Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Eine Nacht bei McCool’s (Harald Zwart, 2001) 6/10

Der Looser Randy rettet eines Abends die schöne Jewel vor einer Vergewaltigung, woraufhin sie erstmal dankbar mit zu ihm kommt. Man trinkt gemeinsam Wasser („Also eigentlich ist Wasser trinken das Zweitliebste was ich im Leben mache.“ „Und was machst du am liebsten?“ „Ficken.“), man landet in der Kiste, und hinterher eröffnet Jewel dem armen Randy, dass sie sich mit ihrem vermeintlichen Vergewaltiger darauf spezialisiert hat, bei den Typen daheim zu landen und diese dann auszurauben. Plop, steht Utah im Raum, mit der Knarre an Randys Kopf. Doch dieses Mal ist es anders, denn Jewel hat sich tatsächlich in Randy verguckt, weshalb sie Utah umlegt und zu Randy zieht. Aus seiner abgeranzten Al Bundy-Absteige wird dann nach und nach eine immer hübschere (?) Wohnung, so richtig mit Sofa und Gardinen und allem Drum und Dran. Allerdings hat sich der wegen Utahs Tod ermittelnde Polizist Dehling ebenfalls in Jewel verguckt, und weil er Polizist ist, und Jewel für einen wahren Engel hält, für ein Juwel gewissermaßen, schafft er es, Randy aus dem Weg zu räumen. Förmlich gesprochen. Jewel allerdings hat neben einer Beziehung mit Dehling auch was mit Randys Cousin Carl am Laufen, einem erfolgreichen Anwalt, und irgendwann stehen alle Beteiligten in Randys Wohnung und zielen mit großkalibrigen Waffen aufeinander. Während draußen der Killer wartet, den Randy angeheuert hat um Jewel umlegen zu lassen …

Hab ich da schon zu viel verraten? Nein, ich glaube nicht. Und außerdem ist hier der Weg das Ziel! Wir beobachten Randy, wie er dem Killer während einer Runde Bingo seinen Leidensweg schildert. Wir beobachten Carl, wie er einer Psychiaterin seinen Liebes- und Leidensweg schildert. Und wir beobachten Dehling, wie er einem Priester das Leiden mit der Liebe schildert. Das alles parallel, und mit mehrfach erzählten, identischen Szenen, die aber jedes Mal ein wenig anders aussehen. So wie bei JACKIE BROWN, nur erheblich witziger.

Das Problem dabei ist, dass Regisseur Harald Zwart Längen an Stellen eingebaut hat, wo sie eigentlich gar nicht hingehören. Und dass er manchmal Peinlichkeiten inszeniert, die bestimmt lustig wirken sollen, aber einfach nur … peinlich sind. Nicht witzig. Zum Fremdschämen. Nein , ganz so schlimm ist es nicht, aber der Film steht sich des Öfteren selber mal im Weg, und hat einen gewissen Hang zur Bürgerlichkeit, wo er stattdessen eigentlich fröhlich-anarchisch auf die Pauke hauen und Chaos verbreiten müsste. Mehr so Sachen wie die dem Schlussbild vorhergehende Szene, die so herrlich idiotisch und abgedreht ist, dass die Kinnlade zum Schluss so richtig offen stehen bleibt.

Aber von solchen Szenen hat es einfach zu wenig. Liv Tyler ist fast durchgehend im kleinen Etwas zu sehen, wird dabei herrlich selbstironisch als Traumfrau präsentiert, wobei der Zuschauer doch längst weiß dass sie in Wirklichkeit eine abgebrühte Schlampe ist, aber da fehlt mir einfach ab und an der Biss. Das richtig Böse, dass dem armen Matt Dillon nun endgültig den Gar aus macht. Da kann auch die hübsche Hommage an TRUE ROMANCE nur noch bedingt punkten, insgesamt fehlt halt was. Und das ist schade, denn tatsächlich ist McCOOL’S erheblich lustiger als man eigentlich denkt, und er ist um einiges verrückter als man annehmen könnte. Aber irgendwie hat der Regisseur … Ja ja, ich wiederhole mich. Deswegen an der Stelle mal was Neues: Der Film lohnt trotz solcher Fehler! Wenn auch Platz bleibt zum Bier holen. Oder Wasser …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Erotic Flash (Roberto Bianchi Montero, 1981) 3/10

Die gesichtete Fassung war italienisch ohne Untertitel, von daher bitte ich etwaige Ungenauigkeiten zu verzeihen. Mitbekommen habe ich auf jeden Fall, dass der Fotograf Luigi, der seine Linse genauso wie seinen Pillermann gerne mal in Richtung nackter Damen hält, mit Gespielin Ingrid und Kumpel Billy nach Schloss Balsorano fährt, welches dieses Mal als Hotel fungiert. Die Frau des Padrons macht beim entstehenden lustigen Ringelpiez recht schnell mit, und als dann auch noch zwei neue Gäste eintreffen, ein alter Sack und Marina Hedman, ist klar was passieren muss: Luigi und Marina poppen auf Teufel komm raus. Zumindest in seiner Phantasie, der echte Akt soll erst in der Nacht stattfinden. Da allerdings kommt zum einen Luigi eine andere Frau unter, nämlich die des Padrons, und zum anderen erhebt sich der Zombie eines alten Vorfahren aus der Familiengruft. Dieser klaut sich den heiligen Dildo von Santa Teresa aus dem Reliquienkästchen (was am nächsten Tag zu einem Nervenzusammenbruch von Fr. Hedman führt) und vögelt damit die Ingrid durch, derweil die Hahnreis völlig ahnungslos Karten spielen. Am nächsten Tag ist das Wochenende vorbei und der Film ebenfalls …

Bild Bild

Es mag gut möglich sein, dass die schwülstig-pathetischen Monologe von Luigi sehr lustig sind, vor allem wenn er dann mitten in seiner Theatralik irgendwann umschwenkt auf Gossenitalienisch. Es mag auch gut sein, dass bei einer besseren Qualität des Materials auch die Qualität des Sexus gesteigert wird, denn tatsächlich sind sowohl Moana Pozzi, wie auch Marina Hedman und Adriana Giuffrè, also diese drei sind tatsächlich sehr appetitlich anschauen und könnten die Bewertung durchaus ein wenig anheben. Moana Pozzi – Hier in einer frühen Rolle, und sie traut sich irgendwie noch nicht so recht Gas zu geben. Marina Hedman - Ebenfalls zu Beginn ihrer Karriere, noch recht schnieke anzuschauen und etwas einsatzfreudiger als Moana Pozzi. Adriana Giuffrè - Was für eine scheußliche Frisur! Aber viel interessanter die Frage, was die Dame nach 20 Jahren durchwachsener Karriere im Filmgeschäft und im Alter von 42 Jahren geritten haben mag, plötzlich HC zu drehen? Und auch noch erheblich wilder und phantasievoller als die beiden Kolleginnen … Vielleicht lag in jener Zeit einfach etwas in der Luft, immerhin hat Karin Schubert nur wenige Jahre später und ebenfalls mit 40 Jahren gleichfalls begonnen HCs zu drehen. So oder so, alle Frauen sind wunderbar anzuschauen, und die Giuffrè ist in diesem Film sowieso der heimliche Star.
Herbert Hofer ist im Übrigen auch kein Hässling gewesen, was zu der von mir bei solchen Filmen alleweil präferierten Grundvoraussetzung führt, dass schöne Menschen schöne Dinge tun.

Allerdings tun sie dies oft recht langweilig, und die häufigen Großaufnahmen behaarter Geschlechtsteile sind auf die Dauer dann doch etwas enervierend. Die Giuffrè hat hier den dankbarsten Teil bekommen, geht sie doch in ihren Szenen wirklich aufs Ganze. Aber so im Großen und Ganzen haben mir DR. PORNO UND SEIN SATANSZOMBIE oder MALABIMBA, auf deren Spuren EROTIC FLASH wandelt, einfach besser gefallen. Auch wenn die beiden genannten erheblich weniger Sex zeigen, so sind sie auf jeden Fall ansprechender und abwechslungsreicher inszeniert als das 08/15-Gepoppe in EROTIC FLASH. Es zeigt sich einfach mal wieder, dass Regisseur Montero, der uns Werke geschenkt hat wie SCHÖN, NACKT UND LIEBESTOLL, kein wirklich großer Regisseur war, dem aber, bis auf Ausnahmen, das Untalent seines Sohnes Mario Bianchi dann doch weitgehend abging, was dann wiederum zu „Klassikern“ wie DAS RATTENNEST oder DAS AUGE DER SPINNE geführt hat.

So oder so dürfte EROTIC FLASH bei besseren Ausgangsbedingungen nur gewinnen; in der mir vorliegenden Fassung ist die Sichtung wie das Hochglanzmagazin in der Hand des Nebenmannes: Man darf gucken, aber so richtig in Fahrt kommt man halt nicht …

Bild Bild

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Dr. Mabuse, der Spieler (Fritz Lang, 1922) 8/10

„Im zeitlichen Umfeld der Produktion von DR. MABUSE, DER SPIELER gehörten Terror und Destabilisierung zum Alltag der Weimarer Republik[…]“„‘Kein wesentliches Symptom der Nachkriegsjahre fehlt. Börsenmanöver, okkultistischer Schwindel, Straßenhandel und Prasserei, Schmuggel, Hypnose und Falschmünzerei, Expressionismus und Mord und Totschlag.‘“(1)

Was für eine Zeit das war. Auf den Straßen erschlugen sich die rechten und linken Fanatiker gegenseitig, in den Mietskasernen verhungerten die Menschen angesichts einer immer schneller steigenden Inflation, und an den Börsen wurden genauso wie an den Spieltischen der Kasinos Milliardenbeträge mit einem Hohnlächeln verprasst. 376 politische Morde zwischen 1919 und 1922, zunehmend schnellere Regierungswechsel, und ohne kriminelle Energie sind damals wahrscheinlich nur die Wenigsten noch vernünftig durchs Leben gekommen. Den abwärtsgerichteten Taumel dieser Jahre kann man sich heute kaum noch vorstellen, und die Filme dieser Zeit als bewegte Zeitzeugen können aus technischen Gründen meist nur andeuten, was sich der Realität des körnigen und zappeligen Schwarzweiß eines Stummfilms entzieht.

Bild Bild

Stummfilme, das sind doch diese schwarzweißen (prust) und komischen Männchen die sich viel zu schnell bewegen (lach) und überhaupt kann man das ja gar nicht ernstnehmen. Stummfilme werden im Allgemeinen heute mit Dick und Doof und Charlie Chaplin gleichgesetzt, unter Cineasten kennt man dann noch DAS KABINETT DES DR. CALIGARI und METROPOLIS, und das war‘s. Der Filmkanon des 21. Jahrhunderts selektiert gnadenlos aus, und was älter ist als 20 Jahre und/oder nicht aus einer fortwährenden Anordnung von Explosionen und vermeintlichen Schockeffekten besteht, das hat entweder komisch zu sein, oder melodramatisch, oder eine Berechtigungsexistenz wird schlichtweg geleugnet.

Ja, ich weiß, ich übertreibe maßlos. Aber wo bleibt in diesem Kanon ein Film wie DR. MABUSE, DER SPIELER? Rund 100 Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges und der ersten deutschen Republik bleibt der Blick auf die vergangenen Ereignisse, die tatsächlich bis heute unsere Zeit prägen (nämlich durch die damals gezogenen, weltweiten Grenzen genauso wie durch die, in dieser Zeit entstandenen, extremistischen Strömungen), den Reden der Politiker und den bewegten Illustrierten eines Guido Knopp und seiner Epigonen überlassen. In einer besseren Welt würde DR. MABUSE in den Schulen gezeigt werden, müssten Aufsätze über den Film und seine Entstehungszeit geschrieben werden, müssten höhere Schüler die damaligen Entwicklungen und ihre heutigen Erben analysieren. Und staunen, wie aktuell so ein alter Film sein kann.

Dr. Mabuse will die Menschen beherrschen, und seine Mittel heißen Terror und Angst. Kommt das bekannt vor? Wobei, ich bin mir nicht sicher ob beherrschen hier das richtige Wort ist. Mabuse will zwar eine Herrschaft des Schreckens aufbauen, aber sein Weg ist das Spiel. Mabuse weiß, dass fast alle Menschen gerne spielen, viele sogar süchtig danach sind. Und auch er spielt - Mit Leben und mit Seelen, und wer sein Opfer wird, der wird auch über kurz oder lang dem Tod anheimfallen. Ein Ende, das Mabuse schon gar nicht mehr interessiert. Es empfindet Freude daran, andere Menschen in den Untergang zu führen, Verbrechen um des Verbrechens willen zu begehen. Mabuse ist bei den Menschen wenn er sie verführt, er ist bei ihnen um sie beim Abstieg in die Hölle zu begleiten, doch wenn die gequälte Kreatur dann in den Zusammenbruch taumelt, da ist Mabuse schon längst wieder woanders. Beim nächsten Opfer, das sich seinen Einflüsterungen nicht widersetzen kann.

Kommt das bekannt vor? Zwischen Heilsversprechern und Verschwörungstheoretikern bietet auch das 21. Jahrhundert solche Verführer. Populisten werden sie heute genannt, knapp 90 Jahre nach demjenigen der sich hat Führer nennen lassen, aber sie sind alle Mabuses, die ausschließlich ihr eigenes Heil und das Interesse am Leid anderer eint.

Wenn wir in den Film schauen, können wir als Beispiel den Grafen Told hernehmen, dargestellt von Alfred Abel. Ein Hobbynaturwissenschaftler, ein der Welt entrückter und völlig vergeistigter Adliger, der mit der Welt der Normalsterblichen, die aus Hunger und dem täglichen Kampf um Arbeit besteht, nicht das Geringste zu tun hat. Seine Frau Dusy ist vom Leben angeödet. Sie treibt sich in Spielhallen und Kasinos herum um Abwechslung und Spannung zu suchen. Gräfin Dusy Told spielt nicht, sie beobachtet. Doch alles was sie beobachtet ist entweder uninteressant oder langweilt schnell. So wird Mabuse auf sie aufmerksam, als Muse der Spieler die sie ist. Er „verliebt“ sich in sie, was nichts anderes heißt, als dass er sie besitzen will, und dafür muss ihr Mann sterben. Bei einer Soiree zwingt Mabuse den Grafen Told zum Spielen. Und nicht nur das: Er, der noch nie in seinem Leben gespielt hat, wird unter Mabuses Einfluss zum Falschspieler - Und fliegt auf! Seine Bekannten verlassen ihn, seine Freunde meiden ihn, sogar seine Frau verlässt ihn. Vermeintlich, denn in Wirklichkeit hat Mabuse Dusys Schwäche ausgenutzt und sie entführt. Graf Told ist einsam und am Boden zerstört, und in seiner Qual geht er in die Behandlung zu einem bekannten Psychoanalysten: Dr. Mabuse …

Oder nehmen wir Hull. Hull ist der Erbe eines 90 Millionen schweren Schiffsmagnaten, und Hull spielt gerne. Mabuse spielt also gegen Hull, und Hull verliert. Und verliert. Und verliert. Selbst als Hull ein As und eine Zehn auf der Hand hat ist ihm unter Mabuses hypnotischem Einfluss klar, dass er schon wieder verloren hat, und sein ganzes Vermögen an Mabuse geht – Er gibt auf! Hull ist aber noch nicht am Ende – Er verliebt sich in die Tänzerin Cara Carozza, ahnt jedoch nicht, dass diese eine Schachfigur Mabuses ist, die nur Befehle ausführt. Die der Meinung ist, dass Mabuse sie liebt, und selbst als sie im Gefängnis sitzt und Mabuse ihr Gift schickt, kann sie sich seinen Befehlen nicht widersetzen, denn eigentlich liebt Mabuse sie ja ...

