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Produktionsjahr: Frankreich 2013
Regie: Philippe Garrel
Darsteller: Louis Garrel, Esther Garrel, Anna Mouglalis, Rebecca Convenant, Olga Milshtein
Was ich vermisse, ist, dass man in größerer Gemeinschaft solche quasi-religiösen Erfahrungen macht wie die, die einem heutzutage beispielweise in einem Kinobesuch offenstehen. Ich stelle mir vor, in früheren Zeiten, ein flackerndes Lagerfeuer, darum unzählige Menschen gruppiert, und einer von ihnen liest den anderen etwas vor oder improvisiert etwas, besingt etwas, dichtet etwas aus dem Stegreif oder aus dem reichen Fundus der Märchen, Sagen und Legenden, die noch nicht aus den Wäldern vertrieben worden sind, oder eine Theaterbühne, aus Stein gehauen, in einer namenlose Wüste, wo Gestalten mit grotesken Gebärden und archaischen Tonmasken halbsingend und halbredend eine Geschichte erzählen, die jeder zu jeder Zeit und an jedem Ort verstehen könnte, oder etwas später, die Kinos voller rauchender Jünglinge und Mädchen, die mit untergeschlagenen Beinen so weit wie möglich vorne vor der Leinwand sitzen, damit sie die ersten sind, die die Bilder empfangen, und der Raum ist finster wie eine Kirche und die Leinwand beleuchtet wie ein Fenster aus Glas, auf dem Maria Magdalena ihre Sünden vergräbt, und bis auf letzteres ist das alles irgendwie weggebrochen, denn wer liest schon noch jemand anderes etwas vor, das nicht ein Mahnschreiben des Energieversorgers ist, und wann führt jemand schon für jemand anders ein Theaterstück auf, ohne Entgelt, ohne Ambitionen, die darüber hinaus führen würden, eben dieses Stück aufzuführen, und selbst in die Kinos will kaum noch einer, vielleicht, weil das, was da läuft, selten wirklich ausreicht, eine Religion zu stiften, und trotzdem, da das alles ist, muss man sich irgendwie damit begnügen, und, selten zwar, ist es doch immer wieder wie ein Rauschen durch einen hindurch, wenn man mit vielen Unbekannten und ein paar Bekannten zusammen einer Sache beiwohnt, die größer ist als man selbst, und im besten Falle gar nicht mehr damit aufhören möchte. Verzaubert wurde ich in letzter Zeit zum Beispiel von Philippe Garrels letztem Film, LA JALOUSIE von 2013, und nein, das ist keine Verfilmung der gleichnamigen Erzählung, mit der Schriftsteller und Filmemacher Robbe-Grillet 1957 den Nouveau Roman mitbegründete, das ist einfach nur ein schlichtes, schönes, ehrliches Stück Film von jemandem, der nun schon seit fast fünfzig Jahren Filme dreht, und es noch immer versteht, mich zu belehren, mir Mut zu machen, mir Dinge zu erklären, mich zu verzaubern.
Garrels Oeuvre ist für mich dabei schon seit geraumer Zeit Fundgrube wunderschönster Kleinodien. Insgesamt fünf seiner Filme haben es inzwischen in meinen persönlichen Kanon geschafft – es wären: LE RÉVÉLATEUR (1968), LE LIT DE LA VIERGE (1969), LA CICATRICE INTÉRIEURE (1972), L’ENFANT SECRET (1979/1982) sowie LES AMANTS RÉGULIERS (2005) -, und die meisten übrigen der inzwischen über dreißig haben ebenfalls auf mich einen ganz eigenen Zauber ausgeübt. Herauskristallisieren kann man aus Garrels Gesamtwerk eine Reihe von immer wiederkehrenden Themen und ästhetischen Stilmitteln, die von seinen frühsten Teenager-Filmen bis hin zu seinem nach wie vor mittlerweile im Zwei-Jahres-Rhythmus bereichert werdenden Alterswerk reichen. Es wären vor allem: eine strenge Schwarz-Weiß-Kinematographie (obwohl seine seltenen Farbfilme wie vor allem LA CICATRICE INTÉRIEURE genauso visuell überwältigend sind), das Ansiedeln minimalistischer Handlungen in Räumen, die keiner genauen Zeit zugeordnet werden können (obwohl deutliche Zeitbezüge wie politische Spionage im Rahmen des Algerienkriegs in LIBERTÉ, LA NUIT oder die 68er Revolte in LES AMTANTS RÉGULIERS diese Filme in klaren historischen Kontexten verorten), permanenter selbstreflexive Bezüge, indem die meisten seiner Filme dezidiert auf die Kunstform des Films an sich, auf ihre Produktionsbedingungen oder Garrels Privat- und Familienleben verweisen (obwohl die frühen Werke wie LE LIT DE LA VIERGE oder BERCEAU DE CRISTAL wie filmische Artefakte dadurch wirken, dass sie keinen Vor- und keinen Abspann besitzen, sodass sie aus sich selbst heraus weder erklären, wer sie geschaffen hat noch dass sie überhaupt geschaffen worden sind), sowie das Fixieren auf universelle menschliche Emotionen, nicht so sehr auf ausgefeilte Geschichten oder Dramaturgien (obwohl erneut in LIBERTÉ, LA NUIT eine Actionszene inklusive Schießerei und Autoverfolgungsjagd zu sehen ist, die in keinem Politthriller fehl am Platz wäre oder UN ÉTÈ BRULANT in seinem Kern nichts weniger ist als ein Remake von Godards LÈ MEPRIS).
LA JALOUSIE jedenfalls vereint all diese Element, und im Grunde kann ich nur aufgreifen, was ich oben schon gesagt habe: Es ist ein Film, der vor allem durch seine Schlichtheit auffällt. Seine Kulissen sind normale Wohnungen, die Straßen von Paris, Parks, Cafés, alles so unspektakulär wie möglich. Seine Protagonisten sind keine Drehbuchgeschöpfe, sondern scheinen mitten aus dem Leben herausgeschnitten, schon gar keine Helden, sondern normale Großstadtmenschen mittleren Alters, weder besonders witzig noch besonders spannend noch besonders wichtig. Aber gerade das ist eben einmal mehr der Zauber, den ich meine: so wie Garrel in LES AMANTS RÉGULIERS den Mai 68 in Paris anhand von Charakteren nachzeichnet, die in keinen Hollywoodfilm auch nur als Nebenfiguren Zutritt erhalten würden, so handelt LA JALOUSIE die zeitlose Geschichte von einer Liebe, die zu Bruch geht, in einer Sprache ab, die derart einfach ist, dass sie ganz automatisch zu Poesie zu werden scheint. Es fasziniert zu sehen und nicht zu verstehen, wie Garrel seit Beginn seiner Künstlertätigkeit nichts weiter braucht als eine Schwarzweißkamera, eine Handvoll zumeist unbekannter Darsteller, die eine oder andere Wohnung, die eine oder andere Straßenecke, um einem das Gefühl zu geben, man schaue Filme, die so sehr zum Kern des Seins, zu dem, das die Menschheit im Innersten zusammenhält, vorstoßen, dass es, in Garrels wohl suizidialstem Werk L’ENFANT SECRET beispielweise, entweder unerträglich wehtut oder tröstet.
LA JALOUSIE muss eindeutig zur zweiten Kategorie gezählt werden. Wenn man Werner Herzog glauben mag, dass Filme primär dazu dienen sollten, ihre Zuschauer mit Brüdern bekannt zu machen, die sie nie gehabt haben, dann ist LA JALOUSIE eben ein solcher Bruder, der einem allein dadurch, dass er die Gedanken von einem lesen kann, unendlichen Mut macht. Überhaupt ist Garrel im Alter sanfter, versöhnlicher, weicher geworden, ohne dass das damit einhergegangen wäre, seine Filme im Gegenzug flacher, banaler, verlogener werden zu lassen. LA JALOUSIE belügt einen nämlich überhaupt nicht, er ist so ehrlich wie man nur sein kann. Dabei geschieht das, was jeden Tag geschieht: Sein Protagonist Louis, gespielt von Garrels eigenem, mittlerweile ebenfalls schon dreißigjährigen Sohn, trennt sich von Ehefrau und Kind, um sich in eine wilde Leidenschaft mit einer Schauspielerin zu stürzen. Seine kleine Tochter wird in die neue Partnerschaft integriert, man verlebt einige wundervolle Wochen, in denen alles zu stimmen scheint: der Sex, die Gespräche, die Zukunftsvisionen. Doch dann trennt sich seine neue Liebe unvermittelt von ihm, offenbar aus Angst davor, noch zu jung zu sein für eine derart betonierte Partnerschaft. Die Trennungsszene ist dann auch eine der bewegendsten des ganzen Films, die vielleicht, wenn ich sie nun kurz nachzeichne, einen ziemlich klaren Eindruck gibt von dem, was einen in LA JALOUSIE erwartet, und was nicht. Im Schlafzimmer sagt Claudia es Louis ohne Vorwarnung ins Gesicht: ich trenne mich von dir. Während sie ihre Sachen packt, steht er sprachlos daneben, kann nur starren, scherzt noch, ob sie ihn verarschen wolle. Plötzlich ist sie weg, die Wohnungstür schlägt zu, man hört die sich entfernenden Schritte im Treppenhaus, die Schranktür bleibt offen und Louis noch immer wie vom Schlag getroffen im Zimmer stehen. Mehrere Minuten betrachtet die regungslose, seitlich vor dem Bett postierte Kamera nun wie er rastlos hin und her zu wandern beginnt, raus aus dem Zimmer in den Flur, wieder zurück, wie er sich über den Lockenschopf fährt, wie er sich das Gesicht reibt, wie er, die Hände in den Hüften, stehenbleibt, um den offenen Schrank anzustarren. In einem solchen Moment scheint mir eine Wahrheit in den Bildern zu liegen, die mich mit einem unerklärlichen Gefühl erfüllt, fast wie ein Drogenflash.
Man sieht: LA JALOUSIE ist zwar bewusst einer uralten Schwarzweißästhetik verpflichtet, bewusst unmodern, bewusst basierend auf Gefühlen, nicht auf Handlungen, dennoch sicher kein Film, der sich den Vorfall gefallen lassen müsste, über alle Maßen geschwätzig, intellektuell, schwierig zu sein. Obwohl Garrels Spätwerk einiges mit dem Oeuvre Eric Rohmers teilt, könnten die Unterschiede letztlich nicht größer sein. Wo Rohmers Charaktere reden und reden, um ihrer Emotionen irgendwie Herr zu werden, herrscht bei Garrel oft bedeutungsschwangeres Schweigen oder Musik erklingt, die in LA JALOUSIE übrigens einmal mehr einfach nur ergreifend ist – und das schreibt jemand, der Filmmusik in Filmen wie diesem noch immer eher skeptisch gegenübersteht. LA JALOUSIE funktioniert nämlich, nicht ausschließlich, aber doch in hohem Maße, über seine Bilder. Viele Einstellungen müssten gerahmt in Galerien hängen. Es ist, als blättere man ein Photoalbum durch, eins, dessen Entstehung schon einige Zeit zurückliegt, was unausweichliche Nostalgie zur Folge hat. Bei LA JALOUSIE gibt es demnach eigentlich auch nichts zu verstehen. Der Plot ist klar wie die Grenzen zwischen Licht und Schatten, die Charaktere handeln eben, wie sie handeln, es gibt keine wirkliche Spannung, keine paukenschlagenden Überraschungen. Eben das ist es wohl auch, was mich Garrel so sehr lieben lässt. Er kann sich mit den ganz kleinen, ganz unscheinbaren Dingen begnügen und sie doch so in Bilder fassen, dass sie zum zehnfachen ihrer Größe oder noch mehr anschwellen. Ein Mann, der von seiner Freundin verlassen wird und, nicht ein noch aus wissend, in seiner Wohnung umherläuft, das wird auf einmal zu einem Bild, wichtig wie die Welt. Ein kleines Mädchen, das ihren Papa neckt, oder eine Mutter, die fürchtet, dass sie ihre Tochter an die neue Freundin ihres Ex-Manns verliert, oder eine Schauspielerin, die mal wieder eine Absage auf eine Bewerbung erhalten hat, das sind völlig uninteressante Alltäglichkeiten. Aber bei Garrel wird jedes dieser Ereignisse, jedes dieser Gefühle zu einem eigenen filmischen Gedicht, schonungslos ehrlich, irgendwie aber auch verträumt, und, ich sage das noch einmal: vor allem tröstlich.
La Jalousie - Philippe Garrel (2013)
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