bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Vanessa

„Weißt du eigentlich, was du geerbt hast? Die größte Puffkette Hongkongs!“ (unverhofft kommt oft)

Der deutsche Erotik- und Sexfilm-Regisseur Hubert Frank („Unterm Röckchen stößt das Böckchen“) orientierte sich mit seinem Erotik-Drama „Vanessa“ aus dem Jahre 1977 grob an Just Jaeckins „Emmanuelle“ und setzte die junge Olivia Pascal („Die Säge des Todes“) erstmals in einer Hauptrolle in Szene.

„Bestrafen Sie mich!“

Vanessa wächst in einer strengen Klosterschule auf, seit ihre Eltern früh verstorben sind. Eines Tages teilt man ihr mit, dass ihr Onkel in Hongkong verstorben sei und sie als Erbin eingesetzt habe. Um das Erbe anzutreten, reist sie nach Asien und erfährt dort, dass ihr Verwandter Bordellbesitzer war und seine Etablissements nun ihr gehören. Da staunt die Klosterschülerin nicht schlecht, schaut sich interessiert im Rotlichtmilieu der Metropole um und muss sich bald zahlreicher sexueller Avancen erwehren – oder soll sie sich auf sie einlassen, um erste körperliche Erfahrungen zu sammeln? Ganz unvertraut ist ihr all das aus der heimlichen Lektüre erotischer Literatur schließlich nicht…

„Sex macht vieles leicht!“

Hannes Tesar schmettert einen schwülstigen Titelsong, der der Sehnsucht nach Vanessa Ausdruck verleiht, als würde sie gerade durch ihre Jungfräulichkeit und den Verzicht auf körperliche Sexualität zum Objekt unerfüllter Begierde, als würde sie mit ihrer Verweigerungshaltung gegen ungeschriebene Gesetze verstoßen, was sämtliche abgeschmackten Verführungskünste aktiviere. Was wiederum nicht bedeutet, dass lange gefackelt würde: Sie muss einen Vergewaltigungsversuch ihres Kontrahenten Adrian (Günter Clemens, „Hexen bis aufs Blut gequält“), dem unehelichen Sohn ihres Onkels, über sich ergehen lassen. Ja, die Hitze öffnet die Schenkel, wie es von der Audiospur ertönt – doch Vanessas Schenkel öffnen sich eben nicht einfach so, und schon gar nicht für jeden.

„Ohne Peitsche ist man nur ein halber Mann!“

Regisseur Frank und Kamera-Chef Lederle lag nach eigenen Angaben kein vollständig ausgearbeitetes Drehbuch vor. So entschied man sich im Zuge der Improvisation dafür, mittels bisweilen durchaus origineller Kameraarbeit die Exotik der Drehorte einzufangen und besonders herauszustellen, indem man seinen Blick aufs Bizarre richtet: Tische zum Hirnverzehr lebendiger Affen scheinen ebenso einem fiesen Mondo-Film entsprungen wie unvermitteltes Übersinnliches in Form einer (erfolgreich zum Einsatz kommenden) Voodoo-Puppe. Staunend und passiv beobachtet Vanessa mit uns trashige Sexrituale wie den Zeitlupen-Balztanz eines Mädchens im Reisregen. Angereichert mit etwas lokaler Folklore und unter wiederkehrender Bezugnahme auf Sexualität und Perversionen in uralten religiösen Schriften streckt man die dünne Handlung mittels zahlreicher Erotik- und Softsex-Szenen wie einer visualisierten Nunploitation-Fantasie, in der sich eine Bestrafung durch Peitschenhiebe zu lustvollem Sadomasochismus entwickelt. Fast am schönsten sind jedoch die Szenen natürlicher Nacktheit, beispielsweise am Strand, wo sich – welch Zufall – der aus „Emmanuelle“ bekannte Rattankorbsessel wiederfindet. Lederle serviert viele ungewöhnliche Großaufnahmen, ohne pornös zu wirken.

All diese Szenen wirken episodisch, es scheint kaum ein wirklicher Zusammenhang zwischen ihnen zu bestehen – zumindest keiner, der der Handlung irgendwie sonderlich aufgreifenswert erschiene. Was man zu sehen bekommt, ist, wie es ist und keiner weiteren Erwähnung wert. So avanciert zur beinahe spannenden Klimax, zu so etwas wie einem dramaturgischen roten Faden, die Frage, ob es zwischen Vanessa und ihrer an ihr interessierten Cousine Jackie (Uschi Zech, „Kalt wie Eis“) zu einer gleichgeschlechtlichen Sexszene kommen wird oder nicht – was glücklicherweise bejaht werden kann und die Erotikfrage abschließend klärt: Ja, „Vanessa“ ist ein ziemlich erotischer Film. Nicht nur Olivia Pascal ist bildschön, die Kamera versteht es, die Körper zu umgarnen, zu umschmeicheln und in Idealbildern zu porträtieren. Die Atmosphäre ist, passend dazu, schlafwandlerisch, wie ein schwüler Sommernachtstraum, und tagträumerisch, wie ein sehnsuchtsvoller Stoßseufzer als Tribut an die Leidenschaft und die Lust. Gerhard Heinz‘ musikalische Kompositionen geben sich abwechslungsreich wie ein Großstadttrubel und sinnlich in den zarten Momenten tatsächlicher Intimität.

Fazit: Vanessa setzt sich auf einen Korbsessel und der Film zwischen die Stühle von Mondo, Erotik, Softsex und Sexploitation. Prädikat: Geil langweilig. Bewertung: 5,5 von 10 Weintrauben.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Tod im All

„Ich brauch‘ ‘ne Leiche, sonst kann ich das hier nicht erstnehmen!“

Der elfte Fall der Ludwigshafener Ermittlerin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) ist zugleich der zweite mit ihrem neuen Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe). Der von Thomas Bohn (div. „Tatort“- und „Stahlnetz“-Episoden) geschriebene und inszenierte „Tatort“ ist sein zweiter Beitrag zur Reihe und einer der seltenen Fälle, in denen das Krimisujet um Science-Fiction-Elemente erweitert wird. Erstausgestrahlt wurde diese Episode im Januar 1997.

„Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sind nicht immer mit unserer Logik zu erklären…“

Ein anonymer Anrufer behauptet, der Ufologe und Bestseller-Autor Lunik van Deeling (Dietmar Schönherr, „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“) sei ermordet worden. Sein Verleger Axel von Saalfeld (Walter Gontermann, „Voll normaaal“) hingegen gibt zu Protokoll, der Autor sei mit Außerirdischen verreist. Odenthal glaubt ihm kein Wort und vermutet, die Polizei solle für einen PR-Coup eingespannt werden. Doch es dauert nicht lange und Odenthal bekommt es mit einem tatsächlichen Todesfall zu tun: Eine Journalistin wird tot aufgefunden – mutmaßlich weil sie zu viel über van Deelings Verschwinden wusste. Deren Freundin Anke Engelke (Anke Engelke, „Die Wochenshow“) bestätigt, dass van Deeling geglaubt habe, mit außerirdischen Mächten in Kontakt gestanden zu haben. Auch van Deelings Frau Renate (Johanna Liebeneiner, „Der Mörder“) scheint davon überzeugt – und selbst auf dem Polizeirevier bekommt sie es mit Kollegen zu tun, die dies zumindest in Erwägung ziehen. Entnervt nimmt Odenthal die Ermittlungen auf und verdächtigt Paul, den Ex-Freund Renates. Zudem meldet sich der anonyme Anrufer erneut und scheint bestens informiert. Doch eine weitere Spur führt zu von Saalfeld, der es seinem Starschreiber gegenüber mit der Abrechnung anscheinend nicht immer so genau genommen hat…

