Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

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Moderator: jogiwan

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jogiwan
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Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

Beitrag von jogiwan »

Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

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Ein paar Tage dauert das Jahr ja noch, aber macht es hier schon mal Gedanken, was einen Platz in den Jahrescharts verdient und was nicht... Persönliche Highlight, subjektive Lowlights, hübsche Entdeckungen, Wiederaufführungen, Retrospektiven, etc - nur her damit! :prost:
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jogiwan
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Re: Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

Beitrag von jogiwan »

Wieder ist ein Jahr vorbei, in dem ich viele tolle und sehr unterschiedliche Filme geguckt habe. Nachstehende Eindrücke sind die subjektiven und gesammelten Ergebnisse aus meinem Filmtagebuch und müssen daher nicht zwangsläufig mit den Veröffentlichungskalender des heurigen Jahres übereinstimmen. So fehlt z.B. der krautgefundete „Blutiger Freitag“, den ich noch nicht geguckt habe und auch andere empfehlenswerte VÖ des heurigen Jahres, die ich mir für 2018 aufhebe. Nachfolgende Filme und Retrospektiven haben mich besonders beeindruckt oder sind aus dem ein- oder anderen Grund nachhaltig auf positive oder auch negative Weise im Gedächtnis geblieben. Die schönste Entdeckung waren dabei wohl auch die Filme von Michael Mann, den ich bislang ja nicht im Fokus hatte.

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Großartige Regisseure in großartigen Retrospektiven: Paul Verhoeven, Jörg Buttgereit, Taika Waititi und Shin'ya Tsukamoto.

Paul Verhoevens Frühwerke, Jörg Buttgereits tabubrechender Indie-Horror, das körperbetonte Kino der Extreme von Herrn Tsukamoto und der absolut wunderbare Kiwi-Humor von Taika Waititi haben mir dieses Jahr sehr viele schöne Stunden beschert. Einzelne Filme hervorzuheben wäre da wohl unfair, aber muss ich wohl im Falle von Verhoevens „Türkische Früchte“ oder „Der Soldat von Oranien“ sein, sowie "Wo die wilden Menschen jagen" die mir ausnehmend gut gefallen haben.

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Schönstes Kino-Erlebnis 2017:

Deliria över München – vier Filme, davon zwei Erstsichtungen und zwei Lieblingsfilme. Tolles Kino, tolle Menschen, Traumwetter – was will man mehr. Perfektes Wochenende

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Schöne Filme neu:

Der unsichtbare Gast – spanischer Thriller mit doppelten bis dreifachen Boden
Sieben Minuten nach Mitternacht – hochemotionales Fantasy-Drama
Green Room – hochfunktionales, brutales Spannungskino
Das brandneue Testament – lustig, böse und vor allem sehr originell
We are the Flesh – Blut, Schweiß & Sperma
Once – Wohlfühl-Film mit großartigen Songs
Sing Street – Wohlfühl-Film mit großartigen Songs, Retro-Feeling und höherem Budget
Mein Leben als Zucchini - Stop-Motion für Herz & Seele
Die Nacht der Sonnenblumen – hübsch verschachtelter Thriller

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Schöne Filme alt:

Threads – der Mensch und die Atombombe… keine gute Mischung!
Fango Bollente – Schauen, staunen und ab durch die Decke mit den italienischen Wutbürgern!
Schloss der blutigen Begierden – German Grusel deluxe
Manhunter – hypnotischer Hochglanz-Thriller
Thief – hypnotischer Hochglanz-Heist-Thriller
West Side Story – Musik, Tanz, Soap – klotzen statt kleckern und Musikfilm-Donnerstag at it’s best
Diva – Oui, Cherie! Aber sowas von!
Das Todesspiel 1 & 2 – Packende Geschichtsstunde im Doppelpack
Moebius - argentinischen Zeitschleifen-Mystery und Gehirnakrobatik

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Schönste Wiederentdeckungen des Jahres:

Der Dämon der Insel – französischer Grusler, den ich knapp 30 Jahre gesucht habe
Dust Devil – staubiger Horror mit existenziellem Westerneinschlag – warum mag ich den eigentlich?
Ghost Stories for Christmas – BBC-Gruselserie – auf angenehmste Weise angestaubt

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Guilty Pleasures:

Fortress – wunderbar krachiges Sci-Fi-Actionkino mit Botschaft
All Night Long 2 – von all den WTF-Asia-Sickos, die ich dieses Jahr geguckt hab, ist der wohl der Wildeste
Drei Engel auf der Todesinsel – wunderbar krachiges Sci-Fi-Actionkino ohne Botschaft
Terror in Tiny Town – Zwerge, Ponys, Western – nuff said!

