Die Eiche - Mein Zuhause - Michel Seydoux, Laurent Charbonnier (2022)

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Salvatore Baccaro
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Die Eiche - Mein Zuhause - Michel Seydoux, Laurent Charbonnier (2022)

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Originaltitel: Le chêne

Produktionsland: Frankreich 2022

Regie: Michel Seydoux, Laurent Charbonnier

Cast: Eichhörnchen, Eichelhäher, Wildschweine, Mäuse, Nutria, Käfer und alles, was sonst noch im Umkreis einer Waldeiche lebt


Eine mehrere hundert Jahre alte Eiche in der zentralfranzösischen Sologne-Landschaft. Ein Eichhörnchen haust in ihrem Geäst, Waldmäuse haben sich unter ihren Wurzeln eingenistet; ein Eichelhäherpärchen sorgt in ihrem Blätterdach für Nachwuchs, Wildschweinrudel ziehen vorbei und reiben ihre Flanken an der Stammesrinde; Rüsselkäfer haben Sex, legen ihre Eier in die Eicheln, fallen anschließend tot von den Zweigen, Eulen und Habichte halten Ausschau nach leichter Beute. Beobachtet wird das alles über Monate hinweg von einem Gaumont-Kamerateam unter Aufsicht des renommierten Produzenten Michel Leydoux und des Naturfilmers Laurent Charbonnier, der bereits vergleichbare Werke wie LES ANIMAUX AMOUREUX (2007) in seiner Vita stehen hat.

Die Besonderheit von LE CHÊNE, wie der achtzigminütige Film im Original schlicht heißt, sticht sofort ins Auge: Verzichtet wird komplett auf einen Off-Kommentar, stattdessen sollen die stellenweise sensationellen, stets überästhetisierten Bilder für sich selbst sprechen, und ganz ohne menschliche Worte vom Kreislauf des Lebens erzählen, wie er sich rund um die titelgebende Eiche zwischen einem Frühling und dem nächsten vollzieht: Schnee bedeckt den Wald, die Mäuse kuscheln sich im Winterschlaf zusammen, das Eichhörnchen gräbt nach Futter, das es im Sommer für die frostigen Tage verbuddelt hat; im Frühling erwachen die Triebe, Hirschbrunftschreie durchhallen den Forst, die Eichelhäherjungen sperren fordernd die Schnäbel auf; Herbstblätter fallen, Sommerhitze macht den Tieren zu schaffen, und dazwischen ereignen sich unvorhergesehene Katastrophen wie ein Wolkenbruch, der die unterirdischen Behausungen unserer Mäuschen flutet. Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge, kitschig wie Postkartenmotive, faszinieren die Regisseure genauso sehr wie Detailaufnahmen von Vorgängen, die dem menschlichen Blick normalerweise verborgen bleiben: Wie paaren sich eigentlich Käfer? Wie sieht das aus, wenn ein Habicht einem Eichelhäher hinterherstellt? Wie sind Ameisenstraßen organisiert?

Einen Kommentar gibt es, wie gesagt, nicht, - zumindest keinen, der aus Worten besteht, denn auf einen Soundtrack und eine Klangkulisse, kompiliert aus Naturgeräuschen, verzichten Charbonnier/Seydoux natürlich nicht, wobei gerade ihre Musikauswahl öfter recht einfallslos wirkt. So filigran auch das Sounddesign ist, das die einzelnen Töne und Laute von Flora und Fauna als Nature-Recording-Mixtape in die Gehörgänge rückt, so plakativ kommt es daher, wenn die erwähnte Rüsselkäferbalz von einem Dean-Martin-Mambo unterlegt wird, wenn ein paar wenige gar nicht mal sonderlich beeindruckenden Computer-Animationen, die uns das Wachstum von Pilzen oder die Photosynthese im Innern von Blättern veranschaulichen sollen, mit pulsierendem Elektro untermalt werden, oder wenn zu Winterimpressionen unvermittelt eine Händel-Arie ertönt.

