
Große Freiheit Nr. 7
„Paduaaa...!“
Inmitten des Zweiten Weltkriegs sollte Filmemacher Helmut Käutner („Unter den Brücken“) einen heroischen, leichtverdaulichen Unterhaltungsfilm drehen, der die deutsche Handelsmarine feiert – so hatte es das Propagandaministerium der Nazis gefordert. Und Käutner drehte, jedoch etwas ganz anderes: „Große Freiheit Nr. 7“, der, wäre es nach Käutner gegangen, doppeldeutig schlicht „Große Freiheit“ geheißen hätte, wurde nach seiner Premiere im Dezember 1944 einkassiert und erst nach Kriegsende von den Alliierten freigegeben.
„Nun segeln sie mal bischn sinniger!“
Der ehemalige Seefahrer Hannes Kröger (Hans Albers, „Münchhausen“) verdient sich seinen Lebensunterhalt als „singender Seemann“ im Hippodrom, einer Erlebnisbar in der Großen Freiheit im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Als er erfährt, dass sein Bruder, mit der er sich eins überworfen hatte, im Sterben liegt, erfüllt Hannes ihm den Wunsch, sich des Mädchens anzunehmen, das sein Bruder einst hatte sitzenlassen: Gisa (Ilse Werner, „Wir machen Musik“), die zurzeit auf dem Land lebt – auch, um den Ruf der Krögers wiederherzustellen. Er nimmt die attraktive junge Frau mit in seine Wohnung auf St. Pauli, wo er gut mit ihr auskommt und sich bald in sie verguckt. Doch während diese mit einem aufdringlichen Verehrer konfrontiert wird, hadert der zu Schwermut neigende und diesen in Alkoholika ertränkende Hannes mit seiner Existenz als „besser Animierfritze“ und Landratte…
„Ich bin 'n Wrack!“
Käutner drehte auf Agfa-Farbfilm und lässt zunächst „La Paloma“ erklingen, das auf einem Schiff auf einer Mundharmonika intoniert wird, während man sich über Hannes unterhält, der nach Hamburg gegangen ist. Dorthin verschlägt es dann auch den Film: Landgang auf dem Kiez, Straßenschilder werden eingeblendet und Albers‘ Evergreen „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ erklingt in einer Instrumentalversion. In Verbindung mit dem Gewusel in der berüchtigten Straße Große Freiheit erzeugt Käutner eine anheimelnde Atmosphäre. Hannes begegnen wir erstmals, als er im Hippodrom besagte Weise schmettert, sich selbst auf dem Schifferklavier begleitend. Überhaupt, das Hippodrom: Ein riesiges Lokal mit Pferdemanege, eine Mischung aus Zirkus (was da los ist, würde man heute zurecht als Tierquälerei missbilligen), Trinkhalle und Konzertort, das Trinker, Reisende und Damen des horizontalen Gewerbes beherbergt, sie sich amüsieren oder vergessen lässt. Hannes bekommt Besuch von seinen ehemaligen Kameraden und erfährt, dass sein Bruder im Sterben liegt. Dessen Schulden begleicht Hannes bei Gisa auf dem Lande, die er mit nach Hamburg nimmt, womit die für Hannes unglücklich verlaufende Romanze ihren Lauf nimmt.
„Wir Krögers sind bestimmt kein Gesindel nich‘!“
Eine Hafenrundfahrt inklusive kommentierter Sehenswürdigkeiten und typisches Hamburger Schietwetter sorgen für weiteres Lokalkolorit, das bereits reichlich in Krögers wunderbarer Hamburger Mundart widerhallt. Es ist nicht so, als interessiere sich kein weibliches Geschöpf für ihn: Die Hippodrom-Leiterin Anita (Hilde Hildebrand, „Bel Ami“) ist so etwas wie seine Geliebte, die durchaus auch Interesse an Verbindlicherem signalisiert, während Hannes‘ Herz jedoch längst Gisa gehört. Als er erfährt, dass Gisa sich inzwischen in den Werftarbeiter Georg (Hans Söhnker, „Der Engel mit dem Saitenspiel“) verliebt hat und sie in Blankenese stellt, schlägt das Wetter in ein Unwetter um und Hannes, ganz in schwarz und streng guckend, sieht aus wie der Henker. Ein geplanter Showdown zwischen beiden Männern gerät zur Massenschlägerei, bis die Polente anrückt. Die Kamera zaubert Einstellungen hervor, in denen ein Lichtstreifen genau über Hannes' Augenpartie zu sehen ist, und visualisiert einen Alptraum Hannes' in schrägen Perspektiven sowie entsättigten Farben – inklusive „La Paloma“ als Flamenco-Nummer. Hierbei spielt man also überraschend mit dem Surrealismus und mit Gruselelementen.
„Kenn' wir ihr?“
Musik spielt eine große Rolle: Käutner und Co. integrierten mehrere Gesangseinlagen und eine beinahe permanente Musikbegleitung, die mitunter sehr dominant die jeweilige Stimmung vorgibt. Das Lied „La Paloma“ zieht sich in etlichen Variationen durch den ganzen Film. Der tragischen Entwicklung der Handlung zum Trotz arbeitete man zudem mit einigen schönen, komödiantischen Dialogen sowie einem Running Gag um einen Matrosen, der nicht müde zu behaupten wird, in Köln sei alles besser. Vor allem aber vermittelt „Große Freiheit Nr. 7“ ein sehr reales Kiezbild: Bereits betrunken geht es nachts noch in die Kneipe, um gemeinsam mit den letzten Schnapsleichen weiterzutrinken, zu melancholieren oder zu vergessen. Zudem bringt Käutner das Lebensgefühl der Seefahrer auf den Punkt, die die Seefahrt eben auch als Flucht vor dem Alltag betrachten und nutzen, vor dessen Zwängen und Herausforderungen wie dem Eingehen fester Bindungen. Prostitution aber wird höchstens angedeutet.
Kein Wunder, denn ganz so, wie er vielleicht gewollt hätte, konnte Käutner damals natürlich nicht. Dennoch gelang es ihm, seinen Film weitestgehend vom Dritten Reich und dessen Insignien freizuhalten. Weder Hannes noch sein Umfeld entsprechen einem von Goebbels und Konsorten erhofften Idealbild, als NS-Propagandafilm ist er somit völlig unbrauchbar. Das urbane Hamburg erscheint trotz aller Probleme Hannes‘ als wesentlich spannender, aufregender und verlockender als das von den Nazis eigentlich bevorzugte Dorfidyll, dem Gisa entrissen wird. Hans Albers brilliert als alternder, unzufriedener ehemaliger Draufgänger, der schwermütig seinen Lebensentwurf infragestellt und alles andere als ein strahlender Held ist. Vielmehr könnte man ihn sich mühelos in ein paar Jahren als frustrierten Dauergast in den Hafenkaschemmen vorstellen, wo er alten Zeiten nachhängt und allen, die es nicht wissen wollen, damit in den Ohren liegt.
Somit fällt „Große Freiheit Nr. 7“ in jeglicher Hinsicht aus dem Rahmen des NS-Kinos, wurde folgerichtig von den Nazis unterschlagen und ist zurecht als einer der großen Klassiker des deutschen Films zu betrachten.
Bewertung: 8,5 von 10 Palomas