Nada - Claude Chabrol (1974)

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Nada - Claude Chabrol (1974)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Nada

Herstellungsland: Frankreich/Italien (1974)

Regie: Claude Chabrol

Darsteller: Fabio Testi, Lou Castel, Mariangela Melato, Michel Aumont, Michel Duchaussoy, Maurice Garrel, Didier Kaminka, André Falcon, François Perrot, Viviane Romance, Lyle Joyce, Henri Attal u. A.

Quelle: www.ofdb.de
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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buxtebrawler
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Re: Nada - Claude Chabrol (1974)

Beitrag von buxtebrawler »

„Hass auf unseren bürokratischen Kapitalismus, der mir vorkommt wie ein alter Eunuch ohne Eier!“

Der französische Filmemacher Claude Chabrol gilt als einer der wichtigsten Protagonisten der französischen Nouvelle Vague. Meine mutmaßlich erste Konfrontation mit seinem Werk ist der 1974 in französisch-italienischer Koproduktion entstandene Thriller „Nada“, der gleichermaßen den politisch motivierten Terrorismus extremistischer Splittergruppen und reaktionären Staatsterrorismus thematisiert.

Die Gruppe Nada plant den gewaltsamen Sturz des kapitalistischen französischen Systems zugunsten einer neuen Gesellschaftsordnung nach kommunistischem oder anarchistischem Vorbild. Zu diesem Zwecke entführt sie einen US-Diplomaten und stellt Forderungen an die französische Regierung. Diese scheint zunächst auf die Forderungen einzugehen, instrumentalisiert den Fall jedoch für ihre eigenen Zwecke...

„Nada“ beginnt im Stile eines Heist movie, indem die Vorbereitungen und schließlich die Durchführung der Entführung detailliert gezeigt und die einzelnen Charaktere der Gruppe vorgestellt werden. Viel französische Lebensart durchzieht dabei den Film und sarkastisch-zynisch werden Polizei und Polit-Diplomatie aufs Korn genommen, wenn man sie als doppelmoralische Bordellgänger darstellt – was auch gern genutzten Anlass für Nacktszenen bietet. Von einer prüden, kopflastigen Polit-Parabel demnach keine Spur, über weite Strecken schwingen unterschwelliger Humor, Ironie und eine Spur gegen jegliche Selbstzensur gerichtetes Laissez-faire mit.

„Die ganze Erde ist bevölkert mit Scheißefressern!“

Nach ungefähr der Hälfte der Spielzeit erfolgt ein Perspektivenwechsel und man rückt die Ermittlungsarbeit der komödiantisch leicht überzeichneten Polizei in den Vordergrund. In diesem Zuge erfährt der Zuschauer mehr und mehr über die Hintergründe der Entführer, die nun bis zur finalen Konfrontation immer wieder gegengeschnitten werden und das Bild eines sich über Sinn und Zweck der Entführung selbst uneinigen, aus unterschiedlichen Individuen zusammengewürfelten Haufens abgeben, der einiges an wirrem, sektiererischem „linkem“ Geschwätz parat hat und eindeutig misanthropische Tendenzen aufweist. Ferner lernt man einen Justiz-/Machtapparat kennen, der aus dem Polizeichef, dem Innenminister und Kommissar Goemond besteht und sich im weiteren Verlauf nicht mit Ruhm bekleckern wird.

„Lohnt es sich überhaupt, dass man sie lebend fasst?“

Die genauen Motive der Entführer werden nie erläutert, sie bleiben diffus. Spätestens dadurch entgeht Chabrol Vorwüfen, mit extremistischen Ideen zu sympathisieren, nimmt er sich aber auch die Möglichkeit, diverse tatsächliche Missstände zu benennen, die auch Zuschauern ohne politisches Bewusstsein zumindest die rudimentären Beweggründe der Gruppe Nada begreiflich machen würden. Dafür zeigt Chabrol aber eine ständig ihre Befugnisse übertretende Polizei, die beispielsweise Verdächtige foltert und im selben Atemzug zynischerweise konstatiert, es gäbe hier keine Folter. Noch einen entscheidenden Schritt weiter geht der Film, wenn er in Zeiten von RAF und Brigate Rosse beispielhaft erläutert, wie die herrschenden Strukturen als Nutznießer aus der Entführung hervorgehen und bewusst den Tod der Geisel für politische Zwecke in Kauf nehmen. Das funktioniert auf der einen Seite durch erbarmungslosen Staatsterrorismus, der eine sich ergebende Gruppe komplett exekutiert. Auf der anderen Seite bieten terroristische Aktivitäten politisch wirrer Splittergruppen willkommenen Anlass für eine Verschärfung der Repression, der Überwachung aller und der allgemeinen Einschränkung der Freiheit für ein Mehr an vermeintlicher Sicherheit – ein perfides System, das bis heute angewandt wird. Dass der leitende Kommissar dafür als Bauernopfer herhalten und zum Sündenbock erklärt werden muss, damit der Staat nach außen hin sein Gesicht wahrt, wird billigend in Kauf genommen.

„Es lebe der Tod!“

Dieses Prinzip erkennt auch der Aussteiger aus der Gruppe Nada und schließlich muss auch Buenaventura Diaz (Fabio Testi, „Die perfekte Erpressung“) begreifen, dass sein ehemaliger Kampfgenosse Recht hatte: Linker Terror spielt dem Staat in die Hände. Daraus seine Schlüsse zu ziehen, erfordert dann nur noch wenig Abstraktionsvermögen des Zuschauers. Der Weg dorthin ist gepflastert mit einem überaus spannenden und unterhaltsamen Spielfilm, der neben der pointierten Dramaturgie getragen wird von einem fantastischen Schauspieler-Ensemble bestehend aus dem Italiener und späteren Berlusconi-Unterstützer Fabio Testi, dem mit einem Bart erfolgreich etwas von seinem Schönlingsgesicht genommen wurde und der sich einmal mehr überraschend gut in seine Rolle mit dem gebotenen Ernst einzufühlen versteht, der charismatischen Italienierin Mariangela Melato („Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“), französischen Charakterköpfen wie Michel Duchaussoy („Das Biest muss sterben“), Maurice Garrel („Die Braut trug schwarz“), Michel Aumont („Das Spielzeug“), Didier Kaminka („Ich weiß von nichts und sage alles“), André Falcon („Der unsichtbare Aufstand“) sowie dem gebürtigem Kolumbianer Lou Castel („Töte Amigo“). Ein richtiges Ende indes findet „Nada“ so schnell dann nicht, der Schluss wirkt etwas aufgesetzt und man spürt als Zuschauer, wie sich Chabrol verzweifelt um so etwas wie Gerechtigkeit bemüht, bevor er sein Publikum entlässt. Kleinere inhaltlich-logische Ungereimtheiten (weshalb gibt es kein Phantombild des „Experten“ der Gruppe, der unbehelligt durch eine Polizeikontrolle fährt?) bleiben die Ausnahme; dominiert wird „Nada“ von der geballten Wucht engagierten, den Finger treffsicher in die Wunden legenden westeuropäischen Politthrill-Kinos, das mit einer ordentlichen Schippe Hohn und bitterer Satire einer- sowie einer tief humanistischen Aussage andererseits gewürzt wurde und dem es ebenso wenig an inhaltlicher wie visueller Härte und Temperament mangelt. Auch diesen Film gilt es unbedingt wiederzuentdecken, er hat an Aktualität und Brisanz kaum eingebüßt, lässt sich mühelos auch auf aktuelle politische und gesellschaftliche Realitäten übertragen und dürfte manch Zuschauer treffen und länger in ihm nachhallen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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reggie
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Re: Nada - Claude Chabrol (1974)

Beitrag von reggie »

Allen prospekt! :thup:

Das ihr es immer schaft so lange und gehaltvolle Reviews rauszuhauen....

Film finde ich auch sehr gelungen , Lou Castell ist hier echt mal ne wucht! :shock:
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buxtebrawler
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Re: Nada - Claude Chabrol (1974)

Beitrag von buxtebrawler »

reggie hat geschrieben:Allen prospekt! :thup:

Das ihr es immer schaft so lange und gehaltvolle Reviews rauszuhauen....
Danke, reggie! :prost:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Nada - Claude Chabrol (1974)

Beitrag von dr. freudstein »

Danke reggie :D
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reggie
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Re: Nada - Claude Chabrol (1974)

Beitrag von reggie »

Nichts zu danken Freudstein! Vl. schaffst du es ja auch irgendwann mal so ein review wie der Bux zu schreiben :hirn:
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buxtebrawler
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Re: Nada - Claude Chabrol (1974)

Beitrag von buxtebrawler »

Hätte zufällig jemand einen Scan des Arrow-DVD-Covers für mich?
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Nello Pazzafini
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Re: Nada - Claude Chabrol (1974)

Beitrag von Nello Pazzafini »

Kann dir einen Scan der deutschen VHS Kassette anbieten :wink:
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Re: Nada - Claude Chabrol (1974)

Beitrag von buxtebrawler »

Nello Pazzafini hat geschrieben: Mi 1. Jan 2025, 12:18 Kann dir einen Scan der deutschen VHS Kassette anbieten :wink:
Danke, würde ich auch nehmen! :thup:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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