Einen Kommentar gibt es, wie gesagt, zwar nicht, - doch im Grunde ist die Montage schon Kommentar genug. Zugutehalten muss man LE CHÊNE, dass der Film allzu groben Anthropomorphismen fernbleibt, und sich bemüht, die Tiere tatsächlich Tiere bleiben zu lassen, und doch kann nicht geleugnet werden, dass für manche Kreaturen mehr Sympathie geweckt wird als für andere, und dass dies mit den menschengemachten Konnotationen einhergeht, mit denen diese Tiere kulturell in der westlichen Welt belegt sind. Während Eichhörnchen, Mäuse und Eichelhäher stets derart inszeniert werden, dass sie uns zwangsläufig ans Herz wachsen, bleibt für Füchse, Eulen und sonstige Raubvögel bloß der Antagonisten-Status, und dienen die sowieso recht selten auftauchenden Wildschweine vor allem zur Belustigung, wenn immer wieder detailliert eingefangen wird, wie sie sich die Borsten an Baumstämmen schrubben. Überhaupt spart LA CHÊNE die grausamen Seiten der Natur gänzlich aus – weshalb er völlig zurecht ab 0 Jahren freigegeben wurde. Wie die Tiere Vegetarier wurden, könnte der Untertitel lauten, denn jedweder Versuch von Räubern, sich einen köstlichen Happen zu sichern, geht letztlich ins Leere, sei es nun, dass eine Eule mitternachts eine Maus attackiert, sei es, dass eine Natter hinauf zum Eichelhähernest kraucht, um dessen Brut zu verschlingen, sei es, dass ein Habicht einem Eichelhäher hinterhersaust, - allesamt Szenen, die damit enden, dass dem jeweiligen Raubtier sein Opfer in allerletzter Sekunde durch die Lappen geht.

Action ist sowieso ein gutes Stichwort, um LE CHÊNE strukturell zu fassen: Für Kontemplation ist bei diesem Schnittgewitter nämlich kein Platz, das mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Sensationsfilms es nicht aushält, eine Einstellung länger als zwei, drei Sekunden selbstgenügsam stehen zu lassen. Aktion folgt auf Aktion, die Ereignisse überstürzen sich im Sekundentakt, jede aufsehenerregende Kamerafahrt muss mit der nächsten spektakulären Aufnahme getoppt werden – was auf die Dauer einen durchaus ermüdenden Effekt hat: Man wünscht sich förmlich, einfach mal minutenlang den Mäusen beim Schlafen, den Rehen beim Grasen, dem Eichhörnchen bei der Nahrungssuche zuschauen zu dürfen, und statt dass irgendeiner dieser im positiven Sinne banalen Momente lange genug ausgespielt wird, um die permanente Abfolge von Schauwerten wenigstens kurzfristig stagnieren zu lassen, gibt es stattdessen schon die nächste affizierende Attraktion.

Und das ist wirklich zu schade, denn was hätte man aus dem Material nicht alles machen können? Stattdessen gehen die Verantwortlichen auf Nummer sicher: Die Songs müssen gefällig sein wie die Bilder; der Schnitt orientiert sich an den gängigen Sehgewohnheiten, unterbietet sie zuweilen mit seiner völligen Konfrontationsscheu sogar noch; spätestens nach einer Stunde wünsche ich mir, dass es wieder Frühling wird und der eigenartig monotone Reigen sein Ende findet.

Ja, was hätte man nicht alles aus dem Material machen können? Dabei rede ich nicht mal von einer nicht-jugendfreien Fassung, mit all den Sex- und Gewaltszenen, die Charbonnier/Seydoux mit Sicherheit gefilmt haben, ihrer glattgeschleckten Vision vom Waldleben jedoch nicht integrieren wollten, - sondern davon, dass man den Mikrokosmos Eiche mit allem, was dort kreucht und fleucht, doch sicherlich wesentlich mutiger, wesentlich herausfordernder, wesentlich weniger prototypisch hätte darstellen können. In der Form, wie dieser sich auf dem Papier prächtig anhörende, bei der Umsetzung indes eklatante Mängel offenbare Film letztlich in die Lichtspielhäuser gelangt ist, wirkt LA CHÊNE wie ein Text, der das Potential zu einem berührenden Gedicht gehabt hätte, weil die treffenden Worte vorhanden sind, dem aber völlig ein betörender Rhythmus fehlt, der seine Worte stumpf aneinanderreiht, der sich lieber aufs naheliegendste Reimschema verlässt statt kühn auf den ersten Blick nicht zusammenpassende Bilder zu kombinieren, und der mich deswegen weitgehend kalt ließ.
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