„Du bist völlig blockiert!“

Zunächst einmal wird Odenthal bei einem Festnahmeversuch in einer Disco böse verprügelt, kann sich dann aber (unrealistisch) erfolgreich zur Wehr setzen. Mit ihr ist nicht zu spaßen, dies will man dem Publikum mitteilen. Und einer solchen Kommissarin braucht man auch gar nicht erst mit unerklärlichen Phänomenen, Außerirdischen und ähnlichem Hokuspokus zu kommen. Ob es da eine so gute Idee ist, mit Freundin Johanna (Carol Campbell, „Die drei Mädels von der Tankstelle“) ein Nina-Hagen-Konzert zu besuchen? Das erscheint zumindest kulturell wertvoller als auf einer Pferderennbahn durch ein kurioses Riesenfernglas zu starren. Die Hagen schmettert in ihrer Live-Performance eine eingedeutschte Coverversion des Ramones-Songs „Zero Zero UFO“, ansonsten dominiert ein spaciger Elektro-Soundtrack die Musikspur dieses Falls. Odenthal träumt nach dem Konzertbesuch schlecht, visualisiert von Bohn und seinem Team: Ihr erscheinen Nina Hagen und eine trashige Alien-Metamorphose. Für Freunde abseitiger Unterhaltung dürfte sich der „Tatort“ bis hierhin schon gelohnt haben.

„Humor hat sie ja, die Frau Engelke!“

Doch der Gastauftritte ist’s noch nicht genug: Anke Engelke, damals Radiomoderatorin beim SWF3, spielt sich ebenso selbst wie du kurz um die Ecke schauende Stefanie Tücking, ehemalige „Formel Eins“-Moderatorin und damalige Kollegin Engelkes. Mit Ingolf Lück als weiterem Radioschwätzer Carlo ist das halbe Sat.1-„Wochenshow“-Ensemble komplett. Eine weitere Referenz dürfte Erich von Däniken sein, an den der als Scharlatan begonnen, später aber scheinbar selbst den Verstand verloren habende verschwundene Ufologe unweigerlich erinnert. Flimmerten dessen Dokureihen nicht damals über die Privatsender ins heimische Wohnzimmer? Odenthal spielt den Fall mit, na klar, „Star Trek“-Figuren durch, bevor die Radioredaktion und Johanna unterstützend eingreifen: Auf Odenthals Bitte hin helfen sie mittels Audioschnitttechnik am PC, den Täter zu überführen.

Das darauf folgende und mit einer überraschenden, einem konservativen Publikum sicherlich sauer aufgestoßenen Pointe ausgestattete letzte Drittel kann leider die unterhaltsame Kurzweil des Vorausgegangenen nicht halten und wurde etwas zu bedächtig inszeniert. Nichtsdestotrotz ist „Tod im All“ ein angenehm medien- und damit selbstreflexiver Fall mit zahlreichen unerwarteten Gastauftritten, der seine Lockerheit nur selten aufgibt und sich in der Ufo-Frage auf keine Seite schlägt. Stattdessen lässt man die Folkerts mittels ihres T-Shirts Werbung für ihren Kinofilm „Nur über meine Leiche“ laufen und nimmt weder die Außerirdischen-Debatte noch das Format oder die Erwartungshaltung des Publikums sonderlich ernst. Damit ist „Tod im All“ ein sehenswertes Kuriosum in der langen „Tatort“-Geschichte.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Boxhagener Platz

„Wat bei uns die Bonzen sind, ist im Westen dat betrügerische Kapital!“

2010 verfilmte der deutsche Regisseur Matti Geschonneck („Duell in der Nacht“) Torsten Schulz' Romandebüt aus dem Jahre 2004, „Boxhagener Platz“. Schulz verfasste auch höchstpersönlich das Drehbuch dieser 1968 in Ost-Berlin spielenden Dramödie, die eine seltene Perspektive auf jenes Auf- und Umbruchsjahr einnimmt.

„Wir sind hier auf'm Friedhof und nich‘ beim Saufen!“

1968 fegen Studentenunruhen und die sexuelle Revolution über den Westteil des Landes und Berlins hinweg, doch den zwölfjährigen Holger (Samuel Schneider, „Guter Junge“) beschäftigen im Ostteil am Boxhagener Platz ganz andere Themen. Sein Vater Klaus-Dieter (Jürgen Vogel, „Nackt“) ist als Abschnittsbevollmächtigter für die Volkspolizei tätig, weshalb Klaus von manch Mitschüler(in) geschnitten wird. Seine Mutter Renate (Meret Becker, „Kleine Haie“) ist Friseurin, trägt sich mit Gedanken, in den Westen abzuhauen und sich von Klaus-Dieter zu trennen, mit dem sie so oft streitet. Letztlich ist es ihr Sohn, der sie hält. Seine meiste Zeit verbringt Holger bei Oma Otti (Gudrun Ritter, „Die Weihnachtsgans Auguste“), die auf ihn aufpasst, während seine Eltern arbeiten. Regelmäßig begleitet er sie auf den Friedhof, wo sie die Gräber ihrer fünf verstorbenen Ex-Männer besucht. Auch ihr aktueller Mann Rudi (Hermann Beyer, „Vergiss dein Ende“) ist bereits bettlägerig und mehr tot als lebendig. Auf dem Weg zum Friedhof lernen sie den sozialistischen, jedoch mit dem SED-Regime hadernden Karl Wegner (Michael Gwisdek, „Good Bye, Lenin!“) kennen, der ein Auge auf Otti geworfen hat, als ehemaliger Spartakist nicht mir harscher Kritik am Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht geizt und von den aktuellen Vorgängen im Westen zu berichten weiß. Holger findet Karl sympathisch, Otti eigentlich auch – doch muss sie sich bereits der Avancen des Fischerverkäufers Winkler (Horst Krause, „Wir können auch anders…“), laut Karl ein alter Nazischerge, erwehren. Aber Fisch-Winkler wird eines Tages erschlagen hinter seinem Fischtresen aufgefunden. Ist Ottis eigentlich so altersschwacher Mann der Täter? Oder hat Karl einen Nebenbuhler aus dem Weg räumen wollen? Ehrgeizig nimmt Klaus-Dieter die Ermittlungen auf…

„Ick bitte dir!“

Der durchschnittliche DDR-Bürger war ein verängstigtes, duckmäuserisches, unter der Diktatur ächzendes Etwas? Das ist natürlich ausgemachter Blödsinn. Filme wie „Boxhagener Platz“ oder auch der (ganz anders gelagerte) „Sonnenallee“ zeigen, wie man sich in der DDR arrangiert und seinen Alltag verbracht hat, ohne sich permanent untergebuttert und überwacht zu fühlen. Man stelle sich vor: Sogar Spaß haben war erlaubt! Wenngleich manch Kritiker das eingangs beschriebene Bild aus politischen Gründen aufrechterhalten will und Werke wie „Good Bye, Lenin!“, „Sonnenallee“ oder eben auch „Boxhagener Platz“ zu sog. Ostalgie verklärt, die moralisch verwerflich sei. Umso interessanter, dass sich Geschonneck, selbst am Boxhagener Platz in Berlin-Friedrichshain aufgewachsen, das Jahr 1968 vornimmt, ein Jahr nämlich, bis zu dem der Westen Deutschlands, die BRD, verkommener war als die DDR und von der sog. ‘68er-Bewegung erst einmal kräftig durchgeschüttelt und wachgerüttelt werden musste.