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Abteilung: mehr erwartet

Greasy Strangler – zwangsoriginell und arg bemüht.
31 – Rob Zombie macht einen Rob Zombie-Film… aus den Neunzigern. Fuck!
Split – Persönlichkeitsspaltung aus der „Darfs ein bissl mehr sein?“-Ecke
El Bar – der ideale und konstruierte Film für schadenfreudige Menschen und den „Gefällt Mir“-Mob

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Doof:

Kinskis Paganini – lieber Klaus, ein Satz mit X…
I Can See You – Diskont-Lynch für das Hipster-Publikum
Who is Watching – Auge des Todes – der Preis für das schlechteste Drehbuch geht an….
Twilight – Schmalz, Vampire und erzkonservatives Gedankengut
Terror on Tour – Musikfilm und Slasher, dessen Verbindung wohl in der Hölle geschlossen wurde
Evil Ed – cineastisches Fan-Zugeständnis mit einem Humor, den ich nicht mochte
Buckaroo Banzai – unsympathisches Sci-Fi-Deaster

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Ärgerlich bis unguckbar

Hate Crime – ein beschissener Found-Footage-Film, den die Welt nicht braucht.
Tonight She Comes – ekelhaft dummdreist zusammengeklaubtes Gorebauern-Futter
Pinocchio 964 – anstrengendes und ärgerliches Tetsuo-Imitat
Zombies at Christmas – Diskont-Zombies mit Proll-Humor
Curse of the Sixty-Niner - Billig-Slasher-Ärgernis – inhaltlich auf Amateur-Niveau
Damned Forest - siehe "Curse" - nur noch schlimmer!
Beast of the Southern Wild - Elends-Porno im Arthouse Gewand
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Arkadin
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Re: Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

Beitrag von Arkadin »

Alles zusammengenommen, war 2017 ein recht durchschnittliches Jahr ohne besondere Höhepunkte. Was keine so schlechte Meldung ist, denn besondere Tiefpunkte, wie ganz besonders in 2015 und teilweise auch in 2016, blieben erfreulicherweise aus.

Meine (filmischen) Highlights waren auch in diesem Jahr wieder das Filmfest in Oldenburg, welches ich diesmal erstmals drei Tage lang besuchte und das mich mit einer gut bis sehr gut kuratierten Filmauswahl beglückte, und das unglaublich tolle Deliria-Italiano-Forentreffen in München, wo die Bande liebgewonnener Gesichter das legendäre Werkstattkino heimsuchte. Ich finde es noch immer unglaublich, wieviel Euphorie und familiäre Herzlichkeit bei diesen Treffen herrscht, obwohl doch so viele unterschiedliche Menschen da zusammenkommen, die sonst – bis auf die gemeinsame Filmleidenschaft – kaum oder keine Verbindungen haben. Doch für drei Tage fühlt man sich trotzdem unter Freunden und vermisst diese dann auch ganz schrecklich, wenn es wieder gen Heimat geht. Mit „regulären“ Kinobesuchen jenseits dieser Events und unserer eigenen Reihe sah es allerdings noch finsterer aus als im Vorjahr. Gerade einmal habe ich es einfach mal so ins Kino geschafft.

Besonders freue ich mich über mein Booklet für „Die toten Augen des Dr. Dracula“. Da hätte sich gerne noch mehr draus entwickeln können, tat es dann aber leider nicht.

