Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3303
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Cemetery Junction (Ricky Gervais & Stephen Merchant, 2010) 7/10

Das Problem, seinen Weg zu finden. Das Verhältnis zu den Eltern und der Umwelt in der Waage zu halten. Etwas anders machen zu wollen als die Eltern, besser und erfolgreicher. Was auch immer, aber ETWAS. Nicht in der Fabrik enden, aber auch nicht als saufende Memme vor dem Fernseher versauern wollen. Tagaus tagein in der Fabrik stehen? Nein. Aber im Hamsterrad Versicherungen verkaufen an Menschen, die mit den paar Pennies pro Woche ihre Träume begraben müssen, damit der Bezirksleiter einen Rolls Royce fahren kann? Nein, auch nicht. Jeden Samstag saufen und prügeln? Dumme Jungenstreiche machen und dafür eingeknastet werden? Sicher auch nicht. Aber was denn dann?

Bild Bild

"Hör auf, diese Schwuchtelmusik zu hören. Leg lieber was von Elton John auf!"

Erwachsenwerden war wahrscheinlich noch nie leicht, und Filme über dieses Thema gibt es zuhauf. In CEMETERY JUNCTION begleiten wir Bruce, Freddie und Snork ein kleines Stück des Weges. Bruce ist großsprecherisch, rebellisch und unangepasst. Die Nächte verbringt er gerne mal auf der Polizeistation, seinen Vater hasst er, und sein Leben besteht aus vögeln, saufen und prügeln. Ein paar Jahre später (der Film spielt 1973) wäre er ein Punker geworden und würde mit dem größtem Vergnügen gegen den gesamten Ort ankämpfen, hier träumt er „nur“ vom Fortgehen. Aber tatsächlich fortgehen ist nicht so einfach wie man es sagt …
Freddie träumt von einem bürgerlichen Leben. Mit Anzug und Krawatte will er im Versicherungsgeschäft Geld verdienen, so wie der mächtig beeindruckende Mr. Kendrick, der ebenfalls aus dem miesen Dreckskaff Cemetery Junction kommt, und jetzt in einer Villa lebt und eben einen Rolls Royce fährt. Freddie will ihm nacheifern, aber durch Kendricks‘ Tochter Julie, seine Jugendliebe, bekommt er mehr Einblicke in dieses Leben als ihm lieb ist. Und Freddie ist nicht dumm – seine Erlebnisse auf dem Winner’s Ball, einer Veranstaltung der Versicherung, zusammen mit dem leichten Freiheitsdrang Julies … Aber tatsächlich fortgehen ist halt nicht so einfach wie man es sagt …
Snork heißt eigentlich Paul, wird aber Snork genannt, weil er einen Riecher für Mösen hat. Sagt er. Snork ist klein, dick und unansehnlich. Er hat eine große Brille auf damit er aussieht wie Elton John, aber eigentlich sieht er damit aus wie eine Witzfigur aus einer Komikserie. Und auch Snork, der bei der Britischen Eisenbahn angefangen hat zu arbeiten, möchte ein wenig mehr vom Leben bekommen als nur die samstäglichen Prügeleien und die darauffolgenden Aufenthalte im örtlichen Knast. Snork hat sich ein Tattoo nach seinem eigenen Entwurf auf die Brust stechen lassen! Eine nackte Vampirin die aus dem Fenster schaut. Und auf dem Rücken ist die Vampirin von hinten zu sehen, und Snork ebenfalls. Nackt, in Socken, mit einem Steifen …

Erwachsenwerden war wahrscheinlich noch nie leicht, und Filme über dieses Thema gibt es zuhauf. Mal als derbe Klamotte, mal als zarte Komödie. Als ernsthaftes Drama, und dann wieder als düstere Studie eines Untergangs. CEMETERY JUNCTON steht dazwischen, ich wüsste im Moment nicht einmal, in welche Gattung ich den Film stecken sollte, wenn ich es denn müsste. Für ein Drama ist er zu leicht, für eine Komödie zu ernst. Über den meisten Szenen schwebt diese unglaublich intensive Melancholie, die oft mit einem leichten Augenzwinkern verbandelt ist: Der ausgesprochen ekelhafte Wirt vom Bahnhofscafé, der nur und ausschließlich ans Vögeln denkt („Du brauchst eine Versicherungspolice.“ „Ich brauche Porno!!“). Eigentliche eine traurige und abstoßende Gestalt, aber als Filmfigur so liebevoll zum Leben gebracht, und eigentlich dann doch irgendwo wieder ganz nett. Oder Freddies garstige Oma, mit der der Vater streitet, welches Wort widerwärtiger ist: Scheiße oder Katzenarsch. Katzenarschlöcher sind schlimmer als Scheiße. Das ist sowas von eklig …
Und natürlich der Winners’Ball, die Veranstaltung der Versicherung, auf der die neuen Mitarbeiter begrüßt, die alten verabschiedet, und die erfolgreichsten Verkäufer geehrt werden. Die zentrale Szene des Films, und da bleibt einem das Lächeln schon bitter im Halse stecken: Die Verabschiedung des alten Verkäufers durch den Bezirksleiter, der nach 43 Dienstjahren (42 Jahren, Sir) eine gläserne Obstschüssel bekommt. Eine teure, weil die billige gerade nicht vorrätig war, ha ha ha …

Bild Bild

Und obwohl das Ende leider recht ein wenig zu sehr, aber doch auch irgendwie passend, in Richtung Kitsch tendiert, und obwohl in CEMETRY JUNCTION eigentlich(!) gar nicht viel Aufregendes passiert, trotzdem erwachen die Figuren durch die erstklassigen Schauspieler zum Leben und machen das alles so … realistisch. Lebensecht. Ein anderes Wort fällt mir tatsächlich grade nicht ein. Jede dieser Figuren meint man selber zu kennen, oder man könnte sie im wahren Leben jederzeit treffen. Und wenn man sich darauf einlässt, dann steckt in CEMETRY JUNCTION genauso viel drin, wie im richtigen Leben auch. Und genauso, wie es auch dort die einen Menschen gibt die immer nur jammern dass nichts los sei, und die anderen, die aus der verfügbaren Zeit das Optimale rausholen (und die vielen anderen dazwischen selbstverständlich ebenfalls), genauso steckt in dem Film sehr viel mehr drin als nur das tausendste Coming-of-Age-Drama. Keine Anleitung zum gelungenen Ausbruch aus einer verhassten Kleinstadthölle, sondern eher ein Denkanstoß zum Genießen des Lebens.

Bild Bild
Zuletzt geändert von Maulwurf am Fr 16. Apr 2021, 05:36, insgesamt 1-mal geändert.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3303
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Girl boss revenge (Noribumi Suzuki, 1973) 8/10

Ein Versuch einer groben Angabe, in welche Richtung die … ääh … Handlung … gehen könnte. Für übersehene oder falsch verstandene Handlungsstränge wird keine Garantie übernommen … Die Gangs von Gakuran Maya und Kantô Komasa werden in einem gemeinsamen Transport in den Knast gebracht, den sie aber nie erreichen werden: Der Transport wird überfallen, Komasa wird befreit, und die anderen Mädels können erfolgreich flüchten. Man tut sich zusammen und streunt durch die Nachtwelt Osakas. Kleine Gaunereien, größere Prügeleien, aber auch der erste heftige Zusammenstoß mit der North Dragon Group, der alles beherrschenden Gang. Und die haben wahrlich keinen Sinn für Spielereien, außer es geht um Schmerz, Leid und die Abrichtung von jungen Mädchen. Beim Kampf mit der Mädelsgang von Yuki lernt Komasa den Möchtegern-Pornoregisseur Shûji kennen, und durch diesen wiederum den Yakuza Tatsuo. Tatsuo hat das Pech die falschen Leute zusammenzuschlagen, nämlich jemanden der mit dem Boss der North Dragon Group verbandelt ist, für die er ja selber arbeitet. Dadurch gerät sein aufstrebender Stern ins Wanken und er muss einen Boss aus Kobe erledigen. Was er zwar auch tut, aber hinterher steht er auf der Abschussliste seines eigenen Bosses. Tatsuo liebt Maya, die nach einem Messerangriff auf Tatsuos Boss flüchten musste. Jetzt aber rettet er Komasa das Leben, die von den North Dragon-Leuten grausam gefoltert wird. Komasa schläft aus Dankbarkeit mit Tatsuo, aber genau in dem Augenblick kommt Maya zurück und ist tief enttäuscht von Tatsuo. Das Ende vom Lied ist, dass Maya sich mit der Gang von Komasa zusammen tut, um mit dem North Dragon den Boden zu wischen. Und zwar so, dass von denen hinterher nichts mehr übrig ist. Doch bis dahin ist es ein schmerzvoller und langer Weg …

Bild Bild

Bild Bild

Ein Weg, der aus Blut, nackten Brüsten, Schlägen, Ohrfeigen, und dem ein oder anderen toten Yakuza besteht. GIRL BOSS REVENGE hat ein Tempo wie ein Eishockey-Finish, besteht ausschließlich aus Zutaten die das Herz eines jeden Exploitation-Fans schneller schlagen lassen, und er setzt auch noch das Sahnehäubchen einer singenden Hiromi Sairaiji obendrauf. Kein Sahnehäubchen? Schade, aber sie singt trotzdem, und es klingt nicht wirklich gut …
Nichtsdestotrotz ein Film wie ein bewaffneter Streifzug durch Shinjuku. Grell, bunt, laut, rasant, schmerzhaft, lustig, peinlich, sexy, abenteuerlich … Reiko Ike und Miki Sugimoto Seite an Seite im Kampf gegen üble Yakuza, und allein was im Endkampf alles an Waffen eingesetzt wird, vom Feuerlöscher über Golfschläger bis zum Dynamit, ist mehr als sehenswert. Dazu ein treibender funkig-jazziger Score, sowie eine recht solide Aussage in die Richtung, dass Frauen stark sein sollten und auch sein müssen, um sich gegenüber den Männern wohlverdient durchzusetzen. Männer die so richtige Schweine sind („None of you here are human. You’re all just tools to please men. Tools with holes in the middle.“), und die das bekommen was sie verdienen. Die Schauwerte sind fein, das Tempo hoch, die Handlung ist schwachsinnig und der Spaß immens. Was will man mehr?

Bild Bild

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3303
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Das Blau der Hölle (Yves Boisset, 1986) 7/10

Genau genommen ist der Südwesten Frankreichs nicht weit weg vom Südwesten der USA. Eine weite und wilde Landschaft mit einsamen Ortschaften, in denen harte Männer sich gegen Gesetzlosigkeit und Selbstjustiz wehren. Oder diese ausüben. Ned zum Beispiel. Ned (Lambert Wilson) fährt mit seinem geklauten Auto auf den Hof einer Raststätte, legt sich mit einem Gast namens Frank (Tchéky Karyo) an, zündet auf dem Klo einen Haufen Papier an, und als der Wirt nach hinten rennt um das Feuer zu löschen, greift Ned beherzt in die Kasse und geht stiften. Draußen allerdings steht bereits Frank, dem die Sache gut gefallen hat, und der sich halt mal eben zu Ned in das Auto setzt, einfach weil er Lust dazu hat. Die Polizei ist auch gleich da, und es gibt eine ausgesprochen ruppige Verfolgungsjagd auf der Autobahn die damit endet – dass Frank Ned verhaftet, denn der entpuppt sich als Cop. Einer in der Tradition der Kopfgeldjäger aus den Italo-Western, und damit ist die weitere Marschrichtung auch gleich abgesteckt, denn Frank hat partout keine Lust, Ned auf dem örtlichen Kommissariat abzuliefern. Er fährt nach Hause, fesselt Ned an ein Heizungsrohr und schiebt eine Nummer mit seiner Frau Lily. Die ihn zwar gerade verlassen wollte, was durch die Vögelei allerdings nur ein wenig verschoben wird. Am Ende liegt Frank niedergeschlagen im Wohnzimmer, Lily und ihre Schwester befreien Ned, und gemeinsam reitet, nein Verzeihung: fährt man Richtung Grenze. Spanien, Mexiko, wo ist da schon der Unterschied? Ein sich allmählich annähendes gesetzloses Pärchen auf der Flucht vor einem halbirren Sheriff, der nichts anderes will, als seine Frau zurückhaben.

Lily von Frank wegzuholen, das ist wie wenn Du einem Neandertaler das Feuer klaust.

Ein Western im Süden Frankreichs. Eine Liebesgeschichte in der Tradition von Filmen wie GETAWAY: Ein Mann und eine Frau auf der Flucht. Vor dem Gesetz. Vor einem anderen Mann. Weil der andere Mann das Gesetz verkörpert. Ned ist genau der Typ Outlaw, der die Phantasien von Romanschreibern und Filmemachern seit Jahrhunderten beflügelt: Er sieht gut aus, hat einen gewissen raubeinigen Charme, sieht die Sache mit den Gesetzen nicht so eng, ist verlässlich, ein treuer Freund, und ein rücksichtsvoller Liebhaber. Und Frank ist genau der Typ Sheriff, der die Fantasien von Romanschreibern und Filmemachern seit Jahrhunderten beflügelt: Er ist hinterhältig, bösartig, besitzergreifend, und er hat kein Problem damit, das Gesetz, das er ja eigentlich vertreten soll, nach seinem Bedürfnis zu verbiegen.

Und so entfaltet sich eine wüste und wilde Story um Liebe und Hass, um einen gestohlenen und nicht ausgelieferten Ferrari (quasi das Gegenstück zu einem Appaloosa), um vorsichtige Annäherung und schmerzhaften Verlust. Irgendwo zwischen Toulon und Santa Fé, irgendwo zwischen BONNY und CLYDE, mit einem ordentlichen Schuss BETTY BLUE im Zelluloid.

Ich hab mal einem Typen ein Bein gebrochen, nur mit den Händen. So ist das eben.

Ja, und wenn Männer weinen, dann fließen keine Tränen sondern Blei. So ist das eben*. Der Wind des Todes durchweht leise den gesamten Film, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen: Wenn Frank am Ende mit dem Gewehr mit Zielfernrohr auf Ned und Lily losgeht, wird deutlich der gleichnamige englische Western-Klassiker von 1971 hommagiert, in dem Gene Hackman Jagd macht auf Oliver Reed, der ihm seine Frau gestohlen hat. Die gleiche grimmige Erbarmungslosigkeit auf der einen Seite, und die gleiche hoffungslose Räuberromantik auf der anderen Seite. Hier blanker Hass der den Tod sucht, dort verzweifelte Liebe die nur im Tod enden kann. Und das in einer Landschaft, die dem Monument Valley oder der Prärie zwischen Culver City und Almería in Nichts nachsteht. Wo jeder menschliche Kontakt einen Kampf bedeuten kann, wahre Freundschaft etwas Seltenes ist, und wo Vertrauen und Tod Hand in Hand gehen.

DAS BLAU DER HÖLLE ist ein moderner Western im Thriller-Gewand, ein Road-Movie der sich als Gangsterballade tarnt, ein Liebesfilm mit der Anatomie einer Todeshochzeit. Ein Mann und eine Frau wehren sich nach Leibeskräften gegen die Außenwelt, die ihnen nur Böses will. DAS BLAU DER HÖLLE ist wie die Wüstensonne, die auf die verblichenen Knochen der Liebenden scheint: Heiß, erbarmungslos, leidenschaftlich.

* Dieser wunderbare Aphorismus stammt nicht von mir sondern von Sano Cestnik und ist ursprünglich auf Mario Sicilianos Klassiker DER TAG DES SÖLDNERS gemünzt, passt hier aber wie der Finger auf den Abzug …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3303
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Creep (Christopher Smith, 2004) 7/10

Die Londoner U-Bahn ist die älteste U-Bahn der Welt, gebaut ab 1863 und bis heute immer wieder Erweiterungen und Umbauten unterworfen. Im Jahr 2020 hat das Netz der „Tube“ eine Streckenlänge von 402 Kilometern, wovon nicht ganz die Hälfte der Schienen unterirdisch liegt. Es ist klar, dass bei dieser Historie eine Menge Tunnel, Schächte, Gänge und unsagbare Dinge existieren, die nie an das Tageslicht kommen. Obdachlose, die mal mehr und mal weniger geduldet in kleinen Räumen leben, Ratten, Drogenabhängige, Kriminelle, und Kreaturen, die man vielleicht gar nicht näher kennenlernen möchte. Das Außergewöhnliche an der Tube ist aber, dass sie nicht, wie in vielen anderen Städten, rund um die Uhr im Einsatz ist. Ich habe selber in den 80er-Jahren im damaligen In-Viertel Camden oft genug das Problem gehabt, dass die letzte Bahn in Richtung Innenstadt um 22:30 Uhr fuhr, man die letzten Zugaben der Konzerte in den Clubs also oft auslassen musste, um sicher und zügig nach Hause zu kommen. Wer die letzte Bahn verpasste musste dann entweder den nervigen Nachtbus oder ein teures Taxi nehmen. Oder laufen.

Kate, die sich eigentlich auf ein Blind Date mit George Clooney freut, schafft es zwar, rechtzeitig auf dem Bahnsteig zu sein, aber dann verschläft sie den letzten Zug und wird in der Station eingesperrt. Ganz allein in der nächtlichen U-Bahn-Station? Keine schöne Vorstellung, doch gottseidank kommt noch ein allerletzter Zug. Und hält auch tatsächlich. Doch in diesem Zug sitzt Guy, das Arschloch, das sie auf der letzten Party schon dauernd so blöde angemacht hat. Und Guy hat nur eines im Sinn: Sex, bevorzugt eingefordert mit Gewalt. Die Sache mit der Gewalt trifft es auch tatsächlich ziemlich gut, denn während des Vergewaltigungsversuchs wird Guy plötzlich unter die stehende U-Bahn gezogen, und das blutige Etwas, was dann mühsam in Richtung Bahnsteig kriecht, hat mit dem eleganten Guy nur noch entfernte Ähnlichkeit. In den Gängen und Tunneln lebt etwas. Eine Kreatur, dessen Existenz darin besteht, alles, was sich in diese unterirdische Welt verirrt, in SEINE Welt eindringt, grausam zu zerstückeln. Einen Wachmann. Einen Obdachlosen. Und ganz besonders natürlich Kate …

Bild Bild

Die Welt UNTER der Londoner Unterwelt, also das, was neben und in den Tunneln der Underground lebt, das wurde in Neil Gaimans außerordentlichem Roman Niemalsland so anschaulich und intensiv beschrieben, dass man beim nächsten Kurztrip nach London U-Bahn-Stationen wie Shepherds Bush oder Blackfriars tatsächlich tunlichst vermeiden wird. Die Klasse dieses Romans erreicht CREEP nicht, was aber ganz klar an der erzählerischen Qualität Neil Gaimans liegt.
Der ungarische Film KONTROLL, ein Jahr vor CREEP entstanden, hat ebenfalls dieses Sujet als Grundlage: Etwas lebt in der Dunkelheit der U-Bahnschächte und möchte mit allen Mitteln vermeiden, dass es dort gestört wird. KONTROLL ist sehr sehr abgefahren und freakig, dabei aber düster und böse wie die Hölle. Und noch ein Vergleich muss an der Stelle erlaubt sein, nämlich Clive Barkers 2008 gedrehter MIDNIGHT MEAT TRAIN, der zwar ausgesprochen blutig und verstörend ist, meines Erachtens aber einen gewaltigen Nacheil hat: Er ist zu sauber. Bei MIDNIGHT MEAT TRAIN hatte ich trotz den reichlich vorhandenen Blutfontänen immer das Gefühl, als Beobachter einem Film zuzusehen. MIDNIGHT MEAT TRAIN hat mich nicht in die Handlung hineingezogen – Ein merkwürdiges Gefühl, das bei KONTROLL nicht vorhanden war, und was vielleicht mit der verlassenen U-Bahn-Station in Phillip Noyces DER KNOCHENJÄGER am Besten verglichen werden kann – dort nämlich wurde der Zuschauer gewaltig in die Handlung gezogen. Mindestens so unnachgiebig wie der erwähnte Guy unter die U-Bahn.
Und CREEP, um nun endlich mal zum Thema zu kommen? CREEP ist schmutzig. CREEP ist düster und teilweise recht blutig, ohne aber angenehmerweise die Goreschiene komplett zu bedienen – es bleibt genug für die Bilder im Kopf übrig. CREEP ist oft klaustrophobisch und stellenweise ausgesprochen unangenehm (was ich immer dann merke, wenn ich auf dem Sofa hin- und herrutsche und nicht mehr weiß wohin). CREEP ist ein feiner und böser Horrorfilm, der vieles richtig macht und von so Dingen wie einem guten Cast, einem fiesen Score und sehr starken Settings lebt.

Aber trotzdem mag der Funke irgendwie nicht so ganz überspringen. Woran mag das liegen? Sind vielleicht ein paar kleinere Fragen zur Logik unter Umständen entscheidend? Etwa warum der Wachmann dran glauben muss, der ja schließlich jede Nacht dort Dienst tut? Nein, Logik sollte in so einem Film eigentlich kein Problem sein. Wer sich an solchen Dingen aufhängt, sollte schnell feststellen, dass er im falschen Genre ist.
Ist Franka Potente, die ich grundsätzlich schon recht gerne sehe, möglicherweise doch ein wenig zu reserviert und lässt ihre Panik nicht genügend raus? Ich denke da im Vergleich an den britischen Thriller SALVAGE – DIE EPIDEMIE, in dem Neve McIntosh extrem nachdrücklich zeigt, wie weit Mutterliebe gehen kann. Der Begriff „Die Sau rauslassen“ läuft in diesem Zusammenhang schon fast als Euphemismus, und wenn ich mir überlege, dass ich zusammen mit einem blutgeilen Monster in der Londoner U-Bahn eingesperrt bin, dann vermute ich, dass mir außer Weglaufen und in-dunkle-Gänge-eindringen vor allem eines einfallen würde: Angst! Nackte, panische Angst, und Franka Potente wirkt in dieser Situation immer eine ganze Ecke abgeklärter und überlegter, als man es eigentlich erwarten würde. German Angst geht anders …

Bild Bild

Vielleicht ist aber auch Craig das Problem. Craig ist das Ding das dort unten lebt, und was CREEP definitiv positiv aus dem US-amerikanischen Einheitsbrei heraushebt ist, dass keine Fragen beantwortet werden. Zwar werden Andeutungen gemacht wie Craig dorthin gekommen sein könnte, und wie er zu dem geworden sein könnte was er nun ist, aber es wird nichts erklärt. Craig ist einfach, und seine bloße Existenz ist schon Schrecken genug. Ein Mythos, der keine Logik benötigt um zu funktionieren. Richtiger: DAMIT er funktioniert!
Aber es kam mir so vor, als ob die Regie bei der Maske von Craig einen Trick angewendet hat, den William Dieterle 1939 bereits bei DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME einsetzte, nämlich das Monster bei seinem ersten Auftritt sehr furchterregend darzustellen, dann aber ganz allmählich, und kaum spürbar, die Maske zu verändern, weicher zu gestalten, damit der Zuschauer Mitleid mit der geschundenen Kreatur bekommt. Und genau das passiert hier nämlich: Die Vorbereitungen für die Operation Mandys zum Beispiel werden so voller Zärtlichkeit und Sorgfalt ausgeführt, dass das anschließende Blutbad zwar einerseits umso grauenhafter ausfällt, gleichzeitig aber die Figur Craig sehr ambivalent da steht. Nicht als das ultimative Böse, als das Grauen im Licht der letzten U-Bahn, sondern als bedauernswertes Opfer von Umständen, die wir höchstens erahnen können.

Bild Bild

Ein interessanter Ansatz, in einem blutigen Horrorfilm das Metzelmonster zur Projektionsfläche unseres Mitgefühls zu machen. Aber ich befürchte, dass dies genau der Grund ist, warum der Funke eben nicht so ganz überspringt, und CREEP zwar ein guter Horrorfilm ist, aber keiner aus der Spitzenklasse. Sehenswert, keine Frage, aber nicht die Liga von INSIDE und Konsorten.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3303
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Die Leuchter des Kaisers (Karl Hartl, 1936) 8/10

Die namensgebenden zwei Leuchter sind Geschenke des österreichischen Kaisers an eine Verwandte in Petersburg, und der Edelmann Wolenski darf sie auf seiner Reise mitnehmen. Was ihm grade sehr gut zupass kommt, soll Wolenski in seiner Eigenschaft als Agent polnischer Separatisten doch einen Brief an den russischen Zaren mitnehmen, geschrieben vom Sohn des Zaren, der sich in Geiselhaft ebendieser Separatisten befindet, die damit ihren Anführer vor der Verbannung nach Sibirien bewahren wollen. Denn die beiden Leuchter haben ein Geheimfach, wie geschaffen für solche Botschaften, und so kommt es das der eine der beiden Leuchter ein Erpressungsschreiben an den Zaren enthält. Aber der österreichische Kaiser ist wankelhaft, und noch bevor Wolenski die Leuchter abholen kann, hat Frau von Demidow die Aufgabe übernommen, die Leuchter nach Petersburg zu bringen. Und so kommt es, dass der andere Leuchter einen geheimen Brief enthält, in dem die Rolle Wolenskis erläutert wird, sein Doppelleben als polnischer Geheimagent und russischer Edelmann also aufgedeckt wird. Denn Frau von Demidow ist eine Frau, die „von Stadt zu Stadt reist, von Abenteuer zu Abenteuer“ – eine Geheimagentin in russischen Diensten also.
Das wäre ja nun alles noch gar nicht so schlimm, wenn Frau von Demidow die Leuchter nicht gestohlen werden würden! Eine wilde Jagd quer durch Europa beginnt: Von Wien nach Charkow, wieder nach Wien, nach Paris, nach London … Und irgendwann stehen die beiden Gegner vor den beiden Leuchtern, bloß: In welchem Leuchter ist nun welcher Brief?

Bild Bild

Eine aufregende Jagd nach einem MacGuffin, quer durch das Europa vor dem ersten Weltkrieg. Lustig, romantisch, abenteuerlich, und vor allem ausgesprochen spannend und mit viel Gespür für Dramatik, Tempo und Nervenkitzel. Dazu eine zarte Romanze zwischen zwei eigentlichen Feinden, eine tödliche Bedrohung für einen ausgesprochen sympathischen und coolen Großfürsten, edle Dekors und große Ausgestaltung, schwungvolle Musik, geheimnisvolle Geheimgesellschaften … Wie mag dieser klassische Kolportagefilm wohl in einer würdigen Kopie wirken, in der die gehobene Ausstattung und die Atmosphäre der Settings auch richtig zur Wirkung kommen? Johannes Heesters ist als Joe Heesters in einer seiner ersten deutschsprachigen Sprechrollen zu sehen, und Sybille Schmitz ist auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit und ihrer Schauspielkunst, gleich nach FÄHRMANN MARIA. Die Chemie zu dem 13 Jahre älteren Karl Ludwig Diehl stimmt zwar nicht immer, dafür hat aber Diehl in einigen Szenen den grimmigen Charme eines Richard Burton, was dann zu der bezaubernden und oft fast mädchenhaft und spielerisch wirkenden Sybille Schmitz ein interessantes Pendant bildet.

DIE LEUCHTER DES KAISERS ist sicher kein herausragender Film, in keiner Beziehung, aber er bietet ansprechende und aufregende Unterhaltung auf gutem Niveau. Er macht ungeheuren Spaß, setzt die komödiantischen Akzente an den perfekten Stellen und spielt die Europareise auf einem technischen und narrativen Niveau durch, das erst Jahrzehnte später wieder erreicht wurde. Ein k. und k.-James Bond, gewissermaßen. Und wenn ich mir jetzt noch was wünschen dürfte, dann, dass dieser wunderschöne Abenteuerfilm endlich mal ordentlich restauriert werden würde
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3303
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Stalag 69 (Selrahc Detrevrep, 1982) 6/10

Der Nazi-Offizier betritt das Büro der/des Lagerkommandanten/Kommandantin (so klar ist das nicht – einigen wir uns auf Es), und bekommt mit einem Verweis auf die gefangenen Frauen zu hören: „Heil Hitler. Take them! Fuck them!“ Wer sich jetzt mit Schaudern abwendet ist im falschen Genre gelandet, alle anderen dürfen beim munteren Rudelbums mit gefangenen alliierten Spioninnen ihren Spaß haben. Wobei STALAG 69 in den ersten 20 Minuten am meisten Laune macht, nämlich während Es das Geschehen kommentiert, und bei nachlassender Manneskraft wütende Befehle in die Richtung SS-Schergen schleudert: „Come on! Fuck this allied spy! Punish her! Deeper!!“ Danach hat der Film irgendwie den größeren Teil seines Pulvers verschossen. Erinnert der gesamte Beginn noch stark an eine etwas zahme Frühphase von Kink.com, werden im weiteren Verlauf eine Menge Möglichkeiten in den heißen Wüstensand Nordafrikas gesetzt, und der Sex bleibt oft eher etwas vanillaartig. Da es davon aber erstens jede Menge gibt, und sich zweitens die Handlung (häh?) auf ein gutes Stück unterhalb … des allernötigsten Minimums beschränkt, macht das fast gar nichts.
Denn da ist ja noch sie, nein, Verzeihung: SIE! Angelique Pettyjohn als Lagerlesbe, als Inquisitorin mit Reitgerte und ohne Unterwäsche, als strenge Meisterin der Notzucht, als Herrin der Versalien. Die Dame schafft es nicht nur, ihren Text ausschließlich in Großbuchstaben aufzusagen, nein SIE setzt sogar mit jeder ihrer Bewegungen Ausrufezeichen! Das, was IHR gegenüber einer, sagen wir, Dyanne Thorne an Oberweite und Freizügigkeit fehlt (und gegenüber einer Ilsa an Grausamkeit), ersetzt SIE durch boshaftes Lächeln und gestische Satzzeichen. Ein Wunderwerk feminin-dominanter Grammatik, und dann verwundert es auch nicht, dass der an die Wand gefesselte amerikanische Soldat vor(!) seiner Befreiung einen Ständer hat …

Bild Bild

STALAG 69 ist Unfug hoch 3, aber irgendwie ist man den größeren Teil der Zeit am Kichern (wenn nicht sogar am Lachen). Die Frauen sind größtenteils sehr schön und sexy, Angelique Pettyjohn ist eine gestrenge Herrin zum Hinknien, die Dialoge sind ebenfalls zum Hinknien (wenn auch aus anderen Gründen), die sanfte Jazzmusik, die zu den meisten Sexszenen ertönt, klingt wie von Gerhard Heinz komponiert und überzieht viele Momente mit einem Hauch von schimmerndem Etwas, und überhaupt ist dieser Film, laut Epilog, allen Soldaten gewidmet, die ihr Leben im Kampf gegen die Nazis und für die Freiheit gelassen haben. Weswegen er eigentlich ein Muss für jeden wahren Demokraten sein sollte. Und sei es nur, um zu lernen, dass ein ordentlicher Soldat die Befehle einer Ärztin selbstverständlich mit „Jawohl Herr Doktor!“ befolgt …

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3303
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Adam & Eva – Mädchen, die es gerne machen (Erwin C. Dietrich, 1976) 6/10

Esther Moser und Uschi Karnat tun so als ob sie normale Menschen wären und reden über ihr Sexleben, Peggy Markoff und Karin Hoffmann sind sie selbst und, man ahnt es bereits, reden über ihr Sexleben. Dazu wird natürlich auch, welch Überraschung, jede Menge Sex gezeigt, und die Damen und teilweise auch die Herren im Bild (wobei die Herren in den meisten Fällen Roman HuUber sein müsste …) geben Kommentare dazu ab, die zum Fremdschämen geeignet sind. Oder zum hemmungslosen Ablachen.

Bild Bild

„Wenn Sie mich über den Sex so direkt fragen, würde ich sagen, dass der Sex bei uns nicht erst in der Nacht beginnt. Schon wenn ich von der Arbeit heimkomme. Eventuell – Badezimmer?“ „Ja, denn bei uns ist Sauberkeit sehr hoch angeschrieben.“

Bei den ersten Bildern habe ich mich schon gefragt, wieviele Filme von Erwin C. Dietrich ich mir eigentlich noch geben will, bis ich einsehe, dass mich das nicht anspricht. Aber welch Überraschung, ADAM & EVA ist einer der mit Abstand besten Dietrichs meines mit 24 Bildern pro Sekunde vorüberstreichenden Lebens und tatsächlich ausgesprochen sexy. Vor allem Esther Moser und Uschi Karnat wirken beide sehr natürlich und bringen den, an einen Report-Film angelehnten, Interview-Stil recht gut rüber, trotz der dümmlichen pseudobayerischen Synchronisation. Es wurde in sehr langen Einstellungen gedreht, und vor allem Peggy Markoff hatte sichtlich extrem viel Spaß bei der Arbeit. Die Musik von Walter Baumgartner kennt man mittlerweile genauso in- und auswendig wie die Kameraeinstellungen von Bruder Peter Baumgartner, von daher sind die Basiskomponenten alle recht vertraut und sehr wohl dazu geeignet, Langeweile zu verbreiten..

Doch genauso wie bei DIE BETT-HOSTESSEN kann es passieren, dass Onkel Erwin gelegentlich mal aus seiner Routine herauskommt, und plötzlich geschieht dann auch mal was richtig Aufregendes: Wenn das Stöhnen von Uschi Karnat sich mit dem Geratter des Fake-Pornostummfilms aus dem Super-8-Projektor mischt, sich also zwei filmische Ebenen überlagern, dann ist das schon sehr intim und aufregend inszeniert. Aus filmischer Sicht aber vor allem ausgesprochen spannend ist der Beginn des Films, wenn Karin Hoffmann und ihr Stecher beim Dreh eines Sexfilms gezeigt werden, zu denen der Regisseur schnelle und laute Anweisungen gibt und die Kamera deutlichst zu hören ist. Von Erotik ist hier gar nichts zu spüren, das ist eine professionelle Arbeitsumgebung von Sexdarstellern, und nicht mehr. Anschließend sind Hoffmann und der Regisseur aber beim privaten Sex zu sehen, und die Bilder des Filmdrehs und die des „privaten“ Sex mischen sich im Kopf natürlich und ergeben eine spannende und fast verstörende Metaebene. Der Zuschauer weiß genau, dass diese lange und sexy aussehende Szene genau so gedreht wurde, wie sie ein paar Minuten vorher zu sehen war: Unerotisch, nüchtern, berufsmäßig unterkühlt. Eine spannende Mischung, die zu interessanten Gedankengängen führt!

Bild Bild

Den Sinn der letzten 4 Minuten, wenn Pilar Coll Kali Hansa bei einer Show zuschaut (das müsste aus Jess Francos WEISSE HAUT AUF SCHWARZEN SCHENKELN stammen) habe ich nicht verstanden, aber wenn ich Kali Hansa auf dem Bildschirm sehe setzt bei mir sowieso alles aus. Von daher: Ein, für einen Dietrich-Film, überraschend erotischer Hardcore mit einigen der schönsten Damen der damaligen Zeit und hohem Lustfaktor. Nur diese Einrichtungen im Hintergrund! Außer bei Peggy Markoff sind das solche Lusttöter, das man sich irgendwann unweigerlich fragt, wie man selber eigentlich entstanden ist. Mmh, vielleicht ist das der Grund, warum früher beim Sex das Licht ausgemacht wurde: Damit die hässlichen Möbel nicht die Stimmung killen …

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3303
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Das Kommando (Ian Sharp, 1982) 8/10

Terroristen nutzen eine Bürgerrechtsbewegung aus, um hinter den Kulissen einen Anschlag auf die amerikanische Botschaft auszuführen. Der SAS-Soldat Peter Skellen wird zum Schein unehrenhaft entlassen, damit er sich bei den Bösewichtern undercover einschleichen und die Pläne aufdecken kann. Das mit dem Undercover klappt aber leider nicht so gut, woraufhin die Terroristen Skellens Frau und Kind als Geiseln nehmen und ihn zum Mitmachen zwingen.

So weit, so gut: die Handlung ist schnell und einfach erklärt, die Schauspieler sind actionerprobt, und rein prinzipiell ist natürlich von vornherein klar wer gewinnen wird. Die Grundaussage von DAS KOMMANDO ist genauso wie die Machart erzkonservativ, um nicht zu sagen stockreaktionär, und damit muss man als Zuschauer umgehen können. Eine gottverdammte Werbung für den SAS, wo man als tatkräftiger, junger Mann noch so richtig Abenteuer erleben kann: Abseilen aus fliegenden Hubschraubern, Granaten werfen, Gewaltmärsche durch die Wildnis von Wales, Terroristen abschießen, foltern …

Bild Bild

Von der Aussage her steckt DAS KOMMANDO also jeden Chuck Norris-Film locker in die Tasche, aber bei all dem Gemecker fallen trotzdem zwei Dinge auf: Der Flick ist ein ausgesprochen spannender Actionfilm, der technisch auf hohem Niveau und mit blendenden Schauspielern famos aufspielt. Und der gleichzeitig dabei den Zeitgeist aufgreift, und die damals tobende Diskussion über das Für und Wider des atomaren Rüstungswettlaufs erstklassig wiedergibt. Auf der einen Seite die Betonköpfe, die der Meinung waren, das nur durch das militärische Übertrumpfen der jeweils anderen Seite das eigene Land in Sicherheit sei, und auf der anderen Seite eine Bevölkerung, über deren Köpfen ein sehr ernsthafter Kalter Krieg gespielt wurde, mit dem damals sicheren Ausblick auf einen Strahlentod als Damoklesschwert, und die zunehmend gegen diese wunderbare neue Welt protestierte.

Viele Konservative behaupteten damals, dass die Oster-, Friedens- und Anti-Atomkraft-Marschierer in Wirklichkeit aus Moskau oder Ost-Berlin gelenkt würden, und DAS KOMMANDO hängt sich an diese Aussage dran: Eine Bürgerinitiative für Abrüstung dient ganz selbstverständlich als Schutzschild für terroristische Aktivitäten, was auch sonst? Es mag ja sein, dass ganz normale Familien aus Angst um die Zukunft ihrer Kinder dort mitmarschieren, aber wir können im Film auch einen kleinen und fiesen Blick hinter die Kulissen der Macht werfen und werden darüber informiert, dass terroristische und mutmaßlich kommunistische Verschwörungen bis tief in die Schaltzentralen der Regierungen reichen. Ein zugegeben besorgniserregender Blick, der geschickt Spannung und eine verzweifelt wirkende Grundstimmung erzeugt.

Ian Sharp relativiert diese Aussage zwar immer wieder recht geschickt (was dann witzigerweise oft die Aufgabe von Edward Woodward ist, der in den Jahren danach dann im britischen Fernsehen als Equalizer – als „Gleichmacher“ - in der gleichnamigen Fernsehserie aufgetreten ist. Ein englischer Kumpel beschrieb mir die Serie damals als „Robert McCall behandelt alle gleich: Er erschießt sie.“), aber er lässt Lewis Collins’ auch immer wieder Seitenhiebe auf alles sagen, was auch nur irgendwie ein klein wenig links einer Bürgerwehr aufmarschiert.

Bild Bild

Überhaupt, Lewis Collins - Bekannt als Bodie aus der TV-Serie DIE PROFIS, die von 1977 bis 1983 den größeren Teil Westeuropas ziemlich gerockt hat, und für die beiden Hauptdarsteller schauspielerisch den kurzzeitlichen Durchbruch darstellte. Es fällt auf, dass DAS KOMMANDO aus dem Jahr 1982 stammt, somit also während der Laufzeit der PROFIS gedreht wurde, und Lewis Collins spielt hier im Prinzip auch nichts anderes als das, was er als Bodie ebenfalls dargestellt hat: Einen gutaussehenden Haudrauf mit Militärvergangenheit und einer, sagen wir mal, eher rustikalen Eleganz. Judy Davis‘ Charakter Frankie Leith meint über Skellen „Der Fußboden hat zwar einen hölzernen, jedoch sehr animierenden Charme.“ Genau so! Und witzigerweise ist in der Altmännerrunde neben Edward Woodward noch ein ungenannter Befehlshaber, dessen Funktion nicht genau benannt ist, der aber aussieht wie der CI5-Gordon Jackson für ganz ganz Arme …
Interessanterweise hat Ian Sharp drei Folgen der PROFIS gedreht, unter anderem 1980 die Folge Kickback (auf deutsch Mordauftrag für Bodie), in der Lewis Collins zusammen mit einem SAS-Mann einen Undercoverauftrag durchführen soll, sowie 1982 die Folge Operation Susie, eine knallharte und sehr spannende Episode um Agenten, die nicht das sind was sie zu sein scheinen. Die Ähnlichkeiten zu DAS KOMMANDO sind deutlich zu erkennen, und auch die 1982 gedrehte Folge Lawson’s last stand (auf deutsch Lawsons letzter Appell) dreht sich um Militär, um Ehre und Treue, um Soldatenhaftigkeit und darum, dass dieses Land allmählich vor die Hunde geht. Sollte Ian Sharp ein Überzeugungstäter sein? Dafür würde sprechen, dass er einen ausufernden Dialog zwischen Richard Widmark als dem US-amerikanischen Außenminister und Judy Davis Charakter über den Themenkomplex Atomares Wettrüsten – Demonstrationen – Bewaffneter Widerstand führen lässt, und zwar an ausgesprochen prominenter Stelle, nämlich nach dem Eindringen der Terroristen in die Botschaft. Dieser zentrale Dialog endet mit der Aussage des Botschafters „Sie fordern die Abrüstung und beginnen damit bei den westlichen Ländern.“ Ein böser Tritt in Richtung der Existenzberechtigung von Bürgerinitiativen, und, in diesem Zusammenhang viel wichtiger, das narrative Äquivalent zu einer Vollbremsung. Plötzlich steht der Film minutenlang auf der Stelle, und es dauert lange bis die Handlung wieder Fahrt aufnimmt. Offensichtlich war Sharp dieses Thema recht wichtig …

Bild Bild

Wie gesagt, die Grundaussage des Films ist erzreaktionär, und damit muss man beim Anschauen klarkommen. Aber gleichzeitig ist DAS KOMMANDO auch angenehm altmodisch in so Dingen wie Spannung und Action, und lässt Ian Sharp nichts anbrennen. Was den Film zu einem erstklassig zu schauendem Erlebnis mit fragwürdiger Aussage macht, ihn also problemlos in eine Reihe mit Michael Dudikoff- und Chuck Norris-Filmen stellt. Was ja nun wirklich nicht das Schlechteste ist, was man über einen Actionfilm sagen kann, oder?

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3303
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Der Teufel in Miss Jonas (Erwin C. Dietrich, 1974) 7/10

Filme von Erwin C. Dietrich faszinieren mich immer mehr, je mehr ich sehe. Begonnen habe ich mit eher unterdurchschnittlichen Episoden-Heulern im Stil von BLUTJUNGE VERFÜHRERINNEN, und irgendwann kam dann der absolute Tiefpunkt meiner Filmleidenschaft: HEISSER SEX IN BANGKOK - Schlimmer geht nimmer …
Aber seit einiger Zeit entdecke ich zunehmend psychotronische Tendenzen in Dietrichs Filmen: Der unglaubliche, mit Geräuschen aus einem Fußballspiel unterlegte und mit Mehrfachbelichtung gedrehte Rudelbums aus DIE BETT-HOSTESSEN zum Beispiel, oder die Entdeckung der Metaebene in ADAM & EVA – MÄDCHEN, DIE ES GERNE MACHEN. Oder eben DER TEUFEL IN MISS JONAS …

Wir begleiten die erotisch aufgeladene Christa Free als Marilyn Jonas zuerst einmal bei ihrem Tod. Sie landet in der Hölle, beim Teufel: Herbert Fux als der süffisant-zynische Verderber himself. Allerdings erfährt sie auch, dass sie einen Tag zu früh in die Hölle kam, und der Leibhaftige gibt ihr die Chance, für diese eine Nacht zurückzukehren und ein Leben in Buße zu führen. Weiß er doch schließlich genau, dass ihre Lust unstillbar ist, da er ja höchstpersönlich in ihr steckt.
Marilyn kehrt also zurück, erinnert sich an ihre verflossenen Liebhaber, und holt einige davon zu sich, um soviel wie möglich Sex zu haben, bevor es dann endgültig in die Hölle geht. Das nymphomane Dienstmädchen Dorthe muss genauso ins Bett wie Carlos, Jacques und Otto, die allerdings, wir dürfen dem beiwohnen, gleich nach Marilyns Tod ebenfalls mit Dorthe in die Kiste gehüpft sind. Und der Teufel freut sich, und lacht, und lacht …

Psychotronisch? Ja durchaus, denn zwischen den einzelnen Akten rennt Marylin nackt durch den verregneten Wald und begegnet einem Dämon, der sich über sie hermacht, während sie sich lüstern im Gras wälzt. Noch intensiver ist es, wenn Dorthe nackt im nassen Laub liegt, das Becken unaufhörlich hoch und runter stößt, während eine ganze Gruppe von Dämonen sich an ihr delektiert: Marilyn, Otto, Carlos, und auch der Teufel persönlich, alle regennass und mit Dämonengesichtern, befriedigen die kleine und zart gebaute Dorthe. Eine intensive und dunkelerotische Szene, die wie ein Drogenrausch wirkt und den Betrachter geradezu in sich hineinzieht. Ein heidnisches Fest zu Ehren des Gottes Lug, ein Samhain–Ritual im finsteren Wald, so wirkt diese Szene, und alles andere verblasst daneben.

Alles andere? Nein, denn Christa Free mit ihrer Ausstrahlung beherrscht den gesamten Film. Sie steht meilenweit über den idiotischen Dialogen, sie ist Sexus, sie ist die wahre Magierin der Liebe. Ihr Prachtkörper darf in allen erdenklichen Arten bestaunt, und gemeinsam mit den Liebhabern erkundet werden. Was für ein Kontrast daneben die kleine und zart gebaute Marianne Dupont, und gerade aus diesem Wechselspiel ergibt sich trotz aller Billigkeit der Produktion eine ungeheuer starke erotische Wirkung.

Und noch etwas sorgt für Begeisterung beim Zuschauer, nämlich die fantastische Kameraarbeit von Peter Baumgartner. Herbert Fux als Teufel, sowieso schon DIE Rolle seines Lebens, der in einer Einblendung zu sehen ist wenn Marilyn und/oder Dorthe Sex haben, das ist einfach überwältigend. Der Teufel grimassiert, höhnt, lacht, und ist eindeutig derjenige, der die beiden Hauptfiguren zu ihrer Lust führt. Optisch ist dies ein Hochgenuss, und auch die Sexszenen sind hier einige Male sehr gekonnt in Szene gesetzt.

Filme von Erwin C. Dietrich faszinieren mich immer mehr, je mehr ich sehe. Es zeigt sich wieder einmal, dass man die Flinte einfach nicht so schnell ins Korn werfen darf, die wahren Schätze sind oft tief unter dem filmischen Müll der Jahrzehnte verborgen. In Miss Jonas steckt auch so ein Schatz …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3303
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Night of open sex (Jess Franco, 1983) 7/10

Die Nachtclubsängerin Moira wird für viel Geld engagiert, die Stelle einer anderen Frau einzunehmen, um einem sterbenden General ein mysteriöses Geheimnis zu entlocken. Doch das Geheimnis bleibt mysteriös, genauso wie der Fremde, der hinter Moira die Leichen beseitigt (beziehungsweise sie überhaupt erst macht). Als sich die beiden zusammentun kommen sie auf die Lösung des Rätsels, allerdings sind nun mittlerweile die früheren Auftraggeber Moiras auf ihrer Spur.

Ein Gangsterfilm, und ein sehr harter dazu: Wir folgen dem Privatdetektiv Al Crosby und der Striptease-Tänzerin Moira dabei, wie sie auf der Jagd nach einem Goldschatz foltern und töten.
Ein Sexfilm: Wir sehen Moira dabei zu, wie sie sich in mehreren Shows entweder selbst befriedigt oder mit einer Kollegin Sex hat. Vor allem aber sehen wir Moira zu wie sie Sex hat: Nach der Vergewaltigung Moiras durch Al Crosby werden die beiden ganz schnell ein untrennbares Liebespaar. So etwa innerhalb von 30 Sekunden, was aber Moira nicht daran hindert, anschließend mit ihrem Auftraggeber ebenfalls ins Bett zu steigen.
Eine Komödie: Ab dem Zeitpunkt, ab dem Moira und Crosby ein Paar sind, wird der Grundton immer leichter und heiterer. Die grimmige Stimmung vor allem des Beginns ist vorbei, es wird nicht mehr gefoltert, und auch der Sex wird zunehmend harmloser und comichafter. Statt brutaler Gewalt nun lustige Dialoge, wirklich komische Szenen, und ein Showdown, das ich so noch in keinem Film jemals gesehen habe. Die zweite Hälfte von LA NOCHE ist entschieden lustig!

Ja aber, was ist denn LA NOCHE nun eigentlich? Ganz einfach: Gangsterflick, Sexfilm und Komödie, und das alles gleichzeitig. Sehen wir zu Beginn noch in Großaufnahme zu, wie Moira ein eingeschaltetes Brenneisen in die Vagina eines bedauernswerten Opfers stopft, müssen wir gegen Ende tatsächlich stümperhaft eingepackte Schokolade im Goldpapier als Goldbarren hinnehmen. Sehen wir am Anfang zu, wie General von Klaus von Moira mit einem Kissen fast erstickt, und später von Al Crosby kaltblütig hingerichtet wird, gibt es gegen Ende einen vollkommen irrwitzigen und abgedrehten Blowjob zu erahnen, der aus einer Mischung aus Luftgitarre und wildestem Geschmatze Moiras besteht, während Al Crosby gleichzeitig in einem Buch liest. Ertragen wir die Vergewaltigung Moiras, an Händen und Füssen gefesselt und mit einem Pfirsich im Mund vollkommen wehrlos, können wir mit genau dem gleichen Paar nur ein paar Sekunden später friedlich im Mondschein ihren zarten Schweinigeleien (und seinen pragmatischen Antworten) lauschen.

LA NOCHE ist einfach … anders. Bunt. LA NOCHE ist wunderschön gefilmt und mit punktgenau passender Musik hinterlegt. LA NOCHE ist Lina Romay zum hinknien schön. LA NOCHE ist in seinen heftigen Momenten abtörnend und abstoßend, in seinen anziehenden Momenten aber sehr erotisch und oft lustig. Jess Franco schert sich einen Dreck darum, dass ein Film einem Genre zugeordnet werden muss. Stattdessen hüpft er quer durch die Genres, immer mit der passenden und intensiven Stimmung, und zeigt uns einen Bilderbogen, ein Gemisch aus harter Realität und lustigen Märchen. Wer hier einer stringenten Geschichte ohne Logiklöcher folgen will ist entschieden fehl am Platze. Sich den Gefühlen hingeben, gleich welchen, das ist hier das Ziel. Im Sonnenuntergang an einer Strandpromenade entlangfahren. Lina Romay zusehen, wie sie (frei nach J.G. Ballard) simulierten Sex nach einem Autounfall hat. Im warmen spanischen Sommer auf einer luxuriösen Terrasse sitzen und Sex haben, und im Mondschein auf einem Balkon die Stimmung danach genießen. Mit der Pistole im Anschlag die bizarren Stufen des Muralle Roja herabsteigen, auf der Jagd nach einem versteckten Nazischatz.

Sich in dieser Welt verlieren …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Antworten