Schornstein Nr. 4 - Jean Chapot (1966)

Moderator: jogiwan

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Prisma
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Schornstein Nr. 4 - Jean Chapot (1966)

Beitrag von Prisma »


[center]Romy Schneider

SCHORNSTEIN NR. 4

● SCHORNSTEIN NR. 4 / LA VOLEUSE (D|F|1966)
mit Michel Piccoli, Sonja Schwarz, Mario Huth und Hans Christian Blech
eine Produktion der Hans Oppenheimer Film | Chronos Film | Procinex | UGC | im Team Filmverleih
ein Film von Jean Chapot


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Julia Kreuz (Romy Schneider) ist von einer aushöhlenden Sehnsucht getrieben. Mit 19 Jahren brachte sie einen Jungen zur Welt, den sie aber kurz nach der Geburt weggegeben hatte. Seitdem lebt das Kind in einer Pflegefamilie. Julia kann an nichts anderes mehr denken, als dass ihr mittlerweile sechsjähriger Sohn (Mario Huth) bei ihr aufwachsen sollte. Ihr Mann Werner (Michel Piccoli) hätte lieber ein eigenes Kind mit ihr, aber seine Frau ist nicht mehr umzustimmen, zumal das Gesetz auf ihrer Seite ist, da der Ziehvater Kostrowicz (Hans Christian Blech) es seinerzeit versäumt hatte, die Adoption zu beantragen. Ein hässliches Tauziehen um den Jungen beginnt, und jeder der Beteiligten glaubt das Richtige zu tun, bis es zu einer schwerwiegenden Entscheidung kommt, die einer Katastrophe gleichkommt...

Der Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent Jean Chapot inszenierte mit "Schornstein Nr. 4" einen seiner wenigen Kinofilme, denn er sollte eher als Autor in Erscheinung treten, außerdem verlagerte der Franzose sein Kerngeschäft ab den 70er Jahren hauptsächlich ins TV-Fach. Dieses am 26. August 1966 durch den neu gegründeten Team-Flmverleih in die Kinos gebrachte Drama konnte weder nennenswerte Erfolge in Deutschland, noch in Frankreich verbuchen und wurde als Romy Schneiders deutsches Comeback angesehen, die hierzulande mehrere Jahre abstinent gewesen war. Comeback oder Boykott? Alleine über diese Schiene kann man den mangelnden Erfolg des Films nicht festmachen, da es sich zugegebenermaßen um einen recht schweren Stoff handelt, der nicht gerade vor Publikumswirksamkeit zu strotzen scheint. Vielmehr verlangt die Thematik dem Zuschauer eine hohe Aufmerksamkeit ab und es muss durchaus eine Affinität für alles was dazu gehört bestehen, um gut mit ihm zurechtzukommen. Die Geschichte vermittelt von Anfang an eine Statik, die sich als Elixier herausstellen wird; außerdem ist wirklich alles bis auf das Nötigste reduziert worden, um die behandelte Brisanz besser wahrnehmen zu können. Telegrammartige Dialoge und eine auffällig steril wirkende Schwarzweiß-Dominanz, die sich aus den Drehorten Berlin, Ruhrgebiet und den Hüttenwerken in Oberhausen ergibt, verfolgen resolut das minimalistische Prinzip, was auch auf das Produktionsbudget zutreffen dürfte.

Romy Schneider und Michel Piccoli standen in "Schornstein Nr. 4" erstmals gemeinsam vor der Kamera und es zeichnet sich bereits hier eine ganz besondere Chemie zwischen ihnen ab. Die beiden Ausnahme-Interpreten haben die Szenerie von Anfang an fest im Griff, was vielleicht auch eine größere Anzahl von zusätzlichen Darstellern erübrigt hat. Die besagte gute Chemie definiert sich unter Jean Chapots Leitung nicht nur von selbst, sondern unter negativ angelegten Voraussetzungen innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen, da die beiden Protagonisten, Julia und Werner Kreuz, beiläufig über ein Problem diskutieren, welches sich schon wenig später in gefräßiger Art und Weise aufbäumen und nicht mehr abwenden lassen wird. Seinerzeit war der bundesdeutsche Film womöglich für derartig anspruchsvolle Stoffe nicht bereit, zumindest nicht ausgelegt, und es passiert wie so oft, dass man sich über die bestehenden Stärken eines bestimmten Films wundert, die damals nicht anerkannt wurden. Skizziert wird Unbehagen und das Zusteuern auf emotionale oder persönliche Katastrophen von allen Beteiligten, denn obwohl nur wenige Charaktere das Kommando übernehmen, kann niemand dem einen oder anderen helfen, selbst wenn er wollte. Diese Ausweglosigkeit, die quasi immer wieder für Verständnis wirbt, aber eigentlich nur Unverständnis zur Folge haben kann, lässt den Verlauf zu einer Zerreißprobe für den Zuschauer werden, obwohl zunächst keine wilden Ausbrüche zu finden sind; von Hysterie ganz zu schweigen.

"Schornstein Nr. 4" schildert mit eindrucksvollen Mitteln, dass der aussichtslose Versuch gestartet wird, einen Fehler mit einem Fehler wieder gutzumachen. Hierbei ist es sehr erstaunlich und irritierend zugleich, dass sich die Hauptdarsteller so stark im Griff zu haben scheinen, um ihre Präzisionsleistungen minutiös anzupassen. Romy Schneider diktiert dem Zuseher bereits im Vorspann ihre außergewöhnliche Präsenz auf, indem man lediglich sieht, wie sie auf und ab geht, und dabei über das spricht, was sie bewegt. Als Zuschauer versteht man aufgrund der überlagernden Musik kein Wort, aber dennoch ist zu ahnen, worum es gehen dürfte. Die junge Frau ist in einem Tunnel, der sich aus einer Einbahnstraße ergibt. Der Gedanke an ihr damals abgegebenes Kind treibt sie an und lässt sie beinahe verrückt werden. Die Zukunft und jegliche Emotionen sieht sie nur noch in diesem Zusammenhang; alles Weitere bleibt gnadenlos auf der Strecke. Ihr gegenüber stehen zwei Männer und jeder von ihnen wird auf seine ganz eigene Weise mit der Verzweiflung und Resignation vertraut gemacht. Julias Mann Werner wird von ihr selbst aus ihrem Leben verbannt. Er hasst die Situation und unterschwellig auch das Kind, das als Synonym für Julias vermeintliches Glück steht, aber gleichermaßen für sein persönliches Desaster. Michel Piccoli stattet seine Rolle mit einer Lethargie aus, die kaum auszuhalten ist. Fungierend als wandelnder Vorwurf, setzt er seiner Frau zusätzlich schwer zu, doch jeder der beiden weiß, dass es keinen einfachen Ausweg mehr gibt.

Der andere Mann wird dargestellt von Hans Christian Blech, einem einfachen Arbeiter, der sich verzweifelt und häufig unüberlegt gegen die sich zuspitzende Ungerechtigkeit stellt. Allerdings ist sie nur im Sinne der Moral ungerecht, doch nicht im Auge der Justiz. Dieses Dilemma ruft Ohnmacht und Hass hervor, die sich massiv gegen Julia richtet. Eine zusätzliche Brisanz kommt durch die öffentliche Meinung auf, da sich plötzlich zehntausende Menschen mobilisieren, von denen die meisten nur breites Unverständnis ausdrücken. Im letzten Drittel des Films spitzt sich die Geschichte zu, da eine Zukunft mit dem Kind in eine Waagschale mit dem Leben eines scheinbar illegitimen Vaters geworfen wird. Als Zuschauer hofft man auf irgend eine gütliche Einigung, eine x-beliebige Lösung, doch es besteht wenig Zuversicht, da Romy Schneider in nahezu pervers wirkender Art und Weise Zeit schindet, die unbequeme Situation aussitzt und rücksichtslos auf ihr Recht pocht. Am Ende werden Masken fallen und zurück bleibt ein überaus verstörender Gesamteindruck, da die Machtlosigkeit der Personen und die Ausweglosigkeit der Situation voll zum Tragen kommt. Jean Chapot ist mit "Schornstein Nr. 4" ein bemerkenswert düsterer Film über die weite Verzweigung menschlicher Abgründe gelungen, der mit einem Mut zur Tragik überrascht, die in dieser Form sicherlich nicht alle Tage zu finden war. Garniert mit großartigen Leistungen von Romy Schneider, Michel Piccoli und Hans Christian Blech, wird der Film zum Musterbeispiel für das eindringliche Nachhallen einer bedrückenden Thematik.
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Maulwurf
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Re: Schornstein Nr. 4 - Jean Chapot (1966)

Beitrag von Maulwurf »

 
Schornstein Nr. 4
La voleuse
Frankreich/Deutschland 1966
Regie: Jean Chapot
Romy Schneider, Michel Piccoli, Hans Christian Blech, Sonia Schwarz, Mario Huth


Schornstein Nr. 4.jpg
Schornstein Nr. 4.jpg (99.96 KiB) 213 mal betrachtet
OFDB

Vor 6 Jahren, als damals 19-jährige, hat Julia ihren 8 Tage alten Sohn zu Zieheltern gegeben. Was sollte sie damals mit einem Kind? Sie wollte leben, sie wollte ihr Leben er-leben, ein Kind hätte da nur gestört. Vor zwei Jahren hat sie Werner Kreuz kennengelernt und hat ihr Leben mittlerweile komplett umgekrempelt. Sie ist verliebt in Werner und führt ein biederes Leben als Hausfrau in Berlin. Doch jetzt will sie ihren Sohn wiederhaben. Jetzt, und nicht irgendwann. Nicht in sechs Jahren, und auch nicht wann anders, sondern JETZT. Sie fährt nach Essen und umschleicht das Haus der Familie Kostrowicz. Sie schenkt dem kleinen Carlo einen Spielzeug-LKW, sie klingt nachts an der Tür der Kostrowicz‘, sie geht die mühsamen juristischen Schritte um ihren Sohn zu bekommen. Julia steigert sich in diese Obsession hinein, entfremdet sich zusehendes von Werner, und bringt die Kostrowicz‘ zu völligen Verzweiflung. Denn das Gesetz ist tatsächlich auf ihrer, auf Julias, Seite. Als Carlo mit Polizeigewalt zu den Kreuz‘ gebracht wird zerbricht in Radek Kostrowicz, der der Jungen längst als den eigenen Sohn ansieht, etwas: Er klettert auf den 100 Meter hohen Schornstein Nr. 4 an seiner Arbeitsstätte und droht damit hinunterzuspringen, wenn sein kleiner Carlo nicht bis morgen früh um 6 Uhr wieder beim ihm ist.

Ein fahles Schwarzweiss mit wenigen Kontrasten, spröde Bilder von leeren Räumen, und in diesen leeren und fahlen Räumen Personen die sich umkreisen. Die sich gegenseitig sagen dass sie sich lieben, aber tatsächlich nur in ihrem eigenen leeren und farblosen Kosmos leben. „Der erste Film von Jean Chapot sieht aus wie der fünfunddreißigste Problemfilm eines Delannoy, nur eine gewisse Ambition, die dennoch zu nichts führte, verrät das Debüt.“ schreibt Uwe Nettelbeck in der Zeitschrift Filmkritik (1). Mmh, mal abgesehen davon, dass nur Jean Delannoy gemeint sein kann, dessen Filmographie Problemfilme wie DER GLÖCKNER VON NOTRE-DAME (über die Integration von Behinderten in einer streng katholischen Umgebung) oder ACTION MAN (über das schwierige Verhältnis altgedienter Bankräuber zu ihrer nicht-kriminellen Umwelt) enthält, abgesehen davon weiß ich natürlich was Uwe Nettelbeck meint. Diese trockene und sehr intellektuelle Herangehensweise an ein Thema, dieses L’art pour l’art, das kann einen Zuschauer schon abschrecken, zumal erst recht in der heutigen Zeit, in der im Kino Themen wie Weltzerstörung bzw. Rettung derselben vorherrschend sind und mit Computern anstatt mit Schauspielern dargestellt werden.

SCHORNSTEIN NR. 4, beziehungsweise DIE DIEBIN, wie er im Untertitel und auch in den österreichischen Kinos hieß, macht es seinem (heutigen) Zuschauer sicher nicht leicht. Lange Dialoge (die von der französischen Schriftstellerin Marguerite Duras geschrieben wurden), eine sprunghafte Handlung, die zwischen Berlin und Essen hin- und herpendelt und dem Zuschauer fortwährende Aufmerksamkeit abfordert, und das Psychogramm nicht nur einer Frau, die irgendwann in ihrer wilden Jugend einmal eine falsche Entscheidung getroffen hat, und die sie jetzt gegen alle Widerstände umkehren will, sondern ebenfalls das Bild eines Mannes (nämlich Radek Kostrowicz), dem etwas genommen werden soll was ihm einmal gegeben wurde, und der diesen Verlust nicht erträgt. Solche Dinge sind, das meine ich jetztsehr wohl im Ernst, schwerer Stoff, normalerweise eher der Abteilung Das kleine Fernsehspiel nachts um 23:45 zuzurechnen.

Aber wenn man aufpasst, wenn man sich dieser trockenen und nicht unbedingt interessant klingenden Thematik hingibt, dann wird man mit Schauspielerkino belohnt, wie man es selten zu sehen bekommt. Für Romy Schneider war es nach David Swifts LEIH MIR DEINEN MANN und Woody Allens WAS GIBT’S NEUES, PUSSY? endlich wieder einmal eine Möglichkeit, eine anspruchsvolle Rolle zu spielen. Sich in eine gequälte und verzweifelte Seele zu versetzen und alles zu zeigen, was sie als Schauspielerin drauf hatte. Und das auch noch in Deutschland, war SCHORNSTEIN NR. 4 doch nach ihrem Fortgang 1959 die erste Rückkehr ins deutsche Kino (die Rolle in Fritz Kortners LYSISTRATA 1961 fand für das Fernsehen statt). Entsprechend freute sie sich über diese Rolle und steckte eine Menge Energie in den Film. Eine junge Frau, die ihr eigenes Kind wiederhaben will, und die es über dem Konflikt, den sie damit auslöst, schier zerreißt. Wobei die Antwort auf die Frage, ob Julia wirklich ihr Kind haben will oder eigentlich nur die Idee eines Kindes liebt, nur ganz zart angedeutet wird. Wie so viele Eltern möchte sie sich die Liebe ihres Kindes erkaufen, und steht dem Weinen des Kleinen eher ratlos gegenüber, was tendenziell zur letzteren Möglichkeit weist. Eine grandiose Leistung Romy Schneiders, diese Ambivalenz zu zeigen, ohne sich dabei festlegen zu müssen!
An ihrer Seite zum ersten Mal Michel Piccoli als ihr Ehemann Werner. Das Paar, das später in vielen Filmen gemeinsam die Seelen- und Liebeswelt so mancher Filmgestalten erkunden sollte, legt hier bereits eine perfekte Chemie an den Tag. Die Dialoge, die Blicke, die kleinen, manchmal kaum ahnbaren Bewegungen … Im Gesamtbild sieht man wie die eigentlich harmonische Ehe unter der Belastung von Julias Besessenheit nach und nach zerbricht, obwohl keiner der beiden dies wirklich möchte. Eine Situation, die sicher keinem gänzlich unbekannt ist: Man lebt sich auseinander, obwohl die grundlegende Zuneigung doch noch da ist. Nur wo? Das Paar liegt nebeneinander im Bett, sie hat ihm die Existenz eines ihm bisher unbekannten Kindes gestanden, und nun will sie seine Berührung als Zeichen seiner Liebe. Piccoli hebt den berührten Arm, nur ein kleines Stückchen, ein paar Zentimeter vielleicht, aber diese paar Zentimeter genügen schon als Zurückweisung. Keine Worte, keine Blicke, nur diese kaum wahrzunehmende Bewegung …

Auf der anderen Seite dann Hans Christian Blech als Radek Kostrowicz. Seit 6 Jahren Vater, und er liebt seine Familie und seinen Sohn über alles. Das Schlimmste was man ihm antun kann ist, seine Familie zu zerstören. Und genau das geschieht! Seine Ungläubigkeit wird zu Ärger, der Ärger zu Wut, die Wut zu Hass und Verzweiflung. Und doch ist alles vertan, weil er sich nicht rechtzeitig um die gesetzlichen Grundlagen seiner Familie gekümmert hat, und nun sieht er nur noch einen einzigen Ausweg: Er will an die Herzen der Menschen appellieren ihm seinen Sohn wiederzugeben, oder er geht in den Tod. In einen spektakulären Tod, der das Gewissen diese schamlosen Person, dieser Julia Kreuz, auf ewig belasten wird. Auch Blech zeigt diese allmähliche Vernichtung seiner Existenzgrundlage stark und intensiv, und da der Fokus der Geschichte mitnichten nur auf Julia liegt, sondern auch Radek einen großen Teil der Erzählung widmet, ist das Mitleid mit diesem armen Mann unweigerlich. Die Lösung dieser Situation scheint unmöglich, keiner der Beteiligten will nachgeben, und der Versuch Werners, mit Radek ein klärendes Gespräch zu führen, scheitert an eben dieser Ausweglosigkeit. Schließlich ist Carlo ebenso seiner wie Julias Sohn. Mehr erfahren wir nicht über Radek, und mehr muss man auch gar nicht wissen – Ein Mann der vor der Vernichtung seiner seelischen Grundlagen steht, das reicht als Charakterisierung und als Handlungsgrundlage völlig aus!

Wie gesagt, wenn man sich auf diese Art Film einlassen kann, wird man mit großartigem Schauspielerkino belohnt. Dazu kommen Bilder, die die Leere dieser Menschen und ihrer Welt perfekt illustrieren. Während außenrum ein ewiges Gewimmel ist, das deutsche Wirtschaftswunder sich in steter Arbeit in Essen und unaufhörlichem Verkehr in Berlin genauso manifestiert wie in dem schmucken Einfamilienhäuschen in der Arbeitersiedlung oder dem kühl-eleganten Appartement des Kreuz’schen Bürgertums, ist innendrin Leere. Oft genug stehen die Protagonisten mit dem Rücken an einer leeren Wand (nicht nur metaphorisch, sondern eben auch bildlich gesprochen), die Barrieren zwischen den Personen werden deutlichst vor Augen geführt, und ganze Szenen scheinen in einem weißen und leeren Raum gedreht worden zu sein. Die damit entstehende Stimmung, der Frost zwischen den Wörtern und das Eis zwischen den Menschen, lässt auch heute noch frieren. Und das eigene Verhältnis zum geliebten(?) Menschen überdenken …

Kunstkino, ja. Schwierig, ja. Aber dabei spannend und überzeugend.

(1) Booklet zur DVD SCHORNSTEIN NR. 4 von Oliver Bayan

7/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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Blap
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Re: Schornstein Nr. 4 - Jean Chapot (1966)

Beitrag von Blap »

Sehr sehenswerter Stoff, der gern in einer würdigen Ausgabe erscheinen dürfte.
Das Blap™ behandelt Filme wie Frauen
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