daseins und lebt ohne Stress oder Leistungsdruck in den Tag hinein. Doch eines Tages tauchen die grauen Herren mit ihren stinkenden Zigarren auf und infiltrieren die Menschen mit ihrer Zeitsparideologie, die dazu auffordert, in immer weniger Zeit immer mehr zu schaffen und sich einem Zeitdiktat zu beugen, das es vorher nicht gab. Momo scheint die einzige zu sein, die erkennt, dass die grauen Männer nicht das Wohl der Allgemeinheit im Sinn haben, sondern letztlich den Menschen ihre Zeit stehlen, um sie zu Zigarren gebündelt rauchend zu verbrennen und sich dadurch selbst am „Leben“ zu erhalten…

Durch seine Geschichte funktioniert „Momo“ auf zwei Ebenen: Als phantastisches, pädagogisch wertvolles Märchen für Kinder sowie als kritische Allegorie auf den Kapitalismus für Erwachsene. Für alle Zielgruppen ähnlich dürfte die inspirierende Wirkung sein, die dazu anregt, sich darüber Gedanken zu machen, wie man seine endliche Lebenszeit nutzen möchte und was einen daran hindert, sie seinen Wünschen entsprechend zu gestalten, welche Kompromisse man zu welchem Preis eingeht. In zweckdienlichen, schön ausstaffierten Kulissen geben sich die kleine Radost Bokel als zuckersüßes, aufgewecktes, intelligentes Lockenköpfchen Momo mit großen Rehaugen und einem Lächeln zum Dahinschmelzen, Mario Adorf („Der Mafiaboss – Sie töten wie Schakale“) als Maurer Nicola, Leopolde Trieste („Caligula“) als Beppo Straßenkehrer, Ninetto Davoli („Erotische Geschichten aus 1001 Nacht“) als Lokalwirt und weitere als Freunde Momos ein Stelldichein, während Armin Mueller-Stahl („Fünf Patronenhülsen“) den Chef der vor allem für Kinder sehr gruselig gezeichneten grauen Herren mimt und John Huston („Das ausschweifende Leben des Marquis de Sade“) den gottartigen Meister Hora gibt. Die Besetzung trifft ins Schwarze, spielfreudig beteiligen sich erfahrene Schauspieler an der Verfilmung der Geschichte Momos.

Dabei hielt sich das Drehbuch recht eng an die Literaturvorlage und scheute nicht vor der visuellen Umsetzung der surreal anmutenden Welt der uniformierten, glatzköpfigen grauen Herren oder vor Ausflügen in Meister Horas über allem schwebenden Ort der Zeit. Neben der Besetzung des Films hat es mir besonders die Darstellung der grauen Herren als wuselige, hektische, ihre Zigarren ketterauchenden Wesen angetan, die karikierend überzeichnet das Zeit- bzw. spekulative Finanzwesen und dessen seelen- und kulturlose Tristesse repräsentieren, entindividualisierte, maschinenartige Parasiten, die arglose Menschen für ihre Zwecke instrumentalisieren. Schön auch, dass bei „Momo“ weder schwülstiges Pathos regiert, noch auf die Tränendrüse gedrückt wird. Stattdessen stellt man eine lebenswerte Welt, die frei ist von Sach- und Konsumzwängen einer düsteren, von den grauen Herren regierten gegenüber – zugegebenermaßen plakativ, aber dafür lustig, mit augenzwinkernder Ironie und stark satirisch angehaucht. Insgesamt fiel die „Momo“-Verfilmung weit weniger pompös, wesentlich bodenständiger als beispielsweise Wolfgang Petersens „Die unendliche Geschichte“ aus – was ich weitestgehend wertfrei verstanden wissen möchte, wenn ich auch konstatieren muss, dass der „Wow“-Effekt bei Petersen natürlich größer war.

