Entfesselte Begierde/Female Vampire - Jess Franco (1973)

Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Re: Entfesselte Begierde/Female Vampire - Jess Franco (1973)

Beitrag von buxtebrawler »

Stumm und blind auf Madeiratlantis

„Für die Lust, die sie erzeugen, lohnt es sich vielleicht, zu sterben!“

Als der umtriebige spanische Vielfilmer Jess Franco („Die Säge des Todes“) seiner späteren Muse und Ehefrau Lina Romay begegnete, traf ein Voyeur auf eine Exhibitionistin, was den Beginn einer sehr langen und fruchtbaren filmischen Zusammenarbeit bedeutete. Erstmals stand Romay für Franco 1972 in „Eine Jungfrau in den Krallen von Frankenstein“ vor der Kamera, ein Jahr später be- bzw. vielmehr entkleidete sie die Hauptrolle in Francos „Entfesselte Begierde“, einem Sexfilm mit Vampirhorror-Anleihen.

Die stumme Gräfin Irina Karlstein ist die letzte Verbliebene ihres Geschlechts, einer Vampirin aus Atlantis, auf dessen oberirdischen Rest, der Ferieninsel Madeira, sie residiert. Um weiter auf Erden wandeln zu können, benötigt sie nicht nur das Blut ihrer Opfer, sondern auch deren Ausscheidungen beim Empfinden höchster Lust. Dass ihre Liebesgespielen und -gespielinnen dabei stets das Zeitliche segnen, trägt dazu bei, dass Irina ein Dasein in Einsamkeit führt, dessen sie immer überdrüssiger wird…

„Der Mann wurde durch einen Mund getötet.“

Die Romay läuft oben ohne, nur mit einem schwarzen Umhang, einem Gürtel und Stiefeln bekleidet, zu schwelgerischem Klaviergeklimper durch den Wald, die Kamera scheint ihren Körper regelrecht abzutasten (tatsächlich kommt es sogar zu einer Berührung). Beim Autofahren – einer im Laufe des Films immer wieder verwendeten Szene – erklärt sie sich aus dem Off, Jack Taylor („Die Jungfrau und die Peitsche“) als atlantisforschender Baron von Rathony tut es ihr während der Körperhygiene vorm Spiegel gleich. Überhaupt wird in „Entfesselte Begierde“ verdammt viel aus dem Off sinniert, schließlich ist die Gräfin stumm – ebenso übrigens wie ihr Diener (Luis Barboo, „Reise zur Insel des Grauens“). Franco höchstpersönlich tritt als Gerichtsmediziner Dr. Roberto auf, der schnell die These parat hat, Vampirismus wäre für das Ableben der Person verantwortlich, deren Leichnam er gerade oberflächlich untersucht. Er kontaktiert den blinden Professor Orloff (Jean-Pierre Bouxyou, „Foltermühle der gefangenen Frauen“), der neben einer offenbar rein dekorativen Brille ein paar Mörderkoteletten im Antlitz spazieren trägt (ok, Bartstutzen mit Sehbehinderung ist eine besondere Herausforderung), in diesen Fällen, da dieser irgendetwas über ähnliche Phänomene geschrieben habe.

„Sie sollten sich schnellstens mit übersinnlichen Dingen beschäftigen!“

Doch zurück zu Gräfin Irina, denn diese drei Kerle sind lediglich Beiwerk und Stichwortgeber ihrer Schau: Minutenlang räkelt sie sich nackt auf dem Bett und lässt sich dabei beobachten, leckt am Bettpfosten und masturbiert an ihm – und laugt ihre Opfer in ausgiebigen Softsex-Szenen sexuell komplett aus, beispielsweise die Journalistin, die zum Interview (wir erinnern uns, die Gräfin ist stumm…) gleich mal im Bikini erscheint, oder die S/M-Domina, von der sie sich zuvor hat auspeitschen lassen, aber die Szene in einen lesbischen Dreier mit der Studiochefin kehrt – sie verfügt nämlich über die Gabe, Menschen telepathisch zu manipulieren. Der blinde Professor Orloff betatscht die Domina schließlich ausgiebig, als sie auf Dr. Robertos Tisch gelandet ist und „ertastet“, dass ihr die Eierstöcke entfernt wurden…

Eine tragische, fatalistische Note verleiht Franco der Handlung, als sich Irina in den poetisch angehauchten, von einer gewissen Schwermut geplagten Baron verliebt, ihn aufgrund ihrer unkontrollierbaren Triebhaftigkeit jedoch ebenfalls töten muss. Daraufhin trifft sie einen folgeschweren Entschluss: Sie ertränkt sich in einem Blut-Wasser-Gemisch. Dr. Roberto ist ihr längst auf den Fersen, dringt in ihr Schloss ein, tötet ihren Diener und hält ob ihres Anblicks inne – ihr Tod wird dem Zuschauer dadurch versinnbildlicht, dass sie schließlich in den Wald zurückgeht, aus dem sie eingangs kam.

Franco versuchte augenscheinlich, mit einem arg knappen Budget einen künstlerischen Film mit verträumter, melancholischer, schwermütiger Atmosphäre zu schaffen und dem begehrenswerten jungen Körper seiner Lina ein filmisches Denkmal zu setzen. Versteht man „Entfesselte Begierde“ als Liebeserklärung an Lina Romay, wirkt er nicht nur plötzlich auf eine ganz eigene, irgendwie einnehmende Weise romantisch und liebenswürdig, sondern ist man auch eher bereit, die vielen Schwächen des Films zu verzeihen. Der Verquickung des Vampir-Mythos (der Name Karlstein ist unschwer erkennbar inspiriert von den Vampirlesbierinnen der „Hammer Productions“) mit dem der versunkenen Stadt Atlantis macht nämlich nicht viel her und bei den Dialogen haben sich einige unfreiwillige Schenkelklopfer eingeschlichen, zudem wirken die poetischen und philosophischen Momente häufig bemüht bedeutungsschwanger und die Handlung derart spontan dahingeschludert, dass sie nicht nur wenig Sinn ergibt, sondern auch ihre Funktion als reine Staffage eines Softsex-Films kaum zu verbergen mag.

Die Hingabe, mit der Franco seine Lina bespannt, ist hingegen nicht zu übersehen, ebenso wenig die Leidenschaft, mit der sie es geschehen lässt und sich lustvoll vor der Kamera räkelt, was sogar zu einer echten Masturbationsszene auf einem ihrer Opfer führt, die nicht durch die furchtbar unästhetischen HC-Inserts der Langfassung mit Pornodarstellern eingefügt wurde. Die Stimmung des Films ist durchaus düster und morbide, Franco gelang es, das sonnige Madeira entsprechend in Szene zu setzen, wenngleich dieser Effekt immer mal wieder durch die eher unpassende musikalische Untermalung Daniel Whites torpediert wird.

Fazit: Für Lina-Romay-Fans unverzichtbar, als Geschenk Francos an Lina von rührender persönlicher Bedeutung wie „etwas Selbstgebasteltes“, für Uneingeweihte jedoch sicherlich schwer genießbar – wer mit Franco dann und wann etwas anfangen kann, dürfte hier aber einen durchschnittlich unterhaltsamen Erotikfilm vorfinden, der wacker gegen alle Unzulänglichkeit anzuästhetisieren versucht und den irgendwie liebgewonnenen experimentellen, spontanen, impulsiven und organischen, unperfekten Charakter seines Schöpfers aus jedem Filmkorn stöhnt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Reinifilm
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Re: Entfesselte Begierde/Female Vampire - Jess Franco (1973)

Beitrag von Reinifilm »

jogiwan hat geschrieben:ich hab den doch als etwas dröge in Erinnerung. Jedenfalls vermag ich mich dunkel daran zu erinnern, dass hier nicht allzu viel passiert...
Einem Bekannten hat ich den "Female Vampire" mal ausgeliehen - sein Fazit: "Wenn ich weiß, dass ich nur noch 1,5 Stunden leben werde, dann werde ich diesen Film sehen - dann habe ich wenigstens das Gefühl, dass ich noch vier Stunden lebe..." :D
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Re: Entfesselte Begierde/Female Vampire - Jess Franco (1973)

Beitrag von purgatorio »

Reinifilm hat geschrieben:
jogiwan hat geschrieben:ich hab den doch als etwas dröge in Erinnerung. Jedenfalls vermag ich mich dunkel daran zu erinnern, dass hier nicht allzu viel passiert...
Einem Bekannten hat ich den "Female Vampire" mal ausgeliehen - sein Fazit: "Wenn ich weiß, dass ich nur noch 1,5 Stunden leben werde, dann werde ich diesen Film sehen - dann habe ich wenigstens das Gefühl, dass ich noch vier Stunden lebe..." :D
ich brech ab! :lol: :lol: :lol: großartiges Bild! :thup:
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buxtebrawler
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Re: Entfesselte Begierde/Female Vampire - Jess Franco (1973)

Beitrag von buxtebrawler »

Reinifilm hat geschrieben:Einem Bekannten hat ich den "Female Vampire" mal ausgeliehen - sein Fazit: "Wenn ich weiß, dass ich nur noch 1,5 Stunden leben werde, dann werde ich diesen Film sehen - dann habe ich wenigstens das Gefühl, dass ich noch vier Stunden lebe..." :D
Immer diese Hektiker... Klingt als wäre dein Bekannter Lina Romays Charme nicht erlegen ;)
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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CamperVan.Helsing
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Re: Entfesselte Begierde/Female Vampire - Jess Franco (1973)

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Was wäre bloß aus der Geschichte des eurozentrierten Exploitationfilms geworden, wenn nicht 1972 ein gewisser Jesús Franco Manera auf eine gewisse Rosa Maria Almirall getroffen wäre? Zunächst hätte es diesen Film dann nicht geben können, in dem der Voyeur Franco die Exhibitionisten Almirall (die sich nun Lina Romay nannte) mit all ihren Körperrundungen ausgiebig abfilmte. Insofern darf man die Story als reines Alibi verstehen, Lina fast durchgängig nackt zu zeigen. Eine Variation dieser Konstellation stellt ja aus der 1976 in Francos Dietrich-Phase entstandener Marquise de Sade/Doriana Grey dar, der ja auch in der Handlung eine Parallele zieht, als dort eine junge Adelige sehr zurückgezogen lebt, um dann von einer Klatschblattreporteuse interviewt zu werden, warum sie denn so zurückgezogen lebt.

Anyway, Lina nackt unter einem langen Cape und in hohen Lederstiefeln, natürlich ist sie eine Vampirette und natürlich erinnert das an Rollin. Daniel White komponiert grandiose Streicher- und Klavier-Musik. Jack Taylor darf seinen Jack herzeigen, die Gage muss wohl OK gewesen sein. (Er hieß ja eigentlich Scheck Taylor... :roll: ) Alice Arno und Monica Swinn schauen mal eben auf kleine S/M-Session vorbei, während Lina ihrer Existenz immer überdrüssiger wird, da sie unter dem Fluch steht, ihre Sexualpartner zu töten und deren Genitalien dauerhaft unbrauchbar zu machen.

