Was vom Tage übrigblieb ...
Moderator: jogiwan
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Hugo Cabret (Martin Scorsese, 2011) 5/10
Den Roman Hugo Cabret von Brian Selznick habe ich vor deutlich mehr als 10 Jahren gelesen, ein direkter Vergleich zwischen Roman und Film verbietet sich also allein schon wegen der unzuverlässigen Erinnerung. Aber was ich noch im Kopf habe ist diese Magie, die ich beim Lesen verspürt habe. Die Magie eines Kinderbuches, das auch Erwachsene in seinen Bann ziehen kann. Das eine Geschichte spinnt, die Zeiten und Räume genauso mühelos überwinden kann wie Generationen.
Magie. Diejenige Art Magie, die von guten Erzählern verwendet wird, und die sich beim Gießen der Geschichte in einen Film so oft fast restlos verflüchtigt. Kürzlich ist mir das erst mit Tintenherz so gegangen, der als Buch so voller Leben und Liebe, voller Zauber und Schrecken ist, und der als Film zwar ganz toll aufwendig gemacht ist und sich auch nah am Buch hält, der aber seine Seele bei dieser Übertragung verloren hat.
HUGO CABRET geht es genauso wie dem armen TINTENHERZ. Die großartigen Bilder, die im Buch mit wunderbaren Worten gemalt werden, sind nach ihrem Übertrag auf die Leinwand – seelenlos. Mit dem für das moderne Kino mittlerweile üblichen Bombast werden Special Effects aneinander gehängt, kann der Zuschauer über computergenerierte Plansequenzen staunen, und sich an dem erstklassigen Spiel großartiger Schauspieler erfreuen. Aber wo bitte schön ist eigentlich die Seele der Geschichte geblieben?
Die zweite Hälfte des Films hat mich als Filmliebhaber natürlich erfreut. Die Fabel um die Wiederentdeckung des großen Georges Méliès ist herzallerliebst, die Ausschnitte aus Méliès‘ Filmen noch viel mehr, und hier passt einfach alles zusammen: Die eingesetzte Technik, die Schauspieler und die Story ergeben tatsächlich ein klein wenig Magie. Bloß, was möchte der Film denn nun eigentlich sein? Eine Wundertüte für den erwachsenen Filmnerd, oder ein Märchen für kleine und große Kinder? Letzteres würde so ein wenig die erste Hälfte beschreiben, obgleich diese wie gesagt eher mit einem gewissen gelackten Standard abgehandelt wird. Und vor allem passen die beiden Hälften des Films nicht so recht zusammen.
Womit das große Kind in mir sehr wohl noch leben könnte, und was jüngere Kinder dazu sagen würden kann ich mangels Anschauungsobjekt nicht sagen. Aber dem Kind in mir fehlt einfach der Zauber, der dem Buch innewohnt. Im Film wirkt das alles einfach so … perfekt durchgestylt. Auf großartig getrimmt. Seelenlos …
Den Roman Hugo Cabret von Brian Selznick habe ich vor deutlich mehr als 10 Jahren gelesen, ein direkter Vergleich zwischen Roman und Film verbietet sich also allein schon wegen der unzuverlässigen Erinnerung. Aber was ich noch im Kopf habe ist diese Magie, die ich beim Lesen verspürt habe. Die Magie eines Kinderbuches, das auch Erwachsene in seinen Bann ziehen kann. Das eine Geschichte spinnt, die Zeiten und Räume genauso mühelos überwinden kann wie Generationen.
Magie. Diejenige Art Magie, die von guten Erzählern verwendet wird, und die sich beim Gießen der Geschichte in einen Film so oft fast restlos verflüchtigt. Kürzlich ist mir das erst mit Tintenherz so gegangen, der als Buch so voller Leben und Liebe, voller Zauber und Schrecken ist, und der als Film zwar ganz toll aufwendig gemacht ist und sich auch nah am Buch hält, der aber seine Seele bei dieser Übertragung verloren hat.
HUGO CABRET geht es genauso wie dem armen TINTENHERZ. Die großartigen Bilder, die im Buch mit wunderbaren Worten gemalt werden, sind nach ihrem Übertrag auf die Leinwand – seelenlos. Mit dem für das moderne Kino mittlerweile üblichen Bombast werden Special Effects aneinander gehängt, kann der Zuschauer über computergenerierte Plansequenzen staunen, und sich an dem erstklassigen Spiel großartiger Schauspieler erfreuen. Aber wo bitte schön ist eigentlich die Seele der Geschichte geblieben?
Die zweite Hälfte des Films hat mich als Filmliebhaber natürlich erfreut. Die Fabel um die Wiederentdeckung des großen Georges Méliès ist herzallerliebst, die Ausschnitte aus Méliès‘ Filmen noch viel mehr, und hier passt einfach alles zusammen: Die eingesetzte Technik, die Schauspieler und die Story ergeben tatsächlich ein klein wenig Magie. Bloß, was möchte der Film denn nun eigentlich sein? Eine Wundertüte für den erwachsenen Filmnerd, oder ein Märchen für kleine und große Kinder? Letzteres würde so ein wenig die erste Hälfte beschreiben, obgleich diese wie gesagt eher mit einem gewissen gelackten Standard abgehandelt wird. Und vor allem passen die beiden Hälften des Films nicht so recht zusammen.
Womit das große Kind in mir sehr wohl noch leben könnte, und was jüngere Kinder dazu sagen würden kann ich mangels Anschauungsobjekt nicht sagen. Aber dem Kind in mir fehlt einfach der Zauber, der dem Buch innewohnt. Im Film wirkt das alles einfach so … perfekt durchgestylt. Auf großartig getrimmt. Seelenlos …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Der Hexer (Karl Lamac, 1932) 7/10
Die Schwester von Arthur Milton wird tot aus der Themse gezogen, und eine Menge Leute bekommen Angst. Denn Arthur Milton ist Der Hexer, der diejenigen Gangster tötet, die meinen sich am Gesetz vorbeimogeln zu können. Und der Anwalt Meister, bei dem Miltons Schwester beschäftigt war, hat ganz besonderen Grund sich zu ängstigen, ist er doch hinter seiner respektablen Fassade in Wahrheit ein skrupelloses Schwein, das mit besonderem Vergnügen Unschuldige ins Gefängnis bringt, um seinen eigenen Reichtum zu mehren. Arthur Milton soll vor einem halben Jahr ertrunken sein, so heißt es. Doch jetzt reist seine Witwe in England ein – Warum ausgerechnet jetzt? Lebt Arthur Milton vielleicht noch? Und wird er Rache nehmen an Meister?
Natürlich lebt er noch, das weiß jeder Krimifan, genauso wie die Tatsache, dass die 1964er Verfilmung zumindest in meiner Generation als Maßstab dieses Stoffes gilt. Aber ganz ehrlich, diese Fassung von 1932, die sich inhaltlich zu anderen Verfilmungen eigentlich gar nichts schenkt, dafür aber sehr nah am Roman bleibt, kann dem berühmten Vohrer-Vehikel locker das Wasser reichen, aber ganz locker. Hier haben wir halt nicht den sympathischen und erstklassigen Scotland Yard-Inspektor mit dem guten Aussehen von Joachim Fuchsberger, stattdessen bleibt Paul Richter eher trocken-unterkühlt und kann seine Rolle als Good Guy nicht wirklich ausfüllen. Aber dafür glänzt Fritz Rasp als Anwalt Maurice Meister (in der Vorlage und in den späteren Verfilmungen Maurice Messer), der als heimlicher Star des Films läuft. Seine überhebliche Art, seine abgefeimte Weise andere Menschen hereinzulegen, sie als Anwalt für das von ihm selbst begangene Verbrechen zuerst zu verteidigen und dann auch noch ins Gefängnis zu bringen, geht Hand in Hand mit der nackten Angst vor dem Hexer. Ein wahrlich diabolischer Mensch, der entsprechend oft von unten und mit unheilvollem Licht belegt wird, um den Eindruck der Bosheit erfolgreich zu steigern. Auch wenn die Theatralik manchmal etwas übertrieben scheint, für heutige Verhältnisse zumindest, so ist es auf jeden Fall ein außerordentliches Vergnügen, Rasp zuzusehen.
Genauso wie der wunderbaren Maria Solveg in ihrer letzten Arbeit vor der Kamera. Eine wunderschöne Frau mit einer grundsoliden Ausstrahlung, die dann die kommenden rund 50 Jahre mit ihrem angeheirateten Namen Maria Matray hinter der Kamera zugange war. Unter anderem war sie an den Drehbüchern für SONDERDEZERNAT K1 und DIE AFFÄRE DREYFUS beteiligt. Rasp und Solveg, allein die beiden sind die Sichtung schon mehr als wert. Auf der anderen Seite des Spektrums tummelt sich dann Karl Ettlinger als Gauner Hackett, der für die humorigen Töne zuständig ist und teilweise schon sehr clownesk rüberkommt. Die Berliner Morgenpost war 1932 ganz begeistert von ihm („ … Im komischen Bereich ist Karl Ettlingers Hackitt eine köstliche Type.“), aus heutiger Sicht übertreibt der Mann es schon gewaltig, wenn er in der Abwesenheit seines Chefs Meister versucht das Haus auszuräumen, oder bei der Ansicht des im Saufkoma liegenden Meisters in Panik gerät. Nun ja, platte Komik scheint wohl zu den Wallace-Verfilmungen einfach dazu zu gehören, und immerhin hat Ettlinger es geschafft, dass ich beim anschließenden Lesen des Romans ständig sein rundes Gesicht vor Augen hatte – Anscheinend doch eine passende Besetzung. Und vielleicht wäre DER HEXER sonst auch zu grimmig geworden, musste die Düsternis des Films wohl irgendwie durchbrochen werden. Im Rückblick ist der Mann ja dann doch irgendwie recht drollig …
Erwähnenswert ist auch die außerordentliche Kameraarbeit von Otto Heller, in dessen Filmographie viele Jahre später auch Highlights wie FINALE IN BERLIN oder AUGEN DER ANGST auftauchen. Im vorliegenden Film hat er ein besonderes Händchen dafür, Stilmittel des Noir Films vorwegzunehmen, wenn er Hintergründe mit Schatten versieht oder versucht mit der Illusion abgehängter Decken zu arbeiten um eine klaustrophobische Atmosphäre zu erzeugen. Gerade die Kamera hat ihren guten Teil Schuld daran, das DER HEXER auch heute noch funktioniert, auch wenn man die Story eigentlich rauf- und runterbeten kann und meint, alles zu kennen. Wenn man mit der sehr übertriebenen Theatralik zurechtkommt auch heute noch ein starker und spannender Krimi.
Die Schwester von Arthur Milton wird tot aus der Themse gezogen, und eine Menge Leute bekommen Angst. Denn Arthur Milton ist Der Hexer, der diejenigen Gangster tötet, die meinen sich am Gesetz vorbeimogeln zu können. Und der Anwalt Meister, bei dem Miltons Schwester beschäftigt war, hat ganz besonderen Grund sich zu ängstigen, ist er doch hinter seiner respektablen Fassade in Wahrheit ein skrupelloses Schwein, das mit besonderem Vergnügen Unschuldige ins Gefängnis bringt, um seinen eigenen Reichtum zu mehren. Arthur Milton soll vor einem halben Jahr ertrunken sein, so heißt es. Doch jetzt reist seine Witwe in England ein – Warum ausgerechnet jetzt? Lebt Arthur Milton vielleicht noch? Und wird er Rache nehmen an Meister?
Natürlich lebt er noch, das weiß jeder Krimifan, genauso wie die Tatsache, dass die 1964er Verfilmung zumindest in meiner Generation als Maßstab dieses Stoffes gilt. Aber ganz ehrlich, diese Fassung von 1932, die sich inhaltlich zu anderen Verfilmungen eigentlich gar nichts schenkt, dafür aber sehr nah am Roman bleibt, kann dem berühmten Vohrer-Vehikel locker das Wasser reichen, aber ganz locker. Hier haben wir halt nicht den sympathischen und erstklassigen Scotland Yard-Inspektor mit dem guten Aussehen von Joachim Fuchsberger, stattdessen bleibt Paul Richter eher trocken-unterkühlt und kann seine Rolle als Good Guy nicht wirklich ausfüllen. Aber dafür glänzt Fritz Rasp als Anwalt Maurice Meister (in der Vorlage und in den späteren Verfilmungen Maurice Messer), der als heimlicher Star des Films läuft. Seine überhebliche Art, seine abgefeimte Weise andere Menschen hereinzulegen, sie als Anwalt für das von ihm selbst begangene Verbrechen zuerst zu verteidigen und dann auch noch ins Gefängnis zu bringen, geht Hand in Hand mit der nackten Angst vor dem Hexer. Ein wahrlich diabolischer Mensch, der entsprechend oft von unten und mit unheilvollem Licht belegt wird, um den Eindruck der Bosheit erfolgreich zu steigern. Auch wenn die Theatralik manchmal etwas übertrieben scheint, für heutige Verhältnisse zumindest, so ist es auf jeden Fall ein außerordentliches Vergnügen, Rasp zuzusehen.