Bild Bild

Komische Männchen die sich viel zu schnell bewegen? DR. MABUSE ist düster und ernst. DR. MABUSE entfaltet ein menschliches Drama vor einem Hintergrund, der, obwohl er grundlegend künstlich ist (der Film wurde bis auf eine Sequenz ausschließlich im Studio gedreht), doch in keiner Sekunde künstlich, sondern wie aus dem Leben gegriffen wirkt. Der Aufstieg und Fall eines Menschen, der durch Terror und Destabilisierung Macht erlangen will – Kommt das bekannt vor? Dabei werden zeitgenössische Schlagzeilen eingearbeitet, wie der Schusswechsel eines Gangsters gegen die Polizei, der im Film fließend übergeht in einen Kampf gegen stahlhelmtragende Soldaten. Auch dies dürfte in den frühen 20er-Jahren in den deutschen Städten kein seltener Anblick gewesen sein, bindet also das aktuelle Tagesgeschehen in den Film ein.
Doch auf der anderen Seite wäre es zu kurz gegriffen, Mabuse mit Hitler zu vergleichen der 1921, als DR. MABUSE gedreht wurde, seinen Aufstieg gerade erst begonnen hatte, und dessen folgenreiche Karriere zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht abzusehen war. DR. MABUSE zeigt, nach Aussage von Fritz Lang, den verbrecherischen Anti-Staat, der sich nicht um seine Bürger kümmert, sondern dessen einzige Existenzberechtigung darin liegt, dass er existiert. Mabuse hat einen Staat im Staat etabliert, der seine eigenen Anhänger hat, seine eigenen Gesetze, seine eigenen Ziele. Und der sich um die Ziele des „regulären“ Staates einen Scheißdreck schert. Mögen die anderen doch verrecken, Hauptsache mir geht es gut. Kommt das bekannt vor? In den Jahren nach dem Ende des ersten Weltkrieges, mit der von vielen abgelehnten Weimarer Republik und der ständigen Bedrohung durch einen Putsch ist dies eine genauso aktuelle Bestandsaufnahme wie heute, in der Zeit von Identitären und Reichsbürgern, die ebenfalls den „regulären“ Staat ablehnen und sich ihre eigenen Gesetze stricken …

Erst 10 Jahre später, in der Fortsetzung DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, wird Lang direkt Bezug nehmen auf den starken Staat, auf Adolf Hitler, und auf den existierenden Staatsterrorismus. Aber bis dahin werden noch ein paar Jahre der Gewalt und der Armut, des Chaos und der Verzweiflung ins Land gehen, und die Umstände werden dafür sorgen, dass immer mehr Menschen nach einem starken Mann an der Spitze rufen. Nach jemandem, dessen verbrecherisches Wesen ignoriert wird, solange er nur stark ist und ein Heil verspricht, dass dann wider Erwarten in sein Gegenteil verkehrt wird. „Doch der Weihnachtsmann war in Wirklichkeit der Gasmann …“ heißt es in DIE BLECHTROMMEL in einer gänsehauterzeugenden Szene, und die Verbindung zu DR. MABUSE ist vielleicht doch nicht so weit weg wie gedacht, ist doch der Dr. Mabuse dieser ersten Verfilmung der Mann mit den 1000 Masken, dessen Verkleidungskünste phänomenal sind, und der in seinen Verkleidungen tatsächlich kaum zu erkennen ist.
► Text zeigen
Wie könnte man dem Satan auch entgegentreten, wenn man ihn denn gar nicht erkennt, sondern meint, dass man einen Vertrauten vor sich hat. Dr. Mabuse als Hugo Balling, der Industrielle und Mann von Welt, der so unverschämtes Glück hat beim Spiel. Dr. Mabuse als Schnürsenkelverkäufer, der in den Gassen der Armen als Wohltäter (weil Spender kriminellen Geldes) gerne gesehen ist. Und Dr. Mabuse als Sandor Weltmann, der Meister der Massenhypnose, der dem begeisterten Publikum vorgaukeln kann, dass Beduinenvölker und Kamele durch die Halle laufen, und so die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Geschehen, nämlich der physischen Vernichtung des Staatsanwaltes Wenk, perfekt ablenkt. Der den Menschen Brot und Spiele schenkt, während er in Wirklichkeit Angst verbreitet und alles und jeden korrumpiert. Kommt das bekannt vor …?

(1) Friedemann Beyer, Booklet zur Fritz Lang Collection, erschienen bei der Transit Film 2007

Bild Bild

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Le couteau sous la gorge (Claude Mulot, 1986) 7/10

Wer dreimal lügt, dem glaubt man nicht. Erotikmodel Catherine rennt nun schon zum zweiten Mal diese Woche durch die Nacht zum Polizeirevier, um völlig entgeistert anzugeben dass sie gerade vergewaltigt wurde, und um mit dem Kommentar „Zweimal in einer Woche das gleiche Erlebnis ist doch wohl unwahrscheinlich, oder?“ wieder nach Hause geschickt zu werden. Catherine ist, wie es der Fotograf J.B. so nett ausdrückt, eine Mythomanin. Eine, die Geschichten erfindet und sich damit interessant machen will. Aber seit diesem nächtlichen Fotoshooting auf dem Friedhof geschehen merkwürdige Dinge. Das Telefon klingelt und niemand ist dran. Und wenn doch, dann sagt eine verzerrte Stimme hässliche Dinge. In ihre Wohnung versucht jemand einzudringen, und der nette Nachbar Nicolas, der ihr gerne hilft, wird anschließend überfallen und niedergeschlagen. Könnte das mit Catherines Ex-Lover Ludovic zusammenhängen, einem Drogensüchtigen, der Catherine zunehmend um Geld und Sex bedrängt? Oder hat J.B. vielleicht begonnen, seine schlechte Laune anders als nur mit Schlägen und Vergewaltigungen rauszulassen? Denn plötzlich geht ein Mörder um und räumt in Catherines Umfeld blutig auf. Und die Polizei ist mit dem Wohlergehen eines Diplomaten viel mehr beschäftigt als mit dem Wohlergehen einer kleinen verlogenen Fotonutte …

Bild Bild

Prinzipiell ist LE COUTEAU SOUS LA GORGE erst mal nichts anders als ein Giallo: Ein behandschuhter Mörder der vorwiegend auf Damen losgeht, eine Hauptfigur der niemand glaubt, der ein oder andere rote Hering (was allerdings aufgrund der überschaubaren Personenzahl recht schnell ins Leere läuft), ein Appartementkomplex in dem merkwürdige Dinge geschehen, ein inkompetenter Kommissar … Das alles eingebettet in wunderschön fotografierte Bilder und eine mysteriöse Grundkonstellation mit sexy Frauen und unsympathischen Arschlöchern. Womit sich LE COUTEAU SOUS LA GORGE allerdings gegenüber seinen italienischen Mitbewerbern abhebt, das ist diese eiskalte und bittere Stimmung. Kaum ein Charakter der nett ist oder dem man gar Vertrauen schenken könnte. Jeder hat nur seinen Vorteil im Sinne, und ist gewillt, sich diesen Vorteil durch Einsatz von Gewalt und Gemeinheiten bedingungslos zu sichern. Eine Figur wie Florence, Catherines Freundin, ist zwar grundlegend positiv konnotiert, bleibt aber so blass und in sich gekehrt, dass der Zuschauer gar nicht erst versucht, seine Sympathie für sie zu verschwenden. J.B. wiederum ist ein gewalttätiges Schwein, der sich den Sex mit seinen Models mit Gewalt einholt. Und die Managerin(?) Valérie weiß um J.B.s Neigungen, aber weil er ein guter Fotograf ist holt sie halt doch immer wieder ihn. Bezeichnend die Szene, wo Florence sich auf einem Abbruchgelände ausziehen soll (bei sichtlichen Minusgraden), und J.B. einem Landstreicher Geld gibt, damit er sich auf dem Bild mit Florence‘ Brüsten verlustiert, während Valérie daneben steht und was von Geschäften faselt. Fast wie im wirklichen Leben …

Selbst die Hauptdarstellerin Catherine ist als sogenannte Mythomanin erstmal keine reine Sympathiefigur, wissen wir doch auch nicht, ob die Geschichte mit den drei Männern, die sie vergewaltigen wollten, wahr ist oder erfunden. Ob Catherine krank ist, ob sie nach Aufmerksamkeit heischt, oder ob das vielleicht doch stimmt was sie da phantasiert. Oder wie sind Catherines Träume zu verstehen?

Einzig Nicolas ist nett. Nicolas schaut gut aus, Nicolas ist da wenn man ihn braucht, und Nicolas scheint auch kein halbverrückter Psychopath zu sein. Umso schlimmer, dass Nicolas auf der persönlichen Abschussliste des völlig durchgeknallten Ex-Lovers Ludovic steht, denn Catherine gehört ja ihm ihm ihm, und sonst niemandem …

Bild Bild

Man merkt schon, LE COUTEAU SOUS LA GORGE ist rein menschlich gesehen allerunterste Schiene. Das Ganze ist im Winter angesiedelt, der sein bitterkaltes Lied passend zur Stimmung singt, und der damit die sowieso schon frostige Atmosphäre gleich nochmal um ein paar Grade herunterkühlt. Claude Mulots letzter Film ist weit weg von aller Fleischeslust und von aller (vermeintlichen) Wärme die er sonst so oft inszeniert hat. Hier regieren Zynismus und Hass, sind Gier und Gewalt die vorherrschenden Merkmale. Als ob er seinen nahen Tod spürte (Mulot ist noch im gleichen Jahr ertrunken), oder als ob er nach den menschelnden 70ern, in denen die Masse seiner Regiearbeiten stattfand, in den kühlen und durchgestylten 80ern seinen persönlichen Kommentar dazu abgeben wollte, dass ein so talentierter Regisseur fast sein gesamtes berufliches Leben mit dem Dreh von Hardcore-Filmen fristen musste.

Aber das ist natürlich Spekulation. Fakt ist, dass LE COUTEAU SOUS LA GORGE kein überwältigender Film ist, denn dafür geht ihm tatsächlich die Leidenschaft ab. Es fehlen die Doppelbödigkeit und der Rausch, der die italienischen Gialli so unwiderstehlich gemacht hat, und ihm fehlt auch die Bosheit der Handlung der Gialli aus den 80er-Jahren, die er lieber durch Gemeinheiten der Charakter untereinander ersetzt. Ein paar Mal die nackte Florence Guérin, Brigitte Lahaie bis auf eine kurze Szene in der Badewanne durchgehend angezogen, und die Geschichte zwar etwas sprunghaft erzählt, aber im Wesentlichen immer straight forward – Wieso ist da trotzdem das Gefühl, dass der Film so ausgesprochen sleazig ist? Dass man sich bei aller gezeigten klinischen Reinheit hinterher waschen möchte, den Schmutz runterrubbeln mag? Kommt dieser Schmutz aus den gezeigten Abgründen der dargestellten „Menschen“?

Nein, ein Meisterwerk ist LE COUTEAU SOUS LA GORGE sicher nicht, aber als böser und kalter Thriller, der geistig flache Menschen in eine graue Umgebung setzt und untersucht, wieviel Bosheit dabei entstehen kann, als ein solcher Film taugt er sehr wohl. Aber man muss sich als Zuschauer halt klar darüber sein, dass die warme italienische Sonne dem kalten Pariser Winter Platz gemacht hat, der mit seiner Eiseskälte alles und jeden durchdringt, und dass menschliche Gefühle nicht nur Liebe und Leidenschaft sein können, sondern auch Hass, Ignoranz, und die Sehnsucht nach dem Tod. Anderer Menschen …

Bild Bild

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Kaisersturz (Christoph Röhl, 2018) 5/10

Eine Darstellung derjenigen Tage, die gegen Ende des ersten Weltkrieges die entscheidenden waren. Entscheidend für das Kriegsende, entscheidend vor allem aber für die Monarchie und für Kaiser Wilhelm II. Entsprechend wird in Kaisersturz viel Gewicht auf den Monarchen gelegt: Wie er mit sich und der Welt versucht im Reinen zu sein, als oberster Kriegsherr bemüht ist, durch einen Sieg über die Feinde, vor allem die widerlichen Engländer, den Frieden zu erringen, und wie ihm die Sozialdemokraten in Gestalt von Friedrich Ebert nach und nach immer näher auf den Pelz rücken und eine ihm völlig fremde Variante einer Regierung, den Parlamentarismus, einsetzen wollen.

Im September 1918 wird langsam klar, dass der erste Weltkrieg für das Deutsche Reich verloren ist. Na ja, so richtig klar wird es nicht allen. Das Volk ist kriegsmüde, die Soldaten sind völlig entkräftet, und die Lage an der Westfront ist katastrophal. Aber der Kaiser redet stur von Widerstand und Durchbruch und Sieg und all dem ganzen Scheiß, den wahre Krieger so vor sich hinbrabbeln. Er weiß nicht, dass er in einem ganz anderen Spiel nur eine Marionette ist: Der Leiter der OHL Ludendorff zwingt die Regierung, bei den Amerikanern nach einem Waffenstillstand anzufragen. Und die Schande für diesen Waffenstillstand will er in einem perfiden und perfekt ausgeklügelten Plan den aufstrebenden Sozialisten in die Schuhe schieben, die sich, in Gestalt ihres Vorsitzenden Friedrich Ebert, voller Freude als Opferlamm hingeben. Ohne die Falle zu sehen verbrüdern sich Ebert und der designierte Reichskanzler Prinz Max von Baden, um den Krieg so zu beenden, dass der Kaiser nach Möglichkeit an der Macht bleiben kann, dass die Bedingungen des Waffenstillstandes nicht zu grausam werden, und um vor allem das Volk davon abzuhalten, eine Revolution zu beginnen. Eine gefährliche Gratwanderung,

Prinzipiell ist es schade, dass der Kaiser in diesem Film der Schwerpunkt ist, und dass der Opportunist und Monarchiefreund Ebert so viel Gelegenheit hat, sein Familienleben auszubreiten. Ich persönlich hätte es spannender gefunden, wenn vor allem die Tage zwischen dem 1. und dem 11. November, also zwischen dem Kieler Matrosenaufstand und dem Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstandes, im Fokus gestanden hätten. Dann allerdings hätte der Film nicht Kaisersturz heißen dürfen …

Also gut, KAISERSTURZ. Nicht Novemberrevolution. Ausgehend vom Thema beleuchtet der Film das Familienleben des Kaisers, stellt geschickt die Frage, von wem das Deutsche Reich in jenen Tagen eigentlich regiert wurde (von Kaiser Wilhelm oder vielleicht doch eher von seiner Frau), und wirbelt die Handelnden der deutschen Politik gegen Kriegsende hin ein wenig durcheinander. Ein wildes Namedropping findet nicht statt, was sehr positiv zu bewerten ist, und die Anzahl der handelnden Personen ist immer überschaubar und nachvollziehbar. Als jemand, der sich mit dieser Zeit sehr intensiv beschäftigt, frage ich mich allerdings, wie jemand den Film empfindet, der nicht ganz so tief in der Materie steckt und dem möglicherweise viele Hintergrundinformationen fehlen. Meine Frau zum Beispiel hat hinterher festgestellt, dass sie vor allem den Beginn sehr langweilig fand, und mit den Namen und den Aktionen überhaupt nicht zurecht kam. Was ihr gefallen hatte, und das hebt KAISERSTURZ auch definitiv in eine höhere Liga, sind die zeitgenössischen Filmaufnahmen, die den Dokuhistorie-Ansatz, der seit einigen Jahren in den Infotainment-Kanälen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens so beliebt ist, angenehm auflockern und Realismus in die Bilder bringen. Und da die meisten dieser Originalaufnahmen auch noch nachkoloriert sind, schaffen gerade diese Szenen eine starke Verbindung zwischen Zuschauer und Handlung. Die Bilder von Arbeitern und Soldaten des Jahres 1918, die vermeintlich in die Kamera eines Filmemachers von heute schauen, wirken gerade durch die Farbe wie Szenen von heute. Das könnten auch der Chef oder der Nachbar sein, die da gerade vorbeilaufen und ihren ganz persönlichen Alltag erleben. Diese Aufnahmen wirken nicht wie von früher und lange vorbei, sondern tagesaktuell, und reißen an der Stelle auch sehr mit, vor allem wenn am Ende des Films, das heißt mit Beginn der deutschen Revolution, das Erzähltempo merklich anzieht.

Hier glänzt KAISERSTURZ und kann sogar Spannung ins Spiel bringen, was in der ersten Stunde leider völlig fehlt. Kleinere historische Ungenauigkeiten können mit dem Blick auf dramaturgische Unerbittlichkeiten auch verziehen werden, wie etwa der Umstand, dass Friedrich Ebert in den Hof seines Berliner Hauses tritt und seiner Frau erklärt, dass er heute am Bodensee mit Prinz Max gesprochen hat. Ehrlich? Im Jahr 1918 bei herrschendem Treibstoffmangel innerhalb eines Tages vom Bodensee bis Berlin? Das ist ja heute schon eine Tortur …

Es ist halt einfach nur schade, dass der Film am Abend des 9. Novembers endet. Dass die Abreise des Kaisers ins Exil nur angedeutet wird, und gerade die sich zuspitzende Situation in Spa, wo der Kaiser zwischen einer erfundenen Abdankung, dem Führen kaisertreuer Truppen gegen die verdammten Sozis, und sogar einem möglichen Heldentod in einer kurzfristig anberaumten Schlacht schwankte, dass diese Situation nur überflogen wird, und die beginnende Revolution in Berlin, die in diesem Augenblick des Films in den Fokus rückt, abgewürgt wird bevor sie überhaupt anfängt, nämlich vor den Wahlen der Arbeiter- und Soldatenräte am 10. November. In diesem Augenblick steht Deutschland vor den aufregendsten Momenten seiner Geschichte, und das, was zwischen November 1918 und Mai 1919 passiert, hat weitreichende Konsequenzen, die bis heute nachklingen, und spannend und schrecklich und schrecklich spannend zugleich sind. Durch das gewählte Thema des Films, eben den Sturz des Kaisers, müssen diese Vorgänge narrativ aber genau am Beginn des Höhepunktes unterbrochen werden - Man stelle sich vor, dass ein Thriller genau vor dem Showdown beendet wird … Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Regisseur Christoph Röhl gegen Ende nicht mehr so recht gewusst hat wo er hin will. Aber das ging dem Kaiser und so einigen der damaligen deutschen Sozialdemokraten schließlich ganz genauso.

Was schlussendlich bleibt ist das Entsetzen über einige katastrophale schauspielerische Leistungen (etwa Hubertus Hartmann, der als Prinz Max hoffnungslos übertreibt), und die Enttäuschung über die Schwerpunkte, die sich anscheinend immer gerade dorthin verlagern, wo es nicht interessant ist. Dokudramen haben halt einfach nicht spannend zu sein. Punkt. Die Leute sollen was lernen und nicht unterhalten werden, so ist der Eindruck. Die tollen und erstklassig eingebauten dokumentarischen Aufnahmen reißen es heraus, aber insgesamt ist das alles doch relativ mau …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (Fritz Lang, 1960) 8/10

Ein Journalist wird in seinem Auto vor einer Ampel erschossen. Der Täter verschwindet unerkannt. Ein junges Mädchen versucht aus dem Fenster eines Hotels zu springen, doch ein Multimillionär kann sie im letzten Moment aufhalten. Kleine und große Tragödien geschehen in den letzten Tagen scheinbar zusammenhanglos, doch eines haben sie alle gemeinsam: Die Personen sind im Laufe der Zeit alle im Hotel Luxor abgestiegen, und fanden alle anschließend einen plötzlichen Tod. Kommissar Kras ist mit dem Fall des toten Journalisten betraut und ahnt nicht, dass Interpol im selben Umfeld auf der Spur des Dr. Mabuse ist, einem Superverbrecher, der vor dem Krieg ums Leben gekommen ist. Sollte man zumindest meinen, doch die Verbrechen, die hier begangen werden, ähneln denen von vor 30 Jahren verblüffend. Lebt Dr. Mabuse vielleicht noch?

Zwei Gangster unterhalten sich. Der eine möchte wissen, wie der große Boss aussehen mag. Der andere versucht ihm das auszureden, doch der erste sinniert weiter vor sich hin: „Ich möchte aber doch zu gerne wissen, wie der Doktor aussieht.“ Schnitt auf einen Blinden der laut und deutlich in die Kamera spricht „Ich weiß es nicht.“

Man merkt von Beginn an, dass DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE keine normale deutsche Krimikost eines kleinbürgerlichen Heimatfilm- und Lustspielregisseurs ist, sondern dass hier ein Meister am Werk ist, der sein Handwerk in der ganz großen Zeit des deutschen Kinos gelernt hat, und anschließend jahrelang im Haifischbecken Hollywood unterwegs war. Entsprechend groß sind auch die angesprochenen Themen, zu denen die deutsche Wikipedia schreibt „…Große, scheinbar tote, vergessene Verbrecher, die im Hintergrund weiterwirken; ein Hotel als Beobachtungsapparat und Metapher für Totalitarismus; willige Handlanger und Vollstrecker; ein scheinbarer Frieden, der nur mühsam schwelende Konflikte verdeckt; eine Atmosphäre der Künstlichkeit und großspurig gespielten Lockerheit …“. (1) Da wird dann schnell klar, mit welcher Routine (im positiven Sinne!) Fritz Lang hier mit Themen jongliert, an denen sich so manch anderer Regisseur verhoben hätte, und was für eine außerordentliche Lockerheit und welche Grandezza er dabei einsetzt. Verkrampft oder bieder ist hier kaum etwas, im Gegenteil hat 1000 AUGEN von Beginn an ein hohes Tempo, spielt mit Licht und Schatten wie ein klassischer Noir (was er ja letzten Endes auch ist, man vergleiche das Grundgerüst der Geschichte einmal mit dem US-Klassiker MINISTERIUM DER ANGST), und Lang setzte sein ganzes Können ein um einen modernen und gleichzeitig für alle Zeiten gültigen Thriller zu schaffen. Dass er dabei auf seinen eigenen DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE von 1933 referenziert, und diesen sogar in einem Gespräch erläutert, zeigt seine Meisterschaft: Nicht nur dass er sich mit dem Mord in der Eingangsszene selbst zitiert, er ist auch so selbstbewusst, als Begründung für diesen Mord seine eigene Filmarbeit herzunehmen, und sein eigenes Universum, das er mit den beiden Mabuse-Filmen genauso etabliert hat wie mit M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER, nach fast 30 Jahren einfach weiterzuführen als wäre es erst gestern gewesen.

Aber auch abseits solcher cineastischen Raffinessen macht 1000 AUGEN sehr viel her. Das Gleichgewicht zwischen Liebesgeschichte und kaltem Thriller ist immer im Lot, es gibt keinerlei Längen, und die Positionen der verschiedenen Charaktere sind angenehm unscharf. Zwar lernen wir zu Beginn, dass Interpol einen Mann im Hotel Luxor eingeschleust hat, aber wer das ist, das erfahren wir tatsächlich erst während des Showdowns. Peter van Eyck bleibt lange Zeit noiresk-zwielichtig, und auch die Rolle von Dawn Addams wird erst im Laufe des Films aufgedeckt, behält sich dann aber immer noch die ein oder andere Überraschung für den Schluss auf. Gleichzeitig ist der Härtegrad des Films für das Entstehungsjahr außerordentlich hoch – Es wird viel gestorben, es wird auch im Vordergrund des Bildes gestorben, und ungewöhnlich viele der Toten sind Polizisten. Was man aber auch mit einem Hinweis auf die eigentliche Handlung des Films erklären könnte: Wenn der Terror beginnt seine Hände auszustrecken, dann ist niemand mehr sicher, auch die Ordnungsmacht und ihre Exekutive nicht, die den Bürger vor dem Terror eigentlich beschützen sollen.

