bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Tilt ...ich kann's am besten

„Nur Schwächlinge spielen!“

Die einzige Regiearbeit des US-Amerikaners Rudy Durand ist die Jugend-Dramödie „Tilt“ aus dem Jahre 1979, die in der Halbwelt der Flipperspielerinnen und -spieler, äh, spielt – und von der man zuvor und danach kaum je etwas gehört haben dürfte: Sie scheint ein reines Fantasieprodukt der Autoren Durand und Donald Cammell zu sein. Meine Rezension bezieht sich auf die gekürzte deutsche VHS-Fassung.

„Es gibt nichts Leichteres, als mit Spielen anzufangen – und nichts Schwierigeres, als wieder damit aufzuhören!“

Die 14-jährige Brenda Louise Davenport (Brooke Shields, „Pretty Baby“) wird aufgrund ihrer Leidenschaft fürs Flipper-Spiel von allen nur „Tilt“ genannt. An den Flipper-Automaten gilt sie als unbesiegt, um Familie und Schule kümmert sie sich dafür weniger. Von Zuhause nimmt sie Reißaus und zieht zusammen mit dem Musiker Neil Gallagher (Ken Marshall, „Krull“) von Spielhalle zu Spielhalle, wo sie gemeinsam durch abgekartete Flipper-Wetten zu Geld kommen. Dieses will Neil unter anderem nutzen, um ein Demo aufzunehmen und seine Gesangskarriere voranzubringen. Doch im übergewichtigen Ekelpaket Harold Remmens (Charles Durning, „Das Grauen kommt um 10“), „der Wal“ genannt, droht Tilt, ihren Meister gefunden zu haben – kaum jemand beherrscht das Flippern so wie er. Und er ist es auch, mit dem Neil noch eine Rechnung offen hat…

„Analysieren ist Paralysieren, Mister!“

Der Vorspann wird hübsch in Bilder klassischer Flipper integriert, bevor Neil im Prolog bei einer Spielmanipulation gegen den „Wal“ erwischt und verknackt wird – womit auch geklärt ist, was es mit besagter offener Rechnung auf sich hat. Brooke Shields spielt eine 14-Jährige, die von den Herren der Schöpfung bereits sexualisiert wahrgenommen wird, ohne dass dieser Film dies ausschlachten würde (dessen kann man sich bei frühen Filmen aus ihrer Karriere ja nie ganz sicher sein). Süß und auf zack ist sie dennoch. Ken Marshall als Neil hat hier viel von Patrick Swayze, was als Kompliment zu verstehen, aber auch seiner Rolle geschuldet ist, und Charles Durning mimt mit einiger Hingabe den herrlich ekligen und unfreundlichen Fettsack.

„Weißt du, wann ich einen Fisch fange? Wenn er sein Maul aufmacht!“

Die dünne, unglaubwürdige Handlung lebt von ihrer Hauptdarstellerin, die möglicherweise so etwas wie eine reichlich fragwürdige Identifikationsfigur für Jugendliche abgeben sollte. Sie lässt nicht ganz fair Wetten auf ihr Flippertalent insbesondere von denjenigen, denen dieses noch gar nicht bewusst ist, abschließen, und macht damit erkleckliche Sümmchen Mammon. Kesse Sprüche treffen auf die damals verbreitete Faszination fürs Flippern, außerdem geht’s viel ums Kiffen – nein, sonderlich pädagogisch wertvoll ist dieser Jugendfilm nicht. Dafür aber hübsch bunt, womit er ein gutes Stück weit die ‘80er vorwegnimmt (als Arcade-Spielautomaten die Flipper ablösten) und damit unterm Strich ein interessanter, sehenswerter kleiner End-‘70er-Film, der, wäre er etwas populärer und wäre die Flipper-Szene entsprechend gepolt, sicherlich ein wenig Kultstatus besäße. Ich persönlich habe ein Herz für diese Art Filme und lande bei vergnüglichen 6,5 von 10 Flipperkugeln.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich

„Nazi und dann auch noch geizig…“

In seinem dreizehnten „Tatort“ ermittelt der Wiesbadener LKA-Kriminalhauptkommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) nicht selbst, denn der von Matthias X. Oberg, der zusammen mit Michael Proehl und Dirk Morgenstern auch das Drehbuch verfasste, inszenierte Fall spielt überwiegend in der dunkeldeutschen Vergangenheit des Jahres 1944. Nach dem „Tatort: Murot und das Gesetz des Karma“ handelt es sich um Obergs zweite Arbeit für die öffentlich-rechtliche Reihe. Der Geschichtskrimi wurde am 20. Oktober 2024 erstausgestrahlt.

„Hitler has only got one ball…”

Felix Murot und Magda Wächter (Barbara Philipp) erwarten am Frankfurter Flughafen die Ankunft eines Fliegers aus Argentinien, mit dem ein alter Kriegsverbrecher aus der Nazizeit endlich nach Deutschland ausgeliefert wird, damit ihm noch vor seinem Ableben der Prozess gemacht werden kann. Es handelt sich um Hagen von Strelow (Ludwig Simon, „Die Eifelpraxis“), der im Frühjahr 1944 zusammen mit dem Sonderermittler Oberst Rother (Ulrich Tukur) mit einem Motorschaden im Hessendorf liegenblieb und Zeuge wurde, wie ein britischer Pilot mit seinem Kampfflugzeug abstürzte. Während Rother bereits ein kriegsmüder älterer Mann war, war von Strelow als dessen junger Adjutant ein 120%iger Nazi, der ohne mit der Wimper zu zucken über Leichen ging. Man quartierte sich im dörflichen Gasthaus ein, wo die untergetauchte jüdische Ärztin Else Weiß (Barbara Philipp) als Bedienung arbeitete und Philosophieprofessor Bernhard Tabler (Cornelius Obonya, „Die Rache der Wanderhure“) sich die Zeit mit Schachspielen vertrieb. Während Rother und von Strelow auf die Reparatur ihres Autos warteten, bekamen sie es mit einem neuen Fall zu tun: Vier tote deutsche Soldaten in einem nahegelegenen Waldstück, ein angeketteter und verletzter Häftling, den die vier transportierten, und schließlich der britische Soldat, der sich als Spion für die Deutschen entpuppte und bald tot in der Dorfkapelle aufgefunden wurde – ermordet. Er soll höchst brisante strategische Dokumente dabeigehabt haben, doch wo sind sie hin? Und wer hat warum den Briten erschossen? Und wie genau sind die vier Soldaten ums Leben gekommen? Rother versuchte, sich einen Reim auf die Ereignisse zu machen, während von Strelow ihm im Nacken saß und seine Vorgehensweise immer weniger gutheißen konnte…