Genauso wie der wunderbaren Maria Solveg in ihrer letzten Arbeit vor der Kamera. Eine wunderschöne Frau mit einer grundsoliden Ausstrahlung, die dann die kommenden rund 50 Jahre mit ihrem angeheirateten Namen Maria Matray hinter der Kamera zugange war. Unter anderem war sie an den Drehbüchern für SONDERDEZERNAT K1 und DIE AFFÄRE DREYFUS beteiligt. Rasp und Solveg, allein die beiden sind die Sichtung schon mehr als wert. Auf der anderen Seite des Spektrums tummelt sich dann Karl Ettlinger als Gauner Hackett, der für die humorigen Töne zuständig ist und teilweise schon sehr clownesk rüberkommt. Die Berliner Morgenpost war 1932 ganz begeistert von ihm („ … Im komischen Bereich ist Karl Ettlingers Hackitt eine köstliche Type.“), aus heutiger Sicht übertreibt der Mann es schon gewaltig, wenn er in der Abwesenheit seines Chefs Meister versucht das Haus auszuräumen, oder bei der Ansicht des im Saufkoma liegenden Meisters in Panik gerät. Nun ja, platte Komik scheint wohl zu den Wallace-Verfilmungen einfach dazu zu gehören, und immerhin hat Ettlinger es geschafft, dass ich beim anschließenden Lesen des Romans ständig sein rundes Gesicht vor Augen hatte – Anscheinend doch eine passende Besetzung. Und vielleicht wäre DER HEXER sonst auch zu grimmig geworden, musste die Düsternis des Films wohl irgendwie durchbrochen werden. Im Rückblick ist der Mann ja dann doch irgendwie recht drollig …
Erwähnenswert ist auch die außerordentliche Kameraarbeit von Otto Heller, in dessen Filmographie viele Jahre später auch Highlights wie FINALE IN BERLIN oder AUGEN DER ANGST auftauchen. Im vorliegenden Film hat er ein besonderes Händchen dafür, Stilmittel des Noir Films vorwegzunehmen, wenn er Hintergründe mit Schatten versieht oder versucht mit der Illusion abgehängter Decken zu arbeiten um eine klaustrophobische Atmosphäre zu erzeugen. Gerade die Kamera hat ihren guten Teil Schuld daran, das DER HEXER auch heute noch funktioniert, auch wenn man die Story eigentlich rauf- und runterbeten kann und meint, alles zu kennen. Wenn man mit der sehr übertriebenen Theatralik zurechtkommt auch heute noch ein starker und spannender Krimi.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Bestialità (Peter Skerl, 1976) 7/10
Dies war einmal ein Schloss. Es gehörte der Familie Richelieu, sie waren reich und glücklich. Sie hatten ein Mädchen, anmutig und schön. Und sie hatten einen Hund. Einen Zuchthund. Er war so schön, dass Madame mit ihm ficken wollte.
Und dann?
Dann brannte das Schloss. Die Richelieus verschwanden mit ihrer Tochter. Und das ist alles was bekannt ist
Und der Hund?
Der Hund … Der Hund …
Der Hund ist wieder da. Er begleitet die junge Jeanine, und manchmal auch den alten Fischer Ugo. Jeanine und der Hund haben die Eigenschaft, urplötzlich aufzutauchen, und wenn man kurz woanders hin geschaut hat, genauso urplötzlich wieder zu verschwinden. Dem Ehepaar Paul und Yvette geht das so – Gelegentlich begegnen die beiden dem Mädchen und dem Hund, aber eigentlich könnten die beiden auch ein Trugbild sein, so wie es der wunderliche Prediger, der immer wieder überraschend auftaucht, ausdrückt. Paul ist eigentlich Architekt und soll ein Tourismusprojekt auf dieser sonnendurchglühten Insel vorbereiten. Seine Frau begleitet ihn dabei, langweilt sich aber auf der Insel mindestens genauso wie in ihrer kinderlosen Ehe. Die kleine Gruppe vergnügungssüchtiger Nachbarn, die zu den unmöglichsten Zeiten auftaucht und Partys feiert, welche im Lauf der Zeit immer mehr zu Orgien werden, sind auch keine wirkliche Abwechslung. Doch dann freundet sich das Paar mit Jeanine an, was aber dem Hund gar nicht gefällt. Und Ugo auch nicht …
Und am Ende bleiben viele Fragen offen. Wer Ugo ist. In welcher Beziehung er zu Jeanine und dem Hund steht. Was Jeanine wirklich bewegt hat. Ob die Geschichte des merkwürdigen Privatdetektivs wahr sein könnte? Regisseur Peter Skerl weigert sich, diese Fragen zu beantworten, und erzeugt stattdessen lieber eine intensive und flirrende Stimmung unter der heißen Sonne des Mittelmeers. Sex und Mystery könnte man das nennen - wenn diese Begriffe nicht so viel Aufregung versprechen würden. Denn das Tempo des Films bleibt nach einem furiosen und skandalösen Auftakt langsam, aber intensiv. Wir begleiten Paul und Yvette durch die unendlich langweilige Hölle (Richtiger: Einöde) ihrer Ehe, und besonders Yvette erzeugt unser Mitleid, da sie Paul eigentlich immer noch liebt und fortwährend um seine Aufmerksamkeit buhlt, dabei aber völlig unbeachtet bleibt. Sie ist eine Frau im besten Alter, wie man so sagt, und die Zeichen des nahenden Alters sind nicht zu übersehen. Eine Frau, die niemals ihren Herzenswunsch eines Kindes erfüllt bekam, und darüber frustriert wurde. Die sich die Orgien ihrer dekadenten Nachbarn anschaut und angewidert ist von deren Geldgier, der Geilheit auf Sex mit wem gerade auch immer, und dem zügellosen Verhalten der Neureichen, für die die Welt ein einziger Selbstbedienungsladen ist. Yvette ist anders, und als sie die Möglichkeit hat Jeanine genauer kennenzulernen öffnet sich in ihr eine Tür. Plötzlich hat Yvette das Kind, welches sie sich immer gewünscht hat, und umsorgt es mit aller Liebe. Umso größer ist der Schock als Yvette mitansehen muss, was Paul mit Jeanine macht …
Ja, BESTIALITÀ ist kein Film für den gemütlichen Familiennachmittag. Der hier gezeigte Sex, obwohl es nicht wirklich viel davon hat, kann durchaus zu sofortigem Abschalten veranlassen. Oder zu langen Diskussionen (unter dem Motto Was schaust Du Dir denn für einen Scheiß an?). Dabei ist der Film aber nie exploitativ-reißerisch, und der Sex ist nicht wirklich selbstzweckhaft. Eher wird eine ganz eigene, eine träumerische Atmosphäre aufgebaut, die auf Erotik genauso fußt wie auf nicht gestellten Fragen. Und auf Antworten zu Fragen, die keiner kennt. Paul Muller kommentiert den Film in passenden und unpassenden Momenten als Pilger der in Sachen des Geistes unterwegs ist, leistet auch mal erste Hilfe wenn Paul von Ugo zusammengeschlagen wurde, und trägt so wesentlich zu dieser abwartenden und entspannt-aufgeladenen Stimmung bei.
Entspannt-aufgeladene Stimmung? Ja, denn eigentlich passiert nicht viel, und im Wesentlichen schauen wir nur einem älteren Ehepaar dabei zu, wie es sich den Alltag gegenseitig unerträglich macht. Skerl schafft dabei aber das Kunststück, eine Grundspannung zu erhalten – Der Zuschauer möchte wissen was als nächstes passiert, will wissen wann der Hund wieder auftaucht, ist gespannt darauf, ob Yvette, der unsere ganze Sympathie gehört, vielleicht ein kleines bisschen glücklicher werden kann. In der Hitze der Sommersonne scheint nichts unmöglich, und sowohl das plötzliche Erscheinen Ugos wie auch das des Pilgers sorgt jedes Mal für eine kleine Umdrehung an der Spannungsschraube, ohne dass dabei irgendwelche Auswirkungen im Sinne von Schocks oder Gewalt zu sehen sind. BESTIALITÀ wirkt wie ein Traum, die einzelnen Szenen scheinen sich in ihrer Unwirklichkeit oftmals wie Phantasien eines Kranken zu entspinnen, der in fiebrigen Schüben nicht mehr zwischen Hier und Dort unterscheiden kann. Hier die entspannte und gleichzeitig aufreizende Erotik eines Dreiergespanns, dort die tödliche Bedrohung durch einen Dobermann.
BESTIALITÀ kann diesen Spagat zwischen Erholung und seltsamer Erscheinung, zwischen sexuell aufgeladener Stimmung und meditativem Urlaubsflair, sehr gut ausloten, und überzeugt damit auf ganzer Linie. Es ist halt kein Film für ein Publikum, das es gewohnt ist alles vorgekaut und erklärt zu bekommen. Als aufgeschlossener Zuschauer aber beendet man diesen Film zwar mit vielen offenen Fragen, dafür aber auch mit viel Ruhe in der Seele.
Dies war einmal ein Schloss. Es gehörte der Familie Richelieu, sie waren reich und glücklich. Sie hatten ein Mädchen, anmutig und schön. Und sie hatten einen Hund. Einen Zuchthund. Er war so schön, dass Madame mit ihm ficken wollte.
Und dann?
Dann brannte das Schloss. Die Richelieus verschwanden mit ihrer Tochter. Und das ist alles was bekannt ist
Und der Hund?
Der Hund … Der Hund …
Der Hund ist wieder da. Er begleitet die junge Jeanine, und manchmal auch den alten Fischer Ugo. Jeanine und der Hund haben die Eigenschaft, urplötzlich aufzutauchen, und wenn man kurz woanders hin geschaut hat, genauso urplötzlich wieder zu verschwinden. Dem Ehepaar Paul und Yvette geht das so – Gelegentlich begegnen die beiden dem Mädchen und dem Hund, aber eigentlich könnten die beiden auch ein Trugbild sein, so wie es der wunderliche Prediger, der immer wieder überraschend auftaucht, ausdrückt. Paul ist eigentlich Architekt und soll ein Tourismusprojekt auf dieser sonnendurchglühten Insel vorbereiten. Seine Frau begleitet ihn dabei, langweilt sich aber auf der Insel mindestens genauso wie in ihrer kinderlosen Ehe. Die kleine Gruppe vergnügungssüchtiger Nachbarn, die zu den unmöglichsten Zeiten auftaucht und Partys feiert, welche im Lauf der Zeit immer mehr zu Orgien werden, sind auch keine wirkliche Abwechslung. Doch dann freundet sich das Paar mit Jeanine an, was aber dem Hund gar nicht gefällt. Und Ugo auch nicht …
Und am Ende bleiben viele Fragen offen. Wer Ugo ist. In welcher Beziehung er zu Jeanine und dem Hund steht. Was Jeanine wirklich bewegt hat. Ob die Geschichte des merkwürdigen Privatdetektivs wahr sein könnte? Regisseur Peter Skerl weigert sich, diese Fragen zu beantworten, und erzeugt stattdessen lieber eine intensive und flirrende Stimmung unter der heißen Sonne des Mittelmeers. Sex und Mystery könnte man das nennen - wenn diese Begriffe nicht so viel Aufregung versprechen würden. Denn das Tempo des Films bleibt nach einem furiosen und skandalösen Auftakt langsam, aber intensiv. Wir begleiten Paul und Yvette durch die unendlich langweilige Hölle (Richtiger: Einöde) ihrer Ehe, und besonders Yvette erzeugt unser Mitleid, da sie Paul eigentlich immer noch liebt und fortwährend um seine Aufmerksamkeit buhlt, dabei aber völlig unbeachtet bleibt. Sie ist eine Frau im besten Alter, wie man so sagt, und die Zeichen des nahenden Alters sind nicht zu übersehen. Eine Frau, die niemals ihren Herzenswunsch eines Kindes erfüllt bekam, und darüber frustriert wurde. Die sich die Orgien ihrer dekadenten Nachbarn anschaut und angewidert ist von deren Geldgier, der Geilheit auf Sex mit wem gerade auch immer, und dem zügellosen Verhalten der Neureichen, für die die Welt ein einziger Selbstbedienungsladen ist. Yvette ist anders, und als sie die Möglichkeit hat Jeanine genauer kennenzulernen öffnet sich in ihr eine Tür. Plötzlich hat Yvette das Kind, welches sie sich immer gewünscht hat, und umsorgt es mit aller Liebe. Umso größer ist der Schock als Yvette mitansehen muss, was Paul mit Jeanine macht …
Ja, BESTIALITÀ ist kein Film für den gemütlichen Familiennachmittag. Der hier gezeigte Sex, obwohl es nicht wirklich viel davon hat, kann durchaus zu sofortigem Abschalten veranlassen. Oder zu langen Diskussionen (unter dem Motto Was schaust Du Dir denn für einen Scheiß an?). Dabei ist der Film aber nie exploitativ-reißerisch, und der Sex ist nicht wirklich selbstzweckhaft. Eher wird eine ganz eigene, eine träumerische Atmosphäre aufgebaut, die auf Erotik genauso fußt wie auf nicht gestellten Fragen. Und auf Antworten zu Fragen, die keiner kennt. Paul Muller kommentiert den Film in passenden und unpassenden Momenten als Pilger der in Sachen des Geistes unterwegs ist, leistet auch mal erste Hilfe wenn Paul von Ugo zusammengeschlagen wurde, und trägt so wesentlich zu dieser abwartenden und entspannt-aufgeladenen Stimmung bei.
Entspannt-aufgeladene Stimmung? Ja, denn eigentlich passiert nicht viel, und im Wesentlichen schauen wir nur einem älteren Ehepaar dabei zu, wie es sich den Alltag gegenseitig unerträglich macht. Skerl schafft dabei aber das Kunststück, eine Grundspannung zu erhalten – Der Zuschauer möchte wissen was als nächstes passiert, will wissen wann der Hund wieder auftaucht, ist gespannt darauf, ob Yvette, der unsere ganze Sympathie gehört, vielleicht ein kleines bisschen glücklicher werden kann. In der Hitze der Sommersonne scheint nichts unmöglich, und sowohl das plötzliche Erscheinen Ugos wie auch das des Pilgers sorgt jedes Mal für eine kleine Umdrehung an der Spannungsschraube, ohne dass dabei irgendwelche Auswirkungen im Sinne von Schocks oder Gewalt zu sehen sind. BESTIALITÀ wirkt wie ein Traum, die einzelnen Szenen scheinen sich in ihrer Unwirklichkeit oftmals wie Phantasien eines Kranken zu entspinnen, der in fiebrigen Schüben nicht mehr zwischen Hier und Dort unterscheiden kann. Hier die entspannte und gleichzeitig aufreizende Erotik eines Dreiergespanns, dort die tödliche Bedrohung durch einen Dobermann.