Auch hier wird immer wieder deutlich Bezug genommen auf die vergangene, aber nicht abgeschlossene Zeit. Besonders spannend ist wie dabei auch der Zeitenverlauf geschickt fortgeführt wird – 30 Jahre früher nimmt die Geschichte einen klaren politischen Bezug auf die aufkommenden Nationalsozialisten, jetzt, 1960, wird zurückgeschaut auf diese schreckliche Zeit und werden die Terrormethoden der Nazis thematisiert. Ein zusammenhängender Erzählfluss, der sich über mehrere Filme im Abstand von 30 Jahren ergibt …! Hinweise auf das Dritte Reich werden sehr deutlich ausgesprochen, was für einen (Kriminal-) Film dieser Zeit eher ungewöhnlich ist, und die Anlage von Dr. Mabuse als geistigem Erbe eines Geistesgestörten der ein Reich des Schreckens errichten will, lässt die Grenzen des deutschen Populär-Eskapismus weit hinter sich. DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE ist ein großer und starker Thriller, der für seine Entstehungszeit ungewöhnlich selbstbewusst daherkommt und den Zuschauer mitreißt in einen Strudel aus tollen Schauspielern, kniffiger Handlung und düsterer Atmosphäre. Ein würdiger Nachfolger des „Vorgängers“ von 1933 und sicher der beste Teil der Krimi-Serie aus den 60er-Jahren, weil er zwar die Pulp-Elemente der beliebten Krimis einsetzt, um damit aber eine narrativ ernstzunehmende Geschichte zu erzählen, und so ein Meisterwerk erschafft.

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Lang
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Höre die Stille (Ed Ehrenberg, 2016) 7/10

Was macht den Mensch zum Menschen? Was unterscheidet ihn vom Tier? Und wann, in welcher Situation, und unter wieviel Anspannung, wird der Mensch zum Tier?

Im Winter 1941 kommt eine Gruppe versprengter deutscher Soldaten in ein winziges Dorf, irgendwo in der Ukraine. Man ist tief im Feindesland, es ist kalt, und es die Gruppe besteht nur aus neun Soldaten und einem Leutnant. Also tritt man erstmal martialisch auf. Die Waffen werden gezeigt, die Kinder von den Frauen separiert … Es sind wirklich nur Frauen im Dorf? Zwei alte, ein paar Kinder, und sonst ausschließlich Frauen? In dem Ort leben Russlanddeutsche, und die Bolschewiken, die die Russlanddeutschen eh alle für Verräter halten, haben die Männer schon vor langer Zeit abgeholt. Jetzt warten alle darauf, dass die Russen wiederkommen und die anderen auch noch abholen. Und wegen der deutschen Wurzeln sprechen auch alle fließend deutsch. Und sind den Soldaten gegenüber auch sehr freundlich und aufgeschlossen, schließlich repräsentieren diese das ferne, aber immerhin doch, Vaterland.

Einer der Soldaten ist schwer verletzt, und zwei Frauen kümmern sich um ihn. Es wird Essen geholt, es gibt Schnaps, und Martha, die als einzige die Russen holen will, um zu beweisen dass sie alle eben doch keine Verräter sind, Martha wird gefesselt und in einen Keller gesperrt. Die Deutschen sind wenigstens freundlich, so heißt es.

Am nächsten Tag präsentieren die Frauen einen alten Trecker und einen kleinen Anhänger, und die Soldaten schaffen es tatsächlich das Gerät fahrtüchtig zu machen. Aber für diesen Tag ist es zu spät, eine Nacht bleiben sie noch im Ort. Man fühlt sich wohl, die Avancen der Frauen wachsen sich von Freundschaftsangeboten langsam zu Einladungen zum näheren Beisammen sein aus, und es gibt eine kleine Feier. Schnaps, Musik, liebevolle Blicke, man singt. Man tötet …

Martha. Martha kann sich befreien. Und Martha hat eine Waffe.

Bild Bild

Was macht der Krieg aus den Menschen? Die Soldaten sind ganz normale Männer, und ich wähle diesen Begriff bewusst. Wir erfahren nicht was sie in ihrem früheren Leben gemacht haben, wir wissen nur, dass der Gefreite Willi Grimm genau an dem Tag, „an dem Bremen von uns Fünfnull geputzt wurde“, dass genau an diesem Tag der Einberufungsbescheid kam. Ganz normale Männer eben. Nüssel ist soldatischer als die anderen, der denkt noch dass der Krieg gerecht ist und der Weihnachtsmann wahrscheinlich einen weißen Bart hat, aber sonst? Alle lieb, alle nett.
Die Frauen? Einsam. Sehr einsam, nachdem die Männer schon vor 2 Jahren abgeholt wurden. Die Frauen, alle so zwischen Mitte Zwanzig und Anfang Dreißig, sehnen sich nach Nähe und Wärme. Nach einem freundlichen Blick über einem rauen Stoppelbart, und großen festen Händen, die zärtlich zupacken können. Die Frage nach dem Wiederkommen wird oft gestellt. Ihr seid doch unsere Befreier. Kommt ihr wieder? Ein wenig Abwechslung in der Einöde, die aus Kindern und Arbeit, aus Arbeit und Kindern besteht.

Martha. Martha denkt, dass die Russen, wenn sie benachrichtigt werden, sie als vollwertige Mitglieder des Kollektivs ansehen würden, und nicht nur, wie jetzt, als Abschaum. Martha ist ein wenig wie Nüssel, sie glaubt noch an das Gute im menschenverachtenden Regime. Aber Martha muss mit ansehen, wie der Leutnant Katja tötet. Kaltblütig ermordet. Erwürgt. Katja, die sich so nach Wärme und Nähe gesehnt hat, mehr als die anderen, und die den älteren Leutnant so attraktiv fand.

Nach Jahren des Tötens und des Überlebenwollens, nach Jahren der Gewalt und des Grauens, was passiert da in einem Menschen? An welcher Stelle macht es Klick und irgendein Schalter legt sich um, der den Menschen zum Tier werden lässt? Der den Menschen, der Frau und Kind hat, der soziale Verantwortung trägt und einen Beruf hat, der diesen Menschen die Pistole ziehen und abdrücken abdrücken abdrücken lässt. Noch mal. Und noch mal. Der den Kopf einer Frau in ein Fass voll Eiswasser presst um von ihr zu erfahren wer den Leutnant getötet hat. Also ob sie das wüsste. Aber dies interessiert nicht, denn der Akt des Eintauchens und Festhaltens, der zählt. Genauso wie es zählt, eine Frau an einem Baum aufzuhängen, und sie mit der Schlinge um den Hals dort auf einem Schemel stehenzulassen. Oder einer Frau mit dem Gewehrkolben den Schädel einzuschlagen. Oder einfach nur mit den Fäusten auf das Weibsbild draufzuhauen, immer und immer wieder …

Und dann, als Rechtfertigung vor sich selbst, noch über die verdammten russischen Weiber herzuziehen, die im Dreck leben und nicht in Deutschland …

Bild Bild

Jeder dieser Soldaten hat einen eigenen Schalter, und jeder macht an einer anderen Stelle Klick. Bei dem einen etwas früher, bei dem anderen etwas später. HÖRE DIE STILLE zeigt diese Schalter, und er zeigt, was nach dem Klick passiert. In der Ukraine genauso wie in Syrien oder in Ruanda. Bei Männern genauso wie bei Frauen. Was der Film zeigt ist das Räderwerk einer Uhr, das ohne eine Möglichkeit des Eingreifens abläuft. Die Tragik wird wie mit Sieben-Meilen-Stiefeln angekündigt, das Entsetzen schleicht den Zuschauer sichtbar an, und er möchte so gerne, kann aber nicht entkommen. Es gibt keine Möglichkeit das Grauen zu verdrängen. Für niemanden. Für die Soldaten nicht, für die Frauen nicht, und für den Zuschauer auch nicht. Fassungslos muss er zuschauen wie eine Welt untergeht, wie das Räderwerk der Vernichtung in eine Idylle einbricht, wo wahrscheinlich die meisten von uns sofort ein Häuschen besitzen und die Rente verbringen möchten. Und nach dem Film, nach dem Blutbad und nach dem abschließenden Tiefschlag, den der Regisseur dem Zuschauer verpasst, danach fragt man sich dann nach den Grundlagen der eigenen Existenz. Und man möchte den Partner in die Arme nehmen und ihm sagen dass man ihn lieb hat. Doch die Lähmung, die von den Bildern erzeugt wurde ist stärker. Das Grauen überlagert die Liebe, und damit kommt der Zuschauer auch wieder in der Jetztzeit an. In einer Zeit, die über ein Jahr nach der Sichtung Frühjahr 2022 heißt, und wieder in der Ukraine wieder das Grauen zeigt …

Ich frage mich, wie dieser Film in anderen Ländern aufgenommen wurde. Was die Zuschauer in England empfunden haben. In Frankreich. In … der Ukraine?

