Harry Brown - Daniel Barber (2009)

Moderator: jogiwan

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horror1966
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Harry Brown - Daniel Barber (2009)

Beitrag von horror1966 »

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Harry Brown
(Harry Brown)
mit Michael Caine, Emily Mortimer, Charlie Creed-Miles, David Bradley, Iain Glen, Sean Harris, Ben Drew, Jack O'Connell, Jamie Downey, Lee Oakes, Joseph Gilgun, Liam Cunningham, Marva Alexander, Forbes KB, Liz Daniels
Regie: Daniel Barber
Drehbuch: Gary Young
Kamera: Martin Ruhe
Musik: Ruth Barrett / Martin Phipps
FSK 16
Großbritannien / 2009

Wer nichts mehr zu verlieren hat und dazu eine Riesenwut im Bauch, kann sehr, sehr gefährlich werden. Harry Brown ist Witwer und sein einziger Freund wird von einer Gang brutal erschlagen. Ihm ist nichts geblieben. Und deshalb räumt er jetzt auf. Statt resigniert sein stilles Rentnerdasein weiter zu führen, packt der ehemalige Royal Marine noch einmal die Knarre aus und lehrt den gewalttätigen Abschaum in seinem Viertel gründlich das Fürchten. Den harten Jungs bleibt das überhebliche Gelächter schnell im Hals stecken, denn Harry weiß noch genau, wie's geht. Ein Mann sieht rot - blutrot!


Ob "Harry Brown" nun wirklich die europäische Antwort auf "Gran Torino" ist kann ich nicht beurteilen, da ich das Werk von Clint Eastwood noch immer nicht gesehen habe. Aber eines ist "Harry Brown" auf jeden Fall, nämlich ein äusserst brillanter Film, in dem Michael Caine eine absolute Paraderolle spielt. Thematisch gesehen bewgt man sich hier auf einer Schiene mit so fantastischen Rache-Thrillern wie "Ein Mann sieht rot" oder "Death Sentence" und dennoch unterscheiden sich diese Filme doch ganz gewaltig in ihrem Stil. Das ist in erster Linie schon in dem Hauptcharakter der vorliegenden Geschichte begründet, denn handelt es sich bei Harry Brown (Michael Caine) keinesfalls um einen harten und eiskalten Rächer, sondern um einen gerade zum Witwer gewordenen alten Mann, der vollkommen zurückgezogen in einem tristen Wohnghetto lebt, das die Trostlosigkeit eines sozialen Brennpunktes perfekt widerspiegelt. Seine einzige Freude sind die täglichen Schachpartien mit seinem einzigen Freund, der ständig von rebellischen Jugendlichen terrorisiert wird. Erst als dieser von den Jugendlichen ermordet wird und die Polizei kaum etwas unternehmen kann, überkommt Harry eine maßlose Wut, die sich letztendlich darin äussert, das er das Recht in die eigenen Hände nimmt, um seinen Freund zu rächen.

Nun ist die Erzählweise des Geschehens eher von der sehr ruhigen und bedächtigen Art, was dem ganzen aber eine ungeheure Intensität verleiht, die man diesem Werk eigentlich auf den ersten Blick überhaupt nicht zutraut. Es gibt keinerlei blinden Aktionismus, vielmehr haben die Macher des Films ihr Hauptaugenmerk auf inhaltliche Stärke und tiefergehende Charakterzeichnungen gelegt. Insbesondere die Darstellung der Jugendlichen kann man als äusserst gelungen bezeichnen, die Sinnlosigkeit ihrer Taten werden ganz ausgezeichnet zum Ausdruck gebracht. So ist es vor allem die Motivation der Täter, die einem hier kalte Schauer über den Rücken jagt, denn eigentlich gibt es gar keine. Es geht einzig und allein um einen perfiden Unterhaltungswert, den die Täter aus ihren Taten ziehen, da ihr Leben ansonsten von einer Tristess geprägt ist, aus der es anscheinend kein Entrinnen gibt. Diese wird insbesondere durch die erstklassigen Schauplätze der Ereignisse extrem gut in den Vordergrund gerückt, die schon eine recht beklemmende Wirkung auf den Betrachter hinterlassen, so das in den meisten passagen ein ausgeprägtes gefühl der Schwermut aufkommen kann.