BESTIALITÀ kann diesen Spagat zwischen Erholung und seltsamer Erscheinung, zwischen sexuell aufgeladener Stimmung und meditativem Urlaubsflair, sehr gut ausloten, und überzeugt damit auf ganzer Linie. Es ist halt kein Film für ein Publikum, das es gewohnt ist alles vorgekaut und erklärt zu bekommen. Als aufgeschlossener Zuschauer aber beendet man diesen Film zwar mit vielen offenen Fragen, dafür aber auch mit viel Ruhe in der Seele.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
The Vigil – Die Totenwache (Keith Thomas, 2019) 5/10
Die Grundidee ist gut und zugleich unheimlich: Durch eine schreckliche und böse Tat in seinem Leben hat Rubin Litvak, Überlebender aus Buchenwald, irgendwo in Osteuropa einen Dämon geweckt, der ihn sein ganzes Leben nicht mehr losgelassen hat. Der ihn immer begleitet und sein Leben zur Hölle gemacht hat. Nun ist Rubin Litvak tot, und der junge Yakov wird für 400 Dollar angeheuert, die Totenwache zu halten. Yakov war eigentlich ein lebensfroher und orthodoxer Jude, aber durch eine schreckliche Tat sind auch seine Erinnerungen vergiftet, ist seine Seele zerrissen, so wie es auch Rubin Litvak erging. Also findet sich Yakov, anstatt in den Armen der attraktiven Sarah, in einem düsteren Haus in Brooklyn mit einem aufgebahrten Toten wieder. Die demenzkranke Mrs. Litvak spukt durch die kaum beleuchteten Räume, und Yakov merkt schnell, dass da noch etwas ist. Etwas, was lebt. Und was hinter seiner eigenen, schreckliche Erinnerungen beherbergenden, Seele her ist.
Die Grundidee ist gut und unheimlich. Ein Dämon, der sich bei Menschen, die an grauenhaften Dingen zu tragen haben, einnistet, und sich von deren Qualen ernährt. Und mir gefällt auch, dass man diesen Dämon nie wirklich sieht, eigentlich nur einmal richtig, und dass er dann aussieht wie Yakov. Denn es ist wohl so, dass das eigene Gewissen der grausamste Dämon aller ist. Ebenfalls gefällt mir, dass THE VIGIL sehr sehr ruhig aufgebaut ist, und das Böse nur ganz allmählich in den Film einsickert. Ein paar abgedroschene Schockeffekte können schnell als Reminiszenz an den gängigen Publikumsgeschmack der 20-Jahre des neuen Jahrtausends abgetan werden, und eigentlich wird die wenige Handlung in starken und dunkeln Bildern ruhig und gleichzeitig druckvoll vorangebracht. Eigentlich.
Denn irgendwie … hat es nicht richtig gezogen. Meine Gedanken sind oft abgeschweift, haben Subplots selbständig weitererzählt, haben mir erklärt dass heute noch das Abendessen vorbereitet werden muss und draußen die Sonne scheint. Der Film hat mich einfach nicht gepackt, ohne dass ich auf Anhieb sagen könnte woran es gelegen haben mag. Die Schauspieler sind in Ordnung, die Atmosphäre wunderbar gedrückt, der industrielle Klangteppich auf der Tonspur untermalt das minimalistische Geschehen erstklassig … aber irgendetwas fehlt. Die Aufregung vielleicht, welche die weit im Voraus angekündigten Schockmomente ein wenig ausmalen könnte? Eine explizite politische Komponente möglicherweise, die das Thema ein wenig vertiefen könnte? Nein, das wäre zu billig. Wahrscheinlich ist es einfach zu wenig, was Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion Keith Thomas hier verkaufen möchte. Ein Toter unter einem Leichentuch in einem Wohnzimmer, argwöhnisch bewacht von einem Nervenbündel im Halbdunkel. Mehr hat es nicht (außer einer wundervoll sinnfreien aber liebevollen Szene die RAMBO perfekt hommagiert), und letzten Endes schaut man eigentlich immer nur auf das Leichentuch in der festen Erwartung, dass da irgendwann mal was zuckt. Und wenn es dann endlich soweit ist, dann kann man sich beruhigt zurücklehnen, man hat es ja schon lange vorher gewusst. Es gelingt Keith Thomas einfach nicht, die Klaustrophobie des Kammerspiels in adäquaten Druck und damit einhergehenden Horror umzusetzen. Einige Tage später habe ich dann GRETEL & HÄNSEL von Oz Perkins gesehen, und der hat eine ähnlich langsame Geschichte, die ebenfalls nicht mit Schocks sondern mit Atmosphäre arbeitet, erheblich stimmiger aufgebaut. Bei GRETEL & HÄNSEL sind Narration, Schnitt und Stimmung untrennbar miteinander verwoben und ergeben ein stimmiges Ganzes, das den Zuschauer zwangsläufig tief in den Film hineinzieht. Keith Thomas schafft das nicht – Zu betulich sind Grundaufbau und Durchführung der Geschichte, zu wenig magisch die Umsetzung.
Somit ist THE VIGIL ein netter Zeitvertreib für Nebenbei, aber ehrlich gesagt fehlt dem cineastischen Universum nichts, wenn man ihn nicht gesehen hat.
Die Grundidee ist gut und zugleich unheimlich: Durch eine schreckliche und böse Tat in seinem Leben hat Rubin Litvak, Überlebender aus Buchenwald, irgendwo in Osteuropa einen Dämon geweckt, der ihn sein ganzes Leben nicht mehr losgelassen hat. Der ihn immer begleitet und sein Leben zur Hölle gemacht hat. Nun ist Rubin Litvak tot, und der junge Yakov wird für 400 Dollar angeheuert, die Totenwache zu halten. Yakov war eigentlich ein lebensfroher und orthodoxer Jude, aber durch eine schreckliche Tat sind auch seine Erinnerungen vergiftet, ist seine Seele zerrissen, so wie es auch Rubin Litvak erging. Also findet sich Yakov, anstatt in den Armen der attraktiven Sarah, in einem düsteren Haus in Brooklyn mit einem aufgebahrten Toten wieder. Die demenzkranke Mrs. Litvak spukt durch die kaum beleuchteten Räume, und Yakov merkt schnell, dass da noch etwas ist. Etwas, was lebt. Und was hinter seiner eigenen, schreckliche Erinnerungen beherbergenden, Seele her ist.
Die Grundidee ist gut und unheimlich. Ein Dämon, der sich bei Menschen, die an grauenhaften Dingen zu tragen haben, einnistet, und sich von deren Qualen ernährt. Und mir gefällt auch, dass man diesen Dämon nie wirklich sieht, eigentlich nur einmal richtig, und dass er dann aussieht wie Yakov. Denn es ist wohl so, dass das eigene Gewissen der grausamste Dämon aller ist. Ebenfalls gefällt mir, dass THE VIGIL sehr sehr ruhig aufgebaut ist, und das Böse nur ganz allmählich in den Film einsickert. Ein paar abgedroschene Schockeffekte können schnell als Reminiszenz an den gängigen Publikumsgeschmack der 20-Jahre des neuen Jahrtausends abgetan werden, und eigentlich wird die wenige Handlung in starken und dunkeln Bildern ruhig und gleichzeitig druckvoll vorangebracht. Eigentlich.
Denn irgendwie … hat es nicht richtig gezogen. Meine Gedanken sind oft abgeschweift, haben Subplots selbständig weitererzählt, haben mir erklärt dass heute noch das Abendessen vorbereitet werden muss und draußen die Sonne scheint. Der Film hat mich einfach nicht gepackt, ohne dass ich auf Anhieb sagen könnte woran es gelegen haben mag. Die Schauspieler sind in Ordnung, die Atmosphäre wunderbar gedrückt, der industrielle Klangteppich auf der Tonspur untermalt das minimalistische Geschehen erstklassig … aber irgendetwas fehlt. Die Aufregung vielleicht, welche die weit im Voraus angekündigten Schockmomente ein wenig ausmalen könnte? Eine explizite politische Komponente möglicherweise, die das Thema ein wenig vertiefen könnte? Nein, das wäre zu billig. Wahrscheinlich ist es einfach zu wenig, was Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion Keith Thomas hier verkaufen möchte. Ein Toter unter einem Leichentuch in einem Wohnzimmer, argwöhnisch bewacht von einem Nervenbündel im Halbdunkel. Mehr hat es nicht (außer einer wundervoll sinnfreien aber liebevollen Szene die RAMBO perfekt hommagiert), und letzten Endes schaut man eigentlich immer nur auf das Leichentuch in der festen Erwartung, dass da irgendwann mal was zuckt. Und wenn es dann endlich soweit ist, dann kann man sich beruhigt zurücklehnen, man hat es ja schon lange vorher gewusst. Es gelingt Keith Thomas einfach nicht, die Klaustrophobie des Kammerspiels in adäquaten Druck und damit einhergehenden Horror umzusetzen. Einige Tage später habe ich dann GRETEL & HÄNSEL von Oz Perkins gesehen, und der hat eine ähnlich langsame Geschichte, die ebenfalls nicht mit Schocks sondern mit Atmosphäre arbeitet, erheblich stimmiger aufgebaut. Bei GRETEL & HÄNSEL sind Narration, Schnitt und Stimmung untrennbar miteinander verwoben und ergeben ein stimmiges Ganzes, das den Zuschauer zwangsläufig tief in den Film hineinzieht. Keith Thomas schafft das nicht – Zu betulich sind Grundaufbau und Durchführung der Geschichte, zu wenig magisch die Umsetzung.
Somit ist THE VIGIL ein netter Zeitvertreib für Nebenbei, aber ehrlich gesagt fehlt dem cineastischen Universum nichts, wenn man ihn nicht gesehen hat.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
New Orleans uncensored (William Castle, 1955) 7/10
New York ist der größte Hafen der USA, und seine Abläufe sind fest in der Hand des organisierten Verbrechens. So erklärt es uns der Sprecher zu Beginn des Films, und weiter führt er aus, dass New Orleans der zweitgrößte Hafen der USA ist – Und das Verbrechen hier keine Chance hat. Ist das wirklich so?
Wir folgen dem ehrgeizigen Dan Corbett, wie er in New Orleans eigentlich nur ein altes Landungsschiff kaufen will, um damit im Westen sein eigenes Geschäft aufzumachen. Das mit dem Schiff klappt schon mal ganz gut, aber für die Restaurierung braucht er Geld. Also verdingt er sich im Hafen als Stauer. Er lernt die wunderschöne Alma Mae kennen, die aber um ihren Lover ein großes Geheimnis macht, und er lernt Joe und seine Braut Mary mitsamt deren Bruder Scrappy kennen. Es könnte alles so schön sein, aber spätestens beim Thema „verschwundene Fracht“ blockt Joe auf ganz seltsame Art jedes Gespräch und wird garstig. Das Thema ist aber wichtig, Dan gerät wegen falsch geladener oder verschwundener Fracht sogar in Prügeleien. Als Joe sich mit einem Geschäft selbständig machen will, findet man bald seine Leiche mit vier Kugeln im Leib. Scrappy erklärt Dan warum das so ist, und der Drahtzieher des Mordes, der Racketeer Zero Saxon, der sich auch gleich als Liebhaber von Alma Mae entpuppt, kommt schnell darauf, dass Scrappy gequatscht hat. Er entwickelt einen bösen Plan, wie Dan seinen Freund Scrappy ermorden wird. Alma Mae spielt da auch eine Rolle …
Prinzipiell eigentlich einer von einer Masse ähnlich gestrickter Filme, punktet NEW ORLEANS UNCENSORED mit sehr starken Bildern einer modernen Großstadt. Regisseur William Castle (jawohl, DER William Castle von SCHREI, WENN DER TINGLER KOMMT) hat sich nicht gescheut, Außenaufnahmen auch auf den Straßen der Stadt zu drehen. Zum Teil, man sieht es an der Reaktion der Leute und am Unterschied im Filmmaterial, auch als Guerilladreh mitten im Verkehr und in den Menschenmengen. Diese Authentizität, wenn die Männer fürs Grobe, Big Mike und Deuce, den armen Joe verfolgen um ihn umzulegen, und dabei durch die bevölkerten Straßen New Orleans‘ laufen, die sorgt für viel Stimmung und packenden Realismus. Da muss die etwas hanebüchene Geschichte um die bemitleidenswerten Leute, die wirklich denken dass es in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts im zweitgrößten Hafen der USA keine Kriminalität gibt, einfach zurückstehen.
Wobei auch die Umsetzung der eigentlichen Geschichte sehr spannend ist. Wenn Dan Peilsender in der Fracht versteckt, oder wenn Streikende auf einem Pier im Kreis laufen und der Gangsterboss Streikbrecher auf seine eigenen Leute loslässt, dann springen Spannung und Gewalt geradezu aus dem Fernseher. Schade, dass das Ende sehr überhastet daherkommt, hier wären ein paar Minuten mehr für ein ausgiebiges Showdown sicher noch vorteilhafter gewesen.
Ich glaube meine Lieblingsszene ist, wenn Mary den Dan das erste Mal auf den Balkon ihrer Wohnung bittet. Im Hintergrund lebt und atmet und pulsiert die Stadt, und vorne schleicht sich die Kamera immer näher an das verhinderte Liebespaar, bis am Ende eine unauffällige Beleuchtung eine unglaublich erotische Melancholie in Beverly Garlands Gesicht hervorzaubert. Mary schickt Dan dann nach Hause, und das Bedauern, dieses traurige und bezaubernde Gesicht nicht trösten und küssen zu dürfen, trifft nicht nur Dan, sondern so ziemlich jeden männlichen Zuschauer. Erstklassige und überraschende Filmkunst in einem kleinen und billigen B-Film – Filme können so schön sein …
Somit bietet NEW ORLEANS UNCENSORED prinzipiell jede Menge erstklassiger B-Action, B-Charaktere, eine überzeugende Stimmung, und mit Helena Stanton eine extrem aufregende B-londine, deren Karriere gerne etwas länger hätte gehen dürfen. Dazu großartiges Handwerk an Stellen wo man es nicht erwartet hätte, und ein ungeschönter Blick in die Realität weißer alter Männer: Der örtliche Präsident der Hafenarbeiter, der Superintendent der Polizei, ein Mitglied des Stadtrates sowie der Feuerwehrhauptmann spielen alle sich selbst. Zwar zum Teil sehr hölzern, dafür aber ausgesprochen authentisch. Der Film wird sicher öfters im Player landen …
7/10
New York ist der größte Hafen der USA, und seine Abläufe sind fest in der Hand des organisierten Verbrechens. So erklärt es uns der Sprecher zu Beginn des Films, und weiter führt er aus, dass New Orleans der zweitgrößte Hafen der USA ist – Und das Verbrechen hier keine Chance hat. Ist das wirklich so?