„Wenn man dem Reich dienen will, dann gibt es immer eine Möglichkeit!“

Die 1944 spielende Handlung ist der eigentliche Fall, eingebettet in eine marginale Rahmenhandlung, an die der Schnitt immer mal wieder kurz erinnert. Dass Rother ebenfalls von Tukur und Weiß ebenfalls von Philipp gespielt werden, verleiht dem Ganzen eine leicht surreale Note, die am Ende in der Gegenwart noch einmal kurz aufgegriffen wird. Dennoch ist „Murot und das 1000-jährige Reich“ – insbesondere verglichen mit manch anderem Wiesbadener „Tatort“ – kein wirklich surrealistischer oder sonderlich experimenteller Fall, sondern narrativ bodenständig und stets nachvollziehbar, tendiert dabei aber ein wenig in Richtung Alternate History. Er ist durchaus spannend erzählt, vor allem, wenn nach gut 20 Minuten die ersten Leichen gefunden werden. Der eigentliche Fokus jedoch liegt auf der Dynamik zwischen den einzelnen Figuren, was umso interessanter wird, je mehr man sie kennenlernt und zusammen mit Rother rätselt, wer so ist, wie er oder sie sich gibt, und wer nur so tut als ob – während man als Zuschauerin oder Zuschauer nicht zuletzt auch über Rother rätseln darf, dessen Vergangenheit einem verborgen bleibt; dafür lernt man gefühlt das ganze Dorf kennen: Neben den bereits genannten den Schmied Lobus (André Meyer, „Der Wixxer“) und dessen Frau (Melanie Straub, „Systemsprenger“) sowie die gemeinsame kleine Tochter Waltraud (Viola Hinz, „Sexuell verfügbar“), Gastwirtin Clara Breuninger (Imogen Kogge, „Phoenix“), den Postbeamten Karl (Gerd Lohmeyer, „Der Schuh des Manitu“), den Dorfdeppen sowie die Männer, die Rother und von Strelow begleiten, und den gefangengenommenen Soldaten.

Am unangenehmsten ist von Strelow, Typen wie ihm möchte man am liebsten 24/7 in die Fresse schlagen. Aber auch andere Figuren bekleckern sich nicht gerade mit Ruhm, zeigen verschiedene Facetten menschlicher Schwächen und Fehler, die nur allzu gut mit Faschismus korrelieren. So hübsch das frühlingshafte Hessendorf auch anzusehen ist, es herrscht eine unbehagliche Atmosphäre gegenseitiger Verdächtigungen und damit verbundenen Machtmissbrauchs und Ängsten. Und die Zahl der Leichen steigt, u.a. verursacht durch einen für 20:15 Uhr sehr explizit dargestellten Kopfschuss. Das Dorf bildet zwar keinen vollumfänglichen Mikrokosmos Deutschlands zu NS-Zeiten, deckt aber doch einiges ab. In Form verschiedener Visualisierungen unterschiedlicher Versionen der Geschichte um die vier erschossenen Soldaten spielt man genüsslich mit dem Stilmittel des unzuverlässigen Erzählers. Humorig geht es während einer Gesangseinlage Rothers zu, der im Gasthaus „Hitler has only got one ball“ schmettert.

Kritisieren kann man, dass sich „Murot und das 1000-jährige Reich“ auf die gefährliche „Guter Nazi, schlechter Nazi“-Gratwanderung einlässt. Das surrealistisch aufgeladene Ende lässt dann aber keinen Zweifel daran, dass dieser „Tatort“ ein Plädoyer für die Strafverfolgung auch greiser und gebrechlicher Nazis und Kriegsverbrecher ist – und zwar ein ebenso unterhaltsames wie beeindruckendes.
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Joker: Folie à Deux

„Ich will dein wahres Ich sehen!“

Regisseur Todd Phillips‘ „Joker“ aus dem Jahre 2019 war vor allem ein persönliches Drama, das eigentlich außerhalb jeglicher DC-Universen und Reboots für sich stand, den komödienerprobten Phillips nachdrücklich fürs ernste Fach empfahl und keiner Fortsetzung bedurft hätte. Diese war ursprünglich auch nicht geplant, doch die Rekordeinnahmen an den Kinokassen, der Überraschungserfolg, der „Joker“ war, und der Oscar für Hauptdarsteller Joaquin Phoenix („Walk The Line“) schrien förmlich danach. Nun ist sie da: Eine komplett gegen die Erwartungshaltungen des Publikums gebürstete Mischung aus Psychodrama, Knast-/Gerichtposse und Musical.

„Jetzt gibt es nur noch uns!“

Nachdem er mehrere Menschen getötet hat – einen davon höchst publikumswirksam vor laufenden TV-Kameras –, sitzt Arthur Fleck alias „Joker“ (Joaquin Phoenix) im Arkham Asylum Gotham Citys ein, wo er, mittels Medikamenten sediert, auf seinen Prozess wartet. Seine Anwältin Maryanne Stewart (Catherine Keener, „Being John Malkovich“) fährt die Strategie, den Geschworenen zu verdeutlichen, dass Arthur aufgrund der Missbrauchserfahrungen während seiner Kindheit unter einer gespaltenen Persönlichkeit leidet und demnach nicht er, sondern der Joker die Taten verübt hat – Arthur also schuldunfähig ist. In Arkham jedoch lernt er im Rahmen eines therapeutischen Gesangskurses die eigensinnige, anarchische Harley Quinzel (Lady Gaga, „A Star is Born“) kennen, die vom Joker und dessen Taten fasziniert ist. Arthur und Harley verlieben sich ineinander – und sie motiviert ihn, sich nicht als bemitleidenswertes Opfer seiner Kindheit und der gesellschaftlichen Umstände zu inszenieren, sondern den Joker wieder aufleben zu lassen…

„…dann bauen wir einen Berg – aus einem kleinen Hügel.“

Wie „Joker“ wurde auch „Joker: Folie à Deux“ tief in den Neo-Noir-Stiltopf getaucht: urbanes Anfang-‘80er-Ambiente, viel Dampf und Qualm – allein schon, weil ständig und überall geraucht wird. Die Gefängnisbilder sind dreckig und unwirtlich, Arthur ist erschreckend abgemagert – im Gegensatz zu den fettleibigen sadistischen Wärtern (u.a. Brendan Gleeson, „Brügge sehen… und sterben?“), die wahllos Insassen misshandeln. Zeitlupen betonen die Relevanz mancher Szene. Die Kamera fängt ihre Figuren bevorzugt in Großaufnahmen ein und filmt viele Bildschirme ab, bevorzugt TV-Geräte, was den Stellenwert dieses Mediums für die Geschichte unterstreicht. Entweder wird Arthur selbst gefilmt oder er sieht TV-Nachrichten und -Berichte über sich, an denen er sich erfreut. Sogar ein Film sei über ihn gedreht worden; gut sei er geworden, er habe ihn leider noch nicht sehen können. Einmal sitzt er auch im Knastkino und schaut sich zusammen mit Harley den Musicalfilm „Vorhang auf!“ an. Das Kennenlernen der beiden wird ziemlich schnell abgefrühstückt, sorgt aber auch rasch für wundervolle düsterromantische Bilder einer Außenseiterromanze – die sich indes bald als Illusion, weil auf Lügen Harleys fußend, entpuppt. Dass es sich bei Harley gar lediglich um ein Hirngespinst Arthurs, um eine weitere Facette einer multiplen Persönlichkeit handeln könnte, scheint anfänglich möglich (und wäre dem Film zuzutrauen gewesen), bewahrheitet sich aber nicht.