Die trostlose Grundstimmung des Filmes kriecht einem dabei förmlich unter die Haut und hinterlässt einen äusserst authentischen Eindruck der Geschehnisse, die unglaublich real und glaubwürdig erscheinen, spiegeln sie doch durchaus realistische Geschehnisse dar, wie sie in der heutigen Zeit fast täglich vorkommen. Man wird fast selbst ein Teil der Geschichte, denn könnte sich das Szenario doch jederzeit auch vor der eigenen haustür abspielen, was die intensive Wirkung zusätzlich verstärkt und einen selbst zu einem Teil der Abläufe macht. Zudem gerät man auch in einen emotionalen Zwiespalt, denn weiss man doch ganz genau, das Selbstjustiz keinesfalls der richtige Weg sein kann, um der Gewalt entgegenzuwirken, bringt aber andererseits jede Menge menschliches Verständnis für Harry auf, der das Recht in die eigene Hand nimmt. Letzteres wird insbesondere durch die Hilflosigkeit der Polizei noch zusätzlich verstärkt, die der Täter nicht wirklich habhaft werden kann. Hierfür sind in erster Linie die stattfindenden Verhöre ein Paradebeispiel, in denen die ermittelnden Beamten eine Respektlosigkeit und Eiseskälte der Jugendlichen entgegenschlägt, die einen fast schon sprachlos macht. Von Reue ist dort überhaupt nichts zu spüren, vielmehr müssen sich die Polizisten auf das Übelste beleidigen lassen.

Auch wenn "Harry Brown" ein Film der leiseren Töne ist, entfaltet dieses Werk eine ungeheure Intensität, die sich auch in mehreren wirklich harten Szenen bemerkbar macht, die für eine 16er Freigabe nicht unbedingt selbstverständlich sind. Da dies trotz allem in einer sehr bedächtigen und ruhigen Erzählweise geschieht, ist die ausgehende Wirkung noch stärker und legt sich schon fast wie eine zweite Haut über den Zuschauer, der sich der brutalen Faszination der Ereignisse keinesfalls entziehen kann und so schon fast jede einzelne Einstellung kürperlich miterlebt. Besonders die letzten gut 20 Minuten des Filmes entfalten hierbei eine Intensität, die nur schwerlich zu überbieten ist. Gerät die Situation doch vollkommen ausser Kontrolle, was eine vollkommene Eskalation von Härte und Gewalt zur Folge hat. Hier bekommt man auch gleichzeitig sehr eindrucksvoll vor Augen geführt, mit welcher Kälte die Täter zu Werke gehen und wie wenig ihnen ein anderes Leben wert ist. Stellvertretend dafür stehen die Ereignisse, die sich zum Ende hin in Harry's Stammkneipe abspielen und die die extreme Wirkung dieses Filmes noch einmal ganz besonders hervorhebt.

Abschließend kann man eigentlich nur von einem äusserst guten Gesamtpaket sprechen, das Regisseur Daniel Barber hier in Szene gesetzt hat. Wenn man dann noch bedenkt, das es sich um sein Regie-Debut handelt, ist man noch um ein Vielfaches tiefer beeindruckt und muss diesem Mann seinen tiefsten respekt zollen. Ist es ihm doch gelungen, eine altbewährte Thematik in beeindruckende Bilder umzusetzen, die ihre Wirkung auf den Betrachter zu keiner Zeit verfehlen und ihm dabei immer das Gefühl zu vermitteln, das es sich hier um die ungeschönte und brutale Realität handelt, die auch jeden von uns täglich ereilen könnte. Das es dabei ohne ausufernden Aktionismus gelungen ist, ein so intensives und bedrückendes Filmerlebnis zu kreieren ist eine Leistung, die man meiner Meinung nach gar nicht hoch genug würdigen kann. Ganz sicher ist dies auch zu einem sehr großen teil den erstklassigen Darstellern zu verdanken, unter denen Michael noch einmal ganz besonders hervorsticht, denn seine Darstellung des "Harry Brown" kann man ganz einfach nur als absolut brillant bezeichnen.


Fazit:


"Ein Mann sieht rot" zählt wohl noch immer als größter Klassiker unter den Rachethrillern, jedoch braucht sich auch ein "Harry Brown" keineswegs ehrfurchtsvoll hinter diesem Meisterwerk verstecken. Zwar ist mit Michael Caine kein cooler Charles Bronson-Verschnitt zu erwarten, doch ist es gerade der Charakter eines alternden und vollkommen durchschnittlichen Rentners, der diesem Film seine ungeheuer authentische Ausstrahlung verleiht. Kein extrem cooler Rächer, sondern eine absolute Durchschnittserscheinung steht hier im Mittelpunkt des Geschehens, das dadurch umso glaubwürdiger erscheint und den Zuschauer so zu einem teil seiner Geschichte macht. Mit leisen Tönen und einer eher ruhigen Erzählweise wurde hier eine so starke Intensität geschaffen, das man auch nach dem Ende der Story noch sehr nachhaltig unter deren Eindruck steht.


Die DVD:

Vertrieb: Ascot Elite
Sprache / Ton: Deutsch DTS 5.1, DD 5.1 / Englisch DD 5.1
Untertitel: Deutsch
Bild: 2,35:1 (16:9)
Laufzeit: 98 Minuten
Extras: Deleted Scenes, Interviews, Beim Dreh, Originaltrailer, Trailershow
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Blap
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Re: Harry Brown - Daniel Barber

Beitrag von Blap »

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Harry Brown (Großbritannien 2009, Originaltitel: Harry Brown)

Alter Mann vs. Abschaum

Der Rentner Harry Brown (Michael Caine) führt ein recht trostloses Leben. Er wohnt in einem runtergekommenen Wohnsilo, die Gegend wird von gewalttätigen Jugendlichen drangsaliert, Schlägereien, Drogen und Angst sind dort Alltag. Harrys Ehefrau liegt ohne Bewusstsein im Krankenhaus, immerhin kann er mit seinem Freund Leonard Attwell (David Bradley) im Pub plaudern, nebenbei eine Runde Schach spielen. Mitten in der Nacht wird Harry ins Krankenhaus gerufen, doch bis zu seinem Eintreffen ist die holde Gattin bereits verstorben. Es kommt jedoch noch dicker, denn wenige Tage später wird Leonard von jugendlichen Schlägern ermordet. Kurz zuvor hatte Leonard seinem Freund berichtet, dass er von den Burschen tyrannisiert wird, ständig in Angst und Schrecken lebt. Nun hat Harry die Schnauze gestrichen voll, er besorgt sich Schusswaffen, nimmt das Gesetz in die eigene Hand...

Die Geschichte vom unauffälligen Durchschnittbürger, der dem brutalen Pöbel den Kampf ansagt, ist wahrlich keine neue Errungenschaft. Charles Bronson sah bereits 1974 rot (Death Wish), der Rachereisser erhielt vier Fortsetzungen. Ein Streifen dieser Machart benötigt zwingend einen Hauptdarsteller mit Profil. Keinen Superhelden, aber einen kernigen Charakterkopf. Mit Michael Caine bietet "Harry Brown" gewissermaßen die Idealbesetzung für diesen Part auf. Regisseur Daniel Barber liefert seinen ersten Spielfilm ab, noch ist ihm kein Meisterwerk gelungen, ein beachtliches Debüt ist "Harry Browm" aber zweifellos.

Harry möchte nicht mehr als in Frieden leben, doch der Schmerz über den Verlust naher Menschen, treibt ihn in die Rolle des gnadenlosen Rächers. Wer Schuld am Tod seines Freudes trägt ist klar, nun wird zur Kasse gebeten, die Tage der Abrechnung sind gekommen. Ganz unbedarft geht der gute Harry nicht ans Werk, mehrfach wird der Zuschauer darauf hingewiesen, dass der alte Herr einst ein hochdekorierter Militärschädel war. Caine bringt den Schmerz und Zorn seines Charakters glaubwürdig rüber, die Actionsequenzen wurden geschickt auf ihn zugeschnitten. Positiv fällt die gelungene Atmosphäre des Flicks auf, die Plattenbauten muten extrem scheußlich an, die Jugendlichen sehen entsetzlich aus, bedienen sich einer rohen Umgangssprache. Für mich ist Harrys "Waffenkauf" der Höhepunkt des Films. Er sucht dazu zwei total abgewrackte Kriminelle auf, die Spannung köchelt beständig auf mittlerer Flamme. Man ahnt es, gleich wird es knallen, jeden Moment muss es geradezu zwangsläufig es zur Eskalation kommen. Klar, Harry explodiert in diesem Sumpf aus Drogen und Ekel, die Umsetzung ist den Machern vortrefflich gelungen. Im Finale nehmen die Randale grössere Ausmaße an, im Viertel kommt es zu massiven Kämpfen zwischen Gesetzeshütern und dem Pöbel. Selbst in diesen Momenten wird Caine nicht zur Nebenfigur, obschon er sich nicht mitten ins Getümmel stürzt.

Insgesamt kann man dem Ensemble ein gutes Zeugnis ausstellen. Michael Caine ist der Star, der Dreh- und Angelpunkt der Handlung. David Bradley scheidet früh aus, hinterlässt aber trotzdem einen starken Eindruck. Iain Glen punktet als bornierter Superintendent der Polizei, Charlie Creed-Miles als nicht allzu motivierter Durchschnittsbulle. Liam Cunningham gibt den Wirt des örtlichen Pubs. Die jugendlichen Bösewichte funktionieren gut, fiese Fratzen wohin man schaut. Lediglich die Darbietung von Emily Mortimer ist als Schwachpunkt auszumachen. Schade, denn sie spielt als Detective Sergeant die wichtigste Nebenrolle. Mortimer schaut in jeder Szene aus der Wäsche, als würde sie gleich losheulen, selbst wenn es unpassend erscheint. Vermutlich soll dies ihre Überforderung klarmachen, stellvertretend für die hilflose Polizei stehen. Die Rechnung geht nicht auf, denn Mortimer wirkt wie eine sexuell frustrierte Sozialarbeiterin, der man die Batterien aus dem Vibrator gestohlen hat. Was solls, diesen Ausfall kann die ansonsten starke Mannschaft kompensieren, der Gesamteindruck leidet nicht zu sehr darunter.

"Harry Brown" ist kein Film mit Tiefgang, kein feingeistiges Häppchen für zarte Gemüter. Das Werk spricht die niederen Instinkte an. Auge um Auge, Zahn um Zahn! Rache ist Blutwurst! Wer sich in der unglücklichen Lage befindet, in einer trostlosen Gegend wie Harry zu leben, wird eventuell (ich kann nur mutmaßen) ähnliche Gedanken hegen. Wie ich es jeden Tage aufs Neue geniesse, beschaulich und ruhig auf dem Lande zu leben. Die Knochensäge bleibt Staubsaugervertretern vorbehalten, das schont meine Nerven und spart Reinigungsmittel. Herr Caine hat es noch immer drauf, auf weitere Streifen von Regisseur Daniel Barber darf man gespannt sein.

Die Blu-ray aus dem Hause Ascot Elite bringt "Harry Brown" sehr gut rüber. Hier wird (glücklichweise) kein glattes Bonbonbild für Pixelzähler geboten, sondern die räudige Optik kann sich ohne störende Nebenwirkungen entfalten. Obendrauf gibt es eine Dosis Bonusmaterial, die Scheibe ist inzwischen zu moderaten Preisen erhältlich. Wer Lust auf einen alten Mann in Wut hat, der sollte diese solide Scheibe seiner Sammlung zuführen.