Wir folgen dem ehrgeizigen Dan Corbett, wie er in New Orleans eigentlich nur ein altes Landungsschiff kaufen will, um damit im Westen sein eigenes Geschäft aufzumachen. Das mit dem Schiff klappt schon mal ganz gut, aber für die Restaurierung braucht er Geld. Also verdingt er sich im Hafen als Stauer. Er lernt die wunderschöne Alma Mae kennen, die aber um ihren Lover ein großes Geheimnis macht, und er lernt Joe und seine Braut Mary mitsamt deren Bruder Scrappy kennen. Es könnte alles so schön sein, aber spätestens beim Thema „verschwundene Fracht“ blockt Joe auf ganz seltsame Art jedes Gespräch und wird garstig. Das Thema ist aber wichtig, Dan gerät wegen falsch geladener oder verschwundener Fracht sogar in Prügeleien. Als Joe sich mit einem Geschäft selbständig machen will, findet man bald seine Leiche mit vier Kugeln im Leib. Scrappy erklärt Dan warum das so ist, und der Drahtzieher des Mordes, der Racketeer Zero Saxon, der sich auch gleich als Liebhaber von Alma Mae entpuppt, kommt schnell darauf, dass Scrappy gequatscht hat. Er entwickelt einen bösen Plan, wie Dan seinen Freund Scrappy ermorden wird. Alma Mae spielt da auch eine Rolle …
Prinzipiell eigentlich einer von einer Masse ähnlich gestrickter Filme, punktet NEW ORLEANS UNCENSORED mit sehr starken Bildern einer modernen Großstadt. Regisseur William Castle (jawohl, DER William Castle von SCHREI, WENN DER TINGLER KOMMT) hat sich nicht gescheut, Außenaufnahmen auch auf den Straßen der Stadt zu drehen. Zum Teil, man sieht es an der Reaktion der Leute und am Unterschied im Filmmaterial, auch als Guerilladreh mitten im Verkehr und in den Menschenmengen. Diese Authentizität, wenn die Männer fürs Grobe, Big Mike und Deuce, den armen Joe verfolgen um ihn umzulegen, und dabei durch die bevölkerten Straßen New Orleans‘ laufen, die sorgt für viel Stimmung und packenden Realismus. Da muss die etwas hanebüchene Geschichte um die bemitleidenswerten Leute, die wirklich denken dass es in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts im zweitgrößten Hafen der USA keine Kriminalität gibt, einfach zurückstehen.
Wobei auch die Umsetzung der eigentlichen Geschichte sehr spannend ist. Wenn Dan Peilsender in der Fracht versteckt, oder wenn Streikende auf einem Pier im Kreis laufen und der Gangsterboss Streikbrecher auf seine eigenen Leute loslässt, dann springen Spannung und Gewalt geradezu aus dem Fernseher. Schade, dass das Ende sehr überhastet daherkommt, hier wären ein paar Minuten mehr für ein ausgiebiges Showdown sicher noch vorteilhafter gewesen.
Ich glaube meine Lieblingsszene ist, wenn Mary den Dan das erste Mal auf den Balkon ihrer Wohnung bittet. Im Hintergrund lebt und atmet und pulsiert die Stadt, und vorne schleicht sich die Kamera immer näher an das verhinderte Liebespaar, bis am Ende eine unauffällige Beleuchtung eine unglaublich erotische Melancholie in Beverly Garlands Gesicht hervorzaubert. Mary schickt Dan dann nach Hause, und das Bedauern, dieses traurige und bezaubernde Gesicht nicht trösten und küssen zu dürfen, trifft nicht nur Dan, sondern so ziemlich jeden männlichen Zuschauer. Erstklassige und überraschende Filmkunst in einem kleinen und billigen B-Film – Filme können so schön sein …
Somit bietet NEW ORLEANS UNCENSORED prinzipiell jede Menge erstklassiger B-Action, B-Charaktere, eine überzeugende Stimmung, und mit Helena Stanton eine extrem aufregende B-londine, deren Karriere gerne etwas länger hätte gehen dürfen. Dazu großartiges Handwerk an Stellen wo man es nicht erwartet hätte, und ein ungeschönter Blick in die Realität weißer alter Männer: Der örtliche Präsident der Hafenarbeiter, der Superintendent der Polizei, ein Mitglied des Stadtrates sowie der Feuerwehrhauptmann spielen alle sich selbst. Zwar zum Teil sehr hölzern, dafür aber ausgesprochen authentisch. Der Film wird sicher öfters im Player landen …
7/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Der Nachtportier (Liliana Cavani, 1974) 5/10
DER NACHTPORTIER ist einer dieser Filme, von denen man nur Gutes und Großes liest. Eine nachdrückliche Geschichte, eine bestechende Geschichte, großartige Schauspieler, so diese Dinge halt. Ein Klassiker im Filmkanon, der gleichermaßen die hochgestochenen Filmkritiker wie die niederen Genrefans anspricht. Im Kern geht es darum, dass eine Frau, die vor rund 15 Jahren in einem Konzentrationslager gefangen war und dort eine Liebes(?)affäre mit einem hohen SS-Offizier hatte, dass diese Frau jetzt, im Wien des Jahres 1957, diesen Offizier wiedertrifft und ihre Beziehung wieder auflebt. Beide verfallen einander mit Haut und Haaren, und ihre Liebe und ihr Begehren, das Hand in Hand geht mit dem Wunsch nach Schmerz, ist stärker als alles andere, und die vergangenen 15 Jahre wirken wie ausgelöscht. Was die ewiggestrigen Partner des Offiziers, der jetzt als Nachtportier in einem Hotel arbeitet, nicht gutheißen können, denn diese Frau ist eine Zeugin der Vergangenheit. Und Zeugen müssen eliminiert werden.
So weit, so schön. Ich gebe auch gerne zu, dass vor allem die Beziehung zwischen dem Offizier Max und der Frau Lucia in fiebrigen Tönen gemalt wird, dass sie den Zuschauer mit irritierend-hypnotischen Bildern und Aktionen in sich saugt und seine Sinne vernebelt. Auch die Handlung um die Gruppe Alt-Nazis, die sich unter Leitung des strengen Anwalts Klaus (wie immer alles überragend: Philippe Leroy) und des Kommandanten Hans (eher schwach dieses Mal: Gabriele Ferzetti) untereinander mit simulierten Prozessen quälen, um herauszufinden, ob ihre ach so ruhmreiche Vergangenheit irgendwann mal aufgerollt und sie mit Strafen belegt werden könnten, diese Handlung ist nicht unspannend und gut gemacht. Aber der Zusammenhang zwischen diesen beiden Handlungssträngen, der wirkt so dermaßen konstruiert und mühsam, dass es zumindest bei mir für ein gerüttelt Maß an Langeweile gereicht hat. Regisseurin Liliana Cavani zeichnet ein Bild eines Konzentrationslagers, in dem in einer grellen und industrialisierten Umgebung melancholisch der Kunst und der Erotik gefrönt wird, und wo Nazioffiziere ihr verderbtes Kunstempfinden rücksichtslos und jederzeit ausleben können. Da wird gefilmt, da wird Ballett getanzt, und die vermutlich zentrale Szene ist, wenn das jüdische(?) Mädchen Lucia, angetan mit SS-Schirmmütze, oben ohne und mit Hosenträgern, einen melancholischen alten Schlager singt, und dabei lasziv durch den Saal tänzelt. Diese Szene wird so zentral platziert, dass das dazugehörige Bild den Film seit mittlerweile 50 Jahren ikonisch begleitet, und ohne dieses Bild, Charlotte Rampling eben nackt mit Mütze und Hosenträgern, der Film kaum noch vorstellbar ist. Kennst Du den NACHTPORTIER? Das ist der Film mit der Rampling mit Mütze und Hosenträgern. Ah ja, der. Aber noch nicht gesehen …
Denn wirklich Sinn ergibt diese Szene nicht, wie auch so manches anderes in diesem Film kryptisch bleibt. Dass ein jüdisches(?) Mädchen sich in ihren Peiniger verliebt? Und nach 15 Jahren sich zwar noch einige Zeit zurückhalten kann, schockiert über das plötzliche Wiedersehen, aber nach ein paar saftigen Ohrfeigen und Schlägen erwacht auch ihre alte Liebe wieder und sie fällt ihm um den Hals. Ja klar, wenn Fred Olen Ray sowas gedreht hätte würde alle Sexismus schimpfen, aber wenn eine Frau das dreht ist das Feminismus, oder was?
Wahrscheinlich bin ich einfach nur zu unempfindlich für die feinen Abstufungen dieser künstlerisch hochsensiblen Studie, aber mich hat DER NACHTPORTIER kaum berührt. Ich mochte die Stimmung dieses längst untergegangenen Wiens, die Schauspieler waren wirklich großartig, und ich habe Lust bekommen, Zulawskis POSSESSION einmal zu sehen, den ich in seiner Beschreibung als wilde und hochgradig erotisierte Variante zu lesen meine (Keine Ahnung ob das so ist, man möge mir mein gesundes Halbwissen verzeihen …). Aber DER NACHTPORTIER hat mich tatsächlich nicht abgeholt, und an den allermeisten Stellen ratlos, nein richtiger: desinteressiert zurückgelassen.
DER NACHTPORTIER ist einer dieser Filme, von denen man nur Gutes und Großes liest. Eine nachdrückliche Geschichte, eine bestechende Geschichte, großartige Schauspieler, so diese Dinge halt. Ein Klassiker im Filmkanon, der gleichermaßen die hochgestochenen Filmkritiker wie die niederen Genrefans anspricht. Im Kern geht es darum, dass eine Frau, die vor rund 15 Jahren in einem Konzentrationslager gefangen war und dort eine Liebes(?)affäre mit einem hohen SS-Offizier hatte, dass diese Frau jetzt, im Wien des Jahres 1957, diesen Offizier wiedertrifft und ihre Beziehung wieder auflebt. Beide verfallen einander mit Haut und Haaren, und ihre Liebe und ihr Begehren, das Hand in Hand geht mit dem Wunsch nach Schmerz, ist stärker als alles andere, und die vergangenen 15 Jahre wirken wie ausgelöscht. Was die ewiggestrigen Partner des Offiziers, der jetzt als Nachtportier in einem Hotel arbeitet, nicht gutheißen können, denn diese Frau ist eine Zeugin der Vergangenheit. Und Zeugen müssen eliminiert werden.
So weit, so schön. Ich gebe auch gerne zu, dass vor allem die Beziehung zwischen dem Offizier Max und der Frau Lucia in fiebrigen Tönen gemalt wird, dass sie den Zuschauer mit irritierend-hypnotischen Bildern und Aktionen in sich saugt und seine Sinne vernebelt. Auch die Handlung um die Gruppe Alt-Nazis, die sich unter Leitung des strengen Anwalts Klaus (wie immer alles überragend: Philippe Leroy) und des Kommandanten Hans (eher schwach dieses Mal: Gabriele Ferzetti) untereinander mit simulierten Prozessen quälen, um herauszufinden, ob ihre ach so ruhmreiche Vergangenheit irgendwann mal aufgerollt und sie mit Strafen belegt werden könnten, diese Handlung ist nicht unspannend und gut gemacht. Aber der Zusammenhang zwischen diesen beiden Handlungssträngen, der wirkt so dermaßen konstruiert und mühsam, dass es zumindest bei mir für ein gerüttelt Maß an Langeweile gereicht hat. Regisseurin Liliana Cavani zeichnet ein Bild eines Konzentrationslagers, in dem in einer grellen und industrialisierten Umgebung melancholisch der Kunst und der Erotik gefrönt wird, und wo Nazioffiziere ihr verderbtes Kunstempfinden rücksichtslos und jederzeit ausleben können. Da wird gefilmt, da wird Ballett getanzt, und die vermutlich zentrale Szene ist, wenn das jüdische(?) Mädchen Lucia, angetan mit SS-Schirmmütze, oben ohne und mit Hosenträgern, einen melancholischen alten Schlager singt, und dabei lasziv durch den Saal tänzelt. Diese Szene wird so zentral platziert, dass das dazugehörige Bild den Film seit mittlerweile 50 Jahren ikonisch begleitet, und ohne dieses Bild, Charlotte Rampling eben nackt mit Mütze und Hosenträgern, der Film kaum noch vorstellbar ist. Kennst Du den NACHTPORTIER? Das ist der Film mit der Rampling mit Mütze und Hosenträgern. Ah ja, der. Aber noch nicht gesehen …
Denn wirklich Sinn ergibt diese Szene nicht, wie auch so manches anderes in diesem Film kryptisch bleibt. Dass ein jüdisches(?) Mädchen sich in ihren Peiniger verliebt? Und nach 15 Jahren sich zwar noch einige Zeit zurückhalten kann, schockiert über das plötzliche Wiedersehen, aber nach ein paar saftigen Ohrfeigen und Schlägen erwacht auch ihre alte Liebe wieder und sie fällt ihm um den Hals. Ja klar, wenn Fred Olen Ray sowas gedreht hätte würde alle Sexismus schimpfen, aber wenn eine Frau das dreht ist das Feminismus, oder was?
