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Darsteller(innen): Rami Malek, Lucy Boynton, Gwilym Lee, Ben Hardy, Joseph Mazzello, Aidan Gillen, Tom Hollander, Allen Leech, Mike Myers, Aaron McCusker, Michelle Duncan, Max Bennett u. A.
1970 gründen Freddie Mercury und seine Bandmitglieder Brian May, Roger Taylor und John Deacon in Großbritannien die Band Queen. Der Aufstieg der Musiker ist rasant und schnell produziert die Gruppe einen Hit nach dem anderen. Doch hinter der scheinbar heilen Fassade sieht es nicht so rosig aus: Der aus Tansania stammende Mercury weiß nicht, wie er mit seiner Homosexualität umgehen soll. Innerlich zerrissen verlässt er schließlich die Band und startet eine Solokarriere. Er muss jedoch erkennen, dass es ohne seine einstigen Wegbegleiter nicht geht. Obwohl mittlerweile durch eine Aids-Infektion geschwächt, gelingt es ihm 1985 die Band noch einmal für einen Auftritt beim Live Aid zusammen zu trommeln. Mit ihrem Auftritt im Londoner Wembley-Stadion liefern Queen einen der legendärsten Auftritte der Musikgeschichte ab.
Obwohl es auch während der Dreharbeiten des seit vielen Jahren angekündigten „Bohemian Rhapsody“ noch ordentlich hinter den Kulissen gerappelt haben muss – Regisseur Bryan Singer („Der Musterschüler“) wurde ca. drei Wochen vor Drehende entlassen und durch den nicht in den Credits genannten Dexter Fletcher („Eddie The Eagle“) ersetzt –, wurde der Film ein voller Erfolg, der die Kinoranglisten anführte und vier Oscars einheimste. Das verwundert wenig, denn es handelt sich gar nicht um ein sog. Biopic. Statt das dramatische Leben und Sterben des Queen-Sängers Freddie Mercury aufzuarbeiten, erzählt uns der 2018 endlich veröffentlichte Film ein rührendes Rock’n’Roll-Märchen.
London, 1970: Die Band Smile kann lokale Erfolge für sich verbuchen, doch geht eines Tages Gitarrist Brian May (Gwilym Lee, „Inspector Barnaby“) und Drummer Roger Taylor (Ben Hardy, „Mary Shelley“) der Sänger stiften. Der zurückhaltende, aus Sansibar stammende Farrokh Bulsara (Rami Malek, „Nachts im Museum“) bewirbt sich um den vakanten Posten und bekommt den Job. Mit Bassist John Deacon (Joseph Mazzello, „The Social Network“) steht schließlich das Quartett, das sich fortan Queen nennt, 1973 sein erstes Album veröffentlicht und dem 1975 der kommerzielle Durchbruch mit dem Album „A Night At The Opera“ sowie der sperrigen Single „Bohemian Rhapsody“ gelingt. Bulsara nennt sich längst Freddie Mercury und hat in der Verkäuferin Mary Austin (Lucy Boynton, „I Am the Pretty Thing That Lives in the House“) eine liebe-, verständnisvolle und attraktive Lebensgefährtin gefunden. Doch beide spüren, dass etwas nicht stimmt, und tatsächlich: Freddie entpuppt sich als bisexuell und fühlt sich stärker zu Männern hingezogen. Am Erfolg seiner Band ändern die privaten Unstimmigkeiten nichts, doch der Ruhm verleitet Freddie zu ausschweifenden Exzessen. Nachdem die Band zwischenzeitlich auch aufgrund von Management-Querelen implodiert war und Freddie eine Solo-Karriere anberaumt hatte, raufen sich Queen angesichts Bob Geldofs Benefiz-Festival „Live Aid“ wieder zusammen. Doch kurz vorm Comeback-Auftritt erhält Freddie seine niederschmetternde Diagnose: Er ist HIV-positiv…
„Amerikaner… nach außen Puritaner, daheim Perverse!“
Das „Live Aid“-Konzert bildet die Klammer der Handlung: „Bohemian Rhapsody“ beginnt damit, wie Freddie die Stufen zur Bühne des Londoner Wembley-Stadions erklimmt, man sieht ihn nur von hinten. Exakt dort knüpft das Finale nach einer ausgedehnten Rückblende an, in der die eigentliche Geschichte erzählt wird, beginnend mit einem Live-Auftritt Smiles. Es wird also der Zeitraum 1970-1985 abgedeckt. Dies bedeutet, dass Freddie zunächst noch lange Haare hat und noch keinen Schnurrbart trägt, auch sein Kleidungsstil ist noch ein ganz anderer. Malek hinterlässt einen guten Eindruck in der Rolle, profitiert aber evtl. auch davon, dass der Großteil des Publikums Freddie eher in seinem späteren Look in Erinnerung haben dürfte – und natürlich, dass kaum jemand ihn privat gekannt hat. Malek gibt einen kreativen und lebenslustigen, musikbesessenen Mann mit großer Stimme, aber eher schüchternem, verunsichertem Auftreten im Alltag, mitunter nervös und getrieben, was er mit zunehmendem musikalischem Erfolg bekämpft und so sowohl von der kommerziellen Entwicklung seiner Band profitiert als auch von deren emotionaler Ventilfunktion für aufgestaute Gefühle. So dürfte es nicht wenigen Musikerinnen und Musikern gehen. Diese Szenen sind mit dem nötigen Feingefühl umgesetzt worden und werden, wie über weite Strecken der ganze Film, mit einigem Humor aufgelockert.
„Mensch sein ist ein Zustand, den man gelegentlich nur in Narkose erträgt…“
„Bohemian Rhapsody“ zeigt, wie Queen um den gleichnamigen Song und das Oper-meets-Rock-Konzept des Albums mit der Plattenfirma ringen mussten, und die Management-Querelen muten wie der Klassiker schlechthin an: Menschen, die nicht unbedingt das Wohl der Band und ihrer Mitglieder im Sinn haben, mischen sich ein und spinnen Intrigen, falsche Entscheidungen und falsche Freunde werden getroffen, das Bandgefüge gerät ins Wanken. Doch die Band überwindet Kraft ihrer Musik und ihres Willens alle Probleme und steht am Schluss als strahlender Sieger da. Schön, nur: Ganz so war es dann doch nicht. Dieser Film ist nicht nur chronologisch und dramaturgisch verdichtet, er deutet die Geschichte Queens und Freddie Mercurys auch in relativ hohem Maße um. Dies beginnt bei der Bandgründung – Freddie kannte Smile schon länger persönlich und John Deacon war kein Gründungsmitglied, sondern stieß erst als vierter Bassist hinzu –, setzt sich bei den Songs fort, die teilweise zu den Zeitpunkten, zu denen sie im Film auftauchen, noch gar nicht existierten, und betrifft vor allem auch Freddies private Beziehungen: Mary Austin lernte er erst zu einem späteren Zeitpunkt kennen und seinen späteren Lebensgefährten Jim Hutton (Aaron McCusker, „Final Score“) traf er nicht, als dieser bei einer seiner exzessiven Partys kellnerte, sondern in einem Nachtclub, zudem war Hutton Friseur. Außerdem spielte Freddies Freundin Barbara Valentin anscheinend eine ebenso wichtige Rolle wie Mary Austin in seinem Leben, wird im Film jedoch komplett totgeschwiegen. Hinzu kommt, dass Freddie Queen nie für seine Solo-Karriere verlassen hatte und es demnach auch keine Reunion war, als man die Teilnahme an „Live Aid“ zusagte – vor dem Freddie auch nicht bereits von seiner HIV-Infektion wusste, dies geschah erst – möglicherweise Jahre – später.
Doch auf diese Weise lässt sich nun einmal das perfekte Rock’n’Roll-Märchen erzählen, dem man auch kaum böse sein kann, da es den Geist der Band und des Entertainment-Zirkus Queen adäquat aufzugreifen und zu reinszenieren scheint. Lee, Hardy und Mazzello weisen dank hervorragender Masken- und Make-up-Arbeit tatsächlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Originalmusikern auf und auch Malek kniet sich für seine Mercury-Interpretation voll rein, studierte Mimik, Gestik und Bewegungen für fulminant nachgestellte Live- und Video-Clip-Szenen nahezu perfekt. Lediglich seinen Augen und seinen Blicken sieht man in Nahaufnahmen deutlich an, dass er nicht Mercury ist, auch mit dem Überbiss hat man es etwas übertrieben (Mercury hatte vier Schneidezähne mehr als Normalsterbliche). Die Distanz, die diese Momente dann doch erzeugen, erweist sich aufgrund der Fiktionalität des Stoffs jedoch gewissermaßen als hilfreich. Malek sang übrigens nicht selbst, was vermutlich eine unzumutbare Herausforderung gewesen wäre. Stattdessen kommen gerade im Kino aber die unglaublichen Gesangsleistungen Mercurys voll zur Geltung. Eine audiovisuelle Vollbedienung, deren Höhepunkt das bis ins Detail nachgestellte, rund 20-minütige „Live Aid“-Konzert darstellt – wenngleich bezweifelt werden darf, dass tatsächlich erst zu Queen die Spendenkassen zu klingeln begannen (wie im Film dargestellt).
Freddies Szenen mit Mary besitzen eine angenehme Tiefe, die von tief empfundener Liebe auch ohne Körperlichkeit und Freundschaft zeugen. Sie tragen zur Charakterisierung Mercurys bei, den viele nur als einen der größten Rock-Frontmänner und Rampensau kannten. „Bohemian Rhapsody“ tut gut daran, ihn auch als zerbrechlichen Menschen zu zeigen, ohne ihn vorzuführen oder gänzlich zu entzaubern. Statt sich in Mercurys Exzessen zu suhlen und eindimensional zu werden, gelingt es dem Film immer wieder, das große Ganze zurück ins Blickfeld zu rücken und jegliche Moralisierung zu umschiffen. Die Kameraführung sorgt mit ihrer Dynamik und ihren originellen Perspektiven für weiteren Augenschmaus. Dadurch wird der rund 135 Minuten lange Film tatsächlich nie langweilig, bleibt über die komplette Distanz spannend und entlässt mit dem Abspann ein mitunter zu Tränen gerührtes Publikum, das gerade über zwei Stunden lang mittels erzählerischer Kraft und der Macht des Kinos vorzüglich unterhalten wurde – dem aber auch bewusst sein muss, dass es eine Inszenierung und sehr freie Interpretation der Realität sah. Im Prinzip also so wie Queen auf der Bühne...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)