HÖRE DIE STILLE war ursprünglich als Abschlussprojekt von Schauspielschülern der München Film Akademie geplant, wurde dann aber, nachdem ein Produzent hinzugezogen wurde, 2012 und 2013 als Kinofilm und in gemeinschaftlicher Arbeit inszeniert. Man hört oft die Unsicherheiten in den Dialogen, auch sitzen nicht alle Gesten perfekt. Die Stimmen wackeln noch ein klein wenig, aber das Gesamtbild, das Gesamtbild ist stark. Vielleicht hier und da ein klein wenig stark aufgetragen in der Dramatik, nicht mit dem Pinsel sondern mit dem Spachtel. DER HAUPTMANN, 2017 entstanden, ist da vielschichtiger und trägt sein entsetzliches Grauen mit einer sonoren Stimme vor, die wahrlich schaudern lässt. So tief geht HÖRE DIE STILLE nicht. Aber man erkennt das Potential bei den Machern und bei den Schauspielern. Und wünscht sich, dass der eingeschlagene Weg weiter beschritten wird. Es gibt in Deutschland (wieder) gute Filmemacher.

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Corruption (Roger Watkins, 1983) 5/10

Ein Geschäftsmann, der sich mit den falschen Leuten einlässt. Der Schulden hat, für deren Begleichung(?) sein Vertrauter für ihn einen Koffer besorgen soll. Doch dieser Vertraute muss durch einen Sumpf von Versuchung und Sünde, und er wird dieser Versuchung erliegen. Er wird auf die andere Seite wechseln und seinem früheren Chef ein teuflischer Widersacher sein. Oder vielleicht doch nur ein Narr? Die Schwester des Geschäftsmannes wird als Geisel festgehalten, und der Bruder des Geschäftsmannes nimmt es auf sich, die Schwester zu befreien.

Bild Bild

CORRUPTION beginnt damit, dass der Geschäftsmann, Williams, die Unterwelt betritt. Oder zumindest scheint es so. Möglicherweise hat er mit dem Teufel einen Deal gemacht, vielleicht sind aber seine Geschäftspartner auch nur Dämonen, denen er sich ausgeliefert hat um Macht zu bekommen. Macht als alleingültiger und zulässiger Wunsch eines Mannes. Der Preis dafür ist, der Liebe zu entsagen. Dies ist der Deal, den der Vertraute, Alan, eingehen muss, um an das Objekt seiner(?) Begierde zu kommen. Ein Koffer, von dem wir nie erfahren werden was darin ist. Müssen wir auch gar nicht. Am Ende des Films wird Williams diesen Koffer mit seinem Leben beschützen, und 10 Jahre später werden John Travolta und Samuel L. Jackson diesen Koffer im Auftrage ihres Herren wiederbeschaffen. Die Gerüchte, die sich dann in der Fanszene um diesen Koffer ranken, könnten fast in der Handlung von CORRUPTION begründet sein, aber dies nur nebenbei …

Alan wird zum Clown, oder macht er sich durch seine Verdorbenheit zum Clown? Der Bruder, Larry, ist jedenfalls der wahre Herr über den Sündenpfuhl. Sein Lächeln ist unheilvoll, sein Lachen boshaft, und jede seiner Gesten verheißt den Tod. Sein Leben scheint darin zu bestehen, einer Tänzerin beim Striptease zuzuschauen, während in den Toiletten seines Etablissements böse und verdorbene Spiele stattfinden. Larry zeigt Williams diese Spiele, und in einem davon, das mit Schmerz und Erniedrigung zu tun hat, nimmt Williams anscheinend auch teil, während er sich selbst dabei beobachtet. Die titelgebende Verdorbenheit hat alles und jeden durchdrungen. Menschliche Wärme, dessen intensivste und naheste Ausprägung die Sexualität eigentlich ist, wird nur noch eingesetzt um den Grad der Verdorbenheit zu steigern. Um mehr Macht zu bekommen. Um zu fallen …

Bild Bild

In einer hinreißend schönen Sequenz schaut Williams aus dem Fenster in die Welt der Menschen, in die Oberflächenwelt. Zur elegischen Musik von Tomaso Albinoni sieht er das nächtliche New York, in dem Menschen wandeln und nach Glück suchen. Er hat sein Glück gefunden, und es heißt Unglück. Einsamkeit. Leere. Aber er hat das was er wollte, er hat seinen Koffer und eine Gespielin die ihn befriedigt. Die Menschen da draußen sind weit weg und völlig uninteressant, weswegen sie auch in den Schatten laufen. Nur Williams‘ Welt ist es die zählt. Nur das Spiel um Macht, das Streben und die Gier nach mehr, immer mehr. Dass Alan sich zum Narren macht? Dass sein Bruder zum Mörder wird? Dass seine Schwester dem Tode geweiht ist? Uninteressant – Nur das eigene Wohl zählt! Merkwürdig, wie hochaktuell dieser Film 35 Jahre nach seiner Entstehung wirkt.

CORRUPTION ist keine leichte Kost. Eine fragmentarische und hochgradig kryptische Aneinanderreihung von Szenen, die meistens mit seelenlosem Sex zu tun haben. Eine Abfolge von Momenten die Unterwerfung und Macht zeigen, ohne sich dem Zuschauer näher zu erläutern. Gerade Sex ist ja, trotzdem es kaum näher zu einem anderen Menschen geht, das Instrument der Unterwerfung schlechthin. Entsprechend wird der Sex in CORRUPTION auch fast ausschließlich zur Unterwerfung benutzt; die wenigen Szenen, in denen Williams Sex mit seinen Gespielinnen hat, sind nichts anderes als die Erfüllung männlicher Fantasien und damit ebenfalls wieder Teil eines Unterwerfungsrituals. Selbst während seine Freundin(?) ihm einen bläst kann er die Hand nicht von seinem Penis lassen, muss er das Instrument seiner Macht in der Hand halten. Damit es/sie ihm nicht entgleitet? Der Sex in CORRUPPTION ist kaum irgendwie anregend oder sexy, und die Darstellerinnen sind, genauso wie ihre männlichen Pendants, mit wenigen Ausnahmen von ausgesuchter Hässlichkeit. Frauen, denen man die Jahre der Ausschweifung und der Verdorbenheit deutlich ansieht. Und die mit dem gängigen Schönheitsideal eines Pornos nichts zu tun haben. Einzig die Schwester entspricht noch am ehesten dem, was üblicherweise mit dem Begriff gutaussehend verbunden wird. Doch ihr Name ist Felicitas, was nicht von ungefähr an Fellatio erinnert, und ihr Schicksal wird der Tod sein In ihrem rosafarbenen Mädchenschlafzimmer hat sie dem Bösen und dem Habgierigen nichts entgegenzusetzen …

Durch seine Erzählweise bietet CORRUPTION jede Menge Möglichkeiten zum Hineininterpretieren wildester Theorien, und ich muss auch zugeben, dass ohne den hervorragenden Artikel von Simon Frauendorfer in der Splatting Image 87 selbst die grobe Inhaltsangabe nicht zustandegekommen wäre, geschweige denn die Versuche der Analyse. CORRUPTION ist fremdartiges Untergrundkino, das den Bereich unterhalb des Bauches kitzelt und den Kopf zum eigenständigen Denken anregen kann. So man es zulässt.

Bild Bild

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Biker Survivalist (Sig Shore, 1987) 5/10

Die USA im Jahr 1987. Der Notstand wird ausgerufen. Die Grenzen werden geschlossen, Reisen auch im Landesinneren sind verboten. Plünderer ziehen durch die Ortschaften und legen sich mit den Hütern von Recht und Ordnung an. Jack Tillman stürmt mit einem Bagger die Bank um sein Erspartes zu holen, doch als er wieder nach Hause kommt ist seine Frau tot und die Tochter liegt im Sterben, vergewaltigt und erschossen von irgendwelchen Schweinen. Zusammen mit seinem Freund Vincent und dessen Frau Linda macht Jack sich auf den Weg nach Norden, wo sein Sohn in einem Feriencamp untergebracht wurde. Unterwegs trifft man auf vergewaltigende Rocker, auf selbstherrliche und waffengeile Sheriffs, und absolut jeder, der in dieser auseinanderbrechenden Welt unterwegs ist, könnte ein Mörder oder gar Schlimmeres sein. Und damit der Ausflug in die Abgründe des amerikanischen Hinterlandes nicht zu einem gemütlichen Familienausflug mit Bleihagel wird, rekrutiert ein Offizier der Nationalgarde, der von Jack gedemütigt wurde, kurzerhand eine Gruppe Rocker, um Jack für diese Schmach den Garaus zu machen.