Wahrscheinlich bin ich einfach nur zu unempfindlich für die feinen Abstufungen dieser künstlerisch hochsensiblen Studie, aber mich hat DER NACHTPORTIER kaum berührt. Ich mochte die Stimmung dieses längst untergegangenen Wiens, die Schauspieler waren wirklich großartig, und ich habe Lust bekommen, Zulawskis POSSESSION einmal zu sehen, den ich in seiner Beschreibung als wilde und hochgradig erotisierte Variante zu lesen meine (Keine Ahnung ob das so ist, man möge mir mein gesundes Halbwissen verzeihen …). Aber DER NACHTPORTIER hat mich tatsächlich nicht abgeholt, und an den allermeisten Stellen ratlos, nein richtiger: desinteressiert zurückgelassen.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Carmen (Ernst Lubitsch, 1918) 7/10
Den Carmen-Stoff, mal mehr und mal weniger getreu nach der Novelle von Prosper Mérimée, setze ich hier mal als weitgehend bekannt voraus: Rassiges Mädchen, verrückt nach Leben und nach Liebe, verdreht spießbürgerlichem Soldaten den Kopf, lässt sich aber von dessen Liebe nicht einengen und muss für ihre Freiheit teuer bezahlen. So weit, so bekannt, so gut. Der Stoff ist seit seiner Erstveröffentlichung 1845 ein Klassiker, und lässt sich wahrscheinlich auch in 100 Jahren noch problemlos wiederkäuen. Oper, Film, und irgendwann dann vielleicht ein Hologramm zum selber mitspielen, wer weiß …
Unter den unzähligen Verfilmungen, die ein einzelner Maulwurf unmöglich alle gesehen haben kann, ist meiner persönlicher Favorit die Fassung von Carlos Saura aus dem Jahr 1983, in dem die Grenzen zwischen der filmischen Realität, der eigentlichen Erzählung und dem dargestellten Tanztheater verschwimmen und den Blick freigeben auf die mehrfach reflektierten Strukturen der eigentlichen Erzählung. Die 1918er-Verfilmung von Ernst Lubitsch kann mit solchen cineastischen Metaebenen vielleicht nicht mithalten, aber dafür bietet sie etwas ganz besonderes: Pola Negri.
Mit ihrem ersten Erfolgsfilm lieferte Pola Negri ein Bild der Carmen ab, wie es gründlicher und boshafter nicht sein könnte. Ein echtes Flintenweib, dessen Leben aus Trinken, Kartenspielen und Liebe machen besteht. Und ich meine auch wirklich Flintenweib, greift sie doch beim Kampf der Schmuggler gegen die Soldaten selber zum Gewehr und ballert drauf los (auch wenn ihr mal jemand hätte zeigen sollen, wie man ein Gewehr richtig hält). Die Carmen der Pola Negri ist wahrlich verrucht – Kaum ein Mann kann an ihr vorbeigehen ohne nach seiner Liebesfähigkeit taxiert zu werden, und kein daliegendes Kartenspiel wird ignoriert (und die Männer werden dabei auch noch mit abschätzigem Blick zu Geldgebern degradiert). Carmen steht hier in einer Tradition von Frauen wie Calamity Jane: Sie lebt ihr Leben ausschweifend und sinnenfroh, und sie genießt jeden Augenblick davon. Sie ist eine Existenzialistin, die nur für den Augenblick lebt, und die das Morgen genausowenig interessiert wie das Gestern. Tu was Du willst sei Dein oberstes Gebot, und spätestens der Tanz auf dem Fest der Offiziere ist ein heißes erotisches Versprechen, das kaum jemals eingelöst werden kann. Soll es ja auch gar nicht – Hier soll bares Geld fließen, für die erotische Komponente im Leben sorgt Carmen sich schon höchstpersönlich und mit einem ordentlichen Blick für hereinkommendes Vermögen. Eine Frau, die sich ihre Sexualpartner, und nichts anderes verheißt Pola Negris Blick überdeutlich, selber aussucht – Das muss man(n) sich im Jahr 1918 erstmal vorstellen …
Ganz anders Harry Liedtke als Soldat José, der sich in seiner kleinbürgerlichen Welt, mit der verlobten Dolores und der kürzlich erfolgten Beförderung zum Sergeanten, wunderbar wohl fühlt. Carmen ist für ihn wie die Verheißung auf ein Abenteuer, der Geruch von Laster und Verderbtheit den die brave Dolores ihm nicht geben kann. Dass er wegen Carmen degradiert wird? Geschenkt, für die Wärme und die Liebe Carmens wird er seine ganze spießige Welt hergeben. Liedtke übertreibt in seinem Spiel zeittypisch zwar sehr stark, aber der Kern von Josés Spießerwelt, der ist ganz deutlich zu spüren.
Pola Negri setzt gegen diese beiden Pole von Liedtke/José, die Übertreibung des Darstellers und die Biederkeit der Figur, eine geradezu entwaffnende Natürlichkeit. Sie flattert und schwebt durch den Film wie ein trunksüchtiger Schmetterling und bezaubert die Männer mit ihrer amourösen Art vor dem Bildschirm genauso wie in der Erzählung. Gerade dieser Natürlichkeit ist es zu verdanken, dass der Film auch heute noch funktioniert. Sie poussiert, sie liebelt, sie intrigiert, sie LEBT mit jeder Faser ihres stolzen Daseins, und mit ihrem guten Aussehen und ihrer bewusst eingesetzten erotischen Ausstrahlung kann sie alles und jeden haben den sie will. Pola Negri ist Carmen, Carmen ist Pola Negri, und es ist kein Wunder, dass mit diesem Film ihre Karriere begann.
Wobei sicher auch der Regisseur Ernst Lubitsch, 1918 bereits ein bekannter Name, seinen Anteil an der Inszenierung dieses Vamps hat. Der Gegensatz des posierenden Liedtke und der flirrenden und gurrenden Negri ist bemerkenswert und erzeugt viel Spannung. Dazu kommen schöne Kulissen, eine Musik, welche die Hauptthemen der Carmen-Oper immer wieder anreißt, ohne sie überzustrapazieren, und herrliche Nebendarsteller. CARMEN ist in dieser Verfilmung auch heute noch ein Genuss, auch und gerade, wenn man sich an der Geschichte an sich mittlerweile ein wenig sattgesehen hat. Große Empfehlung!
Den Carmen-Stoff, mal mehr und mal weniger getreu nach der Novelle von Prosper Mérimée, setze ich hier mal als weitgehend bekannt voraus: Rassiges Mädchen, verrückt nach Leben und nach Liebe, verdreht spießbürgerlichem Soldaten den Kopf, lässt sich aber von dessen Liebe nicht einengen und muss für ihre Freiheit teuer bezahlen. So weit, so bekannt, so gut. Der Stoff ist seit seiner Erstveröffentlichung 1845 ein Klassiker, und lässt sich wahrscheinlich auch in 100 Jahren noch problemlos wiederkäuen. Oper, Film, und irgendwann dann vielleicht ein Hologramm zum selber mitspielen, wer weiß …
Unter den unzähligen Verfilmungen, die ein einzelner Maulwurf unmöglich alle gesehen haben kann, ist meiner persönlicher Favorit die Fassung von Carlos Saura aus dem Jahr 1983, in dem die Grenzen zwischen der filmischen Realität, der eigentlichen Erzählung und dem dargestellten Tanztheater verschwimmen und den Blick freigeben auf die mehrfach reflektierten Strukturen der eigentlichen Erzählung. Die 1918er-Verfilmung von Ernst Lubitsch kann mit solchen cineastischen Metaebenen vielleicht nicht mithalten, aber dafür bietet sie etwas ganz besonderes: Pola Negri.
Mit ihrem ersten Erfolgsfilm lieferte Pola Negri ein Bild der Carmen ab, wie es gründlicher und boshafter nicht sein könnte. Ein echtes Flintenweib, dessen Leben aus Trinken, Kartenspielen und Liebe machen besteht. Und ich meine auch wirklich Flintenweib, greift sie doch beim Kampf der Schmuggler gegen die Soldaten selber zum Gewehr und ballert drauf los (auch wenn ihr mal jemand hätte zeigen sollen, wie man ein Gewehr richtig hält). Die Carmen der Pola Negri ist wahrlich verrucht – Kaum ein Mann kann an ihr vorbeigehen ohne nach seiner Liebesfähigkeit taxiert zu werden, und kein daliegendes Kartenspiel wird ignoriert (und die Männer werden dabei auch noch mit abschätzigem Blick zu Geldgebern degradiert). Carmen steht hier in einer Tradition von Frauen wie Calamity Jane: Sie lebt ihr Leben ausschweifend und sinnenfroh, und sie genießt jeden Augenblick davon. Sie ist eine Existenzialistin, die nur für den Augenblick lebt, und die das Morgen genausowenig interessiert wie das Gestern. Tu was Du willst sei Dein oberstes Gebot, und spätestens der Tanz auf dem Fest der Offiziere ist ein heißes erotisches Versprechen, das kaum jemals eingelöst werden kann. Soll es ja auch gar nicht – Hier soll bares Geld fließen, für die erotische Komponente im Leben sorgt Carmen sich schon höchstpersönlich und mit einem ordentlichen Blick für hereinkommendes Vermögen. Eine Frau, die sich ihre Sexualpartner, und nichts anderes verheißt Pola Negris Blick überdeutlich, selber aussucht – Das muss man(n) sich im Jahr 1918 erstmal vorstellen …
Ganz anders Harry Liedtke als Soldat José, der sich in seiner kleinbürgerlichen Welt, mit der verlobten Dolores und der kürzlich erfolgten Beförderung zum Sergeanten, wunderbar wohl fühlt. Carmen ist für ihn wie die Verheißung auf ein Abenteuer, der Geruch von Laster und Verderbtheit den die brave Dolores ihm nicht geben kann. Dass er wegen Carmen degradiert wird? Geschenkt, für die Wärme und die Liebe Carmens wird er seine ganze spießige Welt hergeben. Liedtke übertreibt in seinem Spiel zeittypisch zwar sehr stark, aber der Kern von Josés Spießerwelt, der ist ganz deutlich zu spüren.
Pola Negri setzt gegen diese beiden Pole von Liedtke/José, die Übertreibung des Darstellers und die Biederkeit der Figur, eine geradezu entwaffnende Natürlichkeit. Sie flattert und schwebt durch den Film wie ein trunksüchtiger Schmetterling und bezaubert die Männer mit ihrer amourösen Art vor dem Bildschirm genauso wie in der Erzählung. Gerade dieser Natürlichkeit ist es zu verdanken, dass der Film auch heute noch funktioniert. Sie poussiert, sie liebelt, sie intrigiert, sie LEBT mit jeder Faser ihres stolzen Daseins, und mit ihrem guten Aussehen und ihrer bewusst eingesetzten erotischen Ausstrahlung kann sie alles und jeden haben den sie will. Pola Negri ist Carmen, Carmen ist Pola Negri, und es ist kein Wunder, dass mit diesem Film ihre Karriere begann.
Wobei sicher auch der Regisseur Ernst Lubitsch, 1918 bereits ein bekannter Name, seinen Anteil an der Inszenierung dieses Vamps hat. Der Gegensatz des posierenden Liedtke und der flirrenden und gurrenden Negri ist bemerkenswert und erzeugt viel Spannung. Dazu kommen schöne Kulissen, eine Musik, welche die Hauptthemen der Carmen-Oper immer wieder anreißt, ohne sie überzustrapazieren, und herrliche Nebendarsteller. CARMEN ist in dieser Verfilmung auch heute noch ein Genuss, auch und gerade, wenn man sich an der Geschichte an sich mittlerweile ein wenig sattgesehen hat. Große Empfehlung!
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Hagazussa – Der Hexenfluch (Lukas Feigelfeld, 2017) 4/10
In einer anderen Zeit, die das 15.Jahrhundert, wohl aber auch das beginnende 20. Jahrhundert sein könnte, lebt die kleine Albrun mit ihrer Mutter irgendwo in den Bergen. Die Mutter stirbt an der Pest, und aus der kleinen Albrun wird die erwachsene Albrun, die mit ihrer kleinen Tochter das gleiche Problem hat wie ihre eigene Mutter: Beide Frauen werden von den nahewohnenden Dörflern als Hexen angesehen, und beide können sich ihres Lebens nie wirklich sicher sein. Eine vorsichtige Freundschaft zu Swinda beginnt, welche die erste aus dem Dorf ist die ihr nicht feindlich gegenübersteht, und Albrun beginnt durch diese Nähe zu einem anderen Menschen richtiggehend aufzuleben. Aber Swinda ist eine Lügnerin und Betrügerin: Sie überredet einen Mann, Albrun zu vergewaltigen, und sie selber hält Albrun dabei auch noch fest. Und nicht nur das: Als Albrun nach Hause kommt, findet sie dort den Kadaver ihrer geliebten Ziege aufgehängt. Ihre Rache ist furchtbar: Sie legt eine tote Ratte in die Wasserversorgung des Dorfes und pinkelt zusätzlich noch darauf. Das Ergebnis ist schnell zu sehen – Die Pest kommt wieder ins Dorf, und Albrun lächelt sich heimlich eins.
Seit einigen Jahren stelle ich zunehmend fest, dass ich mit sogenannten Style over Substance-Filmen immer weniger anfangen kann. Die letzten Filme Nicolas Winding Refns, ONLY GOD FORGIVRS und THE NEON DEMON, stehen symptomatisch für diese Haltung, dass allein beeindruckende Bilder mir wenig geben können, wenn sie nicht von einer guten Story unterfüttert werden, wobei mir das aber bemerkenswerterweise auch bei Filmen Mario Bavas häufiger auffällt. Trotzdem versuche ich immer wieder, Filme wie eben HAGAZUSSA zu verstehen, in sie hineinzufallen, und mich einem, von anderen Besprechungen testierten, Rausch hinzugeben. Allein: Ich finde da nichts …
Ich sehe, dass HAGAZUSSA eine, bei aller Einfachheit, tiefe und dunkle Geschichte erzählt. Ich sehe die Abgründe in Albrun, und wie das Zusammentreffen einer sensiblen Einzelgängerin mit den dumpfen Dorfbewohnern zur Korruption einer empfindsamen Seele führt, aber die Kombination aus extrem langgezogenen Einstellungen und schönen Naturaufnahmen weckt in mir einfach nicht die Emotionen, welche der Regisseur vermutlich wecken möchte.