7/10 (gut)

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purgatorio
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Re: Harry Brown - Daniel Barber

Beitrag von purgatorio »

die FSK-16-Fassung ist uncut, oder? Nach so vielen guten Reviews (also diverse Magazine jetzt mal inbegriffen) kann man ja mal einen Blindkauf wagen :D
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
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horror1966
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Re: Harry Brown - Daniel Barber

Beitrag von horror1966 »

purgatorio hat geschrieben:die FSK-16-Fassung ist uncut, oder? Nach so vielen guten Reviews (also diverse Magazine jetzt mal inbegriffen) kann man ja mal einen Blindkauf wagen :D

Ja, die DVD ist definitiv ungeschnitten, kannst du beruhigt zugreifen.
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untot
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Re: Harry Brown - Daniel Barber

Beitrag von untot »

Ich fand "Harry Brown" auch stark, hart und kompromisslos, ein Film den man nicht so schnell wieder vergisst!

8/10
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purgatorio
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Re: Harry Brown - Daniel Barber

Beitrag von purgatorio »

So, Blindkauf und Erstsichtung abgeschlossen. Fazit: Starker Film! Viel mehr kann ich aber noch nicht sagen, da muss erst eine Zweitsichtung ran :D Aber was mir sehr erwähnenswert erscheint: Jack O'Connell, der Eden Lake den unbarmherzigen Anführer der Jugendgruppe spielte, bekommt bei Harry Brwon endlich sein Fett weg. Das stimmte mich sehr glücklich :thup: Lediglich die implizierte Botschaft wollte mir nicht recht gefallen. "Dank der Hilfe von Bürgern (...)" - Wie? Pro Selbstjustiz? Zivilcourage dürfte nämlich nicht ganz so weit gehen :?
Insgesamt stehe ich derzeit zwischen 6 und 7 Punkten und freue mich auf Runde zwei mit dem taffen Rentner.
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Onkel Joe
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Re: Harry Brown - Daniel Barber

Beitrag von Onkel Joe »

Gestern Nachmittag gesichtet und der Film ist große klasse! Klar er läuft nach Schema F ab aber das ganze ist so gut in Szene gesetzt und Caine spielt hier wirklich großartig. Ganz klares MUST SEE!!
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!
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Maulwurf
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Re: Harry Brown - Daniel Barber (2009)

Beitrag von Maulwurf »

 
Harry Brown
Harry Brown
Großbritannien 2009
Regie: Daniel Barber
Michael Caine, Emily Mortimer, Iain Glen, Jack O'Connell, Liam Cunningham, Amy Steel, Ben Drew, David Bradley, Raza Jaffrey, Joseph Gilgun, Charlie Creed-Miles, Chris Wilson, Sean Harris, Klariza Clayton, Forbes KB, Lee Oakes, Claire Hackett


Harry Brown.jpg
Harry Brown.jpg (40.42 KiB) 189 mal betrachtet
OFDB

Harry wohnt in einer üblen Gegend am Rande einer großen Stadt, irgendwo dort, wo der Himmel immer nur grau ist und wo der Verkehr auf der Schnellstraße neben dem Wohnblock niemals abreißt. Wenn Harry seine kranke Frau im Hospital besuchen will müsste er durch eine Fußgängerunterführung unter der Schnellstraße. Aber diese Unterführung ist fest in der Hand einer Gruppe von Jugendlichen, die jeden terrorisieren der da durch möchte. Schläge und Tritte sind das mindeste für die Passanten, weswegen Harry immer einen Umweg macht. Es kommt die Nacht in der das Krankenhaus anruft, dass seine Frau im Sterben liegt, und weil Harry diesen Umweg machen muss, ist sie bereits tot als er eintrifft. Ein paar Tage später kommt sein bester Freund, der schon länger von den Jugendlichen drangsaliert wurde, zu Tode – Sein Körper wird zerschlagen und mit Messereinstichen in der Unterführung gefunden.
Harry hat die Schnauze voll und will etwas gegen die Bande unternehmen. Harry besorgt sich eine Waffe und nimmt das Gesetz in die eigene Hand. Harry ist über 70 Jahre alt …