Bild Bild

Ein kleiner und billiger Actionfilm mit viel zu wenig Action, ein mieser kleiner Schmock der sich darin gefällt, Jack und seine Freunde ewig durch die Nacht fahren, oder alternativ unter schattigem Gebüsch campieren zu lassen. Was BIKER SURVIVALIST aber weit über den Bodensatz der üblichen Endzeitfilme hinaushebt ist diese realistisch-bedrückende Stimmung. Keiner ist hier wirklich lustig, niemand ist optimistisch, und alle, die denken es könnte wieder besser werden, beißen eher früher als später ins Gras. Der Film ist ein echter Downer vor dem Herrn, und mit dieser düsteren Atmosphäre schafft er es, das Herz des Filmfans dann doch einigermaßen zu erfreuen. Die Schauspieler sind na ja, die Handlung ist oh je, die Mucke Oh Gott, und die Actionszenen sind na also. So etwa dieses Niveau erreicht der Film, und abgesehen davon, dass man eigentlich ununterbrochen den Kopf über diesen Stuss schütteln könnte, abgesehen davon ist der Streifen unter Trash-Gesichtspunkten dann doch wieder ganz passabel. Kleine herzerfrischende Momente, wie etwa die beiden hosenlosen Polizisten die an den Streifenwagen gekettet wurden, machen einfach Freude, genauso wie das ein oder andere Schicksal eines der meist ziemlich widerwärtig dargestellten Bösewichter.

Gesichtet wurde der Film in Europa im Jahre 2021 - Die Grenzen werden geschlossen, Reisen auch im Landesinneren sind teilweise verboten. Demonstranten ziehen durch die Ortschaften und legen sich mit den Hütern von Zucht und Ordnung an. Vielleicht liegt es an dieser Parallele, dass BIKER SURVIVALIST irgendwie ansprechend erscheint. Aber unter diesem besonderen Gesichtspunkt kann man sich den Flick auf jeden Fall mal geben. Denn sonst hält sich die Begeisterung eher in (geschlossenen) Grenzen…

Bild Bild

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3302
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Blutspur im Park (Duccio Tessari, 1971) 8/10

Im Park wird die Leiche eines jungen Mädchens gefunden. Der Sportjournalist Alessandro Marchi gerät in Verdacht, und anhand einer ganzen Latte von Indizien wird seine Schuld schnell „bewiesen“ und Marchi kommt ins Gefängnis. Doch während er sitzt geschehen wieder Morde an jungen Mädchen, wieder mit dem gleichen Messer. Inspektor Berardi muss zugeben, dass mit Marchi wohl der falsche verhaftet wurde. Doch wer ist der richtige Mörder?

So wenig Inhaltsangabe, so wenig scheinbar verzwickte Handlung, und doch so ein vielschichtiger und randvoller Film. Ein Film, der die typische Form der Thriller der 70er-Jahre mit seiner Sprunghaftigkeit und nonlinearen Erzählweise vorwegnimmt. Der in vielen Einstellungen und Spannungsbögen so typisch amerikanisch scheint, und dabei doch grundlegend in der italienischen Gesellschaft eingebettet ist. BLUTSPUR IM PARK ist mehr als nur ein Giallo unter vielen. BLUTSPUR IM PARK bietet, cineastisch gesehen, das ganz große Panorama. Ich weiß schon, warum ich die Filme von Duccio Tessari, den viele als schlichten Handwerker ansehen, so gerne mag. Und ich weiß auch, warum ich seine Filme in den meisten Fällen Filmen von, zum Beispiel, Mario Bava vorziehe. Anders als Bava, der so oft künstlerisch unterwegs war (und dies auch in jeder Hinsicht überragend), setzte Tessari seine Kunst in den Kontext der Geschichte. Tessaris Regieeinfälle waren nie Kunst um der Kunst willen, sondern brachten immer die Geschichte voran, oder erzeugten Stimmungen und wiesen geschickt auf Erzählebenen hin, die dem Zuschauer sonst unter Umständen verborgen geblieben wären.

Bei BLUTSPUR IM PARK geht das schon mit dem Schnitt los, der direkt in die eigentliche Erzählung mündet. Gerade zu Beginn wird der Zuschauer in einen Wirbelwind einzelner Bildern und Steinchen geworfen. Ein Mosaik von Informationen prasselt auf den Zuschauer ein, und nur allmählich lichtet sich das Bild und macht einer zügig erzählten Mordstory Platz – Es gibt einen Mord, der aus verschiedenen Sichten erzählt wird, jeder Zeuge sieht seine eigene Version des Geschehens, und im narrativen Schweinsgalopp setzen sich die einzelnen Bruchstücke zusammen – Und der Zuschauer wird dazu angehalten mitzudenken und aufmerksam zu sein, sonst gehen ihm möglicherweise wesentliche Informationen verloren. Der Inspektor dröselt den Fall auf, und dass zu diesem Zeitpunkt bereits einiges an Zeit vergangen ist, das wird auf dieser Seite des Fernsehschirms kaum bemerkt. Zu schnell springt die Handlung in Sieben-Meilen-Stiefeln voran, zu zügig entfaltet sich das Bild des Films und füllt sich der Spannungsbogen mit Leben und Tod. Erinnerungen an Filme wie den einige Jahre später entstandenen ZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG werden wach – Der Zuschauer sieht sich gezwungen, die Leerstellen zwischen den Schnitten mit eigenen Gedanken zu füllen, die Aufgabe des Regisseurs ist es, „nur“ dafür zu sorgen, dass der Zuschauer auch das Richtige denkt. Nicht immer muss alles ausformuliert oder gar gezeigt werden, wenn es auch schlicht angedeutet werden kann. Ein Vorgehen, das im Allgemeinen für sehr starke Bilder im Kopf des Zuschauers sorgt …

Dazu der bewusste Verzicht, die damals gängigen Topoi des Giallo zu kopieren. Vergeblich wartet der Zuschauer auf schwarze Handschuhe, phallisch aufgeschlitzte Frauen und nackte Schönheiten. Stattdessen hat es eine kühl durchkomponierte Bildsprache, die Morde finden mehr oder weniger im Off statt und haben kaum Schauwerte, und Nuditäten sind gleich ganz selten. Genauso wie ein Jahr zuvor in DAS GRAUEN KAM AUS DEM NEBEL setzt Tessari auch hier statt auf die erwarteten Schemata lieber auf die Leistungsfähigkeit seiner Schauspieler und die Aussagefähigkeit seiner Geschichte – Und gewinnt auf ganzer Linie.

BLUTSPUR IM PARK ist ein teilweise geradezu kühler und teuflisch-genialer kleiner Krimi, der mit seiner Raffinesse wieder einmal beweist, dass a) im Giallo nichts unmöglich war und b) Duccio Tessari vielen seiner Kollegen weit voraus war, vor allem in Bezug auf die Kunst der Narration. Wie er seine Figuren anordnet, wie er die verschiedenen Blickwinkel auf den Mord miteinander verzahnt, und damit dem Zuschauer immer neue Informationen zuführt und ihn gleichzeitig aufs Glatteis führt, wie der Betrachter im Unklaren darüber gelassen wird, welche Informationen stimmen und welche falsch sind, ohne dabei aber einen artifiziellen Eindruck zu machen, sondern immer hochgradig spannend und unterhaltend … Gerade wegen des einfach gehaltenen Grundgerüsts der Handlung kann sich der Zuschauer auf das Drama konzentrieren, das ganz ohne technischen Schnickschnack und nur durch die Art der Erzählung wie ein Uhrwerk abläuft, und ihn unnachgiebig in eine böse und schmutzige Geschichte hineinzieht. RASHOMON als moderner Krimi – Ausgesprochen gelungen!
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Antworten