Stattdessen beginne ich mich irgendwann zu langweilen ob der immergleichen Einstellungen der verschneiten Berge, frage mich wo der Film gedreht sein mag, und staune (ernst gemeint) über das unglaubliche und intensive Schauspiel von Aleksandra Cwen. Was Cwen schon nur allein mit ihren Augen auszudrücken vermag, das können andere mit noch so exaltierter Mimik und Gestik nicht. Die Vergewaltigung Albruns findet aus Sicht des Zuschauers allein in den Augen von Albrun statt –Ihr Grauen, ihre Angst, ihr Schmerz, das alles spiegelt sich im Gesicht und in diesen tiefen und schönen Augen. Der vergewaltigende Mann selber ist dabei nicht einmal zu sehen - Große Regiekunst fürwahr, aber eine Schauspielkunst in der Tradition und der Klasse eines Conrad Veidt …
Entsprechend ist es auch immer wieder Aleksandra Cwen die mich zum Weitersehen gezwungen hat. Die mit ihrer Präsenz dem unentschlossenen Drehbuch Kraft gibt und den Film vorantreibt. Der Vergleich zum erst kürzlich gesehenen THE VVITCH drängt sich auf, und dieser Vergleich ist bemerkenswert, gibt Robert Eggers seinem New-England-Folktale doch an genau den richtigen Stellen die Spannungsspitzen, um das Interesse des Zuschauers nicht abflauen zu lassen. Die Vvitch Anya Taylor-Joy ist stark und geht in ihrer Figur restlos auf, was dazu führt, dass THE VVITCH den Rezipienten tatsächlich mitzieht in ein Reich aus Schuld und Tod. Aleksandra Cwen ist mindestens genauso stark wie Taylor-Joy, vielleicht sogar stärker, aber sie kann die Schwächen der Regie und vor allem des Drehbuchs leider nicht völlig ausbügeln – Der Geschichte an sich mangelt es an genau diesen Spannungsspitzen, und es stellt sich schnell eine gewisse Müdigkeit und die erwähnte Langeweile ein. Die Gedanken schweifen ab und führen zu den ganz alltäglichen Problemchen, derweil das, was auf dem Bildschirm da so passiert, immer nebensächlicher wird.
Wahrscheinlich müsste man HAGAZUSSA auf der großen, der ganz großen Leinwand sehen, um sich diesen Bildern tatsächlich hinzugeben. In die dunklen Wälder genauso hineinzufallen wie in die verschneiten Berge oder den grün-gelben Sumpf, der soviel Bosheit ausstrahlt. Ein passendes Beispiel, dieser Sumpf: Albrun läuft in das brackige Wasser hinein, die Kamera bleibt am Ufer und filmt von hinten und mit einigem Abstand, was da jetzt an Unheiligem passiert. Es passiert auch vieles, was durch den Standort der Kamera allein im Kopf des Zuschauers Gestalt annimmt, aber die Szene ist einfach zu lang ausgedehnt. Das Timing passt nicht, und genau das ist eben der Unterschied zu THE VVITCH: Dieser ist genauso langsam erzählt, geht auf ähnliche seelische Abgründe ein und immanentisiert das Grauen in der den Menschen umgebenden Natur auf gleiche Weise. Aber dort stimmt das Timing, sind die Ausschläge auf der Aufmerksamkeitsskala gleichmäßig verteilt, wird der Zuschauer tatsächlich zum Hinschauen gezwungen. Die Anwesenheit des Zuschauers driftet nicht wie bei HAGAZUSSA ab, sondern bleibt bei den Figuren und begleitet sie hautnah in ihre eigene Hölle.
Und so bleibt HAGAZUSSA beim Versuch, Horror und Arthouse miteinander zu verbinden, leider auf dreivierteltem Wege stehen und dreht und wendet sich verzweifelt im Kreis - Im Teufelskreis aus einem Drehbuch, das nicht überzeugend geskriptet wurde, und einer Regie, welche die Schwächen des Drehbuchs nicht auszugleichen vermag, weil sie sich weitgehend auf die Optik konzentriert. HAGAZUSSA imponiert zwar mit überragenden Bildern und hochgradig eindrucksvollen Schauspielern, aber der Rest, der ja schließlich auch noch zu dem Gesamtkunstwerk Film gehört, der imponiert kein bisschen.
In einer anderen Zeit, die das 15.Jahrhundert, wohl aber auch das beginnende 20. Jahrhundert sein könnte, lebt die kleine Albrun mit ihrer Mutter irgendwo in den Bergen. Die Mutter stirbt an der Pest, und aus der kleinen Albrun wird die erwachsene Albrun, die mit ihrer kleinen Tochter das gleiche Problem hat wie ihre eigene Mutter: Beide Frauen werden von den nahewohnenden Dörflern als Hexen angesehen, und beide können sich ihres Lebens nie wirklich sicher sein. Eine vorsichtige Freundschaft zu Swinda beginnt, welche die erste aus dem Dorf ist die ihr nicht feindlich gegenübersteht, und Albrun beginnt durch diese Nähe zu einem anderen Menschen richtiggehend aufzuleben. Aber Swinda ist eine Lügnerin und Betrügerin: Sie überredet einen Mann, Albrun zu vergewaltigen, und sie selber hält Albrun dabei auch noch fest. Und nicht nur das: Als Albrun nach Hause kommt, findet sie dort den Kadaver ihrer geliebten Ziege aufgehängt. Ihre Rache ist furchtbar: Sie legt eine tote Ratte in die Wasserversorgung des Dorfes und pinkelt zusätzlich noch darauf. Das Ergebnis ist schnell zu sehen – Die Pest kommt wieder ins Dorf, und Albrun lächelt sich heimlich eins.
Seit einigen Jahren stelle ich zunehmend fest, dass ich mit sogenannten Style over Substance-Filmen immer weniger anfangen kann. Die letzten Filme Nicolas Winding Refns, ONLY GOD FORGIVRS und THE NEON DEMON, stehen symptomatisch für diese Haltung, dass allein beeindruckende Bilder mir wenig geben können, wenn sie nicht von einer guten Story unterfüttert werden, wobei mir das aber bemerkenswerterweise auch bei Filmen Mario Bavas häufiger auffällt. Trotzdem versuche ich immer wieder, Filme wie eben HAGAZUSSA zu verstehen, in sie hineinzufallen, und mich einem, von anderen Besprechungen testierten, Rausch hinzugeben. Allein: Ich finde da nichts …
Ich sehe, dass HAGAZUSSA eine, bei aller Einfachheit, tiefe und dunkle Geschichte erzählt. Ich sehe die Abgründe in Albrun, und wie das Zusammentreffen einer sensiblen Einzelgängerin mit den dumpfen Dorfbewohnern zur Korruption einer empfindsamen Seele führt, aber die Kombination aus extrem langgezogenen Einstellungen und schönen Naturaufnahmen weckt in mir einfach nicht die Emotionen, welche der Regisseur vermutlich wecken möchte.
Stattdessen beginne ich mich irgendwann zu langweilen ob der immergleichen Einstellungen der verschneiten Berge, frage mich wo der Film gedreht sein mag, und staune (ernst gemeint) über das unglaubliche und intensive Schauspiel von Aleksandra Cwen. Was Cwen schon nur allein mit ihren Augen auszudrücken vermag, das können andere mit noch so exaltierter Mimik und Gestik nicht. Die Vergewaltigung Albruns findet aus Sicht des Zuschauers allein in den Augen von Albrun statt –Ihr Grauen, ihre Angst, ihr Schmerz, das alles spiegelt sich im Gesicht und in diesen tiefen und schönen Augen. Der vergewaltigende Mann selber ist dabei nicht einmal zu sehen - Große Regiekunst fürwahr, aber eine Schauspielkunst in der Tradition und der Klasse eines Conrad Veidt …
Entsprechend ist es auch immer wieder Aleksandra Cwen die mich zum Weitersehen gezwungen hat. Die mit ihrer Präsenz dem unentschlossenen Drehbuch Kraft gibt und den Film vorantreibt. Der Vergleich zum erst kürzlich gesehenen THE VVITCH drängt sich auf, und dieser Vergleich ist bemerkenswert, gibt Robert Eggers seinem New-England-Folktale doch an genau den richtigen Stellen die Spannungsspitzen, um das Interesse des Zuschauers nicht abflauen zu lassen. Die Vvitch Anya Taylor-Joy ist stark und geht in ihrer Figur restlos auf, was dazu führt, dass THE VVITCH den Rezipienten tatsächlich mitzieht in ein Reich aus Schuld und Tod. Aleksandra Cwen ist mindestens genauso stark wie Taylor-Joy, vielleicht sogar stärker, aber sie kann die Schwächen der Regie und vor allem des Drehbuchs leider nicht völlig ausbügeln – Der Geschichte an sich mangelt es an genau diesen Spannungsspitzen, und es stellt sich schnell eine gewisse Müdigkeit und die erwähnte Langeweile ein. Die Gedanken schweifen ab und führen zu den ganz alltäglichen Problemchen, derweil das, was auf dem Bildschirm da so passiert, immer nebensächlicher wird.
Wahrscheinlich müsste man HAGAZUSSA auf der großen, der ganz großen Leinwand sehen, um sich diesen Bildern tatsächlich hinzugeben. In die dunklen Wälder genauso hineinzufallen wie in die verschneiten Berge oder den grün-gelben Sumpf, der soviel Bosheit ausstrahlt. Ein passendes Beispiel, dieser Sumpf: Albrun läuft in das brackige Wasser hinein, die Kamera bleibt am Ufer und filmt von hinten und mit einigem Abstand, was da jetzt an Unheiligem passiert. Es passiert auch vieles, was durch den Standort der Kamera allein im Kopf des Zuschauers Gestalt annimmt, aber die Szene ist einfach zu lang ausgedehnt. Das Timing passt nicht, und genau das ist eben der Unterschied zu THE VVITCH: Dieser ist genauso langsam erzählt, geht auf ähnliche seelische Abgründe ein und immanentisiert das Grauen in der den Menschen umgebenden Natur auf gleiche Weise. Aber dort stimmt das Timing, sind die Ausschläge auf der Aufmerksamkeitsskala gleichmäßig verteilt, wird der Zuschauer tatsächlich zum Hinschauen gezwungen. Die Anwesenheit des Zuschauers driftet nicht wie bei HAGAZUSSA ab, sondern bleibt bei den Figuren und begleitet sie hautnah in ihre eigene Hölle.
Und so bleibt HAGAZUSSA beim Versuch, Horror und Arthouse miteinander zu verbinden, leider auf dreivierteltem Wege stehen und dreht und wendet sich verzweifelt im Kreis - Im Teufelskreis aus einem Drehbuch, das nicht überzeugend geskriptet wurde, und einer Regie, welche die Schwächen des Drehbuchs nicht auszugleichen vermag, weil sie sich weitgehend auf die Optik konzentriert. HAGAZUSSA imponiert zwar mit überragenden Bildern und hochgradig eindrucksvollen Schauspielern, aber der Rest, der ja schließlich auch noch zu dem Gesamtkunstwerk Film gehört, der imponiert kein bisschen.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit (Yuval Adler, 2020) 7/10
Von Stephen King gibt es eine Kurzgeschichte, in der ein ganz normaler Junge in einer ganz normalen Kleinstadt der ganz normalen bürgerlichen USA feststellen muss, dass sein Nachbar ein Alt-Nazi und Kriegsverbrecher ist, und er verfällt diesem Mann, seiner Ausstrahlung, seinen Geschichten. Der israelische Regisseur Yuval Adler dreht die Geschichte um: In einer ganz normalen 1960er-Jahre-Kleinstadt der USA lebt eine ganz normale Frau ihr Eheleben mit Lewis, einem ganz normalen Arzt. Bis sie eines Tages einen Mann sieht, den sie nie wieder sehen wollte. Den Mann, der sie vor 15 Jahren vergewaltigt und ihre kleine Schwester erschossen hat. Damals war sie mit einer Gruppe Romafrauen, sie ist selber eine Roma, auf der Flucht aus einem deutschen Lager, als nachts eine Gruppe SS-Männer die Frauen überfielen, vergewaltigten und abschlachteten. Sie, Maja, ist davongekommen, kann sich aber nicht mehr erinnern wieso.
Maja entführt den Mann, Thomas, und steckt ihn an einen Stuhl gefesselt in ihren Keller. Lewis steht zu seiner Frau, aber die Zweifel, ob der nach eigener Aussage Schweizer Beamte Thomas früher in Wirklichkeit der Deutsche SS-Mann Karl war, sind da. Im Zweifel gegen den Angeklagten. Doch bevor Thomas sterben kann, muss seine wahre Identität erst ermittelt werden. Maja sieht das auch ein, aber gleichzeitig ist da dieses Gesicht in ihren Träumen. Und ihr Hass …
Auch wenn die Geschichte sich wie ein loses Remake von Polanskis DER TOD UND DAS MÄDCHEN anhörte, so machte der Trailer mit der Besetzung Noomi Rapace und Joel Kinnaman sowie gut Action durchaus Interesse. Doch was für eine Überraschung: Im Trailer werden tatsächlich alle Actionsequenzen des Films hintereinander verwurstet, und somit völlig falsche Erwartungen geweckt. Denn THE SECRETS WE KEEP ist in erster Linie das ruhige Psychogramm einer Frau, die die Hölle erlebt hat, sich in einem neuen Leben in Sicherheit eingerichtet hat, und deren schlimmste Alpträume plötzlich wieder auferstehen, als ihr mutmaßlicher Peiniger in dem kleinen Städtchen auftaucht. So richtig mit Familie und Hund, mit einem Job als Minenarbeiter und einer Geschichte, die wahr sein kann. Oder auch nicht.
THE SECRETS WE KEEP weigert sich dabei in die Actionfalle zu tappen, so mit Ausbruch und Verfolgungsjagd und Folterung und allem was ein Film im Jahre 2020 so bieten muss. Stattdessen dominieren Dialoge die Szenen, vor allem Maja und Lewis reden lange und intensiv über Dinge wie verdrängte Ängste und Schuld. Denn Maja fühlt sich schuldig am Tod ihrer kleinen Schwester, weil sie selber fortgelaufen ist. Ist sie fortgelaufen? Diese Frage wird zum zentralen Punkt, was fast ein wenig schade ist, denn die Frage nach Lebenslügen hätte dem Film noch besser zu Gesichte gestanden: Maja muss ihrem Mann irgendwann erklären, dass sie ihn ihr gesamtes gemeinsames Leben angelogen hat. Dass sie den Krieg, anders als immer kolportiert, selber und persönlich erlebt hat, und daraus als gebrochener Mensch herauskam, der sich in einer Lüge der Sicherheit wieder halbwegs zu einer Art Normalität durchringen konnte, der Psychoanalyse sei Dank. Und Thomas? Lebt Thomas eine Lüge? Oder ist seine Geschichte, er sei ein Schweizer Beamter der mit dem Krieg nicht mehr klar kam, wahr, und Maja verrennt sich in ihrer Psychose? Verirrt sich in ihren Alpträumen?