„Wat wir uns erträumt haben, ist immer alles schiefgegangen!“

So stehen gerade die Republikfeierlichkeiten an, als in die Handlung eingeführt wird und ihre herrlich schrulligen proletarischen Charaktere vorgestellt werden. Die schönste Kodderschnauze des Viertels dürfte die lebenskluge Oma Otti haben, die mittels ihres Pragmatismus die spätere Beerdigung ihres Rudis zur witzigen Farce werden lässt. Ein unbedingt hörenswerter, herrlich bodenständiger Dialog jagt den nächsten und ständig wird gesoffen – Alkohol war in der DDR Volksdroge Nr. 1, viel anderes gab’s (glücklicherweise) schließlich auch nicht. Ost-West-Konflikt oder gar Weltpolitik interessieren dabei nicht weiter, auch die Vorgänge jenseits der Mauer nimmt man eher schulterzuckend zur Kenntnis. Weder war man so durchpolitisiert, wie es die DDR-Führung und die Sowjets gern gehabt hätten, noch musste man sich im Alltag ständig vor der Stasi hüten. Die Niederschlagung des Prager Frühlings heißt trotzdem niemand gut, kritische Flugblätter eignen sich unter Umständen aber auch dafür, unliebsame Zeitgenossen loszuwerden.

Ein Krimi also, der im DDR-Alltag angesiedelt wurde? Gewissermaßen und doch wieder nicht, denn es geht nicht vornehmlich um polizeiliche Ermittlungen. Vielmehr wird meist aus Holgers kindlich-naiver Perspektive das damalige Leben älterer „Normalbürger“ skizziert, für die die DDR mit all ihren Organisationen, Farben und Fahnen allgegenwärtig war, es aber nie schaffte, im Privatleben die entscheidende Rolle zu spielen, wenn man sich nicht an ihr abzuarbeiten versuchte. Die meisten Bewohner(innen) der DDR befanden sich eben nicht in einem permanenten Ausnahmezustand, sondern in ihrer Normalität. Und hat Geschonneck das erst einmal mit viel Berliner Charme und Humor vermittelt, vermengt er angemessene DDR-Kritik mit einer revolutionären Botschaft und einem Aufruf an die Arbeiter(innen)bewegung zur Selbstreflektion, womit er das durchaus vorhandene politische Bewusstsein des Films herausstellt, ohne dessen tragische Note zu vernachlässigen, die wiederum mit Altersliebe und eben jenem toten Fischhöker zusammenhängt.

Es ist recht gut gelungen, die durch die Bank weg hervorragenden Schauspieler(innen) in authentisch wirkenden Kulissen auftreten zu lassen, wenngleich man den titelgebenden Platz offenbar nicht nachbaute und ihn deshalb lediglich erahnen kann. Der um ein paar Originalaufnahmen von damals ergänzte Film ist rau, spröde und doch so warmherzig – und damit überaus sehenswert. In diesem Sinne: „Tod den Nazis!"
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Nicht mein Tag

„Ich sag dir, was das für'n Projekt ist: 'n Fickprojekt!“

Nachdem der Regisseur der aus „Bang Boom Bang – Ein Todsicheres Ding“, „Was nicht passt, wird passend gemacht“ und „Goldene Zeiten“ bestehenden Unna-Trilogie Peter Thorwarth sich eine rund achtjährige Auszeit gegönnt hatte, adaptierte er für seine 2014 erschienene Buddy-/Action-/Road-Movie-Komödie „Nicht mein Tag“ den gleichnamigen Roman des „Stromberg“-Autors Ralf Husmann.

Familienvater Till Reiners (Axel Stein, „Feuer, Eis & Dosenbier“) langweilt sich im Ruhrgebiet in seinem Job als Bankangestellter und in der Ehe mit seiner Frau Miriam (Anna Maria Mühe, „Novemberkind“), die glaubt, an ihr sei eine Taschendesignerin verloren gegangen. Doch als Gangster Nappo (Moritz Bleibtreu, „Lammbock – Alles in Handarbeit“) die Bank überfällt, weil er Geld für ein neues Auto und einen Urlaub mit seiner Nadine (Jasmin Gerat, „Mädchen Mädchen 2 - Loft oder Liebe“) braucht, wird Tills Leben auf den Kopf gestellt. Nappo nimmt ihn als Geisel und flieht vor der Exekutive. Nachdem er Till wieder freigelassen hat, glaubt dieser, dass seine Frau ihn betrüge und begleitet seinen ehemaligen Entführer nach Amsterdam, wo ein „Geschäfts abgewickelt“ werden soll. Die Polizei wiederum ist davon überzeugt, er mache gemeinsame Sache mit Nappo. Till, der glaubt, nichts mehr zu verlieren zu haben, sieht sich nach einer wilden Nacht in Amsterdam tatsächlich in einen weiteren, diesmal blutigen Banküberfall verwickelt…

Dieses Bild präsentiert der Prolog dem Publikum, den Till aus dem Off kommentiert und damit eine ausgedehnte Rückblende einleitet, die die Vorgeschichte erzählt und erst zum Finale endet. Obwohl die Handlungszeit lediglich 72 Stunden beträgt, legt „Nicht mein Tag“ ein beträchtliches Tempo vor. Gangster-Romantik vermischt sich mit klassischen Buddy-Motiven in Bezug auf ungleichbare Duos, das ungewollt aneinandergeschweißt wurde. Turbulent und überraschungsreich gerät man an die Falschen, liefert sich Verfolgungsjagden und findet sich in Actionszenen wieder. Die irrsten Momente liefert die Grachtenstadt Amsterdam, wo sich Thorwarth ein gutes Stück weit seines Ruhrpott-Sujets entledigen kann und man einen sich selbstironisch spielenden Til Schweiger beim Puffbesuch antrifft. Grandios die Sequenz des wie auf einem Drogentrip unter Alkoholeinfluss extrem auf die Kacke hauenden Tills, die in subjektiver Point-of-View-Perspektive gedreht wurde und Erinnerungen an den The-Prodigy-Videoclip zu „Smack My Bitch Up“ wachwerden lässt.

Der Humor funktioniert, wenngleich immer mal wieder recht tief in die Klischeekiste gegriffen wird – bei einer Komödie jedoch verzeihbar und einen Teil der Komik ausmachend. Jasmin Gerat ist als ein solches Abziehbild einer Pott-Prolette nicht nur für einige bemerkenswerte Dialoge und das damit verbundene Amüsement gut, sondern bringt, wie auch Nele Kiper als Ina, einen Schuss Erotik ein. Wer auf Männer steht, dürfte seine Freude am entmoppelten Stein und verwegenen Bleibtreu haben. Tom Gerhardts („Voll normaaal“) Stimme tönt als Running Gag aus dem Navigationsgerät, Mark Kampmann (Christian Kahrmann) aus der Unna-Trilogie taucht auch in „Nicht mein Tag“ auf, Nappo hat für seinen Ford Mustang offenbar das Nummernschild aus „Bang Boom Bang“ geerbt und Ralf Richter ist als Schrottplatzbetreiber auch mit von der Partie. Als Freund Thorwarths vorausgegangener Filme fühlt man sich also schnell heimisch.

Die Kölner Band Cowboys on Dope tritt als „Hardrock-Legende Donar“ im Film auf und persifliert damit alternde Rockstars, steuerte darüber hinaus aber auch einen Großteil des Soundtracks bei. Das Titelstück hingegen stammt vom Berliner Hip-Hopper Sido. Letztlich steuert „Nicht mein Tag“ auf ein dick aufgetragenes Happy End zu, das es in der (mir unbekannten) Romanvorlage Husmanns in dieser Form eventuell nicht gab. Thorwarth bleibt dem komödiantischen Aspekt des Stoffs weitaus stärker verpflichtet als der ihm innewohnenden Tragik. Nichtsdestotrotz illustriert sein Film auf extrem überzeichnete (und damit amüsante) Weise den schmalen Grat zwischen bürgerlicher Existenz und dem gewaltsamen, radikalen Ausbruch aus ihr, der mit Blut, Schweiß, Tränen und Kollateralschäden einhergeht. Und damit rockt dieser Film!
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Als wir träumten

„Wir werden die Größten sein, dann kommen auch die Mädchen!“

Im Jahre 2015 kam „Als wir träumten“, die Verfilmung des gleichnamigen Romans Clemens Meyers, und damit ein wichtiges Stück Aufarbeitung früher deutscher Nachwendegeschichte, in deutsch-französischer Koproduktion in die Kinos. Wolfgang Kohlhaase schrieb die Vorlage in Drehbuchform um, Andreas Dresen („Halbe Treppe“) führte Regie.

„Jetzt seid doch mal vernünftig!“

Die Leipziger Clique, bestehend aus Dani (Merlin Rose, „Doktorspiele“), Rico (Julius Nitschkoff, „Komasaufen“), Pitbull (Marcel Heupermann, „Mitten in Deutschland: NSU - Die Täter“), Mark (Joel Basman, „Wir sind jung. Wir sind stark.“) und Paul (Frederic Haselon), gehört zu jener Generation, in deren Pubertät die Wende und das Ende der DDR platzten. Ihre Nachwendezeit ist geprägt von Kleinkriminalität, Angriffen von Neonazis, Drogen – aber auch dem Traum, aus der neu gewonnenen Freiheit etwas zu machen, sei es durch Eröffnung eines Techno-Clubs, durchs Einschlagen einer Karriere als Boxer oder durch eine feste Beziehung zu einem Mädchen, in das man schon so lange verliebt ist. Doch ein Traum nach dem anderen zerplatzt.

Der Prolog: In einem alten Kino sitzen zwei Jugendliche, die man im Weiteren näher kennenlernen wird. Einer von ihnen, Mark, ist drogenabhängig. Gemeinsam schwelgen sie in Erinnerungen, die fortan in verschiedenen Rückblenden visualisiert werden. Die erste führt in eine Wehrsportübung in der DDR-Schule, die nächste spielt vier Jahre später, kurz nach der Wende. Die alte Clique ist mittlerweile kleinkriminell und begeht Ladendiebstähle. Sie prügelt sich mit Neonazis um eine einsame Großmutter (Dorothea Walda, „Club Las Piranjas“), bei der sie abzuhängen pflegen und von der sie dafür Geld und Alkohol bekommen. In der Vorwendezeit kommt es zu einem Konflikt mit der Schule, in der Nachwendezeit befindet sich Rico beim Boxtraining. Ansonsten wird gesoffen und randaliert, eine Destruktivität, die hin und wieder aus dem Off von den Zurückblickenden kommentiert wird.

Das mit der Disco scheint zu klappen. Eine leerstehende Bruchbude wird zu einem Underground-Techno-Club umgebaut, rechtzeitig zur Eröffnung wird man fertig. Doch kommen leider auch die Neonazis und machen Stunk. Dennoch läuft der Laden gut an, man kann sich als jüngste Discobesitzer feiern lassen. Die Neonazis wollen den Club aber übernehmen und kommen mit der ganzen Bande wieder, bis Rico deren Anführer (Thomas Brandt, „Das richtige Leben“) mit einer Pistole bedroht. Generell werden sie immer mehr und machen Jagd auf die Clique, bis sie schließlich die ganze Disco auseinandernehmen. Paul verknallt sich in eine 28-jährige Kioskverkäuferin (Lynn Femme, „Der Nachtmahr“) und ist völlig fertig, als sie seine Liebe nicht erwidert, bricht sogar nachts in den Kiosk ein. Nicht viel besser geht es Dani. Katja, genannt „Sternchen“ (Ruby O. Fee, „Löwenzahn – Das Kinoabenteuer“), auf die er seit Langem ein Auge geworfen hat, ist zu den Neonazis übergelaufen.

Zurück in der Vorwendezeit werden die Montagsdemos in der Schule thematisiert, nach dem Ende der DDR werden Punks und Antifas ins Bild gerückt. Letztere enttäuschen, denn sie bleiben untätig, die Clique hat von ihnen nichts zu erwarten. Dani und Ruby kommen sich wieder näher, doch Dani wird verknackt – für nichts. In einer Parallelmontage wird der legendäre Kampf Graciano „Rocky“ Rocchigianis gegen Henry Maske mit Ricos Kampf gegen einen Neonazi zusammengeschnitten: Geballtes Zeitkolorit, das ans kollektive TV-Gedächtnis einer Nation erinnert. Kurz vor Ende knüpft man wieder an den Prolog an: Paul war Marks Dealer, Mark stirbt an den Folgen seiner Drogenabhängigkeit. Sternchen arbeitet mittlerweile in einem Striptease-Lokal und trifft dort Mark und Rico wieder. Von Rico lässt sie sich Stoff andrehen. Letztlich zerbricht die ganze Clique, ohne Katharsis, ohne Happy End.

Dresens verschachtelt erzählter Film ist frei von jeder Wende-Euphorie. Wer will es ihm verdenken? Mit der Aufoktroyierung des kapitalistischen BRD-Systems auf die DDR blutete diese wirtschaftlich aus, nahm man ihren Bewohnern ihre Identität. In unverantwortlicher Weise erzeugte die Politik unter dem korrupten Kanzler Kohl zusammen mit den westlichen Kapitalseignern, denen die vor ihrer Raffgier geschützte DDR schon immer ein Dorn im Auge war und die sie sich nun endlich unter den Nagel reißen konnten, Millionen sog. Wendeverlierer(innen), die sich mit industriellem Abbau, Massenarbeits- und Perspektivlosigkeit, ausufernder Kriminalität, Ellbogenmentalität, Drogensucht und einem entfesselten Neofaschismus konfrontiert sahen und nicht selten unter die Räder gerieten. Besonders einschneidend waren diese negativen Folgen für diejenige Generation, die unter diesen Umständen aufwachsen und erwachsen werden musste.

Dresen & Co. gelang mit „Als wir träumten“ das Porträt einer verdammt beschissenen Zeit, einer Zeit der Verrohung und des sozialen Abstiegs, von der insbesondere der Osten der Republik betroffen war, von der man aber im Zuge der Wiedervereinigungseuphorie im Westen nur wenig wissen wollte und will. Deshalb freue ich mich über jedes Buch und jeden Film, der diesen finsteren Abschnitt deutscher Geschichte adäquat aufgreift. Dresens Film ist harter, ungeschönter Stoff, einzelne Szenen bewegen sich an der Grenze des Erträglichen. Dass die Grenzöffnung und die Auflösung der DDR trotz aller Zeitsprünge in Bilderform komplett ausgespart werden, unterstreicht die Stimmung des Films, zu der unreflektierte Jubelbilder nicht gepasst hätten.

