Lieben Sie Brahms? - Anatole Litvak (1961)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40644
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Lieben Sie Brahms? - Anatole Litvak (1961)

Beitrag von buxtebrawler »

Bild

Originaltitel: Goodbye Again

Herstellungsland: Frankreich / USA (1961)

Regie: Anatole Litvak

Darsteller: Ingrid Bergman, Yves Montand, Anthony Perkins, Jessie Royce Landis, Pierre Dux, Jocelyn Lane, Jean Clarke, Michèle Mercier, Uta Taeger, André Randall, Peter Bull, Alison Leggatt u. A.
Die Innenarchitektin Paula (Ingrid Bergman) ist 40 Jahre alt und lebt in einer offenen Beziehung mit dem Maschinenvertreter Roger (Yves Montand). Dieser lässt grundsätzlich nichts anbrennen und schläft immer wieder mit deutlich jüngeren Frauen, woraus er seine Bestätigung bezieht. Paula möchte ihn nicht nur nicht verlieren, sondern ihn eigentlich sogar heiraten und damit ganz an sich binden. So leidet sie still vor sich hin. Bei einer Kundin lernt sie jedoch eines Tages den Juristen Philip (Anthony Perkins) kennen, der sich sogar noch etwas unreifer benimmt, als er ohnehin schon jung ist. Er verliebt sich in Paula und tut alles, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sie für sich zu interessieren. Fühlt sie sich zunächst noch geschmeichelt, ohne Philips Avancen ernst zu nehmen, muss sie sich bald eingestehen, dass sie zum neuen Mittelpunkt Philips Lebens wurde. Dabei möchte sie doch eigentlich Roger…
Quelle: www.ofdb.de
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40644
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Lieben Sie Brahms? - Anatole Litvak (1961)

Beitrag von buxtebrawler »

„Das Schlimmste und das Schrecklichste: allein zu leben ohne Liebe.“

Die französische Bestseller-Autorin Françoise Sagan veröffentlichte 1959 mit „Lieben Sie Brahms?“ zum wiederholten Male einen damals skandalträchtigen Roman, der u.a. von der Liebe einer älteren Frau zu einem jungen Mann handelt. Der Russe Anatole Litvak („Die Schlangengrube“) verfilmte den (mir unbekannten) Roman im Jahre 1961 in französisch-US-amerikanischer Koproduktion mit Star-Besetzung.

Die Innenarchitektin Paula (Ingrid Bergman, „Casablanca“) ist 40 Jahre alt und lebt in einer offenen Beziehung mit dem Maschinenvertreter Roger (Yves Montand, „I wie Ikarus“). Dieser lässt grundsätzlich nichts anbrennen und schläft immer wieder mit deutlich jüngeren Frauen, woraus er seine Bestätigung bezieht. Paula möchte ihn nicht nur nicht verlieren, sondern ihn eigentlich sogar heiraten und damit ganz an sich binden. So leidet sie still vor sich hin. Bei einer Kundin lernt sie jedoch eines Tages den Juristen Philip (Anthony Perkins, „Psycho“) kennen, der sich sogar noch etwas unreifer benimmt, als er ohnehin schon jung ist. Er verliebt sich in Paula und tut alles, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sie für sich zu interessieren. Fühlt sie sich zunächst noch geschmeichelt, ohne Philips Avancen ernst zu nehmen, muss sie sich bald eingestehen, dass sie zum neuen Mittelpunkt Philips Lebens wurde. Dabei möchte sie doch eigentlich Roger…

„Du dummer Bub, du!“

Der in der gehobenen Mittelschicht angesiedelte Film stößt den Zuschauer mitten in den Pariser Straßenverkehr, in dem Paula verzweifelt ein Taxi zu bekommen versucht. Ihr Freund Roger vergnügt sich nicht nur ständig mit Jüngeren, sondern sagt auch das Beisammensein mit Paula anlässlich des fünften Jahrestags ihrer Beziehung ab. Philip jedoch lässt seinen juvenilen Charme gegenüber Paula spielen und ist überhaupt nicht gewillt, ihre ablehnenden Reaktionen zu akzeptieren, agiert im Gegenteil immer offensiver. Als sie sich schließlich treffen, zu dritt zusammen mit Roger, der ihn lediglich belächelt, aber auch zu zweit, benimmt er sich oft kindisch, doch auch irgendwie niedlich, was vermutlich unterbewusst Paulas Muttergefühle in ähnlichem Maße anspricht wie die der immer wieder gehörnten, liebenden Frau.

