Don't Deliver Us from Evil - Joël Séria (1971)

Moderator: jogiwan

untot
Beiträge: 6906
Registriert: Do 16. Sep 2010, 16:53

Re: Don't Deliver Us from Evil - Joël Séria (1971)

Beitrag von untot »

Genial böses Stück von einem Film, kein Wunder das der verboten wurde damals.
Was ganz harmlos anfängt steigert sich allmählich bis hin zum Schluß bei dem einem buchstäblich die Spucke weg bleibt, weil man damit ja nun überhaupt nicht gerechnet hat.
Das Drehbuch ist großartig, die Besetzung auch die beiden Mädels spielen gut zusammen, die Drehorte versprühen einen morbiden Charme, besser gehts eigentlich nicht.

8,5/10
Bild
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40644
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Don't Deliver Us from Evil - Joël Séria (1971)

Beitrag von buxtebrawler »

Nachdem der Franzose Joël Séria („Marie, the Doll“) aufgrund eines Unfall seine Schauspielkarriere beenden musste, sattelte er aufs Regiefach um und debütierte im Jahre 1971 mit dem Drama „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“, zu dem er auch das Drehbuch selbst verfasst hatte und der zum Skandalfilm geriet: Bereits nach Drehbuchsichtung noch vor Drehbeginn prophezeite man ihm ein Totalverbot des antiklerikalen Films und so kam es auch. In Großbritannien indes wurde der Film erfolgreich als Exploiter vermarktet und über Umwege schließlich auch in seiner Heimat nachträglich anerkannt.

Die vierzehnjährigen Klosterschülerinnen Anne (Jeanne Goupil, „Mich machen alle an!“), die aus gutem Hause stammt, und Lore (Catherine Wagener, „Desirella“), aus einfacheren Verhältnissen kommend, verbindet eine tiefe Freundschaft. Unter der Bettdecke lesen sie zusammen die provokante und sexuell freizügige Erwachsenenliteratur de Lautréamonts und Baudelaires und schwören, ab sofort auf die christliche Lehre zu pfeifen und sich voll und ganz dem Bösen zu verschreiben. Federführend ist dabei Anne, Lore folgt ihr willfährig und so werden auf dem Beichtstuhl aufreizende Geschichten dem Pfaffen erzählt und lesbische Nonnen denunziert. Was jedoch noch verhältnismäßig harmlos beginnt, gewinnt an Boshaftigkeit, als Annes Eltern in den Sommerferien verreisen und ihre Tochter mit dem Personal alleinlassen. Lore kommt Anne besuchen und gemeinsam setzt man dem zurückgebliebenen Gärtner Leon und anderen Dorfbewohnern übel zu, provoziert den Bauern Emil sexuell, bis dieser beinahe Lore vergewaltigt und lockt schließlich einen unbekannten Mann ins Haus, der mit dem Auto liegen geblieben war. Die Situation eskaliert vollends...

„Und erlöse uns nicht von dem Bösen“, der mangels Geldgeber mit einem minimalen Budget auskommen musste und größtenteils mit Laiendarstellern realisiert wurde (was man ihm indes zu keinem Zeitpunkt anmerkt), ist einerseits inspiriert vom neuseeländischen Fall der jugendlichen Muttermörderinnen Pauline Parker und Juliet Hulme (von Peter Jackson als „Heavenly Creatures“ verfilmt), andererseits von Sérias persönlichen Erfahrungen als Klosterschüler, weshalb der Film u.a. zu einer wütenden Abrechnung sowohl mit dem bigotten Klerikus wurde, was ihm seine Blasphemie-Vorwürfe einbrachte, als auch mit Eltern, die ihre Kinder schlichtweg in derartige, von ihm als Gefängnisse bezeichnete Einrichtungen abschieben. So wird die kirchliche Doppelmoral aufs Korn genommen, wenn Klosterschwestern lesbische Beziehungen unterhalten und der Pfarrer rote Ohren bekommt und zugleich die Gefahr autoritärer religiöser Erziehung bei Vernachlässigung durch die eigenen Eltern aufgezeigt: Die indoktrinierte Lehre kann aus Protest ins Gegenteil verkehrt werden und dadurch nicht wieder gutzumachenden Schaden anrichten, Kinder und Jugendliche suchen sich in Ermangelung der Eltern eigene Bezugspersonen und Vorbilder, hier die skandalträchtigen Dichter, deren Worte die Mädchen für bare Münze nehmen.

In oft wunderschönen sommerlichen Bildern radeln die Mädchen durch die trügerische Idylle und lachen vergnügt, dass man meinen könnte, man befände sich in einem Heimatfilm. Fröhliche Musik geht einher mit leicht melancholischen Orgelklängen und Séria versteht es, mittels beider (zwar jung aussehenden, aber zum Drehzeitpunkt volljährigen) Hauptdarstellerinnen eine subtile Erotik zu erzeugen, ohne ihnen eine lesbische Beziehung andichten zu müssen. Doch manch Szene tut richtiggehend weh; bewusst wird die Grenze des Erträglichen ausgereizt, wenn Vögel vergiftet werden oder Mitglieder der christlichen Gemeinde auffallend schnell vom frommen Hörigen zum geifernden Triebgesteuerten werden und sich auf Lore stürzen. Andere Szenen wie die einer satanischen Prozession der Mädchen bieten Anlass für schon beinahe irreal durchkomponierte Bilder mit einer ganz eigenen, faszinierenden Ästhetik. Zwischenzeitlich eingestreute Zweifel Annes erinnern den Zuschauer daran, dass es sich nach wie vor um ein menschliches, emotionales Wesen handelt, was es zusätzlich erschwert, sie schlicht zu hassen – der Zuschauer bleibt eine Art Komplize der beiden, die zwischen anarchischen Streichen und garstiger Boshaftigkeit agieren. So auch, wenn sie am Schluss bei einer Schulaufführung statt der abgesprochenen christlichen Texte Baudelaire rezitieren und schließlich die unfassbare Konsequenz aus den Vorfällen um den unbekannten Mann mit der Autopanne ziehen.

Welch ein Schlusspunkt unter diesen Film, der ein wunderbares Beispiel dafür ist, welch schier unerschöpfliches Füllhorn die ’70er an originellen Filmen waren! Mit zum Gelingen trugen die Hauptdarstellerinnen bei, von denen unglaublicherweise die unheimlich ausdrucksstarke Jeanne Goupil im Gegensatz zu ihrer Kollegin Catherine Wagener über keinerlei Schauspielerfahrung verfügte, jedoch erfrischend frech, natürlich und unbedarft aufspielt, dass es der reinste Genuss ist. Sie blieb der Schauspielerei fortan erhalten und wurde Joël Sérias Ehefrau. Aber generell gibt es hier keine darstellerischen Ausfälle zu beklagen, ebenso wenig gibt es handwerklich etwas zu bemängeln. Ein auch in Zeiten zurückgegangenen Einflusses der Kirchen nach wie vor gleichermaßen faszinierender wie verstörender Film, der sowohl als doppelbödiger Autorenfilm als auch als Exploitation-Film die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, für ein letzteres erwartendes Publikum aber diverses den reinen Unterhaltungseffekt Torpedierendes bereithält.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
Adalmar
Beiträge: 7336
Registriert: Do 12. Mai 2011, 19:41

Re: Don't Deliver Us from Evil - Joël Séria (1971)

Beitrag von Adalmar »

Lohnt sich eigentlich von der Bildqualität her gesehen der Kauf der Bildstörung-DVD, wenn man die Mondo Macabro schon hat?
Bild
Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 500
Registriert: So 23. Mär 2014, 22:02

Re: Don't Deliver Us from Evil - Joël Séria (1971)

Beitrag von Prisma »


Jeanne Goupil    Catherine Wagener   in

UND ERLÖSE UNS NICHT VON DEM BÖSEN

● MAIS NE NOUS DÉLIVREZ PAS DU MAL / DON'T DELIVER US FROM EVIL (F|1971)
mit Bernard Dhéran, Gérard Darrieu, Marc Dudicourt, Véronique Silver, Jean-Pierre Helbert und Michel Robin
eine Produktion der Société Générale de Production | Productions Tanit
ein Film von Joël Séria


Bild
»Zu sündigen ist inzwischen unsere Hauptbeschäftigung!«
Die beiden 14jährigen Klosterschülerinnen Anne und Lore interessieren sich nicht sonderlich für das, was Mädchen ihres Alters normalerweise so umtreibt. Statt sich mit so profanen Dingen wie Jungs abzugeben, lesen sie nachts lieber heimlich unter der Bettdecke die Werke von Lautréamont und Baudelaire und huldigen, ganz dem verführerischen Reiz des Verbotenen erlegen, ihrer einzig wahren Liebe, dem Teufel. Angefacht von ihrer Leidenschaft für das Böse und dem Plan, ihrem Liebsten zu imponieren, um sich ihm bei einem Hochzeitsritual vollends hingeben zu können, beginnen die beiden in den Sommerferien, den Männern aus ihrem Dorf gemeine Streiche zu spielen. Was als Spiel aus Verführung und Demütigung beginnt, gerät aber zusehends außer Kontrolle... [Zitat: "Und erlöse uns nicht von dem Bösen", erschienen bei BILDSTÖRUNG]

Bild

Der sehr stimmungsvoll klingende Titel des Films war Anreiz genug, ihn mir zuzulegen, da mich von darstellereischer Seite eher mit unbekannten Gesichtern konfrontiert sah, und um es direkt zu betonen; dieser Beitrag ist einer der beachtlichsten, die ich auf das Genre reduziert, in den letzten Jahren zu sehen bekam! Zunächst zeigt sich die Handhabe der Regie, im Rahmen bestehender Konventionen als sehr progressiv im Veranschaulichen der Thematik, und es wird schnell deutlich, dass sich dieser Film sehr stark von der Konkurrenz abheben wird. Die optisch unschuldig anmutenden Protagonistinnen Anne und Lore wirken in ihrer Unberechenbarkeit teils beängstigend, und bedienen ein einfaches Prinzip erstaunlich sicher und überzeugend, ja, etwa nach dem Motto, was passieren könnte, falls man einem Schimpansen eine Pistole in die Hand drückt. Dieser, im übertragenen Sinne angeführte Vergleich bezieht sich natürlich auf die Unberechenbarkeit und Ursache und Wirkung, da die Regie zwar offensichtlich und gerne auch lauthals, aber äußerst clever mit Institutionen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abrechnet, so dass unterm Strich kein sensationslüsterner Film zurückbleibt.

Das perfide Element in der gesamten Inszenierung sind und bleiben die beiden Protagonistinnen. Als Zuschauer findet man sich nämlich ebenfalls in einem Wechselbad aus Faszination und Abscheu wieder, und es ist oft schwer zu ordnen, was die beiden Mädchen alles so treiben. Die allgemeine Provokation beschwört nicht nur bei den Beteiligten eindeutige Reaktionen, sondern dem Zuseher geht es ebenso. Verwirrung stiften Anne und Lore durch ihr unscheinbares Aussehen. Bei 14jägrigen Klosterschülerinnen, die zwischen Unschuld und Laszivität hin- und herpendeln, fühlt man sich irgendwie ertappt, gerade weil man ihnen zuschaut. Allerdings waren die Hauptdarstellerinnen damals bereits 21, beziehungsweise 20 Jahre alt, was nur noch mehr Zustimmung in Richtung dieser unmöglich perfiden Inszenierung bringt. In Krimis wird man von Seiten der Regie beispielsweise gerne zum Komplizen gemacht, hier möchte Joël Séria den Zuschauer verführen, und originellerweise quasi selbst zum Sünder werden lassen, was gleichzeitig bedeutet, dass es bei diesem Stoff keine hohe Distanz zu finden gibt, obwohl er aufgrund fehlender Exposition keineswegs distanzlos, oder besser gesagt aufdringlich wirkt.

Bild

Anne und Lore stammen beide aus sehr betuchten Verhältnissen. Damit brauchbare und gottesfürchtige Ehefrauen aus ihnen werden, schickte man sie auf eine Klosterschule. Dabei springen ihre eigenen Mütter als Prototypen der Frau mit einer Art ins Auge, die es mit allen Mitteln zu verhindern gilt. Kultiviert, brav und langweilig. Wenige Szenen im Kloster erinnern an einschlägig bekannte Abhandlungen in diversen anderen Filmen, lediglich ein zaghafter Blick durchs Schlüsselloch, wo man eine Schwester mit einer Novizin beim leichten Vorspiel sehen kann, doch die Warnungen vor der gefährlichen Fleischeslust und die erhobenen Zeigefinger der Moral schweben allgegenwärtig wie schwarze Schatten umher. Bei der Predigt stellt sich Anne den Pfarrer halb nackt vor, der dabei von der Kanzel herab am Fluchen ist, oder bei der Beichte spielt sich in ihrer Vorstellung der Anfang einer sexuellen Handlung mit ihrem Beichtvater ab. Auch wenn das nach wenig aussieht, aber immerhin spielt sich alles Weitere in den Gedanken der Zuschauer ab. Immer wieder wird die unbändige Lust nach Brutalität und Vandalismus gezeigt, beispielsweise das Quälen einer jungen Katze oder das Töten von kleinen Vögeln, und dieser Verlauf nimmt seelenruhig und beinahe unbemerkt aggressivere Formen an.

Die Mädchen suchen sich erwachsene Männer aus, die sie anspitzen indem sie sich ihnen anbieten, und sich wie erwachsene Frauen aufführen, oder wahlweise wie Prostituierte. Doch nur aus Büchern und der Fantasie lässt es sich eben nicht kopieren oder erlernen, so dass man andere Seiten der Herren kennen lernen muss, was in einigen Fast-Vergewaltigungen gipfelt, bis auch schon der kleine Showdown kommt, den man tatsächlich erahnt hat, weil die logische Konsequenz so unausweichlich erscheint. Wie eine solche dann schließlich aussehen kann, bekommt man schließlich im großen Finale mit einem großen Schock offeriert. Handwerklich gesehen, bewegt sich "Mais ne nous délivrez pas du mal" auf aller höchstem Niveau, und besticht durch elegante Settings und Details, atmosphärisch dichte Bilder und einer feierlich klingenden Musik von Dominique Ney, die den Film trügerisch-idyllisch, aber auch verheißungsvoll begleitet und den Titel untermauert. Die teils bizarren Dialoge versetzen in Staunen und dieser Beitrag von Joël Séria ist schon ein grotesker, und schließlich kleiner Geheimtipp geworden. Beachtlich!
Antworten