Was vom Tage übrigblieb ...

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Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Tony Arzenta – Tödlicher Hass (Duccio Tessari, 1973) 8/10

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Tony Arzenta ist ein Top-Killer der Familie Gusto, und Tony Arzenta ist außerdem auch ein sehr liebevoller Familienvater. Und gerade weil ihm seine Familie sehr am Herzen liegt will er aus dem Geschäft aussteigen. Sein väterlicher Freund Gusto hätte damit nur wenig Probleme, aber Gustos Partner müssen auch zustimmen – und die wollen nicht! Zu groß scheint ihnen das Risiko, dass Arzenta plaudert. Um dieses Risiko auszuschließen soll er mit einer Bombe ins Jenseits geschickt werden, doch die Bombe trifft aus Versehen Arzentas Frau und Sohn, und er selbst muss dabei auch noch zuschauen. Nun ja, viele Jahre als eiskalter Killer einer Mafiafamilie schulen einen Mann vor allem in einem: Gnadenlos zu töten. Arzenta reist quer durch Europa, um die Bosse der großen Familien auszulöschen.

So weit der Inhalt, und so weit klingt das auch irgendwie relativ vorhersehbar. Es ist klar, dass die Bombe die Familie treffen wird, und es ist klar, dass Arzenta die Blutwurst macht. Aber auf das Wie kommt es an, und da könnte man sich verschiedene Möglichkeiten ausmalen.

Eine Option wäre zum Beispiel, dass Delon ununterbrochen mit der Knarre in der Hand den Keoma macht, halb Europa in Schutt und Asche legt, und der Zuschauer vor lauter Geknalle irgendwann selig einschläft.
Regisseur Duccio Tessari wählt einen anderen Weg. Ruhige Momente, Dialoge voller Nachdenklichkeit, und einen Killer, der im Angesicht seiner eigenen Rache keine Lust mehr hat zum sinnlosen Töten. Umso heftiger bricht dann die Brutalität in die (filmische) Wirklichkeit, bahnen sich Hass und Spaß am Töten ihren Weg. Das Martyrium von Tony Arzentas Freunden ist schrecklich mitanzusehen, und das miese Lachen der Folterknechte umso mehr. Schmierige, boshafte Menschen die hässliche Dinge tun. Allein der Killer der während Arzentas Abwesenheit auf Sandra aufpasst – Was für ein widerliches Stück Mensch! Und was für eine herausragende Leistung des Schauspielers!!

Wenn ich dann auf der OFDB sehe, dass der von mir sehr geschätzte Matthias Merkelbach den Film als Noir einordnet, beginnen bei mir die Gedanken loszurennen. Warum soll TONY ARZENTA ein Noir sein? Ein Mann, der durch das Schicksal von allem getrennt wird was ihn zum Menschen macht, und der eine einsame Rache in der Unterwelt auszuüben hat. Der prinzipiell erstmal ein böser Mensch ist, ein Killer, und damit im klassischen Sinne nicht als „Held“ dienen kann, bekommt unsere Sympathie und unser Mitleid, und schenkt uns als Zuschauer im Gegenzug so manch memorablen Augenblick, wenn er in der Unterwelt aufräumt. Dass Alain Delon dabei rein prinzipiell nur seine Standardrolle als Auftragsmörder abliefert? Dass die Nebenfiguren oft dem Klischee entsprechen? Geschenkt, und vor allem lassen uns die Schauspieler solche Gedanken ganz schnell vergessen. Bis in die kleinen Nebenrollen exquisit besetzt, ist TONY ARZENTA gleichzeitig ein Genrefilm und Schauspielerkino wie man es immer wieder gerne sieht. Alain Delon als Tony Arzenta, gequält und getrieben, sich vor sich selbst ekelnd und doch keinen Ausweg mehr wissend. Carla Gravina als Sandra, die ihm beisteht, der er beisteht, und die für ihn schlimmste Dinge bereit ist auszuhalten. Giancarlo Sbragia als Tonys Freund Luca Dennino, heimlicher König der Kopenhagener Unterwelt und möglicherweise Mittler zwischen Tony und den Bossen. Richard Conte als Tonys Boss und Freund Gusto, der über den Mord an Tonys Familie genauso schockiert ist wie Tony, aber aus anderen Gründen. Seine Mit-Bosse sind Roger Hanin, Anton Diffring und Lino Troisi – Eine miese Fresse nach der anderen, und was für großartige Schauspieler, selbst wenn sie nur ihr Standardrepertoire abrufen.

Ja, TONY ARZENTA ist ein Noir Film. Ein Mann, dem sein eigenes Schicksal aus der Hand genommen wird, der zu Dingen gezwungen wird, die er nie tun wollte, und deren Ablauf ihm zunehmend entgleiten. Ein Mann der Böses tut, und dem doch unsere Sympathien gehören. Dazu eine Kamera (Silvano Ippoliti!), die nie den Menschen in den Mittelpunkt stellt, sondern seine Umwelt. Die die Menschen an den Rand des Bildes stellt und sie damit als Kreaturen darstellt, die über ihr eigenes Schicksal nicht frei entscheiden können, sondern immer von außen gesteuert werden. Da ist dieser Moment, wenn Tony in das Zimmer seines ermordeten Sohnes geht - Die Leere und Kargheit dieses Raumes spiegelt sein eigenes Seelenleben wieder, und Tony wird von seinen Gefühlen genauso überwältigt wie der Zuschauer. Solche Momente hat es viele, und sie heben TONY ARZENTA aus dem Mittelmaß heraus und zaubern ein besonderes Stück Film aus dieser wohlbekannten Geschichte. Einen Film voller Melancholie und Brutalität, voller Nihilismus und Gefühl, der mit einer guten Geschichte und herausragenden Schauspielern aufwarten kann. „Tödlicher Hass ist kein Meisterstück, doch allemal ein Werk klassischen europäischen Erzählkinos, wie es heute kaum noch zu finden ist.“ schreibt Matthias Merkelbach, und diesem Fazit ist nichts hinzuzufügen.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Sie töten aus Lust (Félix Rotaeta, 1987) 4/10

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Antonio Banderas und Mathieu Carrière zusammen in einem Film. Und nicht einmal ein Omnibusfilm, oder eine gemeinsame Szene, nein, sondern tatsächlich die beiden gleichberechtigten Hauptrollen! Und als weibliche Dreingabe noch Victoria Abril, die so viele europäische Exploiter und Arthouse-Filme der späten 70er und frühen 80er durch ihre Anwesenheit veredelt hat, und später dann bei Pedro Almodóvar Stammschauspielerin wurde. Wow, was für ein cineastisches Fest! Wirklich?

Luis und Andrés treffen sich eher zufällig. Bei einem Auftragsmord, für den sie beide als Killer angeheuert wurden, erledigen sie gleichzeitig eine unliebsame Zeugin. Beide mit der gleichen Präzision, und beide mit der gleichen Kaltschnäuzigkeit. Als sie sich kurz darauf zufällig wiedertreffen entsteht schnell eine Freundschaft zwischen den Männern, denn sie erkennen sich im jeweils anderen wieder: Beide sind innerlich leer, sind auf der Suche nach Sinn, leben inhaltsleer vor sich hin und verzweifeln an ihrer Situation. Luis hat Bock auf Leben, vögelt gelegentlich mit der schnuckeligen La Merche, und weiß eigentlich nicht so recht was er will. Hauptsache leben! Andrés ist Mathematikprofessor und verlobt mit der ältlich wirkenden Ana, die ihn mit ihren Ansprüchen und noch viel mehr mit ihrer dominanten Freundin Luisa einfach nur nervt. Mal ein Fick mit einer Studentin, und ansonsten nur das innerliche Kopfschütteln über Ana und über die Mütter der beiden. Dies, und der Rest ist Leere.

Die Männer treffen sich zum Schießen. Und sie erkennen, dass ihnen das Spaß macht. Dass dies ihrem Leben Sinn gibt. Schnell werden aus Scheiben Menschen – Luis und Andrés entführen Leute und richten diese geradezu hin. Die Studentin die mehr will von Andrés? Schuss! Die nervenaufreibende Ana? Schuss! Ein paar betrunkene Mädels die mit den gutaussehenden Männern ins Bett wollen? Und Schuss! Dumm nur, dass wenn Menschen verschwinden, deren Angehörige und die Polizei auf den Plan treten.

Die Handlung klingt nicht uninteressant. Sie klingt nach Filmen wie MENSCHENFEIND oder nach spanischen Nihilismus-Dramen wie HUNTING GROUND, mit viel Blut und krasser Aussage. Eine Symbiose aus Genrefilm und Kunstkino. Und dann noch mit diesen Schauspielern, was kann da schon schief gehen?

Nun ja, es hat seinen Grund, warum SIE TÖTEN AUS LUST eher unbekannt ist. An den Schauspielern liegt es nicht, das darf ich feststellen, aber die Inszenierung ist so dermaßen trocken und langweilig, dass das Interesse an dem Film im Laufe der knapp 90 Minuten fast unweigerlich flöten geht. Da hat es Szenen die wie von Pedro Almodóvar gedreht wirken, mit nervigen Menschen, deren uninteressanten Problemchen, und alle reden durcheinander und überbieten sich gegenseitig in ihrem Lärmen und ihrem idiotischen Verhalten. Nebendarsteller am Rande des Nervenzusammenbruchs. Dann wieder die spröden Bilder der Männerfreundschaft, die über gemeinsames Schießen und Whiskytrinken definiert wird, ohne dabei aber inhaltlich in die Tiefe zu gehen. Und zu guter Letzt die Momente des Tötens, die in ihrer Direktheit teilweise sehr verstörend wirken und durchaus unter die Haut gehen können. So, Bilderzyklus beendet, jetzt kommt wieder Almodóvar. Der Auftritt des Kommissars ist wie eine groteske Fernsehshow aufgemacht und entsprechend beeindruckend, passt aber wiederum so gar nicht zu dem Rest des Films. Vor allem, weil der Kommissar auch alles andere als ein Idiot ist. Dann werden wieder Beziehungsprobleme zwischen Luis und La Merche gewälzt, Luis schaut Antonio Banderas-like in die Kamera, es wird Whisky getrunken, und gemeinsam fährt man wieder zum Töten. Auftritt Luisa, die dann wieder diesen Anflug von Skurrilität ins Spiel bringt, undsoweiterundsofort.

Ein gewiefter Regisseur drückt so einem Puzzle sehr wohl seinen Stempel auf und kann aus so unterschiedlichen Ansätzen auch problemlos ein schmackhaftes Mahl zaubern. Félix Rotaeta, der in der OFDB mit ganzen drei Filmen gelistet wird, von denen dieses der zweite (und letzte Kinofilm) ist, ist kein gewiefter Regisseur! Ich möchte ihm in aller Höflichkeit die Erfahrung absprechen, aus einer heterogenen Story ein homogenes Ganzes zu gestalten, und einen roten Faden in etwas einzuweben, was ohne diesen Faden schnell in eine verwirrende und/oder langweilig werdende Szenenabfolge mündet. Denn genau so funktioniert SIE TÖTEN AUS LUST: Szenen werden hintereinander gestellt, es gibt auch Zusammenhänge, aber es ergibt sich kein zwingendes Sujet, keine überzeugende Einheit, ja nicht einmal ein spannendes Konglomerat verschiedener Einflüsse. Wir sehen zwei Männern zu, wie sie mit versteinerten Gesichtern und ohne äußerliche Regungen in die Hölle fahren, und dies in einem filmischen Rahmen, der zum Gähnen oder zur Beschäftigung mit dem Handy einlädt. Schade, Thema verfehlt.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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