„ich will nicht mehr singen, bitte…“

„Joker“ hatte eine sozialkritische, empathische Origin-Story des in den Comics Origin-Story-losen psychopathischen Schwerverbrechers angeboten. Anstatt ihn in dieser Fortsetzung nun zum Chefzyniker unter den DC-Schurken hochzustilisieren, inszeniert ihn Phillips entgegen etwaigen Erwartungen seitens der Fans weiterhin über weite Strecken als bemitleidenswertes Opfer, das unter dem Gefängnis leidet, durch die zarten, anscheinend erwiderten Gefühle zu Harley neue Hoffnung und Lebenslust schöpft und sich in bunte Musicalszenen mit ihr hineinfantasiert, die mit verstörenden Gewaltausbrüchen gespickt sind, dadurch kontrastiert werden und ebenfalls einfach großartig sind.

Als es vor Gericht geht, wo er sich letztlich dafür entscheidet, als Joker eine Schmierenkomödie abzuziehen, scheint sich jedoch schlicht seine narzisstische Persönlichkeitsstörung zu bewahrheiten. Als Zuschauer(in) empfindet man nun verstärkt Empathie für, nein, nicht den aalglatten Staatsanwalt Harvey Dent (Harry Lawtey, „Industry“) zu Prä-Twoface-Zeiten, sondern für die aussagenden Zeuginnen und Zeugen (u.a. Zazie Beetz, „Deadpool 2“). Besonders stark ist in dieser Hinsicht der Auftritt des kleinwüchsigen Gary Puddles (Leigh Gill, „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“), einem ehemaligen Arbeitskollegen Arthurs, der eindringlich seine Verstörung und Angst transportiert und von Arthur respektive Joker verhöhnt wird. Was man zuvor eventuell an Sympathie für Arthur empfand, beginnt hier mehr als nur zu bröckeln. Seine Totschläge und Morde haben auch etwas mit den Lebenden gemacht. Und wer indirekt betroffen ist, zählt ganz bestimmt nicht zu seinem Fanclub, der sich in Clownsmaskerade in Solidaritätsbekundungen und Randale ergeht.

Seine zufällige Befreiung aus dem Gerichtssaal und somit auch der Haft durch die Explosion einer Autobombe lässt vermuten, dass nun doch noch eine Joker-und-Harley-Quinn-Show beginnen könnte, doch Pustekuchen: Offenbar verweigert Phillips eine solche Entwicklung seinem Publikum ganz bewusst. Stattdessen spring Phillips mit Anlauf und Gebrüll Gesang in die „Rob Zombie’s Halloween“-Falle und entmystifiziert eine Figur komplett, die nicht entmystifiziert werden darf, damit sie funktioniert. Dabei geht er sogar einen entscheidenden Schritt weiter als der seinerzeit mutmaßlich aus Unverständnis handelnde Rob Zombie und verwehrt diesem Joker sogar komplett die Möglichkeit, auch nur ansatzweise zu jenem Oberschurken zu werden, wie man ihn kennt – vermutlich, um die von Arthurs Fans, allen voran Harley, zelebrierte Faszination für das Böse nachhaltig zu ersticken und, mit dem Zaunpfahl gen aktuelle Realität winkend, davor zu warnen, sich mit Vorliebe öffentlich profilierenden Schizos zu verfallen. Da passt es ins Bild, dass Harley bald das Interesse an Arthur verliert und bis auf ein wenig Maskerade nicht viel von der geläufige Harley-Quinn-Figur erkennen lässt.

So nachvollziehbar dieser Ansatz grundsätzlich sein mag, erscheint mir die Figur des Jokers eher ungeeignet, um diese Aussage nicht nur zu transportieren, sondern sie (die Figur) hierfür auch noch zu bestrafen. Zu den DC-Comics passt das spätestens ab diesem Punkt nicht mehr. Ach ja, der Gesang: Der passt, wie auch von mir im Vorfeld vermutet, wiederum sehr gut in diese Adaption, denn gerade die DC-Welt bot schon immer viel Raum für Varianten- und Facettenreichtum sowie Ent- und Verrücktheiten. Lady Gaga ist ohnehin in erster Linie für ihr Gesangstalent bekannt und Phoenix stellte seines bereits damals als Johnny Cash in „Walk The Line“ eindrucksvoll unter Beweis. Egal, ob als Duett oder solo und ganz gleich, ob innerhalb Arthurs bunter Fantasie oder im kargen, grauen Knast: Die Interpretationen alter Klassiker, die hier zumindest zum Teil rekontextualisiert werden, können sich hören lassen und leben oft von der Zerbrechlichkeit, die Phoenix als Arthur in seine Stimme legt. Inhaltlich erzählen sie häufig die Handlung weiter bzw. drücken Gefühlswelten aus und wurden sie entsprechend gut eingeflochten, und ästhetisch schien man einen besonderen Gefallen daran zu finden, sie rein intradiegetisch beginnen zu lassen und mittels extradiegetischer Filmmusik nach und nach aufzumotzen.

Der Gesang ist also nicht das Problem dieses über so weite Strecken trotz Überlänge fesselnden und interessanten, toll aussehenden und ebenso geschauspielerten Films. Es sind vielmehr die Abbiegungen, die er nimmt, um eine Fan-Enttäuschung auf die andere zu stapeln und mit einem derart üblen Tabula-rasa-Ende zu besiegeln, dass eine weitere Fortsetzung mit Phoenix als Joker unmöglich scheint. An dieser habe Phillips aber ohnehin kein Interesse, heißt es. Ein möglicher Ansatz wäre eine neue Origin-Story eines neuen (des eigentlichen?) Jokers, einem ehemaligen Fan Arthurs – den der Schluss auch andeutet. Vielleicht kommt man bei Netflix und Konsorten ja irgendwann auf die Idee und gießt dies in Serienform.

Positiv hervorheben möchte ich den generellen Trend zurück zu deutschen Inserts, dem auch „Joker: Folie à Deux“ folgt. Negativ hervorheben muss ich die Enttäuschung, die ich – obwohl stets aufgeschlossen gegenüber von der Norm abweichenden Comicverfilmungen – mit Einsetzen des Abspanns empfand.
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M – Eine Stadt sucht einen Mörder

„Du hast aber einen schönen Ball…“

Fritz Langs erster Tonfilm – zugleich einer der ersten deutschen Tonfilm überhaupt – bedeutete zugleich Langs Abkehr von seinen opulenten Stummfilm-Epen wie „Die Nibelungen“ oder „Metropolis“ und die Hinwendung zu einem in der damaligen Realität verwurzelten, authentischeren Stil. Das vom realen Fall des Düsseldorfer Serienmörders Peter Kürten und anderen Serienmördern inspirierte Drehbuch des mehrschichtigen Films verfasste er zusammen mit seiner damaligen Frau Thea von Harbou. Die Mischung aus Kriminaldrama, Thriller und Gesellschaftsporträt „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ aus dem Jahre 1931 gilt auch ungeachtet seiner Pionierstellung als großer Klassiker und einer der wichtigsten (nicht nur deutschen!) Kinofilme schlechthin.

„Pfui Deibel, stinkt der Käse jut!“

Ein unbekannter Kindermörder (Peter Lorre, „Casablanca“) treibt sein Unwesen in Berlin und versetzt die Stadt in Angst und Schrecken. Nicht nur die Polizei ist hinter ihm her, sondern bald auch die urbane Unterwelt, der das verstärkte Polizeiaufkommen gar nicht schmeckt und die möglichst bald wieder weitestgehend ungestört ihren Geschäften nachgehen möchte. Doch während man weiter im Dunkeln tappt und die Gesellschaft immer dünnhäutiger und paranoider wird, erkennt ausgerechnet ein blinder Ballonverkäufer (Georg John, „Die Nibelungen“) den Täter anhand dessen Marotte, Edvard Griegs „In der Halle des Bergkönigs“ vor sich hinzupfeifen. Er schickt daraufhin einen Jungen los, der den Mörder unbemerkt mit einem „M“ aus Kreide markiert…

Die Eröffnungssequenz, in der ein Schatten – der Mörder – ein Kind (Inge Landgut, „Emil und die Detektive“) anspricht, ist nicht weniger als ikonisch, ein Paradebeispiel für die Übernahme expressionistischer Stilmittel in den Tonfilm und in ihrer Ausführung schlicht perfekt. Im weiteren Verlauf erweist sich Lang als guter Beobachter gruppendynamischer gesellschaftlicher Prozesse, indem er aufzeigt, was eine solche Mordserie mit einer Gesellschaft macht, aber auch, was sie mit sich machen lässt und welch große Rolle die Presse dabei spielt – ständig bekommt man Schriftstücke und Druckerzeugnisse in Nahaufnahme zu sehen. Die Gesellschaftskritik ist offensichtlich. Der Mörder wird dem Publikum gegenüber recht früh enttarnt, woraufhin man jedoch lange gar nichts mehr von ihm sieht. Eine ungewöhnliche Herangehensweise, die dem Gattungsmix des Films geschuldet ist: Lang vermittelt beinahe dokumentarisch die kleinteilige, verzweifelte Ermittlungsarbeit der Polizei, die in ihrer Detailliertheit von Langs Bekanntschaft zur Berliner Polizei profitierte. Kongenial sind dabei die Überblendungen von polizeiinternen Gesprächen zu einer konspirativen Besprechung der Unterwelt, die die starken inhaltlichen Überschneidungen aufzeigen.

Während die Bevölkerung immer mehr sowohl in Angst als auch in Angriffslust verfällt, Lynchabsichten zu hegen beginnt und sich untereinander denunziert, nimmt die Unterwelt das Heft in die Hand und durchkämmt unter Leitung des Schränkers (Gustaf Gründgens, „Hokuspokus“) die Stadt nach dem Triebtäter. Zugleich lernt man diesen als Zuschauerin oder Zuschauer jetzt besser kennen, die Regie richtet ihren Fokus nun auf ihn und begleitet ihn bis zum Hinterhoftribunal der Gangster. „M“ ist damit zu einem richtig spannenden Thriller geworden, in dessen Finale der großartig aufspielende Lorre seine Pein als unzurechnungsfähiger, triebgesteuerter, kranker Mörder schildert. Der Pöbel fordert Lynchjustiz, mit Ausnahme des „Verteidigers“, der Schutz vor Mord auch für den Mörder einfordert. Lang exerziert damit den Unterschied zwischen krimineller Energie und Krankheit durch und bezieht damit, ohne es allzu plakativ zu machen, Position gegen den Lynchmob und die Todesstrafe für psychisch derart derangierte Täter. Der auf diese „Verhandlungen“ folgende echte Gerichtsprozess wird im Anschluss nur kurz angerissen.

Den Nazis war der humanistische Film ein Dorn im Auge, sie verboten ihn nach ihrer Machtergreifung. Doch so großartig besagtes Tribunal auch konstruiert und gespielt ist, findet sich hier auch die einzige inhaltliche Schwachstelle des Films: Wie bis heute so oft geht es auch hier mehr um den Mörder und ein gewisses Mitleid ausgerechnet für ihn als um die Opfer und die Hinterbliebenen der getöteten Kinder. Interessant ist Langs Verwendung der neuen Tonfilm-Möglichkeiten: Anstatt den Filmton übermäßig einzusetzen oder gar eine dominante musikalische Untermalung zu verwenden, bleibt „M“ in einigen Szenen komplett stumm und bleibt die einzige „Musik“ das Pfeifen der immergleichen Melodie durch den Mörder. Dies trägt zur besonderen und zuweilen sehr intensiven Atmosphäre des Films bei, der sich zugunsten des Inhalts in Sachen Spektakel angenehm zurückhält. Zudem arbeitete Lang bereits 1931 bewusst und dabei recht effektiv mit Bild-Ton-Asynchronität.

Einer der Subtexte des Films dürfte zudem eine Art Abgesang auf die Weimarer Republik sein, denn die unbeschwerten 1920er-Jahre scheinen hier nicht nur aufgrund des Datums ein für alle Mal vorbei zu sein. Eingedenk dessen, was recht bald in Deutschland folgen sollte, ist „M“ ein umso bedeutenderes Zeitzeugnis. Trivium zum Schluss: Die von Otto Wernicke („Das Parfüm der Mrs. Worrington“) gespielte Figur des Kommissars Lohmann griff Lang für „Das Testament des Dr. Mabuse“ aus dem Jahre 1933 erneut auf.
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Geständnis einer Nonne

„Gelobt sei Jesus Christus!“

Italo-Regisseur Giulio Berrutis Beitrag zur Nunploitation ist der sleazige, gialloeske Thriller „Geständnis einer Nonne“ aus dem Jahre 1979 mit Anika Ekberg in der Hauptrolle. Nach „Noi siam come le lucciole“ handelte es sich um Berrutis zweite und bereits letzte Regiearbeit.

„Kein Mensch in diesem Haus hat Respekt vor dem Landadel!“

Schwester Gertrude (Anita Ekberg, „Das süße Leben“) gilt als über jeden Zweifel erhabene Fachkraft im Sanatorium für psychisch Kranke, das von ihrem religiösen Orden geführt wird. Doch nachdem sie sich einer Operation wegen eines Hirntumors unterziehen musste, hat sie eine Morphiumabhängigkeit entwickelt und neigt sie zu aggressiven emotionalen Ausbrüchen. Da ihre Vorgesetzten, Dr. Poirret (Massimo Serato, „Blutiger Schatten“) und Mutter Oberin (Alida Valli, „Der Antichrist“), ihr den Stoff nicht geben wollen, muss sie zu fragwürdigen Methoden greifen. Doch mit Mord und Totschlag hat sie nichts an der Kapuze – oder etwa doch? Als sich furchtbare Todesfälle in der Klinik häufen, gerat Gertrude unter Verdacht…

„Im Bikini wären Sie eine Schau!“

Eine Texttafel zu Beginn behauptet Authentizität. Dann wollen wir das mal glauben! Um Glauben geht’s bei Nonnen schließlich viel. Ein Beichtvater verweigert einer Nonne im Prolog die Absolution, die eigentliche Handlung spielt dann in der Katholenklapse. Gertrude hat ihre OP bereits hinter sich und wirkt irgendwie gestört. Greift sie zum Skalpell, ertönt als „dezenter“ Hinweis darauf, dass hier etwas nicht stimmen könnte, Musik wie aus Gruselfilmen der alten Schule, ihre Point-of-view-Szenen werden in Nebel getaucht. Seit ihrer Operation wirkt sie hypochondrisch, was vermutlich aber Ausdruck ihrer Morphiumsucht ist. Beim Essen der Patienten liest sie Folterszenen aus der Bibel vor und bekommt einen Aggressionsausbruch. Ihre Zimmergenossin Schwester Mathieu (Paola Morra, „Unmoralische Novizinnen“) scheint all das nicht zu stören, sie zeigt sich vorwiegend nackt und gesteht Gertrude ihre Liebe. Damit wäre auch der Sleaze-Anteil initiiert.

„Suchen Sie Hilfe im Beichtstuhl!“

Nach einem Zusammenbruch der alten Patientin Josephine (Nerina Montagnani, „Your Vice Is a Locked Room and Only I Have the Key“) führt der Herr Doktor eine erschreckend unprofessionelle Herzdruckmassage aus – nein, dieser Schauspieler hatte mit Sicherheit länger keinen Erste-Hilfe-Kurs mehr besucht. Folgerichtig lebt Josephine ab, woraufhin Gertrude sie bestiehlt. Unschöne Blüten sind’s, die die Morphiumsucht da treibt. Während einer Reise in die Schweiz ist Gertrude plötzlich scharf auf Männer, ihre lüsternen Gedanken werden auf der Tonspur ausformuliert. Wortlos gabelt sie sich den Erstbesten (Brunello Chiodetti, „Verdammte, heilige Stadt“) auf und es folgt… Erotik? Schmutziger Sex? Reife Wollust eines freidrehenden Ensembles, sinnlich und verrucht zugleich von einem kompetenten Kamerateam eingefangen? Leider nein, lediglich eine öde, angezogene Sexszene im Stehen.

„Langeweile führt in die Hände des Teufels!“

Zurück im Spital verleumdet sie den Doc und hat zugedröhnt blutige OP-Visionen sowie Gewaltfantasien und sieht sich bei einem nackten Mann auf einer Bahre stehend. Diese bizarren Szenen verleihen dem Film einen surrealen Touch, der Gertrudes derangierte Psyche visualisierend unterstreicht – und natürlich weiter dazu beiträgt, sie zur Hauptverdächtigen zu machen. Kurz darauf stürzt sich jemand aus dem Fenster – oder hatte Gertrude ihre Finger im Spiel? Dies scheint für Mathieu festzustehen, denn sie will Gertrude beim Verschleiern des Mords helfen. Während mit Dr. Roland (Joe Dallesandro, „Andy Warhols Frankenstein“) ein neuer Doc die Bildfläche betritt, beobachtet Gertrude, wie Rollstuhlopa (!) Jonathan während eines Unwetters im Freien (!) mit Florence (Ileana Fraia, „House of 1,000 Pleasures“) vögelt (!) und ermordet ihn daraufhin. Zumindest erweckt der Film eindringlich diesen Anschein. Hinterher heult sie sich bei der nackten Mathieu aus, beschimpft sie im unmittelbaren Anschluss und zwingt sie… na, was kommt jetzt? Sich Seidenstrümpfe anzuziehen. Äh, ach so…

Man sieht nie wirklich, dass Gertrude die Täterin ist, es deutet nur alles darauf hin – womit es aber auch schon zehn Meter gegen den Wind nach einem Ablenkungsmanöver und einer späteren, ach so überraschenden Auflösung riecht. Die Spannung generiert sich daher in erster Linie daraus, ob man mit seinen Vermutungen richtigliegt und was der Film einem noch so alles an Absonderlichkeiten auftischen wird, die seltsamerweise nie die Polizei auf den Plan rufen. Da wäre mit Janet (Sofia Lusy, „Der Mafia-Boss“) zunächst eine weitere Tote. Peter (Lou Castel, „Nada“), ein plietscher junger Patient, weiß etwas und wird von Gertrude erpresst, woraufhin auch er sterben muss. Mathieu besticht den neuen Doc mit Sex, die wahre Täterin wird enttarnt und der Epilog – das ist dann ganz hübsch gemacht – knüpft an den Prolog an. Ein Sprecher aus dem Off lässt noch wissen, wie’s ausging, visualisiert wird das schon nicht mehr.

Dieser ausnahmsweise einmal in der Gegenwart des Drehzeitpunkts und nicht in gotischen oder mittelalterlichen Epochen spiele Nunploitater weist ein recht hohes Tempo auf, ständig passiert etwas – darunter einige ausgemachte Gemeinheiten. Religionskritik hingegen findet eher am Rande statt und alles in allem ist diese höchst unglaubwürdige (Aber doch wahre! Oder etwa nicht…?) Geschichte mit der groben Nadel krude zusammengeklöppelt worden. Der Thrill ist annehmbar, wenn auch stets seltsam entrückt, die Ekberg spielt sich halbwegs seriös durchs Kuriositätenkabinett, aber der Versuch, Sex und Gewalt miteinander unterhaltsam zu vermengen, geht doch ziemlich in die Hose – zu unentschlossen wirkt Berrutis Regie, die speziell mit dem Sleaze-Gehalt eher zu fremdeln scheint. Eine willkommene Abwechslung zu klischeebehafteteren Genrekonkurrenten ist „Geständnis einer Nonne“ über weite Strecken dennoch.
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Libido – Das große Lexikon der Lust

„Auf die Sex-Barrikaden!“

Die italienisch-deutsche Koproduktion „Libido – Das große Lexikon der Lust“ aus dem Jahre 1969 ist folgerichtig eine Mischung aus Mondofilm und Pseudo-Aufklärungsreport. Die Regie teilten sich Sergio Bergonzelli („In the Folds of the Flesh“) und Theo Maria Werner („Ich denk', mich tritt ein Pferd“), wobei es heißt, dass Bergonzelli Probleme mit der italienischen Zensur gehabt habe und sein Film für die Freigabe ziemlich Federn habe lassen müssen, während Werner für die deutsche Fassung einige Szenen nachdrehte und einfügte. Und was jetzt nach Flickenteppich klingt, ist auch einer.

„Hier geht es eher preußisch zu.“

Die Doktorandinnen und Doktoranden Claudia (Brigitte Skay, „Unruhie Töchter“), Alfi (Al Cliver, „Laura“), Anita Gruber (Hansi Linder, „Tamara“), Siggi (Bernard De Vries, „Das Geschlecht der Engel“), Natascha (María Luisa Sala, „Blutiges Blei“) und Peter (Angelo Infanti, „Der Pate“) bilden eine Kommune, um an ihrer Dissertation in Form einer Filmreportage über die menschliche Sexualität zu arbeiten. Hierfür befragen sie Passantinnen und Passanten auf der Straße, um ihre Hypothese zu bestätigen, dass sexuelle Verklemmtheit und gesellschaftliche Tabus die Menschen an der Entfaltung ihrer Sexualität hindern und damit ursächlich für eine ganze Reihe von Problemen sind. Je mehr sie sich mit diesen Themen beschäftigen, desto näher kommen sie auch untereinander…

„Willkommen im natürlichen Kleid: der Haut!“

Zu Beginn müssen nackte Kinder als Exempel für natürliche Nacktheit herhalten, weiter geht’s mit historische Gemälden und Skulpturen, mit der Sauna und mit FKK-Fotos. Diese Aufnahmen entpuppen sich als dokumentarisches Material, das die Doktorandinnen und Doktoranden zusammen mit ihrem Professor rezipieren. Die anschließenden Straßenumfragen leiden unter unangebrachter Hektik und einer furchtbaren Wackelkamera. Die Dialoge sind unfreiwillig komisch, ein eigentlich zitierwürdiger Dialog jagt im Stakkatotempo den nächsten. Generell wirkt der Schnitt des Films sehr hektisch und irritiert, wie man zwischen den Szenen und Themen springt. Das Thema Phimose (Vorhautverengung) wird am Beispiel eines Kinderpimmels durchexerziert und mehrmals wird behauptet, Kaffee mache impotent.

„Manche Frau entwickelt sich zur Schlampe, die immer herumschreit; ob sie im Recht ist oder nicht!“

Weitere angerissene Themen sind Homosexualität, Zwitter und Transsexualität, erogene Zonen, Gruppensex, Masturbation, Ödipuskomplexe, Voyeurismus etc. Angebliche Experten bemühen sich mehr schlecht als recht, dem Ganzen einen seriösen Anstrich zu verleihen, wobei der Film zugegebenermaßen nicht immer danebenliegt und für sein frühes Veröffentlichungsjahr recht provokant ausgefallen ist. Gleichberechtigung herrscht insofern, als Frauen und Männer komplett nackt gezeigt werden, also nicht nur eine heteronormativ männliche Sichtweise bedient wird. Gerade in der Retrospektive wirkt eine Vielzahl Szenen aber schlicht albern und von einem fragwürdigen Humorverständnis zeugend.

„Auf in die Matratzenschlacht, Amazone!“

Im (nennen wir es mal) Finale helfen den Studierenden bewusstseinserweiternde Substanzen bei einem Selbsterfahrungstrip, der in psychedelische Bilder gefasst wird und den jungen Leuten dabei hilft, endlich auch die letzten eigenen Hemmungen zu verlieren und sich sexueller Forschung am lebenden Objekt hinzugeben. Am Ende steht jedoch in erster Linie die ungewollte Aussage des Films, dass Geschlechtsreife offenbar zu völligem Verlust des Verstands führt. Da kann dann auch das interessante Ensemble mit Personalien wie der frühen deutschen Erotikfilm-Ikone Brigitte Skay oder dem hier offenbar debütierenden späteren Genrefilm-Souverän Al Cliver nicht viel retten. Die Machart des Films macht letztlich alle halbwegs interessanten Ansätze und Ideen zunichte, denn der ganze Schmu ist heillos überdreht und erinnert dabei tatsächlich eher an Pubertierende, die gerade ihre Sexualität entdeckt haben und aufgeregt darüber schnattern und palavern, als an angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Aber in eben jener Pubertät steckte der Sexfilm damals eben noch…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Unter Feuer

„Du hast sie einfach abgeknallt…“

Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) zum 17., Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) zum Elften – das Dresdner „Tatort“-Ermittlungsteam bleibt auch im Jahre 2024 konstant. Regisseur Jano Ben Chaabane („Blind ermittelt“) debütiert innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe, das Drehbuch verfasste Christoph Busche.

„Was bitte soll an diesem Morgen gut sein?“

Bei einer Verkehrskontrolle an einer eigentlichen ruhigen Stelle einer Landstraße wird Marek Krug (Maximilian Mauff, „Patong Girl“) angehalten, der sofort das Feuer eröffnet und dabei einen Polizisten tötet, während der andere schwerverletzt zunächst überlebt. Deren Kolleginnen Leila Demiray (Aybi Era, „Jenseits der Spree“) und Anna Stade (Paula Kroh, „Tierärztin Dr. Mertens“) konnten sich schnell genug in Sicherheit bringen und sind nun wichtige Zeuginnen für die Dresdner Mordkommission um Peter Schnabel, Karin Gorniak und Leonie Winkler. Pikant: Letztere war eigentlich mit Krug verabredet, weil er angeblich brisante Informationen für sie hatte, die den Tod ihres Bruders betreffen. Dieser kam vor einigen Jahren während eines Einsatzes ums Leben, als er im zweiten Ausbildungsjahr ohne Schutzweste bei einer Stürmung erschossen wurde. Seither lässt sein Tod unter diesen rätselhaften Umständen Winkler nicht los – und dass die Polizisten, auf die der flüchtige Krug schoss, unter demselben Revierleiter (Andreas Lust, „Der Räuber“) wie einst ihr Bruder arbeiteten, spricht für eine mögliche Verbindung zwischen beiden Ereignissen. Wegen persönlicher Betroffenheit darf sie nicht offiziell ermitteln, tut dies aber auf eigene Faust und vertraut sich Gorniak an. Parallelen zu einer ungeklärten Einbruchserie führen auf eine Spur, die wiederum zur Polizei zurückführt…

„Keine dramatischen Pausen!“

Der Prolog mit der Schießerei ist stark inszeniert und gefilmt. Im Anschluss wundert sich nicht nur Gorniak, sondern auch der Zuschauer respektive die Zuschauerin über eine allgemeine Verkehrskontrolle irgendwo im Nirgendwo – ein erster Hinweis darauf, dass auch dieser Aspekt später noch eine Rolle spielen wird. Das „Tatort“-Publikum weiß also, wer der Täter ist; ein Wissensvorsprung gegenüber der Polizei, der schnell aufgebraucht ist. Beiden jedoch unbekannt: dessen Motiv. Dafür lässt man Winkler in dieser Episode reichlich Hintergrundgeschichte angedeihen, Schwarzweiß-Rückblenden zeigen sie mit ihrem Bruder. Kurios ist das improvisierte Polizeirevier in einer Kirche, mit dem vermutlich auf klamme öffentliche Kassen hingewiesen werden soll, womit aber auch eine bizarre Szene in einem Glockenturm in Verbindung steht.

„Polizisten? Wie kommen Sie darauf?“

Scheint es zunächst noch viel um mögliches Fehlverhalten der beiden Polizistinnen zu gehen, die den Selbstschutz dem vermeintlichen Heldinnentod vorzogen, kommt nach etwas über der Hälfte langsam Licht ins Dunkel. Ein weitere Todesopfer fordernder Scharfschützenangriff ist sehr beunruhigend inszeniert und beschert einen neuen Täter inklusive Whodunit?. Dass Winkler ihr Trauma vom toten Bruder gewissermaßen noch einmal durchlebt, ist ein emotionaler Höhepunkt dieser Episode. Toll gemacht ist’s auch, wie die Sympathie sich umkehrt. Warum genau das alles, sei hier nicht verraten, nur so viel: Die polizeikritische Spur erweist sich als korrekt und wird weiter ausgebaut. Damit nicht genug: Eine Art Familiendrama in Form eines Vater-Tochter-Konflikts zwischen Winkler und ihrem charakterlich verkommenen Vater (Uwe Preuss, Rostocker „Polizeiruf 110“) etabliert eine weitere Ebene dieses Falls – und gegen Ende folgt sogar eine überraschende Wendung, die dann vielleicht etwas übertrieben in Szene gesetzt wird.

Dennoch wirkt „Unter Feuer“ nie überhastet, sondern dramaturgisch stimmig. Schauspielerisch erweist sich nicht nur das bekannte Dresdner Trio als souverän, Revierleiter Jens Riebold hat man zudem mit dem kantigen Charakterkopf Andreas Lust besetzt, der seine Rolle glaubwürdig schroff und latent gefährlich auszulegen versteht. Inhaltlich gab es schon wesentlich schwächere Krimiepisoden, in denen eine Ermittlerin oder ein Ermittler persönlich involviert sind, zumal dies hier zum Aufhänger für eine Debatte über Kriminelle in Uniform und den unsäglichen Korpsgeist der Polizei wird.

Während die Postproduktion die herbstlichen, ohnehin schon farblich entsättigt wirkenden Bilder bei einsetzendem Regen in Zeitlupen taucht und mit geschmackvoller, meist molliger, aber auch mitunter an den „Stranger Things“-Score erinnernder Musik unterlegt und so eine ungemütliche Atmosphäre herauskitzelt, sieht die Realität leider noch trüber aus: Der Mord an Oury Jalloh ist noch immer ungesühnt, denn da ermittelt weder inkognito eine LKA-Beamtin noch auf eigene Faust eine Winkler – und schon gar kein Schnabel…
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78/52 – Die letzten Geheimnisse von „Psycho“

Nach dem sehr durchschnittlichen „Doc of the Dead“ widmete sich US-Kino-Dokumentarfilmer Alexandre O. Philippe Alfred Hitchcocks Überklassiker „Psycho“. Das Ergebnis ist ein rund eineinhalbstündiger Dokumentarfilm, der im Jahre 2017 veröffentlicht wurde. Der Titel bezieht sich auf die legendäre Mordszene unter der Dusche, für die in 52 Sekunden satte 78 Einstellungen verwendet wurden.

In Philippes in Schwarzweiß gehaltenem Film kommen zahlreiche Filmemacherinnen und -Filmemacher sowie Expertinnen und Experten zu Wort, sensationellerweise aber auch Janet Leighs damalige Nackt- und Leichendouble. So wird die Entstehung von „Psycho“ faktenbasiert sowie auf Grundlage von Analysen und Interpretationen sowohl film- als auch kunsthistorisch aufgerollt und darüber hinaus in damalige politische und gesellschaftliche Kontexte eingeordnet. Man widmet sich Hitchcocks Arbeitsweise, seiner Inspiration sowie Motivation und zeigt Ausschnitte anderer Werke Hitchcocks bis in die Stummfilmzeit hinein, aber auch ganz anderer Produktionen. Alte Historische Aussagen Hitchcocks, beispielsweise wie er anschaulich die Begriffe Suspense und Erotik erklärt, runden diesen Teil der Dokumentation ab.

Philippe und sein Team schärfen den Blick für Details und gehen dabei unheimlich kleinteilig und tiefgehend vor. Schließlich nimmt man die Duschszene Einstellung für Einstellung und Schnitt für Schnitt auseinander. Das ist gewissermaßen das Herzstück nicht nur des Gegenstands dieses Dokumentarfilms, sondern auch Hitchcocks Thrillers. Aber auch das Remake kommt zur Sprache und wird in Auszügen gezeigt. Philippe ordnet den Einfluss, den „Psycho“ auf die Filmwelt hatte, sehr korrekt ein und zählt Epigonen, Gialli und Slasher auf, erneut jeweils inkl. Ausschnitten. Zudem belegt er anhand weiterer Ausschnitte Kopien, Hommagen und Parodien der Duschszene.

Fazit: Grandios nerdig!
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Schlock – Das Bananenmonster

„Bananen... Bananen!“

Inspiriert vom naiven britischen Monsterfilm „Trog – Das Ungeheuer“ (Regie: Freddie Francis) aus dem Jahre 1970 debütierte US-Regisseur John Landis („American Werewolf“) drei Jahre später mit dem Lowest-Budget-Film „Schlock – Das Bananenmonster“, mit dem er eben solche Filme – und mehr – parodierte und für ihn höchstpersönlich ins Menschenaffenkostüm schlüpfte.

„Knochen... Blut... Bananen!“

In Kalifornien treibt der „Bananenmörder“ sein Unwesen, der so genannt wird, weil er stets etliche Bananenschalen am Tatort zu hinterlassen pflegt. Während die Polizei keinerlei Anhaltspunkte hat und TV-Reporter Joe Putzman (Eric Allison, „The Cremators“) die Vorgänge boulevardesk ausschlachtet, kommt Professor Shlibovitz (Emile Hamaty, „Heiße Spuren“) dem Rätsel auf die Spur: Ein Schlockthropus, das bisher fehlende evolutionäre Glied in der Kette von der Affen- zur Menschwerdung, hat Jahrmillionen in einer Höhle überdauert, verbreitet nun Angst und Schrecken und sorgt für Leichen und Chaos. Doch wie ist der prähistorischen Kreatur beizukommen?

Dass es sich beim Ungeheuer um besagtes fehlendes Glied handelt, entlehnte Landis direkt aus „Trog“. Im Intro stellt er seinen Film entwaffnend frech in eine Reihe mit echten Klassikern. Ungewöhnlicherweise zeigt er die Kreatur sofort seinem Publikum, statt dessen Enttarnung etwa aus dramaturgischen Überlegungen heraus lange hinauszuzögern. Ebenfalls direkt zu beginn wird deutlich, dass „Schlock“ keine reine Filmparodie ist, sondern auch die US-Gesellschaft ihr Fett wegbekommt. So ist Joe Putzman eine überzeichnete Karikatur eines pietätlosen, amoralischen Sensationsreporters, der live vom zuvor ein Form einer langen Kamerafahrt über ein ganzes Leichenfeld veranschaulichten Tatort berichtet und ein Quiz aus Leichenteilen veranstaltet. Auch die Polizei wird veralbert, indem sie nicht nur als trottelig und unfähig, sondern ebenfalls als wenig ethisch vorgehend dargestellt wird.

Klamaukig wird’s, wenn die Namen der Mitglieder einer Teenager-Clique allesamt mit dem Buchstaben B beginnen, schließlich befindet man sich in einem B-Movie… Auch Slapstick ist Landis nicht fremd und wird mitunter überstrapaziert. Der bald hinzugezogene Professor Shlibovitz holt ziemlich weit in seinen Ausführungen aus, bis sich der Schlock schließlich zu erkennen gibt und einige weitere Leute killt. Ein Subplot um die blinde Mindy (Eliza Garrett, „Animal House“) wird etabliert, die sich mit Schlock anfreundet (und ihn für einen Hund hält). Dass sie eine Augen-OP erhält, um wieder sehen zu können, ist der Beziehung zwischen den beiden nicht unbedingt zuträglich. Schlock wird auf Mindys Freund Cal (Charles Villiers) eifersüchtig, ansonsten aber auch immer mal wieder für einen Menschen gehalten – wie generell die Reaktionen der Menschen auf ihn je nach Klientel höchst unterschiedlich ausfallen. So schafft er es sogar ins Kino, wo „Mördersaurier“ und der „Blob“ laufen. Nachdem er einen kleinen Jungen dort freundlicherweise aufs Klo begleitet, wird‘s meta – im Kino läuft die legendäre „Blob“-Kinoszene. Damit nicht genug: Ebendort läuft im Anschluss – wenn mich nicht alles täuscht – „Trog – Das Ungeheuer“.

Filmparodistisch knöpft man sich u.a. den für Parodien so dankbaren „2001“ vor und beackert die Frankensteins-Monster-mit- Kind-Sequenz. Schlock wiederum nimmt einerseits ein Auto auseinander, teilt andererseits Kuchen mit Kindern und spielt zusammen mit einem Meisterpianisten Klavier. Sein Love Interest Mindy sucht er auf einem Schulball auf und am Schluss rückt, wie so oft im klassischen US-Monsterfilm, das Militär an. Die in Anlehnung an die „King Kong“-Fortsetzung „Son of Kong“ in Aussicht gestellte Fortsetzung „Son of Schlock“ kam nie und dürfte auch nicht ernsthaft geplant gewesen sein.