Mit einer Enttäuschung begann das Jahr auch für unsere Kinoreihe Weird Xperience, als die etage3 uns bitter enttäuschte und einige tolle Events, die wir mit viel Herzblut geplant hatten, teilweise dramatisch torpediert wurden. Immerhin waren wir im Mai noch in der Schwankhalle zu Gast, wo wir ein kleiner Teile des wunderbaren A.r.G.da.Na.ni.-Projekts des Filmemachers und Künstlers Jan van Hassel sein durften. Und im Juni gab es wieder zwei Termine bei unserem sehr netten und sympathischen Gastgeber Olli vom Open-Air-Kino am Schlachthof. Leider spielte dieses Jahr erstmals das Wetter so gar nicht mit, was nicht nur zu einigen kurzfristigen Verschiebungen, sondern dadurch bedingt auch relativ wenige Zuschauer führt. Spaß gemacht hat es aber trotzdem wieder, auch weil wir dort immer so nett aufgenommen werden. Nach diesem turbulenten Jahresbeginn, haben wir seit September eine neue Heimat im ältesten Programmkino Deutschlands, dem Cinema im Ostertor gefunden. Endlich zurück in einem richtigen Kino! Aber auch mit dem Druck, eine vernünftige Anzahl Zuschauer zu liefern. Was uns leider nicht wirklich gelang.

Schön war es, dass ich im Juni endlich mal einige Kollegen aus der 35-Millimeter-Redaktion kennenlernen konnte. Auch die Kinobesuche in Hamburg zu „Monster machen mobil“ und ganz besonders „Hard-Boiled“ habe ich sehr genossen.

Mein genereller Filmkonsum ist auch wieder deutlich runtergegangen. Zwar nicht auf die 132 Filme aus 2014, aber 141 ist sicherlich die zweitniedrigste Wert seit 35 Jahren. Was aber auch dran lag, dass ich die Zeit anderweitig genutzt habe, um Anfang des Jahres noch einmal die ersten beiden Staffeln von „Twin Peaks“ zu schauen und dann die phantastische dritte Staffel zu sehen, welche es locker auf Platz 1 meiner Top10-Liste schaffen würde – wäre es ein Film und nicht (nominell) eine TV-Serie. Vielleicht das Beste, was ich je in diesem Format gesehen habe. Da ich jetzt Prime habe, habe ich auch „American Gods“ geguckt (fand ich ganz gut) und noch so ein bisschen hier und dort. Und die alten „Der Fahnder“-Folgen habe ich auch immer wieder gerne mal reingeworfen. Da ich in der Zeit nicht gleichzeitig Filme gucken konnte, ist es also kein Wunder, dass der Konsum nach unten zeigt.

Grundsätzlich müsste ich 2018 echt mal etwas kürzer treten, denn ab und zu war aufgrund der vielen (Hobby)Verpflichtungen in Kombi mit Familie und Job ziemlich Land unter. Tatsächlich sehen die Pläne für 2018 aber eher mehr als weniger vor. Mal gucken, wie sich das alles entwickelt und wo ich mich dann eventuell einschränken muss.

Meine Liste mit aktuellen Filmen ist extrem kläglich. Meine zusammengefassten Top 10 (wie in den Vorjahren brauche ich schon zwei Jahre, um auf etwas Masse zu komme) spiegelt schon fast alle Filme wider, die ich aus dem entsprechenden Zeitraum gesehen habe. Spannender waren da schon die „Klassiker“, welche ich 2017 zum ersten Mal sah. Hier fiel es mir extrem schwer, mich auf nur 10 zu beschränken. Auf Platz 10 hätten ebenso gut auch „Laurin“ von Robert Sigl, „Perfect Blue“ von Satoshi Kon, „Island of Lost Souls“ von Erle C. Kenton oder „Endstation Schafott“ von José Giovanni stehen können. Auf eine „Worst-of“-Tabelle verzichtete ich wieder, wegen des schlechten Karmas.

Top 10 aktuelle Filme (Produktionsjahr 2016/2017)

1. The Neon Demon (Nicolas Winding Refn, 2016)
2. Outrage Coda (Takeshi Kitano, 2017)
3. Fashionista (Simon Rumley, 2017)
4. Spit’n’Split (Jérôme Vandewattyne, 2017)
5. The Eyes of My Mother (Nicolas Pesce, 2016)
6. In the Flesh (Kong Pahurak, 2017)
7. Star Wars: The Last Jedi (Rian Johnson, 2017)
8. Rouge One (Gareth Edwards, 2016)
9. The Beatles: Eight Days a Week – The Touring Years (Ron Howard, 2016)
10. Midnighters (Julius Ramsay, 2017)

Top 10 ältere Filme (nur Erstsichtungen)

1. Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger (Elio Petri, 1970)
2. Marketa Lazarová (Frantisek Vlácil, 1967) – meine Besprechung
3. Under the Skin (Jonathan Glazer, 2013)
4. The VVitch: A New-England Folktale (Robert Eggers, 2015)
5. Sennentuntschi (Michael Steiner, 2010)
6. San Babila, 20 Uhr: Ein sinnloses Verbrechen (Carlo Lizzani, 1976)
7. Mörderland (Alberto Rodríguez, 2014)
8. Mädchen mit Gewalt (Roger Fritz, 1970)
9. Geständnisse (Tetsuya Nakashima, 2010)
10. Alice (Jan Svankmajer, 1988)
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buxtebrawler
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Re: Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

Beitrag von buxtebrawler »

Danke für eure aufschlussreichen Jahresrückblicke bis jetzt!

Ich würde auch gern wieder einen erstellen, werde es - wenn überhaupt - aber erst am ersten Januar-Wochenende schaffen...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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karlAbundzu
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Re: Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

Beitrag von karlAbundzu »

super und danke für die rückblicke, ich geh da auch demnächst ran
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Salvatore Baccaro
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Re: Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Zu meinen ergreifendsten Film-Erlebnissen dieses Jahr kann ich folgendes zusammenfassen:

Ein Höhepunkt war natürlich, wie für die meisten anderen hier Mitlesenden auch, das Forentreffen in der SUSPIRIA-Stadt, und dort besonders die Sichtung BUIO OMEGAs als 35mm-Kopie, sowie den darauffolgenden kulinarischen Genusses eines Veganen Gulasch im benachbarten Wirtshaus, bei dem ich nicht nur andauernd den Bux vor Augen hatte, der dasselbe Gericht goutierte, sondern vor allem Franca Stoppis, wie sie ebenfalls dasselbe Gericht in D’Amatos schauerromantischem Melodram in sich hineinschaufelt – und dann mehrmals wiederkäut. Pfui Teufel!

Ein wahrer Rausch war für mich das „Cinema Ritrovato“ in Bologna, wo ich mir innerhalb einer Woche knapp vierzig Filme anschaute. Morgens klingelt der Wecker um sieben Uhr, während meine Begleiter und Begleiterinnen noch selig schlummerten, damit ich die Frühvorstellungen nicht versäume, und gegen Mitternacht sinke ich ebenfalls selig nach der Verköstigung von nach Wasser schmeckendem italienischen Bier (Peroni) in die Federn, und dazwischen lernt man Filmfreaks aus aller Welt kennen, gibt sich als Filmjournalist aus, um ein reichhaltiges Bankett mitgenießen zu dürfen, und schaut solchen illustren Persönlichkeiten wie Dario Argento oder Romano Scavolini fest ins Auge, während sie restaurierte Fassungen ihrer Meisterwerke präsentieren. Besonders überrascht hat mich, dass in Bologna gewissermaßen meine Liebe für klassische Melodramen geweckt wurde – ein Genre, das ich vor wenigen Jahren wohl freiwillig nicht mal mit der Kneifzange angefasst hätte. Gerade die Filmschiene, die sich mit mexikanischem Kino der 30er, 40er und 50er befasste, hat da viel dazu beigetragen (der sehr stark vom deutschen Stummfilmexpressionismus beeinflusste DOS MONJES wäre so ein Werk, von dem ich immer noch zehre), sowie ein früher Film von Max Ophüls, den ich allerdings nicht mal besonders mochte (DIVINE), der aber dazu führte, dass ich mir, zurück in Deutschland, eine nahezu vollständige Ophüls-Retrospektive auf DVD gönnte, die mich regelrecht mit den Sentimentalitäten Hollywoods versöhnte, vor denen mir bislang stets grauste – (vielleicht liegt das aber auch an Ophüls‘ exzessivem Faible für die Donaumonarchie um die Jahrhundertwende, mit dem ich mich ansatzweise identifizieren kann.) Weniger überraschend – und wohl der Höhepunkt des Festivals – war, dass ich mich Hals über Kopf in die bizarren Visionen des iranischen Regisseurs Samuel Kachikian verliebte, der in den 60ern und 70ern wohl als so etwas wie der Hitchcock seines Heimatlandes galt, und von dem ich ganze fünf Filme genießen durfte (drei davon mehrmals, was übrigens niemand aus meiner Entourage nachvollziehen konnte: Du hast echt Nerven aus Stahl!), die dermaßen zwischen hanebüchenem Trash, purem Surrealismus und völlig verkitschtem Melodrama changieren, dass ich es immer noch nicht in Worte fassen kann. (Diese wahlweise debilen oder hypersensitiven Soundeffekte verfolgen mich immer noch im Schlaf. Wann erscheint endlich eine Kachikian-Edition? Im Moment ist kaum etwas von dem Genius überhaupt zugänglich.)

