Originaltitel: Tiger Girl
Produktionsland: Deutschland 2017
Regie: Jakob Laas
Darsteller: Ella Rumpf, Maria Dragus, Orce Feldschau, Enno Trebs, Franz Rogowski, Benjamin Lutzke
Ich komme auf Berlin nicht klar. Das ist mir diese Woche einmal mehr aufgefallen. Die Stadt ist mir zu laut, zu hektisch, zu unüberschaubar. Da unser Galerist uns erstmal warten ließ, saßen wir, nur ein bisschen Kleingeld auf dem Tisch, in Internetcafés herum bis uns deren Besitzer, da wir eine Stunde an einem einzigen Kaffee nippten, rausschmissen, und liefen durch den Schneeregen, oder guckten durch die Panoramascheiben versnobter Galerien. Ich erzählte davon, dass ich einmal kurz davor war, in diese Stadt zu ziehen, der Liebe wegen, vor vielen Jahren, und wie ich es nicht mal einen Monat dort aushielt, und davon die letzten beiden Wochen kaum noch auf die Straße ging, da dieses Übermaß an Angeboten, an Reizen, an Möglichkeiten mich letztlich in einen Zustand der reinsten Lethargie versetzte, und dass ich damals für mich begriff, am besten wäre ich in einem der Duodezfürstentümer aufgehoben gewesen, mit denen der Wiener Kongress aufgeräumt hat und über die sich E.T.A. Hoffmann so gerne lustig macht: Man kann von einer ihrer Grenzen zur andern mit Leichtigkeit spucken. Jedenfalls bin ich froh, im Auto unserer Mitfahrgelegenheit zu sitzen, und den Lärm, die Hektik, die U-Bahn-Schächte hinter mir zu lassen, und den alten Grenzübergang zu sehen, und dann das Schild Richtung Magdeburg.
Der beste Film, den ich jemals gesehen habe, Zulawskis POSSESSION, spielt ironischerweise in Berlin. Aber das ist ein Berlin, mit dem ich mich arrangieren kann, ein Berlin, wie ich es kennengelernt habe, voller Abgründe in Kreuzbergwohnungen und in malträtierten Seelen, monströs und zerrissen, permanent balancierend auf der Schwelle zur Apokalypse. Ein anderer Film, den ich gestern zufällig gesehen habe, spielt ebenfalls in Berlin. TIGER GIRL des Regisseur-Novizen Jakob Laas zeichnet ein ganz anderes Bild. Ja, auch sein Berlin ist laut, hektisch, wild. Aber Laas findet das cool. Die Attitüde seines Films ist die der Kids, die ich vor zwei Jahren, als ich nach Berlin fuhr, um, wenige Tage vor seinem Tod, Zulawskis letzten Film COSMOS als Deutschlandpremiere zu erleben, in Hohenschönhausen getroffen habe. Unbekümmert laufen sie mit ihrem Ghettoblaster die Straße entlang, werfen leere Bierdosen um sich, schreien herum, ausgelassen, und mit der unbedingten Agenda, zu provozieren, aufzufallen, zu rebellieren, gegen was auch immer.
Wogegen nun eigentlich Tiger, eine der Heldinnen von Laas‘ Film, nun eigentlich rebelliert, wird auch nie ganz klar. Sie lebt in einem Wohnwagen und (wohl illegal) auf einem verranzten Dachboden, und zwar zusammen mit zwei kleinkriminellen Drogendealern, die sich oft und gerne gegenseitig beschuldigen, sich das Zeug wegzurauchen oder wegzuschnupfen, und alles unsympathisch finden, was eine Uniform trägt. Da sind sie bei unserer anderen Heldin, die Tiger auf den Namen Vanilla tauft, genau an der richtigen Stelle. Die hat nämlich gerade ihre Aufnahmeprüfung für die Polizeischule versemmelt, und belegt nun eine Ausbildung zur Security-Fachkraft. Vanilla ist schüchtern, höflich, leise. Das ändert sich, als sie Tiger kennenlernt, die kurzerhand ein Taxi entführt, um Vanilla vor einem One-Night-Stand zu retten, das, ihrer Meinung nach, übel ausgegangen wäre. Vanilla bewundert Tiger, schaut zu ihr auf, adaptiert ihren Rebellen-Gestus. Man läuft in Polizeigarderobe durch Berlin, betrinkt sich, pöbelt herum, zieht Leute ab – aber natürlich nur die, die es auch verdient haben, wie Tiger immer wieder betont. Freilich, Laas ist klug genug, um zu wissen, dass jede Revolution irgendwann ihre Kinder frisst. Was für Robespierre die Guillotine ist, ist für Tiger die Feststellung, dass Vanille auf dem besten Weg ist, ihre Zukunft zu versauen und sie an flegelhaftem Benehmen noch weit zu übertreffen. Konsequenzen gibt es trotzdem nicht. Es ist wie in einem Italo-Western: Der, der es am buntesten treibt, erlebt den Abspann problemlos.
Das war es nun auch schon bezüglich tiefgehender Einsichten. An reiner Handlung passiert in vorliegendem Film nicht viel, und soll es auch nicht. Laas, der offenbar vor einigen Jahren die FOGMA-Bewegung ausgerufen hat – Fuck Dogma ’95, meine Güte! -, ist viel zu sehr damit beschäftigt, seinen Film frisch, modern, hip wirken zu lassen. Viel ist improvisiert, der Schnitt elliptisch, die Kamera leidet an ADHS, während Tiger und Vanilla auf große Zerstörungstour gehen, klauen, prügeln, sich benehmen wie die sprichwörtliche Axt im Walde. Auch POSSESSION, dieser andere Berlin-Film, haut nicht wenig auf den Putz. Nur unterfüttert Zulawski sein Ehedrama mit surrealen Einsprengseln, politischen Implikationen, literarischen Querverweisen, umlagert es mit gleich mehreren Schichten aus Referenzen, an denen man sich, wie ich, selbst nach der vierzigsten Sichtung noch abarbeiten kann, wenn man denn möchte. TIGER GIRL wirkt relativ simpel dagegen, und soll es wohl auch. Für Tiger ist es die Erfüllung, morgens einen Joint auf ihrem Bauwagenplatz zu rauchen, im Supermarkt zu stehlen wie ein Rabe, oder sich über das System aufzuregen. Man muss nicht ANNA KARENINA gelesen haben, um ein erfülltes Leben zu führen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber muss ich ihr neunzig Minuten lang dabei zusehen?
Entlarvend ist, wie sehr Laas sich im Einvernehmen mit seinen Figuren befindet. Er hinterfragt deren Lebensstil nicht, stellt ihnen keine erhellenden Fragen, spiegelt sie nicht in Positionen, die ihnen diametral entgegengesetzt sind. Wäre TIGER GIRL ein Paar Augen, würde es nur in bekiffter Starre in eine bestimmte Zimmerecke blicken, und einfach gut finden, was es sieht: Ein Arrangement aus grellen Plastikstühlen, halluzinogenen Pilzen und einem verschwitzten Che-Guevara-Shirt. Gesellschaftspolitische Subtexte, die das Sujet ja eigentlich regelrecht fordert, fehlen in TIGER GIRL gänzlich. Das ist ein Berlin außerhalb von Zeit und Raum, ohne Armut, denn irgendwie haben unsere Heldinnen dann doch immer die Taschen voll Kohle, ohne familiäre Bindungen, denn die Eltern von Vanilla lernen wir den gesamten Film über nicht kennen, ohne soziale Spannungen, ohne Migrantenkrise, ohne besorgte Bürger, ohne wirkliche Probleme. TIGER GIRL kommt mir deshalb so verlogen vor, weil der Film so sauber ist, wie ich Berlin nie erlebt habe. Es ist eine Kopfgeburt, eine imaginäre Insel, eine Utopie, die, da können die Darsteller – übrigens großartig: Ella Rumpf aus RAW, und Maria Dragus aus DAS WEISSE BAND; ganz zu schweigen von Orce Feldschau, der sich als Drill-Instructor für angehende Security-Kräfte offenbar selbst spielt! - noch so viel improvisieren, die Kamera noch so viel Lokalkolorit einfangen, der Soundtrack noch so viel angesagten Electro auspusten, letztlich nichts an die Realität bindet. Das ist kein Neo-Neorealismus, das ist kein cinéma vérité, das ist keine Diagnose, sondern ein Krankheitsbild. Die Zeit meiner Pubertätsakne scheint wohl endgültig vorüber.
Das deutsche und deutschsprachige Kino wird in den letzten Jahren nicht müde, interessante Filmprojekte zu gebären. Achim Bornhaks NACHTMAHR, Sebastian Schippers VICTORIA, Maren Ades TONI ERDMANN. Jakob Laas' TIGER GIRL gehört für mich definitiv nicht dazu.
Der beste Film, den ich jemals gesehen habe, Zulawskis POSSESSION, spielt ironischerweise in Berlin. Aber das ist ein Berlin, mit dem ich mich arrangieren kann, ein Berlin, wie ich es kennengelernt habe, voller Abgründe in Kreuzbergwohnungen und in malträtierten Seelen, monströs und zerrissen, permanent balancierend auf der Schwelle zur Apokalypse. Ein anderer Film, den ich gestern zufällig gesehen habe, spielt ebenfalls in Berlin. TIGER GIRL des Regisseur-Novizen Jakob Laas zeichnet ein ganz anderes Bild. Ja, auch sein Berlin ist laut, hektisch, wild. Aber Laas findet das cool. Die Attitüde seines Films ist die der Kids, die ich vor zwei Jahren, als ich nach Berlin fuhr, um, wenige Tage vor seinem Tod, Zulawskis letzten Film COSMOS als Deutschlandpremiere zu erleben, in Hohenschönhausen getroffen habe. Unbekümmert laufen sie mit ihrem Ghettoblaster die Straße entlang, werfen leere Bierdosen um sich, schreien herum, ausgelassen, und mit der unbedingten Agenda, zu provozieren, aufzufallen, zu rebellieren, gegen was auch immer.
Wogegen nun eigentlich Tiger, eine der Heldinnen von Laas‘ Film, nun eigentlich rebelliert, wird auch nie ganz klar. Sie lebt in einem Wohnwagen und (wohl illegal) auf einem verranzten Dachboden, und zwar zusammen mit zwei kleinkriminellen Drogendealern, die sich oft und gerne gegenseitig beschuldigen, sich das Zeug wegzurauchen oder wegzuschnupfen, und alles unsympathisch finden, was eine Uniform trägt. Da sind sie bei unserer anderen Heldin, die Tiger auf den Namen Vanilla tauft, genau an der richtigen Stelle. Die hat nämlich gerade ihre Aufnahmeprüfung für die Polizeischule versemmelt, und belegt nun eine Ausbildung zur Security-Fachkraft. Vanilla ist schüchtern, höflich, leise. Das ändert sich, als sie Tiger kennenlernt, die kurzerhand ein Taxi entführt, um Vanilla vor einem One-Night-Stand zu retten, das, ihrer Meinung nach, übel ausgegangen wäre. Vanilla bewundert Tiger, schaut zu ihr auf, adaptiert ihren Rebellen-Gestus. Man läuft in Polizeigarderobe durch Berlin, betrinkt sich, pöbelt herum, zieht Leute ab – aber natürlich nur die, die es auch verdient haben, wie Tiger immer wieder betont. Freilich, Laas ist klug genug, um zu wissen, dass jede Revolution irgendwann ihre Kinder frisst. Was für Robespierre die Guillotine ist, ist für Tiger die Feststellung, dass Vanille auf dem besten Weg ist, ihre Zukunft zu versauen und sie an flegelhaftem Benehmen noch weit zu übertreffen. Konsequenzen gibt es trotzdem nicht. Es ist wie in einem Italo-Western: Der, der es am buntesten treibt, erlebt den Abspann problemlos.
Das war es nun auch schon bezüglich tiefgehender Einsichten. An reiner Handlung passiert in vorliegendem Film nicht viel, und soll es auch nicht. Laas, der offenbar vor einigen Jahren die FOGMA-Bewegung ausgerufen hat – Fuck Dogma ’95, meine Güte! -, ist viel zu sehr damit beschäftigt, seinen Film frisch, modern, hip wirken zu lassen. Viel ist improvisiert, der Schnitt elliptisch, die Kamera leidet an ADHS, während Tiger und Vanilla auf große Zerstörungstour gehen, klauen, prügeln, sich benehmen wie die sprichwörtliche Axt im Walde. Auch POSSESSION, dieser andere Berlin-Film, haut nicht wenig auf den Putz. Nur unterfüttert Zulawski sein Ehedrama mit surrealen Einsprengseln, politischen Implikationen, literarischen Querverweisen, umlagert es mit gleich mehreren Schichten aus Referenzen, an denen man sich, wie ich, selbst nach der vierzigsten Sichtung noch abarbeiten kann, wenn man denn möchte. TIGER GIRL wirkt relativ simpel dagegen, und soll es wohl auch. Für Tiger ist es die Erfüllung, morgens einen Joint auf ihrem Bauwagenplatz zu rauchen, im Supermarkt zu stehlen wie ein Rabe, oder sich über das System aufzuregen. Man muss nicht ANNA KARENINA gelesen haben, um ein erfülltes Leben zu führen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber muss ich ihr neunzig Minuten lang dabei zusehen?
Entlarvend ist, wie sehr Laas sich im Einvernehmen mit seinen Figuren befindet. Er hinterfragt deren Lebensstil nicht, stellt ihnen keine erhellenden Fragen, spiegelt sie nicht in Positionen, die ihnen diametral entgegengesetzt sind. Wäre TIGER GIRL ein Paar Augen, würde es nur in bekiffter Starre in eine bestimmte Zimmerecke blicken, und einfach gut finden, was es sieht: Ein Arrangement aus grellen Plastikstühlen, halluzinogenen Pilzen und einem verschwitzten Che-Guevara-Shirt. Gesellschaftspolitische Subtexte, die das Sujet ja eigentlich regelrecht fordert, fehlen in TIGER GIRL gänzlich. Das ist ein Berlin außerhalb von Zeit und Raum, ohne Armut, denn irgendwie haben unsere Heldinnen dann doch immer die Taschen voll Kohle, ohne familiäre Bindungen, denn die Eltern von Vanilla lernen wir den gesamten Film über nicht kennen, ohne soziale Spannungen, ohne Migrantenkrise, ohne besorgte Bürger, ohne wirkliche Probleme. TIGER GIRL kommt mir deshalb so verlogen vor, weil der Film so sauber ist, wie ich Berlin nie erlebt habe. Es ist eine Kopfgeburt, eine imaginäre Insel, eine Utopie, die, da können die Darsteller – übrigens großartig: Ella Rumpf aus RAW, und Maria Dragus aus DAS WEISSE BAND; ganz zu schweigen von Orce Feldschau, der sich als Drill-Instructor für angehende Security-Kräfte offenbar selbst spielt! - noch so viel improvisieren, die Kamera noch so viel Lokalkolorit einfangen, der Soundtrack noch so viel angesagten Electro auspusten, letztlich nichts an die Realität bindet. Das ist kein Neo-Neorealismus, das ist kein cinéma vérité, das ist keine Diagnose, sondern ein Krankheitsbild. Die Zeit meiner Pubertätsakne scheint wohl endgültig vorüber.
Das deutsche und deutschsprachige Kino wird in den letzten Jahren nicht müde, interessante Filmprojekte zu gebären. Achim Bornhaks NACHTMAHR, Sebastian Schippers VICTORIA, Maren Ades TONI ERDMANN. Jakob Laas' TIGER GIRL gehört für mich definitiv nicht dazu.