Weniger glücklich bin ich – wie bereits in der Buchvorlage – mit der Idee Endes, Momo mit Kassiopeia eine Schildkröte zur Seite zu stellen, die in die Zukunft blicken kann und mittels auf ihrem Panzer aufleuchtender Buchstaben mit Momo kommuniziert. Das ist mir etwas zu viel des Guten, zu wenig nachvollziehbar, zu sehr dahergesponnen. Zudem kann ich Michael Endes Konsumkritik zwar in Bezug auf Barbiepuppen teilen, vermute dahinter aber eine allgemeingültige Schelte für vermeintlich abstumpfendes, unpädagogisches „Plastikspielzeug“, wie sie früher weit verbreitet war und die ich so nicht unterschreiben kann und möchte. Das spielt in „Momo“ aber nur eine untergeordnete Rolle und ist lediglich meine persönliche Interpretation.

Natürlich gibt es auch in „Momo“ vereinfachte, naiv und/oder kitschig anmutende Sichtweisen und Momente. Der Gesamteindruck bleibt aber positiv und dank starker Bilder, in erster Linie erzeugt durch überaus charismatische Darsteller – allen voran Bokel in der Rolle ihres Lebens – und liebevolle Kulissen- und Kostümarbeit ist „Momo“ einer dieser Filme geworden, die im Unterbewusstsein allgegenwärtig bleiben. Eine je nach Lebensabschnitt und -alter geringfügig andere Interpretierbarkeit der Handlung sichert darüber hinaus das Langzeitvergnügen und macht eine wiederholte Auseinandersetzung mit dem Stoff, egal ob in Buch- oder Filmform, zu einer lohnenden Angelegenheit.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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dr. freudstein
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Re: Momo - Johannes Schaaf

Beitrag von dr. freudstein »

Aaaaah, ich fühle mich wirklich gut erinnert. Hab das nur mal als Theateraufführung damals mit der Schulklasse geguckt und jetzt schießen mir tatsächlich wieder einige Bilder aus dem Erinnerungsspeicher wieder vors Auge :mrgreen: und das nach etwa 30 Jahren und ca. 1 Million Promille (zusammengerechnet). Kaufen würd ichs mir nicht aber wenigstens einmal sehen :nick:
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Jeroen
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Re: Momo - Johannes Schaaf

Beitrag von Jeroen »

Eine wirklich schöne, ausführliche und wie ich finde sehr treffende Rezension, lieber Bux!

Schön, dass du dich für den Film erwärmen konntest, das ist ja immer so eine Sache mit Kinderfilmen, wenn man die als Erwachsener Volljähriger erstmals sieht. Das Buch würde ich auch gerne mal lesen, mal sehen ob ich da mal zu komme. Den Film wollte ich aber auf jeden Fall in absehbarer Zeit mal wieder in den Player legen, hab jetzt wieder richtig Lust bekommen.
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Adalmar
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Re: Momo - Johannes Schaaf

Beitrag von Adalmar »

buxtebrawler hat geschrieben:Die Realverfilmung von Michael Endes Kinder-/Jugendbuch „Momo“ aus dem Jahre 1986 war die letzte Regiearbeit Johannes Schaafs („Traumstadt“). [...] Eine je nach Lebensabschnitt und -alter geringfügig andere Interpretierbarkeit der Handlung sichert darüber hinaus das Langzeitvergnügen und macht eine wiederholte Auseinandersetzung mit dem Stoff, egal ob in Buch- oder Filmform, zu einer lohnenden Angelegenheit.
Sehr schöne differenzierte Kritik.

Da ich weiß, dass du auch auf sprachliche Details Wert legst: "Pathos" ist sächlich, daher "schwülstiges Pathos".
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buxtebrawler
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Re: Momo - Johannes Schaaf

Beitrag von buxtebrawler »

Ich danke euch! Auch für die Korrektur. ;)
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Santini
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Re: Momo - Johannes Schaaf

Beitrag von Santini »

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