Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Bava, Argento, Martino & Co.: Schwarze Handschuhe, Skalpelle & Thrills

Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Re: Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Beitrag von buxtebrawler »

„…mit geschlossenen Augen an Bahngleisen entlang laufen…“ (dann doch lieber eine gepflegte Partie Poker)

Drei Jahre gingen ins Land, bevor der italienische Meisterregisseur Dario Argento („Tenebrae“) nach seinem gelungenen „Back to the Roots“-Giallo „Sleepless“ im Jahre 2004 mit „The Card Player“ sein nächstes Werk vorlegte. Erneut handelt es sich um einen Whodunit?-Thriller, wenn auch deutlich weniger gialloesk.

Eine Kriminalbeamtin (Stefania Rocca, „Der talentierte Mr. Ripley“) in Rom bekommt per E-Mail eine Einladung zu einem Online-Pokerspiel, bei dem es um Leben und Tod geht: Ein verrückter Serienkiller möchte um das Leben seiner weiblichen Geiseln spielen. Ignoriert die Polizei die Einladung oder verliert sie das Spiel, muss das Opfer sterben. Nach anfänglichem Zögern lässt sich die Polizei auf das makabre Spiel ein, stellt aber bald fest, dass sie die Hilfe eines Profis benötigt – den sie im jugendlichen Poker-As Remo (Silvio Muccino, „Ein letzter Kuss“) findet.

Der Vorspann irritiert bereits mit Elektro-Musik und modernen, schnellen Schnitten, die jedoch die Marschrichtung des Films anzeigen: Möglichst modern und technisch soll er sein. Nicht minder irritierend ist die Tatsache, dass die E-Mail, die jeder sich halbwegs bei Verstand befindende Computer-Nutzer recht schnell als Spam gelöscht hätte, sofort ernstgenommen wird und Polizistin Anna Mari holterdipolter ihrer Abteilung die Regeln und den Ablauf wie eine Spielleiterin erklärt. Dadurch kommt „The Card Player“ jedoch recht zügig in Fahrt, den warum auch immer völlig zum Clown überzeichneten Gerichtsmediziner tut der Argento-Kenner als bisher vermutlichen radikalsten Ableger seines Servus-Syndroms (vgl. „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“) und dem damit verbundenen grottigen Humor des Italieners ab und ist froh, dass er nicht wieder auftaucht. Explizite Bilder einer Wasserleiche, sehr gut modelliert vom Spezialeffekt-Fachmann Sergio Stivaletti, lassen erste Hoffnung auf eine gewisse Härte des Films aufkeimen. Man setzt auf den Ekelfaktor, wenn die zweite Wasserleiche dem sich ebenfalls des Falls annehmenden irischen Detective John Brennan (Liam Cunningham, „Dog Soldiers“) ins Gesicht speit. Ein wenig eklig ist allerdings auch das Klischee vom problembehafteten Bullen mit ausgeprägter Neigung zum Alkohol, der sogar zu blöd ist, aus einem Flachmann zu trinken. Auch Anna Mari trägt ihre Dämonen mit sich herum, hat sie doch ihren Vater durch Suizid nach einem missglückten Glücksspiel verloren. Die sich anbahnende Romanze zwischen beiden ist da obligatorisch.

Doch bevor man gemeinsam in die Federn hüpft, recherchiert man unter „risikobereiten Hedonisten“ und in Pokerkreisen der Halbwelt. Dieser Passus scheint jedoch lediglich integriert worden zu sein, um die Polizei möglichst schnell auf den Profi-Pokerer Remo stoßen zu lassen, der fortan zum Gegenspieler des Killers wird. Ausflüge in eine halbseidene Welt voller verschrobener Gestalten darf man davon nicht erwarten, braucht man aber auch nicht, denn dafür haben wir ja die Polizei: Diese bricht nämlich ob eines einzigen gewonnenen Pokerspiels in wilden Jubel aus und feiert anschließend eine Party (!) – Lektion 1 aus dem Handbuch für unangemessene Reaktionen. Zugegeben, diesmal ging es gleich um die Tochter des Polizeichefs, die der Killer nach einer Stippvisite in Annas Wohnung entführte; außerdem hat er diesmal die Rahmenbedingungen erschwert, denn er schickte der Polizei Computerviren, die IP-Nummern lustig vom Bildschirm purzeln lassen – soviel zum Technikverständnis Argentos. Richtige Spannung kam bisher eigentlich nur dann auf, als sich eines der Opfer während einer Pokerpartie vorübergehend befreien und die Polizei über die Webcam des Killers ihren Überlebenskampf verfolgen konnte. Die Perspektive während der perversen Pokereien bleibt übrigens stets die der Polizei-Monitore, die Verstümmelungen und Tötungen des Opfers werden nicht explizit in Szene gesetzt.

Bis hierhin agierte „The Card Player“ auf eher drögem TV-Film-Niveau, sowohl was seine Optik, als auch seinen Inhalt (von den Wasserleichen einmal abgesehen) anbelangt – als wollten sich findige Unterhaltungsprogrammmacher Jahre nach der „technischen Revolution“ durch Heimcomputer auch einmal an das Thema wagen, nachdem sie etwas von trendigen Online-Pokerpartien gehört hatten, sich damit unheimlich „hip“ geben und ein technikaffines Publikum ansprechen. So richtig scheint Argento erst durch, als Remo ein Mädchen kennenlernt und mit ihr durch die Nacht rennt. Schön ausgeleuchtete und komponierte, atmosphärische Bilder wecken Erinnerungen an die traumwandlerische Ästhetik manch guten Giallos. Endlich gewinnt „The Card Player“ deutlich an Qualität. Voll anheimelnder und dennoch morbider Atmosphäre ist auch, wie kurz vorm Finale die Samen einer bestimmten, für die Handlung nicht ganz unwichtigen Pflanze durchs Bild wehen – und dies auch dann noch tun, als einer der Protagonisten ein überraschendes, fieses Ende erleidet. Realistisch und durch Mark und Bein gehend ist der Schrei Annas, als sie eine Betäubungsspritze in den Hals bekommt. Da war es also wieder, das inszenatorische Geschick Argentos.

Leider münden diese guten Ansätze dann in einem völlig trashigen Finale, das dem oftmals befremdlichen Verhalten der Charaktere die Krone aufsetzt, den Film endgültig der Lächerlichkeit preisgibt. Wer mehr über die Hintergründe des Täters wissen will, wird auch enttäuscht, denn seine Identität wird zwar enthüllt, das Motiv jedoch ist unspektakulär und sein Charakter bleibt oberflächlich. Die Pointe mit dem Ausspruch „Sie sind schwanger“ habe ich nicht verstanden, bezweifle aber, dass mir ein genialer Handlungstwist o.ä. dadurch verborgen blieb. Sie ist der Schlusspunkt unter eine bemüht und mehr schlecht als recht konstruierte Handlung, die dem weitestgehend nüchternen, Argentos originelle Kamera und Farbästhetik bis auf wenige Ausnahmen vermissen lassenden Film widerspricht und keiner kritischen Betrachtung standhält. Selbst Claudio Simonetti hat einen schlechten Tag erwischt und nervt mit einem furchtbaren Elektro-Soundtrack. „The Card Player“ ist eine leidlich unterhaltsame, billig und undurchdacht sowie inkohärent wirkende Enttäuschung im Pseudo-Techno-Gewand, die bei Erscheinen Argentos zweitschlechtester Film nach „Das Phantom der Oper“ gewesen sein dürfte. So gehen Thriller zum Abgewöhnen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Beitrag von dr. freudstein »

Mein Tip, u.a. wegen der "Schwangeren-Pointe", deine Lady nochmal gucken lassen :opa: Ach Mist, jetzt hab ich das Geheimnis um deine besondere Auffassungsgabe verraten :oops:
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buxtebrawler
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Re: Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Beitrag von buxtebrawler »

dr. freudstein hat geschrieben:Mein Tip, u.a. wegen der "Schwangeren-Pointe", deine Lady nochmal gucken lassen :opa: Ach Mist, jetzt hab ich das Geheimnis um deine besondere Auffassungsgabe verraten :oops:
Du Schüft! :kicher:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Beitrag von italostrikesback »

CARD PLAYER ist mir mit den Jahren richtig ans Herz gewachsen, nach anfänglicher Ablehnung bekam er bei der Zweitsichtung eine 6/10 und ist mit der Zeit bei mir auf 8/10 gestiegen.
Manchmal lässt man sich von Meinungen im Internet auch beeinflussen, das ging mir anfänglich auch so.
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Re: Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Beitrag von buxtebrawler »

italostrikesback hat geschrieben:CARD PLAYER ist mir mit den Jahren richtig ans Herz gewachsen, nach anfänglicher Ablehnung bekam er bei der Zweitsichtung eine 6/10 und ist mit der Zeit bei mir auf 8/10 gestiegen.
Manchmal lässt man sich von Meinungen im Internet auch beeinflussen, das ging mir anfänglich auch so.
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Am 31.07.2013 waren's noch 7/10 - das geht ja flott bei dir ;)
Was gefällt dir denn so an dem Film?

(Ich darf davon ausgehen, dass die Jahresangabe in deiner Signatur als Running Gag gemeint ist?)
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Arkadin
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Re: Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Beitrag von Arkadin »

Fand ich jetzt überraschenderweise gar nichts so schlecht. Wahrscheinlich auch, weil sich die Erwartungshaltung im negativen Bereich befand. Solider Thriller, der allerdings mit einem hahnebüchenen Drehbuch, schlechten Darstellern und einem grauenhaften Soundtrack (Simonetti?!?!?!?) kämpfen muss. Dafür macht Argento aber das Beste daraus. Klar, ganz weit entfernt von früheren Großtaten, aber jetzt auch nicht ärgerlich.
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Re: Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Beitrag von buxtebrawler »

Arkadin hat geschrieben:Fand ich jetzt überraschenderweise gar nichts so schlecht. Wahrscheinlich auch, weil sich die Erwartungshaltung im negativen Bereich befand. Solider Thriller, der allerdings mit einem hahnebüchenen Drehbuch, schlechten Darstellern und einem grauenhaften Soundtrack (Simonetti?!?!?!?) kämpfen muss. Dafür macht Argento aber das Beste daraus. Klar, ganz weit entfernt von früheren Großtaten, aber jetzt auch nicht ärgerlich.
Hanebüchenes Drehbuch, schlechte Darsteller und grauenhafter Soundtrack finde ich schon ärgerlich und wenig "solide" ;)
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Beitrag von Arkadin »

buxtebrawler hat geschrieben: Hanebüchenes Drehbuch, schlechte Darsteller und grauenhafter Soundtrack finde ich schon ärgerlich und wenig "solide" ;)
Da hast Du ja recht. Kurios finde ich übrigens, dass der Film auf Englisch gedreht wurde und bestimmt 80% der Schauspieler dieser Sprache nicht wirklich mächtig sind. Was dazu führt, dass sie angestrengt und mit viel Akzent durch ihre Texte stolpern und dabei vergessen zu schauspielern.

Möglichweise ist meine doch recht sanfte Beurteilung der Tatsache geschuldet, dass ich eine ähnliche Katastrophe wie "Giallo" erwartet habe, der Film aber doch im direkten Vergleich weitaus besser abschneidet. Das bekloppte Drehbuch fand ich irgendwie schon wieder niedlich - nur der Soundtrack... der ist wirklich SEHR speziell. Ich habe mich auf jeden Fall nicht gelangweilt.
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Salvatore Baccaro
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Re: Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Bislang habe ich die in Bezug auf die offenkundig immer "spezieller" werdenden Auswüchse innerhalb von Argentos Oeuvre in den letzten Jahren fortwährend auftauchende These, der gute Mann könne so manche seiner Werke als bewusste Genre-Parodien konzipiert haben, recht entschieden als den lauen Versuch abgetan, den einen oder schlechten Film, nur eben, weil er von einem einstigen Meister wie Argento stammt, durch Konstruktionen unhaltbarer Prämissen künstlich aufzuwerten - nachdem ich nun aber nach langer Zeit einmal mehr seinen IL CARTAIO besehen habe, muss ich doch zumindest leichte Zweifel äußern, ob diejenigen, die Argento in die Nähe einer postmodernen Publikumsverwirrung rücken wollen, nicht vielleicht ansatzweise die Kerne treffen, über die ein Machwerk wie das vorliegende gespannt ist.

IL CARTAIO ist für mich, das dürfte nach der Einleitung klar zu sein, alles andere als ein sehenswerter Film. Mit langweiliger TV-Film-Optik hat Argento hier nichts weiteres gedreht hat als einen etwas "skurrileren" Kriminalfilm, der im Prinzip ungeschnitten - denn Gewalt findet quasi fast vollständig off-screen statt, und höchstens eine ausgiebige, für die eigentliche Geschichte jedoch relativ unnütze Autopsie-Sequenz, in der eine Frauenleiche nach allen Regeln und Ekeln der Kunst inspiziert wird, mag in Bereiche fallen, wo das Gros der Zuschauer angewidert seine Blicke abwendet - im Vorabendprogramm eines Öffentlich-Rechtlichen Senders ausgestrahlt werden könnte, Argento light sozusagen, nahezu ohne sämtliche Trademarks, die den Regisseur vor langer Zeit einmal ausgezeichnet haben. Einmal mehr: Argentos Unfähigkeit, eine lineare, nachvollziehbare Geschichte ohne größere Logiklöcher zu erzählen, hat in der Vergangenheit gerade dann kein Problem dargestellt, wenn er es verstand, ein solches Sammelsurium an Einzelszenen in einer Ästhetik zu servieren, auf die es hauptsächlich ankam, hinter der das Drehbuch schlicht zweitrangig zurückstand und die allein dazu führte, dass Filme wie SUSPIRIA oder PHENOMENA über sich selbst hinaus wuchsen und eben mehr taten als einfach nur spannenden, unterhaltsamen Horror zu liefern, sondern in Sphären vorstießen, wo der Zuschauer mit essentiellen Erfährungen wie dem Horror per se konfrontiert wird. Das ist nicht das Ziel eines Films wie IL CARTAIO, der sklavisch an seinem Drehbuch hängt und daran, stringent die Stationen einer Narration aneinanderzufädeln. Dennoch hapert es gerade hier. Die Logiklöcher klaffen so stark, dass ich darauf verzichte, sie allesamt aufzuzählen, kurz erwähnt seien nur ehrlich "merkwürdige" Momente wie jene Party, die die ermittelnden Beamten in ihrem Polizeibüro schmeißen, nachdem die zuvor entführte Tochter des Polizeipräsidenten wohlbehalten aus den Fängen des irren Killers freigepokert worden ist, was Grund genug darstellt, einmal ordentlich die Sektkorken knallen zu lassen, und das, obwohl der Schlächter sich nach wie vor auf freiem Fuß befindet und außerdem bereits mehreren Mädchen das Leben kostete, oder aber die völlig abwegige Schlussszene, in der unsere Heldin aus heiterem Himmel erfährt, dass sie schwanger von einem Mann ist, den sie kaum kannte und der zudem nicht mehr unter den Lebenden weilt, und ein so seliges Lächeln unter die abrollenden Credits legt, dass man schlicht nicht weiß, was man davon halten soll.

Das ist nun auch mein Dilemma. Argento gibt mir Rätsel auf, die zu lösen ich nicht imstande bin. Ist IL CARTAIO denn wirklich ein derart lieblos hingeschusterter Schundfilm, dass er selbst darin scheitert, in sich selbst schlüssig zu sein und die Motivationen seiner Figuren auch nur ansatzweise nachvollziehbar erscheinen lassen, und hat Argento wirklich all sein Talent betrunken am Spieltisch verjubelt, sodass ihm einfach nicht mehr auffällt, wie sehr dieser Film danach aussieht, als habe man damit ein Mainstream-Publikum sorgfältig bedienen wollen, stürze aber von einer Ungereimtheit in die nächste, dass am Ende wohl keiner mit dem Ergebnis wirklich zufrieden gewesen sein mag? Oder steckt nicht doch etwa Kalkül dahinter, weil Argento, der beispielweise ein medientheoretisch hochinteressantes Werk wie PROFONDO ROSSO drehte, an dem sich ein ganzes Seminar von Photographie-Theoretikern, Antonioni-Fans und Psychoanalytiker abarbeiten könnte, mit IL CARTAIO so etwas wie den hässlichen, modernen Bruder seines zuvor inszenierten NONHOSONNO in die Welt schicken wollte: stellt letzterer doch nichts anderes dar als ein großes Recycling-Happening, in dem Argento charmant und spannend alles Mögliche zusammenwirft, was man aus seinen "klassischen" Fimen kennt, ohne Zugeständnisse und ohne Innovation. Bei IL CARTAIO ist nun alles voller Zugeständnisse und Innovationen, nichts davon aber befriedigend und überzeugend. Sozusagen könnte man beide Filme als zwei verschiedene Seiten einer Medaille betrachten. NONHOSONNO, das ist ein wehmütiger Rückblick auf vergangene Großtaten, der freilich in seinem Subtext die Frage nach einer solchen rückwärtsgewandten Nostalgie stellt, und danach, inwieweit es Sinn macht und überhaupt legitim ist, nur nach dem zu schauen, was hinter einem liegt, ohne den Willen, etwas Gegenwärtiges zuzulassen, während IL CARTAIO tief hineintaucht in die Fangstricke der modernen Kinematographie, und, als würde er eine Liste abhaken, so ziemlich alles, was NONHOSONNO auszeichnete, einer traumlosen Ästhetik preisgibt, in der sich, wie gesagt, der normale Tatort-Zuschauer problemlos zurechtfinden wird. Vereinzelt verstreut entdeckt man sie dann aber doch, die Anspielungen auf das "Früher", das für Argento-Jünger die Ära meint, die mit OPERA schließt: da wäre der auf Tonband mitgeschnittene Kanonendonner, der den irisch-englischen Inspektor auf die richtige Fährte führt, eine unübersehbarer Analogie zu dem Ruf eines gewissen schwarzberockten Vogels, der knapp dreißig Jahre zuvor ähnlich hilfreich dabei war, einen römischen Massenmörder zur Strecke zu bringen, die Szene, als Anna über eine Glasspiegelung klar wird, dass ein Unbekannter mit Maske draußen im Garten auf sie lauert, oder natürlich das unheimliche Haus, eine klare Reminiszenz an PROFONDO ROSSO, in dem der oben erwähnte Inspektor wie in ein Märchenreich aus einer anderen Zeit wandelt - so wie überhaupt die feinen, filigranen Blüten einer Pflanze, wunderhübsch photographiert, als winzige Inseln der Poesie gelesen werden könnten, mit denen Argento auf seine filmische Vergangenheit rekuriert, und die letztlich verloren, hilflos und nur punktuell von Bedeutung durch den ansonsten optisch matten Film geistern.

