Clouzot - Meister des psychologischen Thrillers - Gibert

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Clouzot - Meister des psychologischen Thrillers - Gibert

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Le scandale Clouzot

Herstellungsland: Frankreich / 2017

Regie: Pierre-Henri Gibert

Mitwirkende: Pierre Assouline, Bertrand Blier, Pascal Bonitzer, Xavier Giannoli, Bong Joon Ho, Dominik Moll, Aurélien Recoing, Michèle Ressi, Bernard Stora, Jacques Tardi u. A.
Einstündige Dokumentation über das Leben, das Werk und die Motivation des französischen Filmemachers und Regisseurs Henri-Georges Clouzot. Nach ersten filmischen, vielbeachteten Gehversuchen im noch von den Nazis besetzten Frankreich - eine Beschäftigung, die ihm noch Jahre nachhängen würde - entwickelte sich Clouzot nach dem Krieg zu einem detailverliebten Arbeitsbesessenen, der die psychologischen Abgründe seiner Figur abbildete, indem er seine Schauspieler einer ähnlichen Tortur unterwarf. Selbst verfolgt von Depressionen, mangelndem Selbstwertgefühl und Verlustängsten, fokussiert er in seinen Filmen auf Figuren, die bemüht sind, die Kontrolle über ihr Leben zu erhalten oder sie zurückzugewinnen. Im Lauf seiner Karriere inszeniert Clouzot nur 10 Filme, hinterlässt jedoch mit "Lohn der Angst", "Quai des Orvèvres", "Die Teuflischen" und dem unvollendeten "L'Enfer" ein reichhaltiges Erbe...
Quelle: www.ofdb.de
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Clouzot - Meister des psychologischen Thrillers - Gibert

Beitrag von buxtebrawler »

„Er inszeniert menschliche Neurosen als packendes Schauspiel!“

Henri-Georges Clouzot gilt nicht wenigen Cinephilen als französisches Pendant zu Alfred Hitchcock, wenngleich Clouzots Œuvre als Regisseur weit weniger umfangreich ausfällt. Nachdem er sein Jurastudium abgebrochen hatte und nach einem kurzen Stelldichein als Journalist wechselte er 1931 ins Filmfach, zunächst als Editor. In Neubabelsberg erstellte er französische Fassungen deutscher Filme und arbeite während der Zeit der Besatzung Frankreichs durch die Nazis für die deutsche Produktionsfirma Continental, bevor eine Lungenkrankheit seine Karriere vier Jahre lang unterbrach. 1942 debütierte er als Regisseur der Fortsetzung des französischen Thrillers „Sie waren sechs“, „Der Mörder wohnt in Nr. 21“. Ein Jahr später erschien „Der Rabe“, nach dem er von der Continental gefeuert wurde. Nach Kriegsende erhielt er wegen seiner Arbeit für diese zunächst Berufsverbot, das jedoch nach zwei Jahren aufgehoben wurde. Dafür wurde ausgerechnet „Der Rabe“ verboten und erst 1969 rehabilitiert. Zu seinen populärsten Werken zählen die Spielfilme „Unter falschem Verdacht“ (1947), „Lohn der Angst“ (1953), und „Die Teuflischen“ (1955), die nachhaltige Wirkung bei nachrückenden Filmemachern erzielten (so drehte beispielsweise William Friedkin 1977 mit „Atemlos vor Angst“ ein packendes „Lohn der Angst“-Remake).

„Ein gefährlicher Typ!“

In seinem rund einstündigen, für den französisch-deutschen TV-Sender Arte produzierten Dokumentarfilm „Clouzot - Meister des psychologischen Thrillers“ aus dem Jahre 2017 zeichnet der französische Regisseur Pierre-Henri Gibert ein Porträt des sperrigen Filmemachers, geht Mythen auf den Grund, führt zahlreiche Interviews mit Weggefährt(inn)en und Expert(inn)en, reiht Filmausschnitte und zahlreiche historische (Archiv-)Aufnahmen aneinander und beleuchtet nicht nur Clouzots Arbeitsweise, sondern auch den Menschen Clouzot mit seinem Privatleben. Ein Sprecher aus dem Off führt durch die Dokumentation, die in Clouzots Kindheit ansetzt – bereits mit fünf Jahren habe er seine ersten Thriller geschrieben! – und seine frühe Karriere abdeckt. Sein Bruder Jean kommt zu Wort, der seine Erinnerungen mit dem Publikum teilt. Man erfährt, dass Clouzot alptraumgeplagt war und unter Schlafstörungen litt sowie von seiner schweren Lungenerkrankung, die sich bereits in jungen Jahren bemerkbar machte – ein persönliches Trauma, das er in „Der Mörder wohnt in Nr. 21“ verarbeitete. Filmemacher Xavier Giannoli stellt die Verbindungen zwischen Clouzots Filmen und dessen Biografie her.

„Sie sind glücklich? Sie interessieren mich nicht mehr.“

Schriftsteller Pierre Assouline erzählt von der Zeit der nazideutschen Besatzung und hebelt einige der Vorwürfe, die Clouzot bezüglich seiner Arbeit für die Continental entgegenschlugen, aus: Clouzot habe sich an keine der von Goebbels auferlegten Regeln gehalten. Die Filmemacher Bernard Stora und Bertrand Blier wissen ebenfalls über jene Phase zu berichten, die „Der Rabe“ wie eine Parabel auf die Denunziantenbriefe aus der Besatzungszeit erscheinen lässt. Suzy Delair, Clouzots ehemalige Lebensgefährtin, kommt schließlich ebenso zu Wort wie Schauspieler Bernard Blier, ergänzt um einige ältere Archivaufnahmen ehemaliger Weggefährtinnen und -gefährten in Interview-Situationen. Chronologisch geht es weiter durch Clouzots Schaffen: Zu „Unter falschem Verdacht“ äußern sich Filmemacher Dominik Moll und Zeichner Jacques Tardi und weisen auf die expressionistischen Einflüsse hin, die der Film verarbeitet. Mit dem unvollendeten „Le voyage en Brésil“ habe Clouzot sich neu erfunden, sein Meisterwerk jedoch wurde „Lohn der Angst“, der, für die damalige Zeit ungewöhnlich und aufwändig, nicht im Studio gedreht worden war. Der Dreh musste unterbrochen werden, konnte aber zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden. Das sind spannende Produktionsnotizen, die die Doku hier vermittelt, ferner richtet sie die Aufmerksamkeit auf bemerkenswerte Details des Films wie die Geräuschkulisse, die einen klassischen Soundtrack ersetzt, und die sadomasochistisch anmutende Beziehung zwischen den Hauptrollen. Neben Moll kommen dessen asiatischer Kollege Bong Joon Ho und Clouzot-Mitarbeiterin und -Freundin Michèle Ressi zu Wort.

„Die Teuflischen“ wird als Zusammenspiel einer schwachen (Clouzots Ehefrau Véra) mit einer starken Schauspielerin (Simone Signoret) charakterisiert. Clouzot thematisierte in diesem Film die Herzkrankheit seiner Frau, die dann leider tatsächlich sehr früh verstarb. Clouzot ließ seine eigene Ehefrau also schauspielerisch ihre eigene Krankheit noch einmal durchleiden. Generell galt er nicht nur als Pessimist, der partout nicht allein arbeiten konnte, sondern auch als gnadenlos am Set, seine Schauspielerinnen und Schauspieler habe er sogar körperlich gezüchtigt. Archivaufnahmen vom Dreh erlauben einen Blick hinter die Kulissen des Films. Nachdem „Die Wahrheit“ und seine Zusammenarbeit mit Brigitte Bardot aufgegriffen wurden, geht es hinsichtlich seiner Beziehung zu seiner Frau Véra noch etwas in die Tiefe, bevor man sich Clouzots letzten Experimentalfilmen und seiner Arbeit an mehreren Filmsets parallel widmet und auf seine immer stärker werdenden gesundheitlichen Probleme eingeht, ungeachtet derer er bis zur Erschöpfung arbeitete.

Dass „Clouzot - Meister des psychologischen Thrillers“ nicht Clouzots gesamtes filmisches Werk abdeckt, ist schade, wäre in nur einer knappen Stunde Spielzeit aber auch nur schwer möglich gewesen bzw. zu Ungunsten des jeweiligen Informationsgehalts gegangen. Die diversen Spoiler der Filmenden/-Pointen wären jedoch verzichtbar bzw. wären entsprechende Warnungen angebracht gewesen. Dafür gelingt es Pierre-Henri Gibert aber, ein Bild eines einflussreichen, profilierten Filmemachers als leidenschaftlichen, regelrecht obsessiven, von Krankheit und inneren Dämonen geplagten und geleiteten, sich mit seinen vielen Ecken und Kanten behauptet habenden Künstlers zu zeichnen. Dies erleichtert den Zugang zu seinen Filmen mit ihrer düsteren Weltsicht und ihrer spannenden Inszenierung menschlicher Abgründe sowie ihrer expressiven Ästhetik als europäische Vertreter des Film noir, die sich zu entdecken oder wiederzuentdecken lohnen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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