bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

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buxtebrawler
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Die Studentin

„Er ist genau, was ich brauche: sympathisch, locker, nichts im Kopf!“

Der französische Regisseur Claude Pinoteau drehte mit Sophie Marceau einst die beiden „La Boum“-Filme und machte seine Hauptdarstellerin damit zum über Frankreichs Grenzen hinaus bekannten Kinder- bzw. Teenie-Star. Doch Sophie wurde erwachsen, reifte zu einer attraktiven jungen Frau und blieb dem Filmgeschäft glücklicherweise als Schauspielerin erhalten. Da lag es nahe, erneut mit ihr zusammenzuarbeiten. Die französisch-italienische Koproduktion „Die Studentin“, ein komödiantischer Liebesfilm, erschien im Jahre 1988 und zählt zwar nicht zur „La Boum“-Reihe, hätte aber mühelos als deren dritter Teil durchgehen können.

„Hin und wieder krieg‘ ich einen vollständigen Satz hin.“

Die Studentin Valentine (Sophie Marceau) steht kurz vor ihrer wichtigsten Prüfung, weshalb sie sich so gut wie möglich auf sie vorbereiten und konzentrieren möchte. Über One-Night-Stands hinausgehende Männergeschichten klammert sie daher kategorisch aus. Dennoch verfällt sie den Buhlereien des Jazzmusikers Ned (Vincent Lindon, „Der Panther“) und steigt mit ihm in die Federn. Eigentlich ist klar, dass das nichts für länger ist, denn Ned ist viel mit seiner Kapelle auf Tour. Dennoch fühlen die beiden sich derart zueinander hingezogen, dass Valentines Examen und Teds Musikerkarriere darunter zu leiden drohen. Wie das eben so ist, wenn man sich ineinander verliebt…

„Man darf die Augenblicke des Glücks nicht töten!“

Pinoteau eröffnet seinen Film mit einer in Point-of-View-Perspektive rasant gefilmten Longboard-Fahrt Neds in einem Ski-Gebiet, wenig später fährt die Kamera Valentines hübsches Gesicht ab. Teile ihrer Gedanken werden aus dem Off hörbar. Überaus anschaulich wird dargestellt, welche Probleme bei einem Rendezvous im Restaurant auftreten können, die dazu führen, dass man sich gar erst nicht in Ruhe unterhalten kann. Der Film arbeitet mit wohldosiertem Slapstick, Situationskomik, spritzigen Dialogen, mit romantischer Popmusik als Soundtrack und einigem Zeitkolorit – dass Ned beispielsweise einen CD-Player besitzt, ist hier noch keine Selbstverständlichkeit. Marceau bekommt viele süße Szenen, hat eine sinnliche Ausstrahlung und sieht toll aus. Sexploitative oder erotische Szenen aber bleiben ausgespart, wenngleich man Valentine kurz nackt aus dem Bett hüpfen sieht. Ein natürlicher Vorgang, der weder artifiziell erotisiert noch ausgeschlachtet wird. Ich erwähne dies auch vor dem Hintergrund, dass sie zwischen dem zweiten „La Boum“ und diesem Film bereits mit „Liebe und Gewalt“ und „Abstieg zur Hölle“ offenbar deutlich freizügigere (mir jedoch noch unbekannte) Filme gedreht hatte. Dieser hier hat aber eine FSK 6.

„Die Studentin“ jedenfalls widmet sich vielmehr den schwierigen Bedingungen, unter denen die Beziehung zwischen Valentine und Ned ihren Anfang nimmt. Obwohl als One-Night-Stand geplant, suchen beide in dieser wichtigen Phase ihres Lebens sofort wieder den Kontakt zueinander. Nicht alles mutet hier sonderlich realistisch an: So findet Valentine es großartig, dass Ned ihr nachstellt, sich sogar in den Unterricht schleicht. Die Phase, in der man den/die Partner(in) in spe erst einmal zappeln lässt, entfällt zudem komplett. Stattdessen beginnen die beiden, sich nach (ehemaligen) Liebschaften auszufragen. In der Uni ist Valentine müde, worunter ihre Prüfungsvorbereitung leidet. Folgerichtig verhaut sie Teile der Prüfung. Eigentlich ganz schlechte Voraussetzungen für eine Beziehung.

Dennoch telefonieren beide ständig und treffen sich miteinander. Wegen einer doppeldeutigen Bemerkung von Neds Ex-Freundin kommt’s zum Streit, in dessen Verlauf Valentine jedoch bald zur Selbstkritik übergeht (den mangelnden Realismus erwähnte ich ja bereits…). Dennoch entfacht diese Episode eine große Krise, die andauert, bis sie in ihrer Uni-Prüfung ein Stück Literatur behandelt, das exakt diesen Konflikt aufgreift, woraufhin sie etwas arg lang über Liebe monologisiert. Am Ende steht dann doch noch ein Happy End.

Dieses macht diesen ungewöhnlich verregneten Film letztlich zu einer nicht unsympathischen, leichtverdaulichen Angelegenheit, die als eine Art Plädoyer dafür verstanden werden kann, auch schwierige Kennenlernphasen durchzustehen und auf der Suche nach der Liebe seine eigene Komfortzone zu verlassen, und der man allein schon aufgrund der Strahlkraft Marceaus gern beiwohnt. Weshalb man es für eine gute Idee hielt, Neds Band in Tierkostümen auftreten zu lassen, würde mich aber schon noch interessieren…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Die Discounter [Staffel 4]

„Ich KANN lachen! Ich bin nicht kaputt.“

Die von Christian Ulmen und Carsten Kelber für den Streaming-Dienst Amazon Prime produzierte und von den Nachwuchstalenten Emil und Oskar Belton sowie Bruno Alexander geschriebene und inszenierte deutsche Mockumentary-Serie „Die Discounter“ ging im Jahre 2024 mit zehn frischen knapp halbstündigen Episoden in die vierte – und voraussichtlich letzte – Staffel.

„Reduzier mich mal!“

„Die Discounter“ basiert auf der niederländischen Serie „Vakkenvullers“ und dreht sich um den Alltag in der Billstedter Filiale der fiktionalen Hamburgischen Supermarktkette „Feinkost Kolinski“. Es handelt sich um eine komödiantische Persiflage, die im Stile einer Art Mischung aus „jerks.“ und „Stromberg“ zu großen Teilen auf Fremdschammomente ausgerichtet ist.

Filialleiter Torsten (Marc Hosemann, „Der goldene Handschuh“) legt sich plötzlich tierisch ins Zeug, wodurch seine Filiale mittlerweile den ersten Platz innerhalb der Rangfolge der offenbar lediglich drei Dependancen umfassenden Kette belegt. Er bekommt dadurch die Chance, zum Regionalleiter aufzusteigen, weshalb sich die strebsame Pina (Klara Lange, „Tatort: Made in China“) Hoffnung auf die zukünftige Marktleitung macht. Titus (Bruno Alexander, „Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon“), der in seine Kollegin Lia (Marie Bloching, „Lügen haben schöne Beine“) verliebt ist, aber zur Filiale ins feine Hamburg-Eppendorf gewechselt war, hofft, wieder mit ihr zusammenzukommen und nach Billstedt zurückkehren zu können. Dieses durchs Schreiben von Kurznotizen initiierte Vorhaben torpediert der von Titus als Kurier eingesetzte trottelige Kaufhausdetektiv Jonas (Merlin Sandmeyer, „Unsere wunderbaren Jahre“) jedoch, indem er die Nachrichten manipuliert und sie Torsten anstelle Lias zustellt. Entsprechend fällt Titus aus allen Wolken, als er damit konfrontiert wird, dass Lia mittlerweile mit einem Polizisten liiert ist. Flora (Nura Habib Omer, „Der Nachtmahr“) wiederum beendet ihre Beziehung mit Machoproll Peter (Ludger Bökelmann, „Dark“).

Dies sind nur ein paar der vielen kleinen und größeren Geschichten, die diese Staffel erzählt oder zumindest anreißt. Axel Milberg (Kieler „Tatort“) beteiligt sich als Eppendorfer Filialleiter – nur einer von zahlreichen Gastauftritten, mit denen man es diesmal übertrieb. Nachdem der Billstedter Markt überfallen wurde, gibt Gisa Flake eine Schulung für das richtige Verhalten in solchen Situationen. Die nervtötende Unternehmerin und Trash-TV-Semiberühmtheit Claudia Obert spielt sich als Arschlochkundin in Eppendorf selbst, Anke Engelke knutscht warum auch immer mit Jonas – eine völlig verzichtbare, unmotivierte Szene – und Jan Böhmermann und Oliver Schulz spielen sich nicht weniger überflüssig als Billstedter Kunden ebenfalls selbst. Die Gastauftritte Fahri Yardims („jerks.“) und Luisa Neubauers ergeben wesentlich mehr Sinn, dazu später mehr.

Die Stärken dieser Staffel liegen – neben den wie immer herausragenden schauspielerischen Leistungen und den improvisierten Dialogen sowie Handlungen – zu Beginn in der Thematisierung der Klassenunterschiede zwischen Billstedt und Eppendorf, die Titus mal mehr, mal weniger subtil zu spüren bekommt. Dennoch verknallt sich dort eine schnepfige Kollegin (Milena Tscharntke, „Alles Isy“) in ihn, der gegenüber er sich völlig daneben verhält, was (positiv) überraschend in einer der letzten Episoden noch einmal aufgegriffen wird. Weitere memorable Momente sind das Aufeinandertreffen Pinas (in dieser Staffel dankenswerterweise zwar nach wie vor schräg, aber nicht mehr als hässliches Mauerblümchen charakterisiert) und Nuras mit zwei Studentinnen aus Wokistan, die Nura zu erzählen versuchen, wie sie sich als Person of colour zu fühlen habe (womit das Phänomen hyperwoker, also weit übers Ziel hinausschießender Gutmenschen karikiert wird) und – vor allem – die grandiose Abschiedsparty, die Torsten in seinen eigenen vier Wänden bzw. auf seiner Terrasse gibt. Ja! So! Genau SO!

Ambivalent fällt die Episode aus, die anhand einer Begegnung Peters mit Fahri den Klimawandel thematisiert. Peter fällt aus allen Wolken, da er erstmals davon Notiz nimmt, und wandelt sich mir nichts, dir nichts zum radikalen Klimaaktivisten, der sich auf der Parkplatzausfahrt festklebt. Einerseits wird in dieser Episode durchaus gelungen und gewiss nicht dumm der inkonsequente und widersprüchliche Umgang der Gesellschaft mit dieser Gefahr anhand des Kolinski-Mikrokosmos aufgezeigt, andererseits geschieht Peters Wandlung mit der Brechstange und damit eher unglaubwürdig. Mit seiner Reaktion wirkt er ähnlich out of character wie Jonas, wenn dieser dafür herhalten muss, die dümmlichen Flacherdler und deren „Beweisführung“ vorzuführen, kurze Zeit später aber zum Böhmermann-Fan erklärt wird. Das passt alles nicht so recht zusammen und wirkt wie gewaltsam ins Staffel- und Figurenmuster gepresst. Ein weiteres Problem ist, wie in den vorausgegangenen Staffeln, die mangelnde Kontinuität des einen oder anderen Handlungsstrangs, der im Nichts zu verlaufen scheint.

Etwas besser in den Griff bekommen hat man diesmal den Mockumentary-Aspekt; zumindest scheinen mir jene Situationen weniger geworden zu sein, in denen es völlig absurd wäre, dass ein Doku-Kamerateam anwesend ist. Nicht nur die eingestreuten Statements der Kolinski-Belegschaft, die direkt zur Kamera sprechen, stecken wieder voller Stilblüten, mehr Viertel- denn Halbbildung oder auch Versuchen, die eigene Lebenssituation einzuordnen, auch das Sozialgefüge und die Hackordnung untereinander, scheinbar beiläufig vom Dokuteam eingefangen, vermitteln nicht immer, aber doch immer mal wieder recht deutlich einen gut beobachteten Eindruck von Arbeit und Gesellschaft. Zumindest lässt sich neben schmunzeln, lachen, fremdschämen und kopfschütteln wieder einiges abstrahieren – und vielleicht gar an sich selbst wiedererkennen. Der entfesselte anarchische Witz der Anfangsstaffeln ist insgesamt aber leiser geworden. Dafür scheint sich in der schönen Schlusseinstellung der jahrelang angesammelte, aufgestaute Wahnsinn bahnzubrechen…
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Ich denke oft an Piroschka

„Pünktlich 20 Minuten Verspätung!“

Kurt Hoffmanns („Quax, der Bruchpilot“) in Ungarn spielende, aber in Jugoslawien gedrehte Verfilmung des gleichnamigen Romans Hugo Hartungs aus dem Jahre 1954 kam nur ein Jahr später in die Kinos. Die Liebeskomödie gilt als werkgetreu, ein größerer Eingriff sei lediglich die Verlegung der Handlung aus dem Jahr 1923 ins Jahr 1925 und damit die Ausblendung der Nachkriegszeit- und Hyperinflationsbezüge. An der Drehbuchadaption waren gleich drei Herrn beteiligt.

„Müssen viel essen, Herr Student!“

Während einer Zugfahrt erinnert sich Andreas (Gunnar Möller, „Hoheit lassen bitten“) an den Sommer des Jahres 1925, der mittlerweile 30 Jahre her ist, zurück: Als Austauschstudent befand er sich auf der Reise nach Ungarn, als er Greta (Wera Frydtberg, „Sie“) kennenlernte und mit ihr einen Abend in der ungarischen Hauptstadt verbrachte. Am nächsten Tag fuhr sie an den Balaton, während es Andreas ins Dörfchen Hódmezővásárhelykutasipuszta verschlug, wo er Piroschka (Lieselotte Pulver, „Heidelberger Romanze“), die minderjährige Tochter des Stationsvorstehers, kennenlernt. Piroschka und Andreas verlieben sich ineinander, doch eines Tages erreicht ihn eine Einladung Gretas, sie am Plattensee zu besuchen. Heimlich versucht er sich davonzustehlen und zu Greta zu fahren, doch Piroschka folgt ihm kurzerhand…

„Singen und Trinken und Tanzen – alles auf einmal!“

Wir sehen Andreas im Zug sitzen und Hoffmann eine melancholische Stimmung erzeugen. Aus dem Off sinnierend, leitet Andreas jene ausgedehnte Rückblende ein, die die eigentliche Handlung des Films ausmacht, der aus heutiger Sicht eine doppelte Zeitreise darstellt: Erst ins Jahr 1955, dann nach 1925. Auch im weiteren Verlauf bleibt Andreas nicht nur als männliche Hauptfigur, sondern auch als kommentierender Off-Erzähler erhalten. Seine leichte, komödiantische Ausrichtung, die eine Art reizvollen Kontrast zur Melancholie bildet, erhält der Film zunächst mit dem Geiger im Restaurant, den Greta und Andreas gar nicht mehr loswerden. Diese lockere, augenzwinkernde Perspektive auf ungarische Kultur und Lebensfreude bleibt „Ich denke oft an Piroschka“ über weite Strecken erhalten. Nachdem Andreas sich auf seiner Weiterreise im Zug als Deutscher zu erkennen gegeben hat, wird von den Ungarn mit Essen überhäuft.

„Mich interessiert alles!“

Piroschka, unheimlich süß und hübsch von Pulver gespielt, wird hingegen als derart schüchtern eingeführt, dass man sie zunächst gar nicht richtig sieht. Bei ihrer ersten Begegnung mit Andreas spricht sie kein Wort, sodass er denkt, sie spreche seine Sprache nicht – dabei ist sie die beste Deutschschülerin ihrer Klasse. Es herrscht strahlender Sonnenschein, der die Urlaubsstimmung befeuert. Es wird gefeiert und herumgealbert, man erhält Einblicke in ungarische Folklore und den Arbeitsalltag, begegnet fahrendem Volk. Irritierend ist’s, dass Ungarn Schuhplattler tanzen. Hoffmann arbeitet in diesen Szenen mit auf Ungarn projizierten Heimatfilm-Charakteristika, denen das Kitschige, Trutschige aber weitestgehend abgeht, da sie als exotisch wahrgenommen werden.

„Der Sonne lacht!“ – „Wahrscheinlich über uns.“

Allegorische Wolken ziehen auf, als Andreas Piroschka in Bezug auf Greta anlügt. Sie folgt ihm heimlich, am Zielort regnet es. Doch auf einen eskalierenden Konflikt steuert die Handlung nicht etwa zu: Greta und Piroschka freunden sich miteinander an und Greta reagiert sehr verständnisvoll auf sie. Dafür entdeckt der Film seine Melancholie wieder und mündet in ein Wechselbad der Gefühle. Bisher haben Piroschka und Andreas noch kein einziges Mal miteinander geknutscht, was sich nun überraschend ändert und das Verhältnis beider zueinander auf eine höhere Stufe hebt.

„Seid doch einen Augenblick ernst und lächelt!“

Das Ende (Achtung, Spoiler!) ist problematisch: Andreas verspricht Piroschka, im nächsten Jahr wiederzukommen, was er aber nie tat. Er ist damit recht glücklich; was Piroschka davon hält, erfährt man nicht mehr. Andreas‘ Verhalten wird nicht problematisiert. „Ich denke oft an Piroschka“ ist ein Sommerfilm, der seinem Publikum Ungarn vor allem als Urlaubsland näherbringt und dessen Melancholie gefällt. Das gebrochene Deutsch der Ungarn umschifft zum einen die Sprachbarriere und sorgt zum anderen aufgrund mancher Wortverwechslung für Humor, der durchaus angenehm ausfällt und nicht auf die Ungarinnen und Ungarn herabblickt.

„An diesem Abend war mir, als ginge die Sonne meines Lebens für ewig unter der Puszta unter.“

Wenn der Film jedoch aussagen will, dass es ok sei, als Deutscher nach Ungarn zu reisen, den jungen Dingern dort den Kopf zu verdrehen und sich dann nicht mehr blicken zu lassen, ist das, auch mit zwei zugedrückten Augen, letztlich sexistisch. Ich werde sicherlich nicht der einzige sein, dem das aufgestoßen ist, doch der Film liefert keinerlei Anhaltspunkte einer kritischen Reflexion, während Andreas sich in süßer Melancholie ob der Erinnerung an seinen Urlaubsflirt suhlt. Teil 2, „Die Rache der Piroschka“, wurde leider nie gedreht…
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Eros-Center Hamburg

„Sie können einem aber auch das Herz aus der Brust fragen!“

Im Jahre 1969 stecke der deutsche Sexfilm noch in den Kinderschuhen, nahm aber gerade an Fahrt auf. „Eros-Center Hamburg“, ein kruder Mix aus Sexfilm, Milieustudie und Krimi, war nach „...soviel nackte Zärtlichkeit“ und „Graf Porno und seine Mädchen“ die dritte Regiearbeit des Schauspielers Günter Hendel und erfolgte, wie „Graf Porno“, für Alois Brummers Billigproduktionsklitsche. Hendel bekleidete zugleich die Hauptrolle.

„Gute Nacht, Lore, und guten Verkehr!“

Den US-amerikanischen Journalisten Eddy Green (Günter Hendel) verschlägt es im Zuge seiner Recherche zu Prostitution in Hafenstädten ins Hamburger Rotlichtviertel. Bald stellt er fest, dass die käufliche körperliche Liebe dort mit Kriminalität verbunden ist, denn eine Zuhälterbände, die „Edenboys“, betreibt Menschenhandel mit Minderjährigen und ist auch im Geschäft mit illegalen Drogen aktiv. Als auch noch erst eine, dann zwei Huren ermordet werden, gerät Hendel gar unter Tatverdacht: Mit beiden hatte er jeweils kurz zuvor gesprochen. Seine Unschuld zu beweisen, nimmt er in die eigene Hand, und lernt dabei die 17-jährige Karin (Regina Jorn, „Männer sind zum Lieben da“) kennen – und verguckt sich in sie…

„Wir sind hier nicht in Chicago, Mr. Green!“

Die Exposition arbeitet mit alten Bilder der Großen Freiheit, jener Kiez-Amüsiermeile auf St. Pauli. Eddy befragt Helga (Christiane Lange, „Der Nächste Herr, dieselbe Dame“), wie sie zur Prostitution kam, während sie ihre Chance wittert, ihn als Freier zu gewinnen, und ihm ihre Möpse präsentiert – welche die Kamera in einer plumpen Großaufnahme einfängt. Fragen zu ihren Zuhältern will sie nicht beantworten, sie warnt Eddy vor ihnen. Wir sehen noch einmal besagte Großaufnahme, bevor Eddie die nächste Dame am Wickel hat: Lisa (Roswitha Randl, „Schulmädchen-Report – Was Eltern nicht für möglich halten“) lässt ihre Brüste aus ihrem BH hängen und beantwortet Eddy weitere Fragen. Sie sei in einer Art Gewerkschaft, womit sie ihre Zuhälter meint. Die dritte Dame namens Ruth (Ursula Holstein, „Graf Porno und die liebesdurstigen Töchter“) erweist sich als die bisher auskunftsfreudigste; sie dreht eigens das Radio lauter, weil „die Wände Ohren haben könnten“… Eddies vorerst letzte Station ist Lore (Renate Hofgartner).

„Ich lese doch nichts, ich hab‘ doch ‘n Fernsehapparat!“

Parallel dazu planen die Gangster offenbar irgendetwas, eine verdächtige Szene an einer Telefonzelle deutet zumindest darauf hin – tatsächlich ein halbwegs gelungener Versuch, ein wenig Spannung zu erzeugen. Unvermittelt wird Ruth von zwei lichtscheuen Gestalten gemeuchelt, wie zu viel quatsche – die Kamera blendet aber kurz vor der Tat ab. Auf eine unmotiviert hineingeschnittene Softsexszene Unbekannter folgend überrascht Ruth damit, im Krankenhaus doch noch einmal kurz schwerstverletzt aufzuwachen und nach Eddy zu fragen. Nach der Identifikation im Leichenschauhaus bringt dies die Polizei auf Eddys Spur, der nun selbst zum Befragten wird. Es folgt ein kurzes Doktorspielchen mit einer Prostituierten. Biggy (Doris Arden, „Heißes Pflaster Köln“), ebenfalls im horizontalen Gewerbe tätig, wirft ihren „Itaker“ raus und heult anschließend ihrer Freundin die Ohren voll. Ein Homosexueller hat sich verlaufen. Und vieles mehr. Nein, es ist nicht einfach, dieser überaus sprunghaften Handlung zu folgen, glücklicherweise aber auch nicht zwingend nötig.

„Auch 'n Drecksack – obwohl er nicht so aussieht...“

Wie Eddy vermutete, geht es um Drogen- und Menschenhandel. Eine käufliche Dame lästert über den Kinsey-Report und Biggy berichtet Eddie von den Motiven ihrer Kunden, zu (und bei) ihr zu kommen. Um den Gangstern auf die Schliche zu kommen, lässt er sich von ihr eine Jungfrau für 500 DM vermitteln. Nach weiteren offenbar von Brummer geforderten und hineingeschnittenen Hurenszenen und einer Frau, die bei der Polizei immer wieder behauptet, vergewaltigt worden zu sein, was anscheinend witzig sein soll (puh…), bekommt Eddy die jungfräuliche Karin geliefert. Biggy hat Xaver aus Ingolstadt als Kunden da, während Karin Eddy knapp ihre Lebensgeschichte auftischt – und sofort scharf auf den wesentlich älteren Eddy ist, logisch…

„Nun werden wir beide mal unsere Paragraphen reiten, nicht?“

Plötzlich muss auch Biggy (offscreen) dran glauben! Eddy interviewt den mit sächsischem Akzent sprechenden Hetereo-Strichjungen Robert (Laurence Bien, „Madame und ihre Nichte“), während die Polizei Riccardo Baldini (Rinaldo Talamonti (wer auch sonst?), „Graf Porno und seine Mädchen“) verhört, Biggys ehemaligen Lebensgefährten und Zuhälter in Personalunion. Aha, Biggy hatte Freier mit Tonbandaufnahmen erpresst. Die Edenboys entführen derweil Karin, sie soll in einer Show auftreten. Diese findet dann moderiert vor einigen adipösen Bonzen statt, von denen einer vor lauter Aufregung seine Zigarre verschluckt. Hendel zeigt uns leider mehr das Publikum als die Show. Eine Prügelei entbrennt, als Eddy Karin inmitten der Show befreit.

„Ist wie mit Zahnpasta: Bums, ist die Tube leer!“

Unvermittelt knutschen nun Eddy und Helga miteinander, die von den Edenboys bedroht wird. Eddy wird entführt und gefoltert, hat das Beweismaterial aber längst beiseitegeschafft. Gegen Ende werden wir noch Zeuge einer mittelmäßig choreographierten Prügelei und eines Schusses mit anschließendem hektischen Schnitt und unbekanntem Ausgang. Der Epilog besteht lediglich aus einer allgemeinen Verabschiedung.

„Ich geh' mit jedem ins Bett: Frau, Mann, Ziegenbock oder sonstwas – Hauptsache, es wird bezahlt!“

„Eros-Center Hamburg“ begibt sich einerseits sensations- und sexlüstern nach St. Pauli, sensibilisiert dabei andererseits für die Zuhälter- und Milieukriminalitätsproblematik – und schlachtet diese für dieses inkohärenten Billig-Milieukrimi aus. Während der Einstieg um den für eine Reportage recherchierenden Journalisten noch einen frühen Reportfilm befürchten lässt, handelt es sich vielmehr um nichts Halbes und nichts Ganzes, was vor allem daran liegen dürfte, dass, so heißt es, Brummer sich während dieser Produktion mit Hendel überwarf. Brummer zeichnet wohl für die Sexszenen verantwortlich, Hendel für die Kriminalhandlung. Es entstand offenbar ein Tauziehen beider um mehr bzw. weniger vom einen, dafür mehr bzw. weniger vom anderen. Deshalb wirkt der Film nicht wie aus einem Guss und irritiert mit immer wieder mehr oder weniger komödiantischen Szenen zwischen Huren und Feiern, die unmotiviert in die eigentliche Handlung eingeflochten wurden. Einige, aber nicht alle habe ich oben aufgeführt.

„Immer nur mit uns und nie gegen uns!“

Weniger damit als mehr mit allgemeinem Unvermögen zusammenhängen dürften hingegen die zuweilen sauschlechte Synchronisation, US-Ami Eddy Greens akzentfreies Deutsch, die befremdliche musikalische Mischung aus unablässig dudelndem fröhlichen Easy-Listening-Jazz und Blasmusik aus Bauer Brummers bayrischer Heimat sowie das dramaturgische Versagen, das „Eros-Center Hamburg“ trotz St. Pauli, Gangstern und Nackedeis doch ziemlich langatmig erscheinen lässt. Und beim Bedienen von Altherrenfantasien in Bezug auf Minderjährige kommt auch noch Doofheit hinzu.

Hendels Film ist zwar nicht so schlimm wie die Scheißfilme, bei denen Brummer später eigenhändig die Regie übernahm, aber dennoch ein unterdurchschnittliches, fragwürdiges Filmvergnügen.
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Louis de Funès – Alles tanzt nach seiner Pfeife

Dieser abendfüllende Dokumentarfilm über den spanischstämmigen französischen Schauspieler, Komödianten, Drehbuchautor und Regisseur Louis de Funès entstand in – natürlich – französischer Produktion anlässlich des 100. Geburtstags des 1983 verstorbenen Künstlers, dessen Schaffen sich bis heute großer Beliebtheit erfreut. Es handelt sich um den ersten Dokumentarfilm des Kino-Dokufilmers Gregory Monro („Kubrick erzählt Kubrick“), der ihn zusammen mit seiner Kollegin Catherine Benazeth realisierte. Seine Premiere hatte er am 16. November 2013 auf dem britischen French Film Festival und wurde am 23. Dezember 2013 sowohl im französischen als auch im deutschen Fernsehen erstausgestrahlt.

Ausgangspunkt des Films ist eine de-Funès Filmvorführung im Kino – vor Kindern, die seinen Humor offenbar als ebenso zeitlos empfinden wie sein erwachsenes Publikum. Film- und andere Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler, Expertinnen und Experten sowie die Schauspieler Jamel Debbouze, Alexandre Astier und Guillaume Gallienne kommentieren de Funès‘ Werk und Karriere, und dies zumeist auf sehr intelligente und nachvollziehbare Weise, die einen echten Mehrwert bietet.

de Funès‘ frühe Karriere wird zunächst sehr schnell abgehandelt – bis zu seinem Durchbruch, der mit gleich drei Kinofilmen aufs Jahr 1964 datiert wird. Etwa zu diesem Zeitpunkt war seine Figur und Paraderolle als opportunistischer Choleriker fertig ausgearbeitet, die von der damaligen missgünstigen, snobistischen und elitären Kritik jedoch missverstanden bzw. verrissen wurde. Erfolgreiche komische Unterhaltung galt im damaligen feuilletonistischen Zeitgeist mindestens als verdächtig. „Das Publikum sollte die Kritiken schreiben“, reagierte de Funès, der hier in Form raren Archivmaterials auch persönlich zu Wort kommt, und ich möchte ihm beipflichten. Dies ist einer der Gründe, weshalb ich genau das bis heute tue.

Eine Deutsche erzählt, wie de Funès den Deutschen nach dem Krieg bei der deutsch-französischen Völkerverständigung half. Sehr genau und allgemeinverständlich wird sein Humor erklärt, weshalb er bei den Massen so überwiegend gut ankommt und was er mit ihm aussagt: Kritik an der Mentalität des nach unten Tretens und nach oben Buckelns, Konservatismus aufs Korn nehmend – jeweils mit köstlichen Filmausschnitten belegt. Auch seine Art zu schauspielern wird analysiert. Anschließend geht’s weit zurück in de Funès‘ Kindeit; man arbeitet die Rolle, die seine Mutter bei der Entwicklung seines Humor gespielt hat, heraus. Wir erfahren ferner, dass de Funès es stets ablehnte, dramatische Rollen zu spielen und daher auch nie mit namhaften Auteuren zusammenarbeitete.

Als Inspiration de Funès‘ wird vor allem Chaplin genannt – und jüngere Schauspieler wiederum nennen de Funès als Einfluss und Vorbild. Sogar eines der Kinder verleiht seiner Begeisterung äußerst eloquent Ausdruck. Ein großartiger, lehrreicher und ehrerbietender Dokumentarfilm, der, gespickt mit etlichen Film- und TV-Ausschnitten sowie privaten Fotos, sich ideal als Vorprogramm für einen gemütlichen Abend mit de Funès‘ Filmen eignet.

Da schneide ich gern 8,5 von 10 Grimassen!
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Tatort: Bienzle und der Biedermann

„Schlimmer hätt’s net komme könne.“

Am Nikolaustag des Jahres 1992 packte der Süddeutsche Rundfunk einen neuen „Tatort“-Ermittler in die Stiefel: Dietz-Werner Steck („Gaudi in der Lederhose“) mimte fortan bis in Jahr 2007 25 Episoden lang den Stuttgarter Kommissar Ernst Bienzle. Das Besondere an diesem „Tatort“-Zweig ist, dass er auf Romanen Felix Hubys basiert, die ab der zweiten Hälfte der 1970er publiziert worden. Bei diesem Fall handelt es sich jedoch um ein Originaldrehbuch, das Huby zusammen mit Dieter de Lazzer verfasste und erst zwei Jahre später als Taschenbuchprosa veröffentlicht wurde. Mit der Regie betraute man Peter Adam („Tatort: Das Mädchen auf der Treppe“), der damit seinen siebten und letzten Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe leistete.

„Sind Sie noch ganz wach?“

Kommissar Bienzle ermittelt gegen den Wirtschaftsanwalt Dr. Dreher (Hanns Zischler, „Hitlerjunge Salomon“), der mittels Gammelfleisch-Reimporten EG-Subventionsbetrug begeht, dabei ordentlich absahnt und Klienten, die seine diesbezügliche Expertise in Anspruch nehmen, kräftig zur Kasse bittet. Drehers korrupte Machenschaften reichen bis weit in politische Kreise hinein. Doch die Kontrolle eines verdächtigen Lkw an der Grenze eskaliert, als einer der Fahrer eine Waffe zückt und Bienzles Kollege Gächter (Rüdiger Wandel, „Der Geschichtenerzähler“) ihn sogleich erschießt. Der andere Fahrer kann fliehen. Bienzle bleibt dran und trifft in diesem Zuge seinen Jugendfreund Paul Stricker (Rüdiger Vogler, „Bis ans Ende der Welt“) wieder, der mittlerweile als Fleischgroßhändler tätig und einer von Drehers Klienten ist. Pikanterweise ist Dreher mit Strickers Tochter Cordula (Christina Plate, „Manni, der Libero“) liiert. Als Dreher Paul Stricker seine Rechnung – inklusive Schweigegeld – präsentiert, fällt dieser aus allen Wolken. Doch Dreher will sein Geld. Bienzle wiederum will Dreher endlich das Handwerk legen und wird, wie es der Zufall so will, vom nichtsahnenden Stricker zum alljährlichen Reh-Essen eingeladen, einem feierlichen Bankett, zu dem u.a. die ganze korrupte Mischpoke geladen ist. Die Einladung kommt Bienzle sehr gelegen…

„Junge, Junge, ist ja wie im Kino!“

Wer die Inhaltsangabe nicht kennt, muss zunächst aufmerksam sein, denn Adam gestaltete den Auftakt eher unübersichtlich: Drei Männer im Dampfbad führen irgendetwas im Schilde und Dr. Dreher und Cordula Stricker werden als Liebespärchen eingeführt, während er irgendetwas von Frachtbriefen erzählt, bevor es zur tödlichen Lkw-Kontrolle kommt. Anschließend arbeitet Adam den Bezug zwischen Dreher und Paul Stricker heraus, langsam, mit Bedacht, bis es Klick macht – und man mit ekelhaften, blutigen Fleischereibildern konfrontiert wird. Anschließend kommt Bienzle (von dem man in diesem seinem Debüt beiläufig erfährt, dass er zwar liiert, aber nicht verheiratet ist) wieder ins Spiel, konfrontiert Dreher mit seinem Verdacht und trifft Paul Stricker, womit Kommissar Zufall sein bester Kollege wird.

Was von Dreher zu halten ist, wird allerspätestens dann klar, als er Stricker, also dem Vater seiner Freundin, mit Erpressung droht. Alle, die bis hierhin aufmerksam dabeigeblieben sind, belohnt dieser „Tatort“, indem er die Sleaze-Schublade öffnet: Paul Stricker nimmt Dienstleistungen einer Domina (Cornelia Corba, „Ein Schloss am Wörthersee“) – in Lederkluft und oben ohne – in Anspruch und ahnt nicht, dass seine Tochter im selben Studio arbeitet, die entsetzt reagiert, als sie sieht, wie sich ihr Vater nackt auspeitschen lässt. Eine herrliche Sequenz – wenn auch nicht frei von Klischees –, die Strickers titelgebende Biedermann-Fassade endgültig einreißt.

Ein paar Gänge zurück schalten Adam und sein Team mit dem spießigen Reh-Essen, für das Bienzle Berufliches und Privates miteinander verbindet, indem er mit seiner Lebensgefährtin Hannelore (Rita Russek, „Aus dem Leben der Marionetten“) dort aufschlägt. Dieser Teil zieht sich dramaturgisch etwas und ist reichlich dialoglastig ausgefallen, wobei zumindest zeitweise Untertitel angebracht gewesen wären – zumindest für Nichtschwaben. Gefühlt spielt sich die halbe Episode auf dieser Feier ab, auf der es bis zum deftigen Ende immer schlimmer zugeht.

Neben dem Blick hinter die spießbürgerliche Fassade der Strickers inklusive nackter Tatsachen und peinlicher Situationen unterhält dieser „Tatort“ mit den verschiedenen Abstufungen der Verkommenheit, auf denen Paul Stricker noch besser wegkommt als Dreher, der zudem Cordula schlecht behandelt und von einem Korruptionsgeflecht gepampert wird – Kritik am Politzirkus also inklusive. Schön auch die sprechenden Namen: Dr. Dreher dreht Dinger, Stricker verstrickt sich in sie. Der tödliche Schuss aus der Polizeipistole zu Beginn wirkt jedoch aufgesetzt, als erfolge er vor allem deshalb, weil (vermeintlich) jeder „Tatort“ mit einem Toten beginnen müsse. Unbeholfen erscheint dann auch der halbherzige Versuch, zu suggerieren, der Schütze leide unter den Folgen seiner Entscheidung. Bienzle bleibt bei diesem ersten Kennenlernen mit dem „Tatort“-Publikum eher zurückhaltend und lässt sich noch nicht sonderlich griffig charakterisieren. Gut gelungen aber sind die Neo-noir-Ingredienzien und der nie ausgesprochene, aber wenig subtile Kontrast zwischen Tierblut und Gammelfleisch auf der einen und dem piekfeinen, bonzigen Reh-Schmaus auf der anderen Seite. Vielleicht hat dieser „Tatort“ den einen oder anderen ja seinerzeit zum Vegetarier gemacht…
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Blues Brothers

„Sie werden uns nicht kriegen – wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs.“

„Blues Brothers“ aus dem Jahre 1980 ist einer dieser unverrückbaren, tatsächlichen Kultfilme und eine der besten Regiearbeiten John Landis‘ („Animal House“). Wer das noch nicht oder noch nicht so empfindet, sollte ihn sich ein zweites oder drittes Mal ansehen, denn der Film scheint mit jeder Sichtung zu wachsen (was zu seiner Kultwerdung beitrug).

„Du hast 'ne Art, dass man laufend kotzen könnte!“

Die Action-Musical-Komödie basiert auf zwei Figuren, die John Belushi („1941 – Wo, bitte, geht's nach Hollywood?“) und Dan Aykroyd („The Rutles – All You Need Is Cash“) ursprünglich für die US-Comedy-Show „Saturday Night Live“ entwickelt hatten. Es folgte eine tatsächliche Band um die beiden, mit der sie auf Tour gingen und Platten aufnahmen. Der nächste Schritt war ein von Aykroyd verfasstes Filmdrehbuch, das von Landis kräftig getrimmt und überarbeitet wurde.

„Wir bringen die Band wieder zusammen!“

Jake Blues (John Belushi) wird nach drei langen Jahren aus dem Knast entlassen und von seinem Bruder Elwood (Dan Aykroyd) abgeholt. Als erstes steuern sie das Waisenhaus an, in dem sie unter der Leitung Schwester Mary Stigmatas (Kathleen Freeman, „Latigo“) aufgezogen wurden. Zu ihrem Entsetzen erfahren sie dort, dass es wegen einer Grundsteuerschuld akut von der Schließung bedroht ist. Jake wird im Zuge einer zur Gospelparty avancierenden Predigt unter Leitung des Predigers Right Reverend Cleophus James (James Brown) erleuchtet und möchte die alte Band wieder zusammenbringen, um – im Auftrag des Herrn – Geld für die Rettung des Hauses einzuspielen. Dies ist der Auftakt zu einer rasanten Odyssee durch Chicago, die mit Jakes von ihm sitzengelassener Verlobter (Carrie Fisher, „Krieg der Sterne“), mit den Brüdern auf Kriegsfuß stehenden Polizisten, Country-&-Western-Rednecks sowie Nazis (u.a. Henry Gibson, „Nashville“) gepflastert ist und zu jeder Menge Sachschaden führt…

Das „Blues“ ist etwas missverständlich, denn die von zahlreichen selbst mitspielenden musikalischen Größen vorgetragene (meist großartige!) Musik ist eher im Rhythm and Blues und im Soul zu verorten. Und um es vorwegzunehmen: Die Band, ein mittlerweile ziemlich abgehalfterter Haufen, kommt wieder zusammen. Die erste Actionsequenz, eine Verfolgungsjagd voller Stunts, lässt nicht lange auf sich warten und hängt mit der Flucht der selbst in einem ausrangierten Polizeiwagen fahrenden Brüder vor der Polizei zusammen. Besonders hart trifft es dabei ein Einkaufszentrum. Jakes Ex schießt gar mit scharfer Munition um sich.

Elwood lebt in einer Abrisspension, in der Jake mit einzieht – womit endgültig klar ist, welcher gesellschaftlichen Schicht die beiden zuzuordnen sind. Und dass „Blues Brothers“ nicht zuletzt auch ein Film über den Kampf von unten gegen oben ist. Als ihre Pension in die Luft gesprengt wird, überleben die beiden unverletzt und wundern sich weder über das eine noch das andere. Dieser Stoizismus ist neben ihrem Outfit mit Anzug und Sonnenbrille Indikator für die Coolness der beiden, die nicht aufgesetzt ist, sondern daraus resultiert, sich mit der Rolle als gesellschaftliche Außenseiter angefreundet und nicht viel zu verlieren zu haben.

Als man fein Französisch essengeht, sorgt dies für Unmut der anderen Gäste und des Betreibers, der jedoch ein alter Kumpel und ehemaliges Bandmitglied der beiden ist. Man fährt in eine feiernde Nazimeute, die sich durch einen Sprung von der Brücke retten muss, und sucht den Gitarristen Matt Murphy auf, der inzwischen einen Imbiss mit seiner Frau betreibt. Als sie ihn dazu überreden, wieder mitzumachen, ist seine Frau (Aretha Franklin) dagegen und legt eine „Freedom“-Performance aufs Parkett. Doch es nützt nichts, er geht mit ihnen mit. Zu essen haben sie indes nichts mitbekommen. Die nächste Station ist der schießwütige Musikbedarfsladeninhaber Ray (Ray Charles), bei dem sie einkaufen wollen. Daraus wird eine Performance Rays, in die beide tanzend und singend einsteigen. Man bringt die ganze Straße zum Tanzen, während die böse Ex nun mit dem Flammenwerfer anrückt. Es folgt der wohl legendärste Auftritt des Films in der Country-&-Western-Bar hinterm Gitterzaun, wo sie aufgrund ihres Getränkekonsums sogar noch draufzahlen sollen. Die Sequenz resultiert erneut in Stunts und Blechschäden. Ohne es direkt darauf anzulegen, wächst so die Zahl derer, die den Brüdern und der Band feindlich gesinnt sind.

Ihren ehemaligen Manager Maury Sline (Steve Lawrence, „Super-Express“) treffen sie in einer Kneipe und bitten ihn, Gigs zu arrangieren. Er lässt sich darauf ein und es gelingt ihm, u.a. aufgrund massiver Werbemaßnahmen, dass das nächste Konzert zu einem vollen Erfolg wird. Die große Show mit mehreren Stücken vor begeistertem Publikum wäre vielleicht in anderen Filmen das krönende Happy End gewesen, doch noch immer sind alle hinter den Brüdern her, was noch einmal zu einer Menge Action und einer riesigen Materialschlacht im Finale führt. Am Schluss werden dann alle Gaststars kurz vorgestellt, die Landis zahlreich vor der Kamera versammeln konnte (und ich hier bei Weitem nicht alle erwähnt habe).

Wer Action und Musik mag, kommt hier also auf seine Kosten. Doch „Blues Brothers“ ist mehr, nämlich eine warmherzige Komödie um zwei cartooneske Gestalten, von denen Elwood die personifizierte Coolness ist, während Jake den Flow und den Groove mitbringt. Das Chaos, das sie verursachen, nehmen sie meist eher beiläufig zur Kenntnis, vermutlich weil sie wissen, dass sie nicht wirklich verantwortlich sind, sondern es ursächlich in jenen Menschen liegt, die so ganz anders sind als sie. Sie nehmen all das eben nicht zu schwer und lassen sich nicht von ihrem Weg abbringen. Damit verkörpern sie eine Gelassenheit, die sich manch Zuschauerin und Zuschauer sicherlich häufig im Leben wünschen, weshalb sie zu Identifikationsfiguren werden. Mit seiner verrückten Mischung, die „Blues Brothers“ ist, ist John Landis ein bis heute sehr eigenständiger Film gelungen, von dem mir auch kein Cash-in-Rip-Off bekannt wäre und der – trotz seiner späten Fortsetzung, die misslungen sein soll – für sich alleinsteht. Vielleicht liegt es auch daran, dass mancher während der Erstsichtung erst einmal Schwierigkeiten hat, Zugang zu finden. Aber „Blues Brothers“ wächst, wie eingangs erwähnt, von Sichtung zu Sichtung und verdient sein Prädikat „Kultfilm“ zurecht.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

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Ziggy Stardust and the Spiders from Mars

Ich bin kein David-Bowie-Fan, aber wohl zumindest mit den wichtigsten Songs des britischen Glam-Rockers und Ausnahmekünstlers vertraut. Zumindest durch Teile seiner Diskographie hatte ich mich mal durchgehört und mir diejenigen Songs herausgepickt, die mir gefallen. Wenn dann in der Glotze der Konzertfilm „Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ läuft, schaue ich mir den gerne an. Bei diesem handelt es sich um einen auf rund 90 Minuten zusammengestutzten Mitschnitt des letzten Konzerts Bowies mit seiner „Spiders from Mars“-Band, das am 3. Juli 1973 im Londoner Hammersmith Odeon stattfand und an dessen Ende Bowie sich von seiner spacigen Kunstfigur Ziggy Stardust emanzipierte, indem er sie sterben ließ. Verantwortlich für die Konzertaufnahmen und die dokumentarischen Einsprengsel zeichnet der US-Amerikaner D.A. Pennebaker, von dem ich bisher lediglich den famosen Depeche-Mode-Konzertfilm „101“ kannte.

Pennebaker zeigt uns ohne jeglichen Voice-over-Kommentar Bowie mit seinem fiesen Vokuhilascheitel in der Maske und die Band beim Stimmen ihrer Instrumente sowie die Fans vorm Hammersmith, die sich teilweise wie ihr Idol geschminkt haben. Eine Angie sagt noch kurz Hallo in der Maske – aha, wohl seine Ehefrau Angela – und dann geht’s auch schon mit einer sehr rockigen Nummer los. Die Lichteffekte werden gut eingefangen und vermitteln ein Live-dabei-Gefühl. Bowie wechselt seine Klamotten, spielt „All the Young Dudes“ und gibt sich sehr tuntig. Die Kamera beschert uns viele coole Zooms ins Publikum. Während eines langen Gitarrensolos sucht Bowie kurz die Garderobe auf und wird von der Kamera begleitet. Bei „Changes“ unterstützt Bowie seine Band auf der Akustikklampfe – hey, cooler Song!

Die Akustikgitarre spielt er auch bei „Space Oddity“, während die Kamera diesmal etwas arg indiskret und aufdringlich ins Publikum zoomt und weinende Mädchen einfängt. Die darauffolgende Nummer ist dann sogar fast ausschließlich auf Bowie und seine Gitarre reduziert. In der nächsten Pause sehen wir Siggi mit nichts als Stardust auf der Haut in der Garderobe, bevor er in neuem Kostüm und mit Mundharmonika für den nächsten, etwas schräg klingenden Song zurückkehrt. Die weiteren Nummern performt er in einer hautengen Klamotte und sein Gitarrist dudelt die Mädels im Publikum in einen Trancezustand. Minutenlanges improvisiert klingendes Gitarrengewichse wird von Bowie im Badeanzug – eine Pantomime-Einlage liefernd – abgelöst. Daraufhin stellt er seine Band vor, mit der er, netzhemdtragend und wieder akustikklampfend, „White Light/White Heat“ von Velvet Underground zum Besten gibt. Dies war der nominell letzte Song, doch die Meute will mehr – und einen gibt’s noch (laut setlist.fm gab’s sogar noch ein paar mehr).

„Ohne künstlerische Ambitionen abgefilmter Live-Auftritt“, urteilte das Lexikon des internationalen Films. Doch wozu braucht es künstlerische Ambitionen bei der Dokumentation der Kunst eines anderen? Verstehe diese Kritik also wer will. Für mich als Bowie-Laien ist „Ziggy Stardust and the Spiders from Mars” ein lohnender Konzertfilm, der mir einen offenbar sehr authentischen Eindruck eines Bowie-Konzerts der damaligen Zeit und Tournee vermittelt und mir dabei vor Augen führt, was ich an Bowie mag, aber auch, womit ich nur wenig bis nichts anfangen kann. Einen Mehrwert bietet übrigens die Arte-Ausstrahlung, für die man sich die Mühe deutscher Untertitel machte.
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