Nach über einer Stunde ist es dann endlich soweit und Philip und Paula küssen sich, wie Verliebte es tun. Im Anschluss wählt Paula jedoch gleich wieder die Defensive und teilt ihm mit, ihn nie wieder sehen zu wollen. Doch Philip gibt nicht auf, passt sie in einer wunderschönen Szene draußen im Regen ab – und landet mit ihr im Bett. Paula sieht darin auch eine Chance, Roger zu erschrecken und ihm vor Augen zu führen, wie verletzend die Art der Beziehung, die sie miteinander pflegen, letztendlich ist. Dieser reagiert jedoch nicht wie erhofft, so ganz egal ist’s ihm aber auch nicht. Beide trennen sich zunächst. Philip zeigt nun Paula gegenüber sein anderes Gesicht: Er hat keinerlei berufliche Ambitionen mehr und lässt von der mittlerweile entnervten Paula aushalten. Roger will Paula zurück und auch sie sehnt sich wieder nach ihm. Sie kommen also wieder zusammen, Philip zieht aus Paula hat scheinbar endlich ihr Ziel erreicht: Sie heiratet Roger. Dieser jedoch hat sich nicht geändert.

Und das ist letztendlich der Knackpunkt des Films: Paula erfüllt jetzt zwar die gesellschaftlichen Konventionen, doch wirklich geändert hat sich für sie trotz Ehe nichts. Und während es ihr Mann weiter fröhlich mit Jüngeren treibt, glaubt sie sich noch immer zu alt für Philip, nimmt sie die fragwürdige gesellschaftliche Moral, nach der es sich nicht ziemt, als reifere Frau mit einem deutlich jüngeren Mann liiert zu sein, nach einem kurzen Abenteuer wieder ganz für sich an, ohne sich jemals aus diesem engen Korsett gesellschaftlicher Erwartungen an sie und ihrer Erwartungen an eine Partnerschaft befreien zu können.

Damit ist „Lieben Sie Brahms?“, der seinen Titel übrigens einem gemeinsamen Konzertbesuch Paulas und Philips zu verdanken hat, natürlich vor allem eine Art Sittengemälde seiner Zeit – das aber heutzutage auch zum Sinnieren darüber anregt, was sich seit damals eigentlich in welchem Ausmaße geändert hat. Ebenso laden Sagan und Litvak zu Gedankenspielen ein, inwiefern sich für Paula etwas geändert hätte, wäre Philip tatsächlich beziehungsfähig gewesen. „Lieben Sie Brahms?“ ist aber auch das Porträt einer Frau, die, wenn man es nicht zulassen möchte, gar nicht unbedingt exemplarisch für alle Geschlechtsgenossinnen ihrer Zeit, ihres Alters und ihrer gesellschaftlichen Schicht stehen muss, denn der Film erzählt zunächst einmal eine individuelle Geschichte, ohne laut polternd anzuklagen oder zur Revolution aufzurufen. Paula ist eine Frau, die einerseits 40-jährig, andererseits jedoch so junggeblieben ist, dass sie in sehr nachvollziehbarer Weise auf Philip (und andere) attraktiv wirkt. Gleichzeitig ist sie reif und lebenserfahren genug, um trotz ihrer unklaren Beziehungskonstellation mit beiden Beinen relativ fest im Leben zu stehen und sich so leicht weder aus der Bahn werfen noch auf die Schnelle begeistern oder verführen lässt, wie es beispielsweise Rogers Bettgespielinnen tun. Wenn man so möchte, vereint sie das Beste beider Altersklassen – nur leider ohne die letzte Courage, sich nachhaltig zu befreien. Dies wiederum ist auch aus persönlichen Gründen nicht ganz unverständlich, denn Paula ist sich ihres Alters und der damit einhergehenden Zweifel und Zukunftssorgen durchaus bewusst. Zwar ist „Lieben Sie Brahms?“ mit seiner Tendenz in Richtung „Frauenfilm“ etwas geschwätzig, all dies muss er jedoch nicht ausformulieren, denn er ist auch ein gelungenes Stück Schauspielkino: Ingrid Bergman agiert entsprechend facettenreich, emotional wie in sich gekehrt, mal selbstbewusst, dann wieder verletzlich, voller Sehnsucht und doch wieder bodenständig und besticht mit ihrer natürlichen Schönheit – während der Dreharbeiten war sie bereits 46.

Auch Perkins und Montand wirken nicht minder prädestiniert für ihre Rollen, wobei besonders Erstgenannter mit sichtlicher Spielfreude seine Rolle ausfüllt, in der es ihm zudem sicherlich zugutekommt, dass durch seine ein Jahr zuvor absolvierte Paraderolle als Norman Bates in Hitchcocks „Psycho“ in seiner Obsession für Paula auch immer etwas subtil Bedrohliches mitschwingt. Ferner erfreut der in Schwarzweiß gedrehte „Lieben Sie Brahms?“ mit Zeitkolorit noch und nöcher und unternimmt sogar noch einen kleinen Abstecher nach London, wo sich Philip kurz aufhält. Ein nicht uninteressanter, heute vermutlich wesentlich „leiser“ als zu seiner Premiere wirkender Film, der dem Zuschauer die Katharsis vorenthält und sich allein schon mangels Vergleichsmöglichkeiten (meinerseits) einer Bewertung in Notenform entzieht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten