
American Mary
„Man entwickelt einen schwarzen Humor, wenn man täglich Menschen aufschneiden muss!“Mary Mason ist eine junge Medizinstudentin mit Geldsorgen, sie kann ihr Studium kaum finanzieren und die Telefonrechnung nicht bezahlen. Darum beschließt sie einen Neben-Job als Stripperin anzunehmen. Beim nächtlichen Bewerbungsgespräch in einem Club kommt jedoch alles anders als geplant und für Mary eröffnet sich durch bizarre Untergrund Operationen ein neuer Weg ans schnelle Geld zu kommen. Sie startet eine Karriere der etwas anderen Art.
Die nach einem Kurzfilm und dem es noch nicht nach Deutschland geschafft habenden „Dead Hooker in a Trunk“ dritte Regiearbeit der Zwillingsschwestern Jen und Sylvia Soska ist der kanadisch-US-amerikanische Horror-Thriller „American Mary“ aus dem Jahre 2012, für dessen Hauptrolle man die durch die „Ginger Snaps“-Reihe populär gewordene Katharine Isabelle verpflichten konnte.
Medizinstudentin Mary Mason (Katharine Isabelle) hat Geldsorgen und bewirbt sich daher in einem Nachtclub als Stripperin. Nachdem man dort von ihren chirurgischen Fähigkeiten erfahren hatte, bittet man sie jedoch, ein Folteropfer wieder zusammenzunähen – und bezahlt gut. Durch die erfolgreich verlaufene Operation wird sie zu einer beliebten Anlaufstelle für die Body-Modification-Szene, die sich ohne medizinische Notwendigkeit schwerwiegenden operativen Eingriffen hingibt, um aufzufallen und/oder sich selbst zu verwirklichen. Als Mary jedoch auf einer Party von ihrem Professor vergewaltigt wird, beginnt sie, ihr Geschick auch anderweitig einzusetzen…
„Gute Chirurgen machen keine Fehler!“
Eine mitten aus dem Leben gegriffene Geschichte… ist es sicher nicht, was die Soskas hier verfilmt und Eli Roth („Hostel“) gewidmet haben. Etwas sehr konstruiert erscheint die Handlung dieses bizarren Rape’n’Revenge-Reißers, der es sich offenbar zu Aufgabe gemacht, die Body-Modification-Szene dem Horror- und Thriller-Publikum vorzustellen. Tatsächlich kommen hier Menschen, die sich die Geschlechtsorgane entfernen lassen, um zu einer menschlichen Puppe zu werden oder Zwillinge, die sich durch eine Operation noch näher werden wollen (gespielt von den Regisseurinnen persönlich!), besser weg als manch „Normalo“, erlaubt „American Mary“ einen um Neutralität bemühten Einblick in jene Subkultur – obschon man sich des Grotesken durchaus bewusst ist und es entsprechend inszeniert. So hat der Film auch ein bisschen was von einer Freakshow, betont jedoch in erster Linie – wenn auch auf überzeichnete Weise – das Recht auf Individualität und Selbstbestimmung. Letztere wird schwer verletzt von Marys Vergewaltiger, was sie jedoch zu einem derart grausamen Rachefeldzug schreiten lässt, dass man schon wieder Mitleid mit ihm entwickelt. Das kurz eingestreute, unappetitliche Bild gerissener Penishaut, verursacht durch Onanie nach Piercing des Geschlechtsorgans, wirkt gegen das Kopfkino, das sich angesichts Marys unerbittlicher Härte einstellt, schon beinahe harmlos.
Bei allen Grausamkeiten ist „American Mary“ aber ein schön anzusehender Film, der fantastisch aussieht, sich einer schummrig bunten Ästhetik zwischen klinisch und schmutzig bedient und eine artifizielle Stimmung der Negation des Verfalls, wenn nicht selbst herbeigeführt, schafft. Katharine Isabelle sieht nicht nur toll aus, sondern ist auch eine erstklassige Schauspielerin. Ihre Rolle verfügt über einen ambivalenten Charakter, als hätte man vermeiden wollen, sie zu einer bedingungslosen Identifikationsfigur zu machen. Das macht „American Mary“ zusätzlich interessant und unberechenbar, was ein gutes Stück weit über die Schwierigkeiten, einen durchgehenden Spannungsborgen aufrecht zu halten, hinwegsehen lässt. Das etwas sehr abrupte und ideenlose Ende indes erscheint mir etwas unbefriedigend und als ein echter Schwachpunkt. Doch auch ohne richtige Pointe ist „American Mary“ erfrischend provokant und sehenswert, schwarzhumorig, böse, zynisch und dabei so hübsch anzusehen, dass man nicht weggucken kann.
Bemerkenswertes Detail: Die eher am Rande vorkommende Polizei ermittelt wegen des vermissten Dr. Grants und erzählt Mary sofort von dessen sexuellen Abartigkeiten – richtig so, weshalb in Zeiten entfesselter Geheimdienste überhaupt noch Datenschutz vortäuschen…?