Ebenfalls interessant: Meine Veranstaltung in der Kölner Traumathek zu Walerian Borwoczyks erotischer Objekt-Kunst in LA BÊTE und CONTES IMMORAUX mit exakt einem zahlenden Gast, sowie ein Vortrag über die Phänomenologie von Flugzeugen und Flugreisen im italienischen Mondo-Kino an meiner Heimatuniversität, bei der einige Gäste die Flucht ergriffen, weil ihnen spätestens die Szenen aus Bitto Albertinis Hintergassen-Stückwerk NUDO E CRUDELE zu viel des Schlechten waren. Schöner auf jeden Fall: Giulio Questis ARCANA auf der großen Leinwand während des Terza Visione in Frankfurt, der mich dazu bewegte, mich noch einmal in das freilich überschaubare Oeuvre dieses Ausnahme-Regisseurs hineinzuarbeiten. Seine digitalen Heimvideos aus den 2000er Jahren dürften wohl zum Spektakulärsten gehören, was ich dieses Jahr überhaupt zu Gesicht bekommen habe – gerade weil sie so völlig unspektakulär sind. Am launigsten wiederum war vielleicht eine Freilicht-veranstaltung mit Godzilla, King Kong und Konga (wer auch immer das sein soll?) sowie David Hasselhoff, Marjoe Gortner, Caroline Munro und natürlich den Jungs von Weird Xperience in Bremen, und zwei Retrospektiven von zwei „Urgesteinen“ des deutschen Experimentalfilms – Wilhelm Hein und Lutz Mommartz -, die beide unterhaltsam-nostalgische, teilweise aber arg anachronistische Anekdoten, Thesen und Theorien aus der Hochzeit der Ruhrpott-Avantgarde zum Besten gaben. Nicht die eigentlichen Filmen – mehrheitlich affirmative Dokumentationen, bspw. über Asta Nielsen -, aber das Ambiente hat mich faszi-niert bei einem „Kino“ auf einer Ostsee-Insel – eigentlich eher ein provisorisches Zelt mit Leinwand –, über das der Sturmwind in einer Weise hinwegfegte, dass ich mir als Vorstellungsobjekt irgendwas Schauriges aus den 30ern gewünscht hätte. Entlohnt wurde ich immerhin mit einer Verfilmung des Gerhart-Hauptmann-Romans ATLANTIS aus den 20ern – allerdings blieb die See an diesem Abend zahm wie ein Lämmchen. Weniger zahm, sondern aufpeitschend: Ein Kinoprogramm in Braunschweig zum Hundertjährigsten der Oktoberrevolution. Dziga Vertovs Proto-Mondo EIN SECHSTEL DER ERDE mit Live-Musik einer belgischen Postrock-Kombo ließ mich dem agitatorischen Montage-Geschick dieses Regie-Gotts noch mehr verfallen.

Philippe Garrel ist übrigens nach wie vor einer der Regisseure, die mich am meisten beeindrucken, und L’ENFANCT SECRET einer seiner besten Filme. POSSESSION bleibt mein liebster Film überhaupt, und – nach etwa fünfzig Sichtungen bisher; knapp vor NOSFERATU, der es nur auf fünfundvierzig geschafft hat -, der bislang am häufigsten von mir gesehene Film. Am Ende des Jahres haben mich noch einmal Lucie Hadzihalilovic und Gaspar Noe daran erinnert, was es war, das mich beide vor knapp zehn Jahren so sehr ins Herz schließen ließ. Borowczyk bleibt freilich – siehe oben – immer noch ein Dauerbrenner, und THE VVITCH der vielleicht beste moderne Horrorfilm, der mir dieses Jahr untergekommen ist. Den Rest kann man nachlesen, da ich versucht habe, zu beinahe jedem Film, der mich über die Maßen positiv oder negativ beeindruckt hat, hier ein paar Zeilen zu tippen - weswegen es zu Wiederholungen führen würde, noch einmal vom nonchalanten Genius Shane Carruths zu schwärmen, oder von den speziellen Fetischen eines Lucifer Valentine, oder davon, dass die Berliner Schule in Gestalt von Angela Shanelec und ich wohl niemals richtig gute Freunde werden, dass ich mit Nicoelle Krebitz und einem Rudel Wölfe aber durchaus einmal eine Kneipentour durch Berlin machen würde, oder dass Raffaele Andreassi und Mario Siciliano offenbar zu den verkanntesten Regisseuren des italienischen Kinos gehören, oder dass sich Alberto Gouts AVENTURERA und Metin Erksans SUSUZ YAZ einfach jeder anaschauen sollte, der überhaupt irgendwas für Erzählungen in Bewegtbildern übrighat, oder dass ich gespannt bin auf das, was Emiliano Rocha Minter in seinen jungen Jahren noch alles für markerschütternde Visionen realisieren wird, oder dass die Bulldogge Ludwig in DAS GO-GO-GIRL VOM BLOW-UP an Putzigkeit wohl kaum zu überbieten sein dürfte, oder dass Almodóvars HABLA CON ELLE einfach nur schön ist, oder was auch immer...
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jogiwan
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Re: Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

Beitrag von jogiwan »

@ salvschi: was würde ich nur dafür geben, wenn ich behaupten könnte, dass ich dieser einzige, zahlende Gast bei der Walerian Borwoczyks-Sause in der Kölner Traumathek gewesen bin. Aber so darf sich nun unglücklicherweise eine andere Person mit diesem Privileg brüsten und weiter durchs Leben gehen.
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Re: Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

Beitrag von buxtebrawler »

Salvatore Baccaro hat geschrieben:
nach etwa fünfzig Sichtungen bisher; knapp vor NOSFERATU, der es nur auf fünfundvierzig geschafft hat
:shock:

Und ich dachte schon, es sei bereits viel, einen Film sieben- oder achtmal zu sehen...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Salvatore Baccaro
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Re: Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

Beitrag von Salvatore Baccaro »

jogiwan hat geschrieben:@ salvschi: was würde ich nur dafür geben, wenn ich behaupten könnte, dass ich dieser einzige, zahlende Gast bei der Walerian Borwoczyks-Sause in der Kölner Traumathek gewesen bin. Aber so darf sich nun unglücklicherweise eine andere Person mit diesem Privileg brüsten und weiter durchs Leben gehen.
:knutsch:
buxtebrawler hat geschrieben::shock:

Und ich dachte schon, es sei bereits viel, einen Film sieben- oder achtmal zu sehen...
Sag bloß nicht, Du hast FRIDAY THE 13TH und HALLOWEEN nicht mindestens genauso oft gesehen... ;-)
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Re: Best of 2017 - Der unvermeidliche Jahresrückblick

Beitrag von buxtebrawler »

Salvatore Baccaro hat geschrieben:Sag bloß nicht, Du hast FRIDAY THE 13TH und HALLOWEEN nicht mindestens genauso oft gesehen... ;-)
Nicht 45 oder 50 mal - es sei denn, man zählt die ganzen Rip-Offs dazu ;)
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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