Ein spannendes und gut gemachtes Schauspielerdrama mit sehr vielen leisen Tönen, das mit schlechteren Schauspielern gescheitert wäre. Aber Noomi Rapace als Maja und Joel Kinnaman als Thomas geben ihren Figuren so unsagbar viel Tiefe und Leben, dass der Zuschauer problemlos in diese private kleine Hölle hineintauchen kann. Selbst Chris Messina als Lewis kann mit den beiden mithalten, wenngleich die stärksten Szenen diejenigen sind, wenn Maja bei Thomas‘ Ehefrau Rachel in der Küche sitzt und diese vorsichtig versucht nach ihrem verschwundenen Mann auszufragen, während sie doch genau weiß, dass der in ihrem eigenen Keller gefesselt und geknebelt auf seine sichere Hinrichtung wartet. Dazu kommt eine erstklassige und stark symbolisch aufgeladene Bildsprache – So finden die Dialoge zwischen Maja und Lewis meistens dann statt, wenn sich etwas zwischen ihnen befindet. Ein Draht, eine Scheibe, irgendwas, und wenn es eine Lüge ist. Aber sie sind immer in ihren eigenen Welten gefangen, und können sich erst durch eine letzte Gewalttat aufeinander zu bewegen, die alle Lügen zersplittern lässt.
An den erwähnten DER TOD UND DAS MÄDCHEN kommt THE SECRETS WE KEEP sicher nicht ran, aber als leiser Thriller und als angenehm altmodischer Film, der sich auf die Qualität seiner Schauspieler stützt anstatt auf die Anzahl seiner Computereffekte, überzeugt der Film sehr wohl.
Von Stephen King gibt es eine Kurzgeschichte, in der ein ganz normaler Junge in einer ganz normalen Kleinstadt der ganz normalen bürgerlichen USA feststellen muss, dass sein Nachbar ein Alt-Nazi und Kriegsverbrecher ist, und er verfällt diesem Mann, seiner Ausstrahlung, seinen Geschichten. Der israelische Regisseur Yuval Adler dreht die Geschichte um: In einer ganz normalen 1960er-Jahre-Kleinstadt der USA lebt eine ganz normale Frau ihr Eheleben mit Lewis, einem ganz normalen Arzt. Bis sie eines Tages einen Mann sieht, den sie nie wieder sehen wollte. Den Mann, der sie vor 15 Jahren vergewaltigt und ihre kleine Schwester erschossen hat. Damals war sie mit einer Gruppe Romafrauen, sie ist selber eine Roma, auf der Flucht aus einem deutschen Lager, als nachts eine Gruppe SS-Männer die Frauen überfielen, vergewaltigten und abschlachteten. Sie, Maja, ist davongekommen, kann sich aber nicht mehr erinnern wieso.
Maja entführt den Mann, Thomas, und steckt ihn an einen Stuhl gefesselt in ihren Keller. Lewis steht zu seiner Frau, aber die Zweifel, ob der nach eigener Aussage Schweizer Beamte Thomas früher in Wirklichkeit der Deutsche SS-Mann Karl war, sind da. Im Zweifel gegen den Angeklagten. Doch bevor Thomas sterben kann, muss seine wahre Identität erst ermittelt werden. Maja sieht das auch ein, aber gleichzeitig ist da dieses Gesicht in ihren Träumen. Und ihr Hass …
Auch wenn die Geschichte sich wie ein loses Remake von Polanskis DER TOD UND DAS MÄDCHEN anhörte, so machte der Trailer mit der Besetzung Noomi Rapace und Joel Kinnaman sowie gut Action durchaus Interesse. Doch was für eine Überraschung: Im Trailer werden tatsächlich alle Actionsequenzen des Films hintereinander verwurstet, und somit völlig falsche Erwartungen geweckt. Denn THE SECRETS WE KEEP ist in erster Linie das ruhige Psychogramm einer Frau, die die Hölle erlebt hat, sich in einem neuen Leben in Sicherheit eingerichtet hat, und deren schlimmste Alpträume plötzlich wieder auferstehen, als ihr mutmaßlicher Peiniger in dem kleinen Städtchen auftaucht. So richtig mit Familie und Hund, mit einem Job als Minenarbeiter und einer Geschichte, die wahr sein kann. Oder auch nicht.
THE SECRETS WE KEEP weigert sich dabei in die Actionfalle zu tappen, so mit Ausbruch und Verfolgungsjagd und Folterung und allem was ein Film im Jahre 2020 so bieten muss. Stattdessen dominieren Dialoge die Szenen, vor allem Maja und Lewis reden lange und intensiv über Dinge wie verdrängte Ängste und Schuld. Denn Maja fühlt sich schuldig am Tod ihrer kleinen Schwester, weil sie selber fortgelaufen ist. Ist sie fortgelaufen? Diese Frage wird zum zentralen Punkt, was fast ein wenig schade ist, denn die Frage nach Lebenslügen hätte dem Film noch besser zu Gesichte gestanden: Maja muss ihrem Mann irgendwann erklären, dass sie ihn ihr gesamtes gemeinsames Leben angelogen hat. Dass sie den Krieg, anders als immer kolportiert, selber und persönlich erlebt hat, und daraus als gebrochener Mensch herauskam, der sich in einer Lüge der Sicherheit wieder halbwegs zu einer Art Normalität durchringen konnte, der Psychoanalyse sei Dank. Und Thomas? Lebt Thomas eine Lüge? Oder ist seine Geschichte, er sei ein Schweizer Beamter der mit dem Krieg nicht mehr klar kam, wahr, und Maja verrennt sich in ihrer Psychose? Verirrt sich in ihren Alpträumen?
Ein spannendes und gut gemachtes Schauspielerdrama mit sehr vielen leisen Tönen, das mit schlechteren Schauspielern gescheitert wäre. Aber Noomi Rapace als Maja und Joel Kinnaman als Thomas geben ihren Figuren so unsagbar viel Tiefe und Leben, dass der Zuschauer problemlos in diese private kleine Hölle hineintauchen kann. Selbst Chris Messina als Lewis kann mit den beiden mithalten, wenngleich die stärksten Szenen diejenigen sind, wenn Maja bei Thomas‘ Ehefrau Rachel in der Küche sitzt und diese vorsichtig versucht nach ihrem verschwundenen Mann auszufragen, während sie doch genau weiß, dass der in ihrem eigenen Keller gefesselt und geknebelt auf seine sichere Hinrichtung wartet. Dazu kommt eine erstklassige und stark symbolisch aufgeladene Bildsprache – So finden die Dialoge zwischen Maja und Lewis meistens dann statt, wenn sich etwas zwischen ihnen befindet. Ein Draht, eine Scheibe, irgendwas, und wenn es eine Lüge ist. Aber sie sind immer in ihren eigenen Welten gefangen, und können sich erst durch eine letzte Gewalttat aufeinander zu bewegen, die alle Lügen zersplittern lässt.
An den erwähnten DER TOD UND DAS MÄDCHEN kommt THE SECRETS WE KEEP sicher nicht ran, aber als leiser Thriller und als angenehm altmodischer Film, der sich auf die Qualität seiner Schauspieler stützt anstatt auf die Anzahl seiner Computereffekte, überzeugt der Film sehr wohl.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Das Lied der Matrosen (Kurt Maetzig & Günter Reisch, 1958) 8/10
30.Oktober 1918. Für das deutsche Reich ist der erste Weltkrieg verloren. Jeder weiß das – Die Soldaten in den Schützengräben und die Matrosen genauso wie die Offiziere, die Politiker, und nicht zuletzt auch die Hausfrauen, die stundenlang anstehen für Butter, Fleisch oder Wasser. Oft genug auch umsonst … Und doch sind einige kaisertreue Offiziere im Flottenkommando nicht willens, einem Waffenstillstand oder gar einer Kapitulation ins Auge zu sehen. Sie wollen nicht wahrnehmen, dass nach 5 Kriegsjahren kein Menschenmaterial mehr vorhanden ist, das noch in irgendwelche Offensiven geworfen werden könnte. Sie nehmen auch nicht wahr, dass die Bevölkerung längst ausgeblutet ist und sich nur noch nach Frieden sehnt. Und sie ignorieren den Befehl des Reichskanzlers, dass nichts geschehen dürfe, um den Friedensprozess mit den Alliierten zu stören. Ihr Plan ist, die Schiffe in Kiel, somit das I. und das III. Flottengeschwader gegen England fahren und englische Schiffe angreifen zu lassen. Unabhängig vom Ausgang der Schlacht wären damit die bereits begonnenen Friedensgespräche obsolet, die Kräfte der Entente würden verstärkt angreifen, und damit auch die Kriegsmüdigkeit bei Heer und Bevölkerung beheben.
Klingt idiotisch? Ist idiotisch. Aber für die Matrosen des III. Geschwaders war dies die Realität, und obwohl die Befehle strengster Geheimhaltung unterlagen, sickerten Informationen an die Besatzungen der Schiffe aus. Während die Besatzungen des I. Geschwaders den Seeklarbefehl verweigerten und sogar Sabotageakte durchführten, meuterten Matrosen des III. Geschwaders am 31. Oktober auf hoher See und zwangen ihre Schiffe zur Rückkehr nach Kiel. Der Vizeadmiral, unter dessen Befehl die Schiffe liefen, verhaftete aber während der Rückkehr die Meuterer, 48 Matrosen und Heizer, und ließ diese nach der Rückkehr in den Hafen einsperren.
Das Ergebnis dieser Vorgänge war dann der sogenannte Kieler Matrosenaufstand, der zwischen dem 1. und dem 4. Oktober in Kiel stattfand, der letzten Endes nichts anderes als eine Revolution war, und dessen Ausläufer es sogar schafften den Kaiser, ja sogar die gesamte Dynastie Hohenzollern zum Rücktritt zu bewegen. Der Krieg war zu Ende, und die meuternden Matrosen von Kiel waren der hauptsächliche Grund dafür.
Und mittendrin waren sieben Seeleute, deren Schicksal wir in DAS LIED DER MATROSEN begleiten. Erich Steigert war im Herbst 1917 bereits aufsässig, weil er sich weigerte, zwei Meuterer standrechtlich zu erschießen. Seitdem sitzt er im Gefängnis und wartet auf seine eigene Exekution. August Lenz ist Heizer und strammer SPD-Mann. Ohne Freigabe von Friedrich Ebert und Gustav Noske bohrt er nicht einmal in der Nase. Henne Lobke hat es eher mit der USPD. Beim Aufbringen eines russischen Frachters setzt er sich gemeinsam mit seinem Kameraden Jens Kasten nach Russland ab und kommt von dort wieder zurück nach Hause. Er lernt die junge Anna kennen und verliebt sich. Ludwig Bartuschek ist strammer Spartakist und brennt darauf, alle Kapitalisten und alle Offiziere persönlich abzusägen. Er ist klug und kann mitreißen, wird aber von den Zauderern der SPD oft gebremst. Sebastian Huber ist in erster Linie Bauer und dann erst Heizer. Er will nach Hause, es ist höchste Zeit für das Ausbringen der Wintersaat. Und Jupp König ist der Trumpf der organisierten Matrosen. Er ist eine Art Kammerdiener bei Admiral von Resten, und kommt somit mit allen Befehlen und allen Absichtserklärungen der Offiziere und der Flottenleitung als erster in Kontakt.
DAS LIED DER MATROSEN beginnt im Herbst 1917 mit der vergeblichen Exekution der meuternden Seeleute Max Reichpietsch und Albin Köbis. Vergeblich deswegen, weil die Marinesoldaten der Pelletons sich mehrmals weigern, ihre Kameraden zu erschießen. Steigert kommt deswegen auch in Haft, aber er bleibt unbeugsam. Die Handlung bleibt noch einige Zeit im Jahr 1917, um die Konsequenzen dieser Vorgänge aufzuzeigen, wir folgen unter anderem auch Henne und Jens Kasten auf ihrem Weg nach Russland und wieder zurück, und relativ bald springen wir dann in den Sommer 1918, um die Kriegspläne der kaisertreue Offizieren erfahren. Mittendrin sind immer wieder die Hauptcharaktere und ihre Freunde und Angehörigen, aber angenehmerweise behalten Regie und Zuschauer stets den Überblick über die vielen Namen. Auch die Zeitsprünge sind nachvollziehbar, der Rutscher vom August zum November 1918 ist kaum spürbar und hinterlässt auch kein Loch im Handlungsfluss. Einzig am Namedropping der politischen Organisationen ist spürbar, dass die hier vorgestellten Ereignisse für das Publikum als bekannt vorausgesetzt werden.
Denn machen wir uns nichts vor, DAS LIED DER MATROSEN ist ein Propagandastreifen wie er nicht zweckdienlicher sein könnte. Die Uraufführung war zum 40. Jahrestag der Novemberrevolution geplant, weswegen auch zwei Regisseure eingesetzt wurden, um den straffen Zeitplan zu halten: Kurt Maetzig drehte die Szenen um die Offiziere und Admiräle, während sich Günter Reisch um die Aufnahmen rund um die Matrosen kümmerte. Der Druck muss enorm gewesen sein, und offensichtlich wussten sich die Produzenten beim Zusammenfügen einzelner Handlungsfragmente nicht anders zu helfen, als ein von Karl-Heinz Wichert gesungenes Lied zu hinterlegen. Dieses Lied erzählt tatsächlich fehlende Handlungselemente oder kommentiert das Gesehene, was bemerkenswert an Brechts episches Theater erinnert, und dadurch einen ganz seltsamen Zeitbezug erhält. Ein interessantes Stilmittel, welches heute altmodisch und fremd wirkt, aber seine Wirkung gerade bei einem Propagandafilm nicht verfehlt.