Landis‘ Film ist, wie bereits am Titel unschwer erkennbar, ein Schlock Movie, eine frühe Bezeichnung für so etwas wie unterhaltsamen Trash. Er ist bewusst auf billig getrimmt, wobei das von Rick Baker gestaltete Affenkostüm dafür wiederum ziemlich gut gelungen ist. So spaßig das Bananenmonster für ein cinephiles und entsprechend bewandertes Publikum auch ist, ohne Kenntnis der parodierten Filme funktioniert es nur bedingt. Zudem dient die Handlung hier in erster Linie dazu, den Gags und Persiflagen eine Art Gerüst zu verleihen, und folgt ansonsten nur leidlich dramaturgischen Konventionen. Die Gewalt ist cartoonesk und nie ernstzunehmen, dennoch passen die Morde nur schwerlich zum weitestgehend harmlosen Rest des Films. Am stärksten punktet „Schlock“ daher mit seiner in Teilen bis ins Absurde übersteigerten Gesellschaftskritik, für die diese Art anarchischen Indie-Kinos vortrefflich geeignet ist.

Letztlich ist „Schlock“ für seinen Humorgehalt als abendfüllender Spielfilm aber einfach zu lang, um über die volle Distanz prächtig zu unterhalten. Dies schienen auch Landis & Co. erkannt zu haben, die für ihren nächsten Film „Kentucky Fried Movie“ wesentlich kürzere, dafür pointiertere parodistische Episoden ausarbeiteten.
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Spirit in the Blood

Mit ihrem Spielfilm-Debüt „Spirit in the Blood“ aus dem Jahre 2024 erzählt die in Hamburg lebende Kanadierin Carly May Borgstrom eine Mischung aus Coming-of-Age-Drama, -Abenteuer und -Thriller, für die sie sich in Ästhetik und Stimmung bei Kids-on-Bikes-Filmen irgendwo zwischen den Stephen-King-Verfilmungen „Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“ und „Es“ bedient. Und das Besondere: Endlich einmal geht um eine reine Mädchenclique!

Der Vater (Greg Bryk, „Der Spion von nebenan“) der 15-jährigen Emerson (Summer H. Howell, „Curse of Chucky“) zieht mit seiner Familie zurück in die kleine, religiöse Gemeinde zwischen den Wäldern Kanadas, in der er einst aufgewachsen ist. Die sensible Emerson hadert mit ihrem neuen Umfeld, und dass sie in der Schule von ihren neuen Mitschülerinnen und -schülern nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird, macht es nicht besser. Als dann auch noch die vermisste Schülerin Rebecca tot im Wald aufgefunden wird, glaubt sie der Darstellung, Rebecca sei Opfer eines Raubtiers geworden, kein bisschen, sondern sieht sich darin bestätigt, kürzlich ein Monster im Wald gesehen zu haben. Gemeinsam mit ihrer Mitschülerin Delilah (Sarah-Maxine Racicot), die sich als erste mit ihr anfreundet, führt sie ein von ihren Lieblingscomics inspiriertes Ritual durch, das ihnen die innere Stärke verleihen soll, dem Monster zu trotzen. Nachdem Delilah sie dazu drängte, vor versammelter Schulgemeinschaft von ihrer Monstersichtung zu berichten, ist dies Emerson zwar höchst unangenehm und sie wird verlacht; doch schon bald kontaktieren sie weitere Mitschülerinnen, die ebenfalls etwas Unheimliches im Wald gesehen haben wollen…

Die deutsch-kanadische Koproduktion verrät nie, wann genau sie eigentlich spielt, einiges weist jedoch auf die frühen 1990er-Jahre hin. Tatsächlich wirkt der Ort komplett abgeschottet und isoliert, wodurch die Darstellung Emersons Gefühlswelt entspricht. Der Film wird konsequent aus ihrer Perspektive erzählt. Da das, was Emerson im Wald sieht, auch fürs Filmpublikum nur schemenhaft zu erkennen ist, bleibt bis zum Schluss offen, worum es sich eigentlich handelt und ob tatsächlich eine übernatürliche Kreatur ihr Unwesen treibt oder nicht – oder gar alles nur Einbildung ist. Daraus bezieht die Narration ihre Spannung, die auch mit Hinweisen und Ablenkungsmanövern handelt – eine Begegnung mit einem unheimlich wirkenden Mann hier, ein vage Richtung Schizophrenie oder gar Jekyll/Hyde- oder Werwolf-Sujet tendierender Wink dort, visualisierte Alpträume, die Delilah zum Inhalt haben, obendrauf.

Eingebettet ist dies in den einerseits US-amerikanisch anmutenden, ganz realen Kleinstadthorror (wie man ihn aus anderen Genrefilmen kennt), der hier jedoch derart dörflich wirkt, dass der Film tatsächlich eine starke Note des noch dünner besiedelten Kanadas erhält. Den Erklärbär lässt Borgstrom dabei nicht von der Leine, die Macht der religiös-rückwärtsgewandten Strukturen und ihre Auswirkungen auf ein gerade erwachsen werdendes Mädchen belässt sie bei Andeutungen und drückt viel über Atmosphäre, Mimik und Emotion aus. Doch dadurch, dass die noch eher kindlich wirkende Emerson in der deutlich reiferen (aber nicht unbedingt klügeren) Delilah eine Verbündete findet, findet sie die Kraft zur Rebellion, sodass die Erwachsenenwelt fortan nur noch in Form von Randnotizen stattfindet. Ähnliches gilt für Jungs, um die es ebenfalls nur selten geht, woraus der Film ein emanzipatorisches Moment bezieht: Nein, die Mädchen sind nicht als Love Interests da und interessieren sich nicht vornehmlich für Jungs, Mode und Schminke.

Vielmehr dreht sich „Spirit in the Blood“ um Abkapselung von den Eltern, aber auch anderen Autoritäten, um Selbstermächtigung und die Kraft der Freundschaft. Und wie es für Jungs Usus ist, schlagen hier auch mal die Mädchen über die Stränge, bauen Scheiße, „schänden“ gar die Dorfkirche. Das ist hier kein Blümchen-Bienchen-Wunderland, hier hat man Dreck unter den Fingernägeln, die noch nie ein Nagelstudio gesehen haben, hier wird geraucht und gesoffen und werden hygienisch fragwürdig Handflächen mit Messern aufgeschlitzt und sich mit Blut besudelt. Hätte ich als Junge eine solche Mädchenbande kennengelernt, hätte ich um Aufnahme gebeten.

Dies ändert aber nichts daran, dass die Geschichte einfühlsam statt krawallig erzählt wird, den Jungmiminnen viel Raum zur Entfaltung zwischen kindlichen Verhaltensmustern und Erwachsenwerden gibt und starke Bilder sowie den einen oder anderen Gänsehautmoment hervorbringt. Einer davon: Delilah singt (das in Cyndi Laupers Interpretation bekannteste) „All Through The Night“. Dass der Score, wie heutzutage anscheinend öfter, ein bisschen an jenen von „Stranger Things“ erinnert: geschenkt, denn: Warum auch nicht?
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