Eigentlich für eine Online-Fanzine geschrieben, passt aber auch hier gut rein:
NORMAHL – JONG’R DVD + CD
(
www.7us.de) / (
www.normahl.de)
NORMAHL waren in ihrer mittlerweile (mit Unterbrechung) 30-jährigen Bandgeschichte für so manche Peinlichkeit gut – angefangen bei fragwürdigen Texten auf den frühen Schrammel-LPs über Funpunk auf einem Major-Label inkl. Matthias-Reim-Gedächtnisfrisuren bis hin zu erschreckend durchwachsenen Rock-Alben und Ausflügen in schmalzige Schlagergefilde. Doch trotz allem haben es die Schwaben um Energiebündel Lars Besa geschafft, eine ganze Reihe starker Songs, die eng mit meiner Punksozialisation verbunden sind, zu schreiben, die längst zurecht als Klassiker gelten – sowohl während der HC-Punk-Gehversuche als auch auf jüngeren, rockigeren Scheiben. Dabei hat man textlich nie ein Blatt vor den Mund genommen, starke, gesellschafts-, sozial- und politikkritische Songs kreiert und sich zum Sozialismus bekannt. Ein gutes Händchen bewies die Band oft bei Coverversionen, egal ob von alten Arbeiterliedern, Ennio-Morricone-Soundtracks oder gar Reinhard Mey („Diplomatenjagd“). Zum etwas verspäteten Jubiläum hatte man einen eigenen Spielfilm „von und mit NORMAHL“ (!) angekündigt und eigentlich hatte ich mich schon auf ein unfreiwilliges Trashvergnügen zum Fremdschämen eingestellt. Dieser Film liegt mir nun samt eigens von der Band eingespielten Soundtracks in einer Vorab-Promo-Version vor und ich bin positiv überrascht: Der Film ist nicht schlecht. Ja, wirklich.
Bei „Jong’r“ (schwäbisch für „Junge“) handelt es sich um eine Low-Budget-Produktion auf gehobenem Amateur-Niveau, die in 60 extrem kurzweiligen Minuten autobiographisch das Lebensgefühl einer Handvoll junger Punks in einer schwäbischen Kleinstadt Ende der 1970er Jahre nachzeichnet. Es geht um Ärger mit Eltern und anderen Spießern, Prolls, Lehrern etc., um Erfahrungen mit Drogen und Alkohol , unglückliche Liebschaften und natürlich auch Chaos und Spaß. Das Drehbuch stammt von Emanuel Brüssau und Sandro Lang, Letzterer führte auch Regie. Nun, diese Namen sagen mir genauso wenig wie die der Jungdarsteller Aaron Frederik Defant, Julian Trostorf, Hasan Dere u.a., aber die machen ihre Sache wirklich allesamt ziemlich gut, in jedem Falle besser als so mancher Seifenoper-Darsteller im TV. Und da es nicht umsonst hieß „von UND MIT“ spielen die Bandmitglieder im Film doch tatsächlich die Elterngeneration und - Achtung, jetzt kommt’s – es funktioniert! Dank gekonnter Masken- und Make-Up-Arbeit wurden sie glaubwürdig auf alt und spießig getrimmt und Lars Besa, der von den Bandmitgliedern die größte Rolle als Vater (!) des Hauptdarstellers einnimmt, geht darin so richtig auf. Die Szenen, in denen die Dorfgemeinschaft in der Kneipe zusammensitzt und alkoholgeschwängerte Stammtischreden in breitestem, zum Glück untertiteltem Schwäbisch schwingt, sind überaus gelungen und gleichzeitig urkomisch, wenn man Besa als alternden Elvis-Presley-Fan, alleinerziehenden Vater und verbitterten Spießbürger erlebt. Doch damit nicht genug, irgendwie hat man es auch noch hinbekommen, Vorzeigeschwabe Gotthilf Fischer (FISCHERCHÖRE) für einen Kurzauftritt zu gewinnen!? Ich kipp vom Stuhl... Das geringe Budget sieht man dem Film immer dann an, wenn auf absichtlich dilettantische Animationssequenzen zurückgegriffen wurde, um Vorgänge in die Handlung einzuflechten, die z.B. einen anderen Drehort erfordert hätten. Gleichzeitig dienen diese Szenen aber auch als Zeitraffer, um den Film kompakt zu halten. Richtig kurios wird es allerdings, wenn die Punks Ende der ’70er ein NORMAHL-Konzert besuchen und Songs zu hören bekommen, die erst viele Jahre später geschrieben wurden, haha. Inwieweit „Jong’r“ authentisch ist, kann ich schlecht beurteilen, da ich die Zeit damals nicht miterlebt habe, aber Lebensgefühl und -umstände kommen gut rüber und die (diesmal freiwillige) Komik bleibt auch nicht auf der Strecke. Überhaupt tut es sehr gut, dass sich „Jong’r“ selbst nicht bierernst nimmt. Dass das Drehbuch nun sicherlich keinen Preis in Sachen Dramaturgie gewinnen wird und es kein typisches Ende mit einem richtigen Höhepunkt, einer Moral oder Ähnlichem gibt, kann ich dabei verschmerzen. Ich muss zugeben, dass ich das den NORMAHLos in dieser Form nicht mehr zugetraut hätte.
Außerdem enthalten ist eine 30-minütige Bandfeaturette mit Interviews mit den aktuellen Mitgliedern, die natürlich für eine umfassende Aufarbeitung der Bandhistorie viel zu kurz ist, einem aber die Musiker etwas näher bringt. Gespickt mit alten Fernsehaufnahmen und Videoclips wird u.a. auf die Kampagne „Kein Hass im wilden Süden“ eingegangen, die NORMAHL in den 1990er als Zeichen gegen Fremdenhass initiierten, nachdem in Deutschland reihenweise Wohnheime und Wohnungen von Immigranten brannten und Menschen durch feige Anschläge sinnlose Tode starben. NORMAHL haben damals die Öffentlichkeit gesucht und mit Mainstream-Künstlern zusammengearbeitet, was etwas seltsame Blüten trieb und im Nachhinein auch kritisch von der Band gesehen wird. Die Interviewszenen an sich wirken aber ziemlich unkritisch und etwas selbstverliebt und einige Aussagen kann ich so ganz sicher nicht unterschreiben. Lars Besa kommt aber sehr enthusiastisch und hochmotiviert rüber und scheint auch nach all den Jahren noch voller Elan dabei zu sein. Was die Frage nach der zwischenzeitlichen Bandauflösung betrifft, nimmt man es mit der Wahrheit nicht ganz so genau und erzählt augenzwinkernd eine abstruse Geschichte, die hoffentlich niemand glaubt.
Zusätzlich zur DVD wird eine CD mit dem Soundtrack mitgeliefert, der satte 19 von NORMAHL gespielte Songs umfasst inkl. nur zweier kurzer Instrumentalstücke und Coverversionen von ELVIS’ „Suspicious Minds“ (!) und „Holidays In The Sun“ von den SEX PISTOLS, die speziell für den Film angefertigt wurden und sich zu meiner erneuten Überraschung wirklich vernünftig anhören. Neben einer Live-Version von „Deutsche Waffen“ gibt es zwei brandneue Stücke und eine Art ganz kleinen „Best Of“-Querschnitt durch das Schaffen der Band, wobei alle Songs neu eingespielt wurden – darunter uralte Heuler wie „Rockabilly Jimmy“ oder „Verarschung total“ sowie eine LENNONS-Coverversion („Claudia“), und auch das kann sich wirklich hören lassen. Vermutlich stammen einige Neueinspielungen vom unbescheiden betitelten „Das ist Punk“-Album, das entzieht sich gerade meiner genaueren Kenntnis. Ein echter Lacher ist aber die bisher unveröffentlichte Neuaufnahme von „Durst“ im Bierzelt-Musikantenstadl-Sound. Die CD ist auch einzeln erhältlich.
Fazit: Gelungenes Jubiläumspaket, mit dem sich NORMAHL aus meiner Sicht tatsächlich einen Gefallen getan haben.