Zugegeben, ein wenig kürzer hätte der Film schon ausfallen können, der zwischendurch dann doch etwas langatmig gerät. Wenn es aber gelingt, sich auf das langsame Tempo einzulassen, dann gerät man rasch in den Bann der Lina R. und es stört auch nicht, dass Lina attraktiver wirkt als sie tatsächlich ist. Und Daniel White könnte ich in der richtigen Stimmung hier stundenlang zuhören. Übrigens hat White in den Score doch tatsächlich ganz kurz ein musikalisches Zitat von "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" eingebaut. :shock: Vermutlich deshalb gibt es auf der deutschen Tonspur dann auch noch eine Fischverkäuferin zu hören, die vermutlich direkt vom Fischmarkt ins Studio geholt wurde und ca. 1 Minute lang frische Fische ausruft. :o

Die uralte VHS von "Action Video" enthielt übrigens noch zwei oder drei kurze Szenen, in den Lina sich trotz ihrer Stummheit intensiv um mündliche Überlieferungen bemühte. In der aktuellen DVD vom großen X ist das nicht mehr der Fall, in der als Bonus enthaltenen "deutschen Bahnhofskinofassung" hingegen wohl in weitaus größerem Ausmaß, wie ein kurzes Durchzappen zeigt.


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jogiwan
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Re: Entfesselte Begierde/Female Vampire - Jess Franco (1973)

Beitrag von jogiwan »

Es gibt ja wohl nur wenige Filme, die sich dem Zuschauer so derart dröge präsentieren wie „Female Vampire“ a.k.a „Erotikill“ a.k.a. „Entfesselte Begierde“ oder unter welchen Titel man den bedauernswerterweise vor die Linse bekommt. Wo Jean Rollin seine weiblichen Vampire mit entrückter Grundstimmung nackt vor hübschen Naturkulissen filmt und das Ganze wunderbar melancholisch daherkommt, wirkt dasselbe beim Jess Franco leider nur sehr billig und die unterschiedlichen Erzählstränge über eine uraltes Vampir-Geschlecht aus Atlantis, eine Mordserie auf Madeira, eine forsche Journalistin und einem lebensmüden Adeligen bleiben episodenhaft und finden nie so richtig zueinander. Manche Dinge wirken unmotiviert und arg peinlich und Franco verwechselt knisternde Erotik mit dem Abfilmen weiblicher Geschlechtsorgane, die sich wahlweise gegen Bettpfosten, Zierkissen und sonstige Dinge reiben. Alles bleibt generisch, lieblos aneinandergereiht mit einer Hauptdarstellerin, die halbnackt in der Gegend herumläuft und mit ihrer Dialog-losen Rolle überfordert scheint. Eine Handlung ist nur rudimentär vorhanden und als halbwegs ernstzunehmender Vampirfilm scheitert „Entfesselte Begierde“ ja ohnehin krachend. Jess Franco hat in seiner viel zu langen Karriere ja einige Rohrkrepierer gedreht, aber der extrem langweilige „Female Vampire“ wirkt schon besonders unschlüssig, improvisiert und unmotiviert zusammengefügt, wie man es selbst als unerschütterlicher Optimist im europäischen Genrefilm selten zu Gesicht bekommt.
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Blap
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Re: Entfesselte Begierde/Female Vampire - Jess Franco (1973)

Beitrag von Blap »

jogi: "Your thoughts verge a little too much on the fantastic. It's a pity."
Jess: "You on the contrary have no imagination. That's a pity!"

:opa: :mrgreen:

Natürlich einer der schönsten Filme aller Zeiten! Meine damalige Bewertung (7,5/10) ist eine Frechheit. Nach einigen weiteren Sichtungen: Höchstnote!
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Arkadin
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Re: Entfesselte Begierde/Female Vampire - Jess Franco (1973)

Beitrag von Arkadin »

Blap hat geschrieben: Mi 17. Aug 2022, 09:28 jogi: "Your thoughts verge a little too much on the fantastic. It's a pity."
Jess: "You on the contrary have no imagination. That's a pity!"

:opa: :mrgreen:

Natürlich einer der schönsten Filme aller Zeiten! Meine damalige Bewertung (7,5/10) ist eine Frechheit. Nach einigen weiteren Sichtungen: Höchstnote!
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FarfallaInsanguinata
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Re: Entfesselte Begierde/Female Vampire - Jess Franco (1973)

Beitrag von FarfallaInsanguinata »

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