
Vanessa
„Weißt du eigentlich, was du geerbt hast? Die größte Puffkette Hongkongs!“ (unverhofft kommt oft)
Der deutsche Erotik- und Sexfilm-Regisseur Hubert Frank („Unterm Röckchen stößt das Böckchen“) orientierte sich mit seinem Erotik-Drama „Vanessa“ aus dem Jahre 1977 grob an Just Jaeckins „Emmanuelle“ und setzte die junge Olivia Pascal („Die Säge des Todes“) erstmals in einer Hauptrolle in Szene.
„Bestrafen Sie mich!“
Vanessa wächst in einer strengen Klosterschule auf, seit ihre Eltern früh verstorben sind. Eines Tages teilt man ihr mit, dass ihr Onkel in Hongkong verstorben sei und sie als Erbin eingesetzt habe. Um das Erbe anzutreten, reist sie nach Asien und erfährt dort, dass ihr Verwandter Bordellbesitzer war und seine Etablissements nun ihr gehören. Da staunt die Klosterschülerin nicht schlecht, schaut sich interessiert im Rotlichtmilieu der Metropole um und muss sich bald zahlreicher sexueller Avancen erwehren – oder soll sie sich auf sie einlassen, um erste körperliche Erfahrungen zu sammeln? Ganz unvertraut ist ihr all das aus der heimlichen Lektüre erotischer Literatur schließlich nicht…
„Sex macht vieles leicht!“
Hannes Tesar schmettert einen schwülstigen Titelsong, der der Sehnsucht nach Vanessa Ausdruck verleiht, als würde sie gerade durch ihre Jungfräulichkeit und den Verzicht auf körperliche Sexualität zum Objekt unerfüllter Begierde, als würde sie mit ihrer Verweigerungshaltung gegen ungeschriebene Gesetze verstoßen, was sämtliche abgeschmackten Verführungskünste aktiviere. Was wiederum nicht bedeutet, dass lange gefackelt würde: Sie muss einen Vergewaltigungsversuch ihres Kontrahenten Adrian (Günter Clemens, „Hexen bis aufs Blut gequält“), dem unehelichen Sohn ihres Onkels, über sich ergehen lassen. Ja, die Hitze öffnet die Schenkel, wie es von der Audiospur ertönt – doch Vanessas Schenkel öffnen sich eben nicht einfach so, und schon gar nicht für jeden.
„Ohne Peitsche ist man nur ein halber Mann!“
Regisseur Frank und Kamera-Chef Lederle lag nach eigenen Angaben kein vollständig ausgearbeitetes Drehbuch vor. So entschied man sich im Zuge der Improvisation dafür, mittels bisweilen durchaus origineller Kameraarbeit die Exotik der Drehorte einzufangen und besonders herauszustellen, indem man seinen Blick aufs Bizarre richtet: Tische zum Hirnverzehr lebendiger Affen scheinen ebenso einem fiesen Mondo-Film entsprungen wie unvermitteltes Übersinnliches in Form einer (erfolgreich zum Einsatz kommenden) Voodoo-Puppe. Staunend und passiv beobachtet Vanessa mit uns trashige Sexrituale wie den Zeitlupen-Balztanz eines Mädchens im Reisregen. Angereichert mit etwas lokaler Folklore und unter wiederkehrender Bezugnahme auf Sexualität und Perversionen in uralten religiösen Schriften streckt man die dünne Handlung mittels zahlreicher Erotik- und Softsex-Szenen wie einer visualisierten Nunploitation-Fantasie, in der sich eine Bestrafung durch Peitschenhiebe zu lustvollem Sadomasochismus entwickelt. Fast am schönsten sind jedoch die Szenen natürlicher Nacktheit, beispielsweise am Strand, wo sich – welch Zufall – der aus „Emmanuelle“ bekannte Rattankorbsessel wiederfindet. Lederle serviert viele ungewöhnliche Großaufnahmen, ohne pornös zu wirken.
All diese Szenen wirken episodisch, es scheint kaum ein wirklicher Zusammenhang zwischen ihnen zu bestehen – zumindest keiner, der der Handlung irgendwie sonderlich aufgreifenswert erschiene. Was man zu sehen bekommt, ist, wie es ist und keiner weiteren Erwähnung wert. So avanciert zur beinahe spannenden Klimax, zu so etwas wie einem dramaturgischen roten Faden, die Frage, ob es zwischen Vanessa und ihrer an ihr interessierten Cousine Jackie (Uschi Zech, „Kalt wie Eis“) zu einer gleichgeschlechtlichen Sexszene kommen wird oder nicht – was glücklicherweise bejaht werden kann und die Erotikfrage abschließend klärt: Ja, „Vanessa“ ist ein ziemlich erotischer Film. Nicht nur Olivia Pascal ist bildschön, die Kamera versteht es, die Körper zu umgarnen, zu umschmeicheln und in Idealbildern zu porträtieren. Die Atmosphäre ist, passend dazu, schlafwandlerisch, wie ein schwüler Sommernachtstraum, und tagträumerisch, wie ein sehnsuchtsvoller Stoßseufzer als Tribut an die Leidenschaft und die Lust. Gerhard Heinz‘ musikalische Kompositionen geben sich abwechslungsreich wie ein Großstadttrubel und sinnlich in den zarten Momenten tatsächlicher Intimität.
Fazit: Vanessa setzt sich auf einen Korbsessel und der Film zwischen die Stühle von Mondo, Erotik, Softsex und Sexploitation. Prädikat: Geil langweilig. Bewertung: 5,5 von 10 Weintrauben.