Dass Anna gleich zu Beginn ihren Kollegen die Regeln des Online-Pokerspiels wie eine Showmasterin erklärt, dass die eigentlichen Morde bzw. Pokerspiele völlig unspektakulär in Szene gesetzt sind, fast so, als wolle man noch das Wenige, was sie sowieso schon an Schauwerten haben, nämlich ein per Live-Cam zugeschaltetes schreiendes Mädchen, zusätzlich untergraben und aushöhlen, und dass das Finale so grenzenlos lächerlich ausgefallen ist, mit Sprüchen jenseits von Gut und Böse, und sein minimalistisches Setting gar nicht erst mit einem Anflug von Spannung und Drive zu paaren versucht wird lässt mich, gerade in Zusammenhang mit der Haus-Erkundung des Inspektors, dann doch fast glauben, dass sich hinter IL CARTAIO so etwas verbirgt wie Argentos selbstreflexive Auseinandersetzung mit sich selbst, seinem eigenen Schaffen und dem Tod einer von ihm früher in hervorragender Weise in Bildern gegossenen Poesie im Kontext einer immer schnelllebiger und seelenloser werdenden Unterhaltungsindustrie.
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jogiwan
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Re: Card Player - Tödliche Pokerspiele - Dario Argento (2004)

Beitrag von jogiwan »

„Card Player“ ist ja auch einer dieser Spät-Argento, die man eher mau in Erinnerung hat und die Neu-Sichtung offenbart auch neuerlich die sehr zahlreichen Schwächen dieses unterdurchschnittlichen Euro-Thrillers, der abgesehen von ekligen Autopsie-Momenten keinerlei Schauwerte zu bieten hat. Die Story über einen mysteriösen Killer, der die Polizei von Rom zu Online-Pokerspielen nötigt, bei denen es als Einsatz um das Leben von entführten Touristinnen geht, ist ja schon kein Highlight und Argento verzettelt sich gleich ein paar Mal mit seinen Handlungssträngen und tragischen Figuren, die teilweise bis zur Lächerlichkeit überzeichnet werden und an Klischeehaftigkeit ebenfalls kaum noch zu überbieten sind. So etwas wie Spannung kommt bei dem hoffnungslos konstruierten Plot ja erst gar nicht auf und im haarsträubenden und eher unfreiwillig erheiternden Finale wird die ganze Sache dann endgültig und komplett an die Wand gefahren. Ganz mies auch der elektronisch gehaltene Soundtrack von Herrn Simonetti und „Card Player“ ist dann auch in den wenigen Jahren sehr schlecht gealtert und wirkt zwar wie ein misslungener Gegenentwurf zu europäischen Thriller-Produktionen. Auch wenn Dario Argento in "Sleepless" auf seine alten Tage nochmals alles richtig gemacht hat - in "The Card Player" setzt er in allen Belangen auf das jeweils falsche Pferd.
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