Ein geriatrischer Actionfilm? Michael Caine zeigt uns hier, wie würdevolles Altern wirklich aussieht. Kein Liam Neeson, dem man sein Alter nicht ansieht, und auch kein Sylvester Stallone, dem man seine kräfteraubenden Heldentaten nicht wirklich abkauft. Stattdessen ein alter Mann, Probleme mit der Lunge und verdammt einsam, der sich eine Waffe nimmt (tatsächlich nimmt er sich die gesamte Artillerie die so auf dem Tisch rumliegt, aber das ist eine andere Geschichte) und das macht, was er vor x Jahren in Nordirland als Soldat einer Eliteeinheit auch schon gemacht hat: Schmerzen zufügen, Schmerzen ertragen, Fallen stellen, töten. Dass das alles nicht mehr so schnell geht wie früher ist klar, und diese altersbedingte Langsamkeit prägt den Film und seine Erzählung. Sie gibt genau das richtige Tempo vor für diese bittere und irgendwie einigermaßen realistische Geschichte über einen früheren Soldaten, der die Ungerechtigkeit da draußen einfach nicht mehr erträgt, weil sie ihn in seinem eigenen Leben fesselt und ihm seine Existenz unerträglich macht.

Da ist die alleinerziehende junge Mutter, die von einem vorbeifahrenden Moped aus erschossen wird. Einfach so. Weil sie gerade dort mit ihrem Kinderwagen steht. Da ist der Mann dessen Auto demoliert wird, und als er sein Eigentum verteidigen will in Sekundenschnelle zu blutigem Brei getreten wird. Diese Art Ungerechtigkeit meine ich, und die kennt jeder von uns, gleich welches Alter und welchen sozialen Status man hat. Und es ist diese Ohnmacht, die schon einen Paul Kersey angetrieben hat, und die auch Harry Brown die nötige Energie gibt. „Du solltest zur Polizei gehen. Weißt Du was, das machen wir jetzt.“ „Ich war schon längst bei der Polizei…“, und die Augen sind weit aufgerissen und drücken Hilflosigkeit und tiefsitzende Qualen aus. Angst. Das Gefühl der Ohnmacht …

Die Kernaussage fällt aber, wenn Harry vorgehalten wird, dass er die gerade stattfindenden Aufstände, die Molotow-Cocktails, die brennenden Autos und die Schüsse, den Hass und das Blut, den erbitterten Kampf gegen die zurückweichenden Polizisten, dass er das alles bereits kennt: „Das ist nicht Nordirland, Harry.“ „Nein, ist es nicht. Diese Menschen dort, die haben für etwas gekämpft. Für eine Sache. Für die da draußen ist es nur unterhaltsam.“

Wenn man HARRY BROWN nach der Sichtung an sich vorbeiziehen lässt, dann fehlen einem irgendwie die Worte. Die Worte, diese Welt da draußen adäquat zu beschreiben. Den Nihilismus und die Zerstörungswut, denen man so hilflos gegenübersteht. Genauso wenig wie die daraus resultierenden Gefühle beschrieben werden können. Ohnmacht. Und immer wieder diese Angst. HARRY BROWN gibt dem normalen Menschen eine Stimme, und auch wenn diese Stimme die einer 38er Smith & Wesson ist, so scheint es doch nicht der selbstjustizielle Weg eines Paul Kersey zu sein den Harry Brown da geht, sondern „nur“ der Befreiungsschlag eines gequälten Menschen. Wo da der Unterschied liegt? Eine schwierige Frage - Vielleicht im Alter des Protagonisten? Oder doch nur im Empfinden des Rezensenten?

HARRY BROWN ist gelungenes Actionkino für Fortgeschrittene. Vor allem für diejenigen fortgeschrittenen Alters …

7/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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Blap
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Re: Harry Brown - Daniel Barber (2009)

Beitrag von Blap »

Leider hat Daniel Barber danach nur noch "The Keeping Room - Bis zur letzten Kugel" inszeniert. Immerhin ein recht gut bewerteter Streifen, muss noch ins Haus.
Das Blap™ behandelt Filme wie Frauen
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