Mord in Berlin, Konkurrenz, Gewitter im Kopf, Lottofee, Eastside, Straßenköter, Immer bereit, JVA Zeithain, Großer Wagen, Die großen Kämpfe, Strahlen, Abschied – so lauten die in Textform eingeblendeten Kapitel, in die der Film unterteilt wurde und helfen, den episodischen Aufbau zu strukturieren. Sie stehen stellvertretend für die Biographien der Cliquenmitglieder, die ausreichend ambivalent und charakterlich verschieden sind, dass sie viel Reflektionsfläche für eigene Erlebnisse selbst Betroffener bieten, Wer keinen Zugang zu den Themen des Stoffs hat, wird ihn hoffentlich finden und zumindest mit der einen oder anderen Perspektive etwas anfangen können – die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe werden nämlich nicht explizit benannt, sondern finden zwischen den Bildern statt. Gelingt dies nicht, ist all dies zu weit weg vom eigenen behüteten Aufwachsen, stößt das Gezeigte evtl. auf Unverständnis.

Die Kameraarbeit ist auf hohem Niveau, die Schauspielerinnen und Schauspieler agieren grandios (Romanautor Meyer hat einen Gastauftritt als Polizist), aus den Radios dudelt viel zeitgenössische Musik (inkl. diverser Grausamkeiten) – neben dem realistischen Ambiente ein wichtiger Authentisierungsfaktor. Letztlich ist „Als wir träumten“ etwas zu lang geraten, mit den Nazis verschwindet auch die bis dahin aufgebaute Dramaturgie. Tatsächlich ist dies der einzige Kritikpunkt in einem ansonsten auf fast schon schmerzhafte Weise gelungenen Stück jüngerer deutscher Vergangenheitsbewältigung, das lange nachwirkte und mir 8,5 von 10 Urinierszenen wert ist.
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Hot Tub - Der Whirlpool... ist 'ne verdammte Zeitmaschine!

Bring back the 80s!

„Welche Hautfarbe hat Michael Jackson?!“ – „Schwarz!“

Noch bevor die cinematische 80er-Retro-Welle so richtig losrollte, schickte US-Regisseur Steve Pink („S.H.I.T. – Die Highschool GmbH“) im Jahre 2010 die Protagonisten seiner US-amerikanisch/kanadisch koproduzierten Komödie mit dem bemerkenswert beknackten deutschen Titel „Hot Tub - Der Whirlpool... ist 'ne verdammte Zeitmaschine!“ auf Zeitreise ins Jahr 1986 – bzw. was er dafür hielt.

„Großer weißer Büffel!“

Adam (John Cusack, „Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“) wurde von seiner Freundin verlassen, die ihm zudem fast das komplette Haus leergeräumt hat. Sein 20-jähriger Neffe Jacob (Clark Duke, „Kick-Ass“) ist süchtig nach dem Computerspiel „Second Life“ und kommt nur selten aus seinem Keller heraus. Nick (Craig Robinson, „Popcorn Porn: The Making of Zack and Miri“) hat seine Musikleidenschaft für seine kontrollsüchtige Frau aufgeben und der geschiedene, verschuldete Lou (Rob Corddry, „W. - Ein missverstandenes Leben“) sogar einen Selbstmordversuch unternommen. Als ihn Adam und Nick im Krankenhaus besuchen, stellt man fest, dass früher alles besser war und bucht einen gemeinsamen Wochenendausflug ins das Ski-Resort ihrer Jugend, das „Kodiak Valley“, das seine besten Tage auch schon hinter sich hat. Die rauschende Party endet im Hotel-Whirlpool, der sich in eine Zeitmaschine verwandelt, als man versehentlich einen illegalen russischen Energy-Drink über die Technik kippt. Als man am nächsten Morgen verkatert erwacht, befindet man sich im Jahre 1986…

Steve Pink vermischt die Themen Männer in der Midlife Crisis und Zeitreise mit ‘80er-Kult, Fäkalhumor und ein paar Ski- und Snowboard-Stunts. Das Zeitreise-Regelwerk legt man dahingehend aus, dass die drei Freunde, die damals schon gelebt haben, für alle anderen aussehen wie damals, also nicht ihren jüngeren Ichs begegnen. Damit sich die Zukunft nicht verändert, müssen sie alles genauso machen wie damals. Da die Gegenwart des Jahres 2010 nicht sonderlich rosig war und es sich zudem um einen schicksalhaften, schmerzhaften Abend des Jahres 1986 im Ski-Resort handelte, stellt sich ihnen bald die Frage, ob sie das überhaupt wollen – wodurch der Film indirekt seinem Publikum die Frage stellt, was man anders machen würde, könnte man noch einmal jung sein, aber über das Wissen von heute verfügen.

Natürlich versucht man noch einmal eine gute Zeit zu haben, hat Sex (entblößte weibliche Oberweiten sorgen für einen Tick Erotik) und muss sich mit dem Arschloch Blaine (Sebastian Stan, „Red Doors“) herumschlagen, der ihnen damals schon übel mitspielte. Dieser hält die Freunde zudem für russische Spione und schwört auf den antikommunistischen US-Propagandaheuler „Die rote Flut“, womit „Hot Tub“ US-Patridioten kräftig durch den Kakao zieht. Dank zahlreicher popkultureller Zitate und Anspielungen in jeder Form, derbem Humor und einiger unerwartet ironischer Dialoge macht es Spaß, dem absurden Treiben beizuwohnen. In Nebenrollen gegen sich Chevy Chase („Schöne Bescherung“) als Zeitmaschinenmechatroniker und Crispin Glover („Zurück in die Zukunft“) als erst zwei-, später einarmiger Page ein Stelldichein.

Auch der Soundtrack mit seinen zahlreichen ‘80er-Klassikern geht bestens in Ohr, Wenngleich irgendjemand offenbar eine ausgeprägte Schwäche für furchtbaren Poser-Hardrock hatte: Poison stehen plötzlich live auf der Bühne Mötley Crüe werden gefeiert. Fakt ist: Sind und bleiben Kackbands. Weitere vermittelte Fragwürdigkeiten sind Ideenklau, um reich zu werden, und ein Frauenbild, nach dem die Damen ständig Sex wollten und ansonsten ein bisschen tumb seien. Robinson und Corddry sehen auch ein wenig zu jung dafür aus, 1986 bereits so alt wie dargestellt gewesen sein zu sollen. Handfeste Anachronismen haben sich zudem in Form einiger Zitate eingeschlichen: 1986 gab es weder „21 Jump Street“ noch „Rambo III“, auch hatte John Elways „The Drive“ noch nicht stattgefunden und waren weder „Smooth Up in Ya“ der BulletBoys noch „Kickstart My Heart“ der Mötley Crüe bereits veröffentlicht.

All dies trübt den ansonsten überraschend guten Gesamteindruck des kurzweiligen, im positiven Sinne ordinären und geschmacklosen, versauten, ekligen und chaotischen Films, der sich gut unter „Männerhumor“ zusammenfassen lässt, nicht zuletzt aber eine schöne Ode an die Freundschaft ist.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Schwarzer Afghane

Regisseur Thomas Jahns („Knockin‘ on Heaven’s Door“) nach „Nacht der Engel“ zweiter Beitrag zur „Tatort“-TV-Krimireihe verschlug ihn für den im März 2013 erstaufgeführten Fall „Schwarzer Afghane“ nach Leipzig, wo er den 16. Fall der Hauptkommissare Eva Saalfeld (Simone Thomalla) und Andreas Keppler (Martin Wuttke) inszenierte.

Frisch aus dem Urlaub zurück, muss Kommissar Keppler zusammen mit seiner Kollegin und Ex-Frau Eva Saalfeld auch schon im nächsten Fall ermitteln: Zwei Kiffer haben beobachtet, wie auf einer Wiese im Leipziger Auenwald ein Mann bei lebendigem Leibe Feuer fing und verbrannte. Laut der verkohlten Papiere des Manns handelt es sich um den afghanischen Asylsuchenden und Hochfrequenzphysik-Studenten Arian Bakhtari (Kostja Ullmann, „Verfolgt“). Dieser hat mutmaßlich zuvor die Lagerhalle des deutsch-afghanischen Freundschaftsvereins mithilfe hochentzündlichen Phosphors niedergebrannt und ist möglicherweise selbst zu sehr in Kontakt mit der Chemikalie geraten. Bakhtari war kurz für Norbert Müller (Sylvester Groth, „Kolle - Ein Leben für Liebe und Sex“), Spediteur und Vermieter der Halle, tätig, aber entlassen worden, als er sich zu sehr für die Container zu interessieren begann, in denen Müller Hilfsgüter ins kriegsgebeutelte Afghanistan transportiert. Doch die Halle wurde offenbar auch als Haschischlager genutzt. Wer hat die Drogen dort gelagert? Und was war das Motiv für die Brandstiftung? Ein Racheakt? Im Rahmen der Ermittlungen lernt das ermittelnde Duo auch Bakhtaris Tante Jamila Nazemi (Ilknur Boyraz, „Rennschwein Rudi Rüssel“) kennen, außerdem eine Dozentin, mit der er liiert war. Auch Müllers Tochter Mette (Haley Louise Jones, „Einstein“), Frucht einer Affäre mit einer Afghanin, kannte Bakhtari: Er war ihr eine Hilfe, ihren afghanischen Freund Deniz nach Deutschland zu schleusen. Doch der ist verschwunden. Und in Bakhtaris Zimmer im Studentenwohnheim entdeckt die Kripo eine phosphorbetriebene US-amerikanische Signalrakete…

Auch vor der Ankunft zahlreichender Flüchtender aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet war Migration bereits ein gesellschaftliches und politisches Dauerthema in Deutschland. Dieser „Tatort“ greift das Thema der Afghanen auf, die vor dem US-geführten Angriffskrieg und/oder der Taliban nach Deutschland flohen, beispielhaft anhand Arian Bakhtaris auf, der Angehörige in Afghanistan verloren hat und nun auf Rache sinnt. Holger Janckes Drehbuch dreht dabei leider zahlreiche Pirouetten, die ein stringentes, nachvollziehbares Narrativ erschweren. Themen wie Vorurteile gegen einen gut integrierten, hochbegabten jungen Mann, Kritik am imperialistischen Krieg, möglicher islamistischer Terror, Drogenhandel und dysfunktionale Liebesbeziehungen werden vermengt mit „Tatort“-typischen Übertreibungen: Diebstähle aus einem US-amerikanischen Militärlager, die einen zunächst wie ein Verbrecher agierenden Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdiensts (Anatole Taubman, „Operation Zucker“) auf den Plan rufen, der später auch noch umgebracht wird, ein grausamer Mord zum Einstieg, ein Toter, der gar nicht tot ist… Und mittendrin Wuttke als knorriger, aber sachlicher, unaufgeregter Bulle Keppler (gut) und Thomalla, der man die Kripo-Beamtin einfach nicht abnimmt.

„Schwarzer Afghane“ (der Titel ist um keine wortspielerische Doppeldeutigkeit verlegen, sei sie auch noch so naheliegend), versucht, zu verdeutlichen, dass es erst der Krieg ist, der aus eigentlich unbescholtenen Flüchtlingen bzw. Asylsuchenden Terroristen macht. Komplett auf der Strecke bleibt dabei jedoch die Charakterisierung Bakhtaris, der erst gegen Ende sichtbar in die Handlung eingreift. Stattdessen schlängelt sich der Fall durch seine zahlreichen Nebenschauplätze, die alle mehr schlecht als recht mit Bakhtari in Verbindung gebracht werden. Über ihn erfährt man fast ausschließlich aus zweiter Hand, aus den mündlichen Überlieferungen derjenigen, die mit ihm in Kontakt standen – wenn sie sich nicht gerade zu etwas völlig anderem zu äußern gezwungen sind, zu Hilfslieferungen, Vater-Tochter-Konflikten oder Haschisch. So umschifft dieser „Tatort“ leider die Herausforderung, fundierte Einblicke in die Psyche eines Kriegsopfers zu liefern, statt sich ihr zu stellen. Das Ende unter dem Nachthimmel überm Flughafen reißt es dann gerade noch raus und hat alles, was man zuvor vermisste: Dramatik, Action, Spannung und, ja: Atmosphäre. Mehr als ein überambitionierter, letztlich aber doch feiger „Tatort“ und damit nur durchschnittliches Krimivergnügen eines fragwürdigen Ermittlerduos bleibt unterm Strich leider nicht.
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Tomboy

Die französische Regisseurin Céline Sciamma („Water Lilies“) blieb für ihren zweiten abendfüllenden Spielfilm ihrem Thema, dem Coming of age von Mädchen, treu: „Tomboy“ aus dem Jahre 2014 dreht sich um ein zehnjähriges Mädchen, das sich als Junge ausgibt.

Laure (Zoé Héran, „Let the Girls Play“) zieht mit ihrer schwangeren Mutter (Sophie Cattani, „Les Montana: Dérapage“), ihrem Vater (Mathieu Demy, „Stille Jagd“) und ihrer kleinen Schwester Jeanne (Malonn Lévana, „Poliezei“) in den Sommerferien in eine neue Gegend. Laure hat kurzes Haar, trägt am liebsten Hosen und spielt gern und gut Fußball. Ohne Wissen ihrer Eltern gibt sie sich ihren neuen Spielkameraden gegenüber als Mickäel aus – auch vor Lisa (Jeanne Disson, „Holy Motors“), in die sie sich verguckt hat. Laure versucht, ihr biologisches Geschlecht geheimzuhalten und genießt sowohl ihre Rolle als Junge als auch ihre Freundschaft zu Lisa. Doch ewig kann es so nicht so weitergehen…

„Tomboy“ ist ein sensibel erzähltes Jugenddrama, das zunächst auch das unbedarfte Publikum aufs Glatteis zu führen versucht: Erst nachdem man die Hauptrolle als Mickäel kennengelernt hat, erfährt man, dass es sich eigentlich um Laure und damit um ein Mädchen handelt. Der Titel „Tomboy“, umgangssprachlich für besonders burschikose Mädchen, verrät indes natürlich bereits, worum es geht. Möglich, dass all das nur eine Phase ist und Laure spätestens mit Beginn ihrer Pubertät Gefallen am Dasein als Mädchen findet, ob nun hetero-, bi- oder homosexuell. Möglich aber auch, dass sie gerade ihre Transsexualität entdeckt. Die unaufgeregte Erzählweise frei jeglicher Plakativität geht eine angenehme Verbindung mit dem grandiosen Schauspiel Zoé Hérans ein, die ihre Rolle überraschend glaubwürdig ausfüllt. Laure entwickelt einen Dualismus, infolgedessen sie außerhalb der elterlichen Wohnung ein Junge, Freund und Spielkamerad ist, zu Hause jedoch die Tochter und große Schwester (die indes eine ganz ähnliche Beschützerfunktion aufweist wie die eines großen Bruders) der herzallerliebsten Jeanne. Doch so sehr Laure zunächst auch alle Schwierigkeiten, die dieses Spiel mit den Geschlechtern mit sich bringt, trickreich meistert, steuert sie letztlich doch unaufhaltsam auf ein Dilemma zu.

Es wird immer schwieriger, die Illusion aufrecht zu erhalten. Nachdem Laure als Mickäel in einen nonverbalen Konflikt mit einem Nachbarsjungen gerät, kommt ihre Mutter hinter den Schwindel. Wie unsensibel und verständnislos diese mit der Situation umgeht, ist der erste wirklich erschreckende Moment des Films. Das Kartenhaus fällt daraufhin zusammen, Mickäels Clique verstößt ihn bzw. Laure. Der Ausgang des Films lässt offen, ob und wenn ja, wie die Beziehung zu Lisa weitergeht, von den zu erwartenden Problemen im Zuge der Einschulung nach Ferienende ganz zu schweigen. Als selbst nicht betroffener Zuschauer ist man an dieser Stelle sicherlich froh, diese Probleme nicht selbst zu haben, womit „Tomboy“ auch indirekt seine entscheidende Frage stellt: Ist das Geschlecht nicht vollkommen nebensächlich? Die Konflikte, denen Laure sich plötzlich ausgesetzt sieht, muten so absurd und ungerecht an, dass der Akzeptanz-Appell seine Wirkung nicht verfehlt.

Sciamma verzichtete komplett auf Filmmusik und hielt auch darüber hinaus ihren Film so natürlich wie möglich. „Tomboy“ wirkt dadurch mitunter etwas spröde, dafür aber umso authentischer, wodurch er sich gerade in der ersten Hälfte gar weniger wie ein Drama denn mehr wie ein leichteres Sommerabenteuer anfühlt. Schade ist, dass die Geschichte nicht weitererzählt wird, sondern auf ihrer dramaturgischen Klimax endet.
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Immer Drama um Tamara

„Sie ist 'ne Glücksfotze!“

Für die 2010 erschiene Liebeskomödie „Immer Drama um Tamara“ setzte der britische Regisseur Stephen Frears („Mein wunderbarer Waschsalon“, „High Fidelity“) ein Drehbuch Moira Buffinis um, die die Comicreihe „Tamara Drewe“, 2005 bis 2006 in der Tageszeitung „Guardian“ veröffentlicht, adaptiert hatte. Die Comics wiederum basieren auf Thomas Hardys Roman „Am grünen Rand der Welt“. Ich kenne weder Roman noch Comics, wurde also durch Frears Verfilmung erstmals mit Tamara Drewe konfrontiert.

„Ich fühl‘ mich wie jemand, der soeben einen gigantischen Stuhlgang hatte!“

Im beschaulichen Ewedon im Südwesten Englands unterhalten der eingebildete und notorisch fremdgehende Krimi-Autor Nicholas (Roger Allam, „V wie Vendetta“) und seine treuherzige Frau Beth (Tamsin Greig, „Shaun of the Dead“) eine Schreibfarm für ausgebrannte Schriftsteller, die dort ihre Schreibblockaden zu überwinden versuchen. Während er den Erfolgsautor heraushängen und sich von seinen Fans Honig um den Bart schmieren lässt, schmeißt Beth den Laden zusammen mit Andy Cobb (Luke Evans, „Sex & Drugs & Rock & Roll“), dessen Geburtshaus direkt nebenan liegt. Dieses gehört den Drewes, mit deren Tochter Tamara (Gemma Arterton, „Ein Quantum Trost“) er in Jugendzeiten mal etwas hatte, die jedoch wegen ihrer ungewöhnlich großen Nase häufiges Ziel von Spott war. Eines Tages kehrt Tamara, mittlerweile angesehene Journalistin, nach Ewedon zurück, um das Anwesen zu verkaufen – und verdreht allen Männern den Kopf: Nach einer Nasen-OP und allgemein sehr vorteilhaften körperlichen Entwicklung ist sie äußerlich vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan gereift, eine für sie neue Rolle, die sie noch nicht so recht auszufüllen versteht. Schnell ist Andy wieder Feuer und Flamme für sie, doch Tamara lässt sich lieber mit dem Indierock-Drummer Ben (Dominic Cooper, „Mamma Mia!“) ein – sehr zur Unbill der beiden Backfische Jody (Jessica Barden, „Wer ist Hanna?“) und Casey (Charlotte Christie, „Underworld“), die ebenfalls für Ben schwärmen und heimlich die Beziehung zu torpedieren beginnen…

Frears vermengt typische Romantic-Comedy-Motive mit britischem Humor, persifliert entsprechend leicht bösartig Schriftsteller und ihre Egos und entspinnt eine Provinzposse voller schräger Charaktere. Zu einem Spiel mit den Klischees gerät auch Tamaras Einführung in den bunten Reigen, als sie sich ihrer Außenwirkung offenbar noch gar nicht bewusst ist und sich daher anders als erwartet verhält. Weniger als um Schriftstellerei dreht es sich schließlich vielmehr um Liebschaften und Sex. Im Anschluss an einen Live-Gig der Indieband Swipe interviewt Tamara Drummer Ben und landet anschließend mit ihm im Bett; ein Zeitsprung zum Herbst zeigt, dass sie mittlerweile mit ihm liiert ist und sich sogar mit ihm verlobt. Damit hadert Andy, der daraufhin mit der so oft von ihrem Mann enttäuschten Beth eine sexuelle Affäre beginnt. Gemessen an seinem Inhalt gibt sich „Immer Drama um Tamara“ aber erstaunlich zugeknöpft und vernachlässigt sein erotisches Potential.

Die Handlung gewinnt durchs Hinzustoßen der beiden Jugendlichen Stalkerinnen, die inkognito versuchen, Tamara und Ben auseinanderzubringen. Die beiden Schauspielerinnen in ihren Rollen als verhinderte Groupies sind eine Wonne und ziehen übertriebenen Starkult sowie naive Teenager-Schwärmereien durch den Kakao. Nach einem weiteren Zeitsprung zum Winter endet alles im Chaos und geht den Bach runter, auch eine Kuh-Stampede (!) und Tote sind zu beklagen. Leider kann sich der Film nie so ganz entscheiden, ob er nun eine Liebeskomödie sein oder ob er dieses Subgenre generell persiflieren will. So muten die Handlung streckenweise absurd und der Humor bescheuert an, worunter der Filmgenuss leidet und wogegen die eigentlich sehr guten Schauspielerinnen und Schauspieler nicht mehr anspielen können. Seinen vielleicht gelungensten Moment hat „Immer Drama um Tamara“ gegen Ende, als Nachstellerin Jody erwischt wird, herrlich bedröppelt dreinschaut und als finale Pointe mit ihrem weinenden Schwarm fürs Foto posiert, womit sie die Generation Instagram vorwegnimmt.

Zu einem hörenswerten Punksong Coopers wird im Abspann in knappen Texttafeln erläutert, was aus den einzelnen Figuren geworden ist. Damit endet ein Film, der stilistisch zu sehr zwischen den Stühlen sitzt und meinen Nerv nicht wirklich getroffen hat, aber für einige Schmunzler und die leichte Muse gut ist.
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Deadpool

„Beschissener Mutant!“

2016 war es endlich soweit: Die lange angekündigte und geplante Marvel-Comicverfilmung „Deadpool“, angesiedelt im „X-Men“-Universum (als deren achter Teil), wurde veröffentlicht. Für Regisseur Tim Miller wurde es seine erste (und bis dato letzte) abendfüllende Arbeit. Das Ergebnis ist eine Superhelden-Actionkomödie mit starken selbstparodistischen Zügen.

„Ich bin zwar super, aber kein Held!“

Ex-Spezialeinheitenmitglied, Söldner und Wham!-Fan Wade Wilson (Ryan Reynolds, „Green Lantern“) erfährt, dass er dem Tode geweiht ist: Eine unheilbare Krebserkrankung wurde diagnostiziert. Das ominöse geheime Versuchslabor „Weapon X“ unterbreitet ihm in Person des undurchsichtigen Ajax (Ed Skrein, „Tiger House“) das Angebot, eine Reihe an Experimenten an ihm durchzuführen, an deren Ende seine Heilung stehe. Keine Alternative sehend willigt Wade ein und unterzieht sich einem schmerzhaften Prozess, im Zuge dessen man ihn mit einem Mutantenserum infiziert und ihn für eigene, sinistere Zwecke ausbeutet. Durch Herbeiführen einer Explosion gelingt Wade schließlich die Flucht. Er wird für tot gehalten, ist jedoch lebendig – zwar furchtbar entstellt, aber über regenerative Superkräfte verfügend, aufgrund derer ihm kaum ein Normalsterblicher noch Schaden zufügen kann. Getrieben von Rachegedanken schlüpft Wade in einen roten Ganzkörperanzug, nennt sich fortan „Deadpool“ und versucht, Ajax und Co. zur Strecke zu bringen. Die Superheldenorganisation „X-Men“ wirbt um ihn, doch an ehrenvollen Aufgaben und hehren Zielen hat er kein Interesse. Erst als Ajax es auch auf Wades Ex-Freundin und große Liebe Vanessa (Morena Baccarin, „The Red Tent“) abgesehen hat, denkt er um und bildet ein Zweckbündnis…

„Mach ihn platt, Poolboy!“

Bereits der Vorspann ist selbstironisiert, Regie habe ein „überbezahlter Vollhonk“ geführt. Wade bzw. Deadpool durchbricht von vornherein die sog. vierte Wand, indem er direkt zum Publikum spricht. Unmittelbar auf den Prolog folgt die erste spektakuläre Actionszene, die Wade als Deadpool gegen Ajax‘ Männer kämpfen lässt. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden also direkt ins kalte Wasser gestoßen und finden sich alsbald in einem mit zahlreichen Rückblenden arbeitenden, verschachtelten Narrativ wieder, in dem Wade seine Geschichte, u.a. aus dem Off kommentierend, erzählt. Zeitlupen kommen ebenso zum Einsatz wie schnelle Vorläufe – und Wade ist bewusst, dass er sich einem Film befindet. Übertriebene, bombastische Actioneinlagen und unrealistische Choreos noch und nöcher gehen eine Verbindung mit sarkastischen bis zynischen Dialogen und asozialen, vulgären Sprüchen im Dauerfeuerwerk ein.

Damit wird Deadpool zum Antihelden, der klassische Superhelden-Sujets mit ihren sauberen Protagonisten und ihren moralischen Vorbildfunktionen auf den Kopf stellt. Diese verballhornt „Deadpool“ auf respektlose, höchst vergnügliche Weise, obwohl er aus demselben Stall stammt. Weder die Gewaltspitzen noch die Dialoge sind familientauglich und die eingestreute Meta-Ebene versucht gar nicht erst, irgendeine Illusion aufrechtzuerhalten. Marvel gelingt es damit, die Zielgruppe seiner Filme zu erweitern, beweist viel Humor und Mut zur Selbstironie, aber eben auch geschäftliches Kalkül. Wer auf die „X-Men“-Filme steht, wird sich wohl auch „Deadpool“ ansehen bzw. angesehen haben; wer hingegen noch nichts mit ihnen anzufangen wusste, beginnt vielleicht nach „Deadpool“, sich für sie zu interessieren. Deren eiserner Typ taucht hier mit seiner sexy Azubine „Negasonic Teenage Warhead“ (wow: Brianna Hildebrand, „Prism“) auf, letztlich rauft man sich zusammen und arbeitet miteinander statt gegeneinander.

Das ist der Knackpunkt des Films: Parodie, Ironie und Meta-Ebene zum Trotz handelt es sich bei „Deadpool“ eben nicht um eine Erzählung um einen Schurken, der vorgibt, ein Held zu sein, auch werden die tatsächlichen Helden zwar von der Hauptrolle, nicht aber generell infrage gestellt. Prinzipiell ist auch „Deadpool“ eine Origin Story, eine Heldenreise mit allem, was dazu gehört (und einigem mehr) und eine Moritat mit einer positiven Moral, hier in Bezug auf Äußerlichkeiten, nur leidlich unter einer daumendicken Schicht Dreck, Gewalt und Obszönitäten versteckt. Deadpool ist ein Antiheld, das Werk „Deadpool“ aber kein Anti-Superhelden-Film.

Seltsamerweise funktioniert diese Mischung aber verdammt gut. Dass eine Mainstream-Produktion wie diese – wenn auch recht lange nach dem (doch etwas anders gelagerten) „Kick-Ass“ – die Grenzen dessen, was innerhalb des Superhelden-Bombastkino-Sujets möglich ist, verschiebt, ist durchaus faszinierend zu beobachten, vor allem aber aufgrund seiner Action-Vollbedienung, seiner hohen Gag-Dichte und dem gleichzeitigen selbstironischen Blick darauf ein wunderbar kurzweiliges Vergnügen, quasi der Party-Film unter den Marvels. Kaum zu glauben, dass es sich um ein Regie-Debüt handelt!

Zugegeben, die Krebsgeschichte empfinde ich als irgendwie unpassend unangenehm innerhalb dieser ansonsten so phantastischen Parallelwelt, Explosion und Entstellung erinnern an Sam Raimis (unironischen) „Darkman“ und für mein persönliches Glück hätten es gern auch ein paar (CGI-)Schauwerte und abgeklärte Einzeiler weniger und dafür ein paar Arschtritte Richtung Marvel-Kommerz-Blockbuster mehr sein dürfen. Offenbar wurden gegenüber den Comics auch diverse Anpassungen die Figuren betreffend vorgenommen, was ich normalerweise schade bis nervig finde, mich in diesem Falle aber nicht tangiert, da ich gar keine Marvel-Comics lese. Zu den weniger marktschreierischen Pluspunkten des Films zählen wiederum die seit einiger Zeit so beliebten popkulturellen Anspielungen auf vergangene Zeiten, was sich u.a. im coolen Soundtrack niederschlägt, die spaßigen Werbekampagnen für den Film, mittels derer beispielsweise zurückliegende Vermarktungsmaßnahmen anderer Filme persifliert wurden, und natürlich die Zusatzszene nach dem Abspann, in der nicht Ferris, sondern Deadpool blau macht.

Macht summa summarum 7,5 von 10 lebenden Sprengsätzen und eine gewisse Vorfreude auf die Fortsetzung.
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