Dem fertigen Film kann man vieles vorhalten. Zum Beispiel, dass die Ereignisse der ersten Novembertage aus dramaturgischen Gründen auf einige Stunden komprimiert wurden, oder dass es mit der tatsächlichen Darstellung der Ereignisse nicht immer ganz genau genommen wurde. Es gab nie einen Sturm auf das Marinegefängnis, eine Szene, die frappierend an den Sturm auf das Winterpalais in Eisensteins OKTOBER erinnert, und auch der war ja eine gefakte Erinnerung. Aber gerade diese Szenen sind ungeheuer dramatisch, hochgradig spannend, und es werden bewusst Emotionen beim Zuschauer erzeugt. Tatsächlich kommt man aus dem Film in einer absoluten Hochstimmung heraus. Man möchte marschieren, man möchte am liebsten den Kapitalisten eins aufs Maul hauen und selber mit der Revolution beginnen. Solche Gefühle werden erzeugt, und ich frage mich unweigerlich, welcher Film aus den letzten 30 Jahren so etwas noch schafft.
DAS LIED DER MATROSEN endet mit der Gründung der Kommunistischen Partei in Deutschland am 30. Dezember 1918, und zusammen mit dem hier gesungenen Lied vom wahren sozialistischen Traumstaat möchte man am liebsten einen Lachkrampf bekommen, wenn es denn nicht so traurig wäre. Schade, dass die Stoßrichtung ein so unmissverständliches Loblied auf den wunderschönen Arbeiter- und Bauernstaat ist, und schade, dass diese Absicht (mit mehr als 60 Jahren Abstand) so furchtbar lächerlich und durchsichtig ist, und damit die vielen starken Momente der vorhergehenden fast zwei Stunden ein klein wenig wieder zunichte macht, denn filmisch wie auch historisierend gibt es da einiges Begeisterndes:. Der Moment, wenn die Heizer die Kohle aus den Bunkern herausholen und mit Wasser löschen, damit die Schiffe keinen Dampf mehr machen können, und daraufhin die Offiziere mit vorgehaltener Waffe verlangen, dass die Kessel wieder angeheizt werden. Henne, der mit einem russischen Soldaten aus Freude über den Waffenstillstand tanzt, was einem kaisertreuen Offizier nicht passt, der auf die beiden sofort Feuerbefehl gibt. Der Sturm der Matrosen in das Hauptquartier des Flottenkommandos. Oder der großartige Moment, wenn der Parteibürokrat, der den erfolgreichen Matrosen ihren Erfolg kastrieren möchte, vom redegewandten Bartuschek zusammengefaltet wird. Mit dem „neuen“ Vorsitzenden des Soldatenrates, der für die Matrosen tatsächlich ein alter Bekannter ist, wird auch ein deutlicher Verweis auf die Bürokratie des westlichen Nachkriegsdeutschlands gesetzt, in dem viele Täter aus der NSDAP weiterhin ihr Gedankengut in Brot und Lohn verbreiten konnten. Hehres (und oft plattes) Pathos, sicher, aber eben auch viel Emotion. Große Gefühle, wenn man mit den Arbeitern und den Matrosen mitfiebert, und eine mehr oder weniger erfolgreiche Revolution an sich vorbeiziehen sieht, an deren Ende tatsächlich die Zeitenwende zur Demokratie stand.
Der Film schildert historische Geschehnisse auf verständliche Art. Er nimmt seine Figuren ernst und kann sie mit klaren Worten sowohl als Soldaten wie auch als Menschen charakterisieren, und vor allem ist er sehr spannend und emotional. Starke Massenszenen mit bis zu 15.000 Statisten auf der einen Seite, ergreifende Momente der Zwischenmenschlichkeit auf der anderen. Irgendwie kann ich mich nach der Sichtung des Gefühls nicht erwehren, dass die Kunst, packende und überzeugende Filme zu drehen, in den letzten Jahrzehnten ziemlich auf den Hund gekommen ist …
30.Oktober 1918. Für das deutsche Reich ist der erste Weltkrieg verloren. Jeder weiß das – Die Soldaten in den Schützengräben und die Matrosen genauso wie die Offiziere, die Politiker, und nicht zuletzt auch die Hausfrauen, die stundenlang anstehen für Butter, Fleisch oder Wasser. Oft genug auch umsonst … Und doch sind einige kaisertreue Offiziere im Flottenkommando nicht willens, einem Waffenstillstand oder gar einer Kapitulation ins Auge zu sehen. Sie wollen nicht wahrnehmen, dass nach 5 Kriegsjahren kein Menschenmaterial mehr vorhanden ist, das noch in irgendwelche Offensiven geworfen werden könnte. Sie nehmen auch nicht wahr, dass die Bevölkerung längst ausgeblutet ist und sich nur noch nach Frieden sehnt. Und sie ignorieren den Befehl des Reichskanzlers, dass nichts geschehen dürfe, um den Friedensprozess mit den Alliierten zu stören. Ihr Plan ist, die Schiffe in Kiel, somit das I. und das III. Flottengeschwader gegen England fahren und englische Schiffe angreifen zu lassen. Unabhängig vom Ausgang der Schlacht wären damit die bereits begonnenen Friedensgespräche obsolet, die Kräfte der Entente würden verstärkt angreifen, und damit auch die Kriegsmüdigkeit bei Heer und Bevölkerung beheben.
Klingt idiotisch? Ist idiotisch. Aber für die Matrosen des III. Geschwaders war dies die Realität, und obwohl die Befehle strengster Geheimhaltung unterlagen, sickerten Informationen an die Besatzungen der Schiffe aus. Während die Besatzungen des I. Geschwaders den Seeklarbefehl verweigerten und sogar Sabotageakte durchführten, meuterten Matrosen des III. Geschwaders am 31. Oktober auf hoher See und zwangen ihre Schiffe zur Rückkehr nach Kiel. Der Vizeadmiral, unter dessen Befehl die Schiffe liefen, verhaftete aber während der Rückkehr die Meuterer, 48 Matrosen und Heizer, und ließ diese nach der Rückkehr in den Hafen einsperren.
Das Ergebnis dieser Vorgänge war dann der sogenannte Kieler Matrosenaufstand, der zwischen dem 1. und dem 4. Oktober in Kiel stattfand, der letzten Endes nichts anderes als eine Revolution war, und dessen Ausläufer es sogar schafften den Kaiser, ja sogar die gesamte Dynastie Hohenzollern zum Rücktritt zu bewegen. Der Krieg war zu Ende, und die meuternden Matrosen von Kiel waren der hauptsächliche Grund dafür.
Und mittendrin waren sieben Seeleute, deren Schicksal wir in DAS LIED DER MATROSEN begleiten. Erich Steigert war im Herbst 1917 bereits aufsässig, weil er sich weigerte, zwei Meuterer standrechtlich zu erschießen. Seitdem sitzt er im Gefängnis und wartet auf seine eigene Exekution. August Lenz ist Heizer und strammer SPD-Mann. Ohne Freigabe von Friedrich Ebert und Gustav Noske bohrt er nicht einmal in der Nase. Henne Lobke hat es eher mit der USPD. Beim Aufbringen eines russischen Frachters setzt er sich gemeinsam mit seinem Kameraden Jens Kasten nach Russland ab und kommt von dort wieder zurück nach Hause. Er lernt die junge Anna kennen und verliebt sich. Ludwig Bartuschek ist strammer Spartakist und brennt darauf, alle Kapitalisten und alle Offiziere persönlich abzusägen. Er ist klug und kann mitreißen, wird aber von den Zauderern der SPD oft gebremst. Sebastian Huber ist in erster Linie Bauer und dann erst Heizer. Er will nach Hause, es ist höchste Zeit für das Ausbringen der Wintersaat. Und Jupp König ist der Trumpf der organisierten Matrosen. Er ist eine Art Kammerdiener bei Admiral von Resten, und kommt somit mit allen Befehlen und allen Absichtserklärungen der Offiziere und der Flottenleitung als erster in Kontakt.
DAS LIED DER MATROSEN beginnt im Herbst 1917 mit der vergeblichen Exekution der meuternden Seeleute Max Reichpietsch und Albin Köbis. Vergeblich deswegen, weil die Marinesoldaten der Pelletons sich mehrmals weigern, ihre Kameraden zu erschießen. Steigert kommt deswegen auch in Haft, aber er bleibt unbeugsam. Die Handlung bleibt noch einige Zeit im Jahr 1917, um die Konsequenzen dieser Vorgänge aufzuzeigen, wir folgen unter anderem auch Henne und Jens Kasten auf ihrem Weg nach Russland und wieder zurück, und relativ bald springen wir dann in den Sommer 1918, um die Kriegspläne der kaisertreue Offizieren erfahren. Mittendrin sind immer wieder die Hauptcharaktere und ihre Freunde und Angehörigen, aber angenehmerweise behalten Regie und Zuschauer stets den Überblick über die vielen Namen. Auch die Zeitsprünge sind nachvollziehbar, der Rutscher vom August zum November 1918 ist kaum spürbar und hinterlässt auch kein Loch im Handlungsfluss. Einzig am Namedropping der politischen Organisationen ist spürbar, dass die hier vorgestellten Ereignisse für das Publikum als bekannt vorausgesetzt werden.
Denn machen wir uns nichts vor, DAS LIED DER MATROSEN ist ein Propagandastreifen wie er nicht zweckdienlicher sein könnte. Die Uraufführung war zum 40. Jahrestag der Novemberrevolution geplant, weswegen auch zwei Regisseure eingesetzt wurden, um den straffen Zeitplan zu halten: Kurt Maetzig drehte die Szenen um die Offiziere und Admiräle, während sich Günter Reisch um die Aufnahmen rund um die Matrosen kümmerte. Der Druck muss enorm gewesen sein, und offensichtlich wussten sich die Produzenten beim Zusammenfügen einzelner Handlungsfragmente nicht anders zu helfen, als ein von Karl-Heinz Wichert gesungenes Lied zu hinterlegen. Dieses Lied erzählt tatsächlich fehlende Handlungselemente oder kommentiert das Gesehene, was bemerkenswert an Brechts episches Theater erinnert, und dadurch einen ganz seltsamen Zeitbezug erhält. Ein interessantes Stilmittel, welches heute altmodisch und fremd wirkt, aber seine Wirkung gerade bei einem Propagandafilm nicht verfehlt.
Dem fertigen Film kann man vieles vorhalten. Zum Beispiel, dass die Ereignisse der ersten Novembertage aus dramaturgischen Gründen auf einige Stunden komprimiert wurden, oder dass es mit der tatsächlichen Darstellung der Ereignisse nicht immer ganz genau genommen wurde. Es gab nie einen Sturm auf das Marinegefängnis, eine Szene, die frappierend an den Sturm auf das Winterpalais in Eisensteins OKTOBER erinnert, und auch der war ja eine gefakte Erinnerung. Aber gerade diese Szenen sind ungeheuer dramatisch, hochgradig spannend, und es werden bewusst Emotionen beim Zuschauer erzeugt. Tatsächlich kommt man aus dem Film in einer absoluten Hochstimmung heraus. Man möchte marschieren, man möchte am liebsten den Kapitalisten eins aufs Maul hauen und selber mit der Revolution beginnen. Solche Gefühle werden erzeugt, und ich frage mich unweigerlich, welcher Film aus den letzten 30 Jahren so etwas noch schafft.
DAS LIED DER MATROSEN endet mit der Gründung der Kommunistischen Partei in Deutschland am 30. Dezember 1918, und zusammen mit dem hier gesungenen Lied vom wahren sozialistischen Traumstaat möchte man am liebsten einen Lachkrampf bekommen, wenn es denn nicht so traurig wäre. Schade, dass die Stoßrichtung ein so unmissverständliches Loblied auf den wunderschönen Arbeiter- und Bauernstaat ist, und schade, dass diese Absicht (mit mehr als 60 Jahren Abstand) so furchtbar lächerlich und durchsichtig ist, und damit die vielen starken Momente der vorhergehenden fast zwei Stunden ein klein wenig wieder zunichte macht, denn filmisch wie auch historisierend gibt es da einiges Begeisterndes:. Der Moment, wenn die Heizer die Kohle aus den Bunkern herausholen und mit Wasser löschen, damit die Schiffe keinen Dampf mehr machen können, und daraufhin die Offiziere mit vorgehaltener Waffe verlangen, dass die Kessel wieder angeheizt werden. Henne, der mit einem russischen Soldaten aus Freude über den Waffenstillstand tanzt, was einem kaisertreuen Offizier nicht passt, der auf die beiden sofort Feuerbefehl gibt. Der Sturm der Matrosen in das Hauptquartier des Flottenkommandos. Oder der großartige Moment, wenn der Parteibürokrat, der den erfolgreichen Matrosen ihren Erfolg kastrieren möchte, vom redegewandten Bartuschek zusammengefaltet wird. Mit dem „neuen“ Vorsitzenden des Soldatenrates, der für die Matrosen tatsächlich ein alter Bekannter ist, wird auch ein deutlicher Verweis auf die Bürokratie des westlichen Nachkriegsdeutschlands gesetzt, in dem viele Täter aus der NSDAP weiterhin ihr Gedankengut in Brot und Lohn verbreiten konnten. Hehres (und oft plattes) Pathos, sicher, aber eben auch viel Emotion. Große Gefühle, wenn man mit den Arbeitern und den Matrosen mitfiebert, und eine mehr oder weniger erfolgreiche Revolution an sich vorbeiziehen sieht, an deren Ende tatsächlich die Zeitenwende zur Demokratie stand.
Der Film schildert historische Geschehnisse auf verständliche Art. Er nimmt seine Figuren ernst und kann sie mit klaren Worten sowohl als Soldaten wie auch als Menschen charakterisieren, und vor allem ist er sehr spannend und emotional. Starke Massenszenen mit bis zu 15.000 Statisten auf der einen Seite, ergreifende Momente der Zwischenmenschlichkeit auf der anderen. Irgendwie kann ich mich nach der Sichtung des Gefühls nicht erwehren, dass die Kunst, packende und überzeugende Filme zu drehen, in den letzten Jahrzehnten ziemlich auf den Hund gekommen ist …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi