After Blue (Dirty Paradise) - Bertrand Mandico (2021)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

After Blue (Dirty Paradise) - Bertrand Mandico (2021)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

5c1697e23c891cf564a678ef3a7ea566.jpeg
5c1697e23c891cf564a678ef3a7ea566.jpeg (1.28 MiB) 189 mal betrachtet

Originaltitel: After Blue (Paradis sale)

Produktionsland: Frankreich 2021

Regie: Bertrand Mandico

Cast: Paula Luna, Elina Löwensohn, Vimala Pons, Agata Buzek, Michaël Erpelding, Mara Taquin, Claïna Clavaron, Claire Duburcq, Anaïs Thomas


In nicht allzu ferner Zukunft hat die Menschheit die Zerstörung der Erde endgültig zum Abschluss gebracht. Zuflucht findet man auf einem Planeten, den man wegen seines Status als Nachfolger des untergegangenen Blauen Planeten auf den Namen „After Blue“ tauft. Nur einem Teil der Menschheit allerdings ist der Fortbestand gesichert, denn auf „After Blue“ herrscht ein Klima, das es Männern unmöglich macht, dort auch nur ein paar Minuten zu existieren. Die Gruppe Frauen, die es bis in die entlegene Galaxie geschafft hat, springt mit dem Verlust alles Maskulinen pragmatisch um: Das Aussterben des Menschengeschlechts wird mittels Samenkonserven von der Erde verhindert; ansonsten hat sich ein lesbisches Matriarchat herausgebildet, unter dessen Ägide man sich in tribalistische Strukturen aufgesplittert hat, und ein zwischen archaischen Riten und moderner Technologie angesiedeltes Dasein führt.

Das Drama nimmt seinen Lauf, als Teenagerin Roxy mit ihren Freundinnen am Strand umherspaziert. Das Verhältnis der jungen Frauen zueinander scheint mehr als ambivalent zu sein. Anders gesagt: Roxy wird von ihren vermeintlichen Freundinnen verspottet und gemobbt, wo es nur geht. Als die Gruppe eine Frau findet, die jemand bis zum Hals in den Sand eingebuddelt hat, entladen sich die negativen Gefühle der Halbwüchsigen an der Wehrlosen, einzig Roxy verspürt Mitleid mit der Eingegrabenen. Als ihre Freundinnen ihr den Rücken zuwenden, hilft sie der Fremden aus ihrer misslichen Situation, - und wird sogleich mit der Erfüllung eines Herzenswunsches belohnt: Die Fremde, die sich Kate Bush (sic!) nennt, schießt sämtliche Begleiterinnen Roxys erbarmungslos über den Haufen, um unsrer schockierten Heldin anschließend unter die Nase zu reiben, dass sie ihre Gedanken lesen könne, und gesehen habe, dass in ihr schon lange Groll gegenüber ihren Freundinnen herrscht, der sie sich wünschen ließ, sie sollten vom Erdboden verschwinden: Nun seien noch zwei Wünsche offen.

Der Stamm, dem Roxy angehört, zeigt sich freilich wenig amüsiert über die Aussicht, eine kaltblütige Killerin in ihrer Nähe zu wissen. Tatsächlich sind es Mitglieder der Dorfgemeinschaft gewesen, die Kate am Sand vergruben, um die Verbrecherin durch die nahende Flut aus dem Leben schwemmen zu lassen. Durch ihre spontane Befreiungsaktion hat Roxy schwere Schuld auf sich geladen, weshalb sie mit ihrer Mutter losziehen soll, um die Flüchtige zur Strecke zu bringen. Das Mutter-Tochter-Gespann begibt sich auf eine kraftraubende Odyssee in eine Welt, die zu beschreiben ich erst noch das eine oder andere Adjektiv erfinden müssten, denn was Bertrand Mandico uns hier einmal auftischt, das geht, wie es so schön heißt, auf keine intergalaktische Kuhhaut…

Wie bereits in seinem Langfilm-Debüt LES GARCONS SAUVAGES (2018) mixt Mandico Gender/Queer-Sensibilitäten, Genre-Versatzstücke (Western, Sci-Fi, Sword&Sorcery-Fantasy) und einen irgendwo zwischen Arthouse-Manierismus, Low-Budget-Trash und Kunstinstallation pendelnden audiovisuellen Overkill, (der sich hier vor allem in den zugleich unbeschreiblich schönen wie unbeschreiblich campy Kulissen und Kostümen niederschlägt), um eine an sich bereits reichlich verschrobene Geschichte gegen den Strich der narrativen Konventionen zu erzählen: Als ob man den Tschechischen-Neue-Welle-Klassiker KONEC SRPNA V HOTELU OZON mit kostengünstigen Italo-Rip-Offs von MAD MAX gemixt hätte; als ob man die feministische Variante einer mittelalterlichen Aventiure im Rahmen eines überbordenden Art-Happenings erzählen wollte; als ob Stereotypen irgendeines Italo-Western ihres Ursprungskontext entrissen und in eine sinnlich-kitschige Cyberpunk-Zukunft geschleudert worden wären, wo die Waffen die Namen von Kosmetikfirmen tragen, wo Flora und Fauna bis zum Bersten sexuell aufgeladen sind, wo die Gesetze von Zeit, Raum und menschlicher Logik nicht mal mehr pro forma auf dem Papier existieren. Da AFTER BLUE, wie gesagt, spektakulär aussieht; da der Cast trotz aller Bizarrerie sehr nahbar wirkt; da AFTER BLUE sich nicht einer leicht augenzwinkernd-ironischen Note verwehrt, ist das Ergebnis freilich alles andere als verkopfter Elfenbeinturm-Eklektizismus, sondern, wie schon LES GARCONS SAUVAGES, eine wahlweise verstörende oder verzückende Hommage an eine Form von Kino, die man heutzutage mit der Lupe suchen muss, und meist trotzdem nicht findet.
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40644
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: After Blue (Dirty Paradise) - Bertrand Mandico (2021)

Beitrag von buxtebrawler »

Interessant. Manch Kritik im Netz rät ja eher ab, bei dir hingegen scheint das Konzept aufgegangen zu sein.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten