Police are blundering in the dark
La polizia brancola nel buio
Italien/Türkei 1975
Regie: Helia Colombo
Joseph Arkim, Francisco Cortéz, Richard Fielding, Alberto Gasparri, Gabriella Giorgelli, Robert Trewords,
Elena Veronese, Halina Zalewska, Sonny Crowell, Daiana Murpy, Margaret Rose Keil, Erika Fisher
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OFDB
Italo-Cinema.de (Richie Pistilli)
Willkommen im Schlaflabor des Doktor Dalla Dalla. Spannende Experimente mit arglosen Filmzuschauern erwarten sie hier, durchgeführt von Mr. Afro höchstpersönlich, und unter tatkräftigem Einsatz barbusiger Frauen werden sie so sanft wie möglich in den Schlaf gewiegt.
Denn Mr. Afro, der sich hier Edmondo Parisi nennt, hat ein Verfahren entwickelt, mit dem er die Gedanken anderer Leute fotografieren kann. Klingt komisch, ist aber so. Die Kamera sitzt im Esszimmer im Auge einer hässlichen Statue, und während des Essens kann er dann mehr oder weniger heimlich seine Gäste knipsen, beziehungsweise eben ihre Gedanken. Da wäre seine Frau Eleonora, die ihn solange hasst bis er aus dem Rollstuhl fliegt, dann aber sogleich in heftige Liebestränen ausbricht. Die Nichte Sara, die jung und hungrig ist, und auf dem edlen Landsitz irgendwo in der Walachei langsam aber sicher innerlich verdorrt. Sein Freund und Kurpfuscher Dottore Stefanelli, der eine Donald Trump-Gedächtnis-Frisur spazieren trägt und versucht, ganz alleine gegen den galoppierenden Stumpfsinn anzureiten, und dabei wirkt wie ein junger Ilja Richter im Drogenrausch. Und, als Überraschungsgast, der Journalist Giorgio D’Amato, der eigentlich auf der Suche nach seiner Freundin Enrichetta Blonde ist, die aber, das weiß er allerdings noch nicht, ermordet wurde. Genauso wie viele andere Fotomodelle, die just in dieser Gegend alle spurlos verschwunden sind (und, das muss ich einfach spoilern, unter dem Kohl begraben wurden!). Und da Enrichetta in ihrem Terminkalender ein Date mit Dr. Afro eingetragen hat landet Giorgio ebendort in dieser Villa. Wo der Butler immer nur weiße Handschuhe trägt, einen total verbeulten VW Käfer fährt und eine Menge Geheimnisse mit sich trägt, und wo das Zimmermädchen sich mit dem Butler fortwährend streitet und ansonsten dauergeil ist.
Und von genau dieser Warte aus muss man LA POLIZIA BRANCOLA NEL BUIO auch sehen, denn eine andere Sichtweise führt zur schnellen Lähmung des Sehnervs. Wobei, da drücke ich schon ein wenig zu böse auf die Tube, denn soooooo schlecht ist der Film eigentlich gar nicht. Eigentlich. Die Schauspieler sind durchaus drollig anzuschauen, die Kameraführung ist allen Ernstes großartig und zaubert einige sehr schöne und denkwürdige Momente, und die Musik untermalt diese denkwürdigen Momente mit feiner Herz-Schmerz-Zuckerwatte, frisch geklaut aus dem Laboratorium des Stelvio Cipriani. Richie Pistilli schreibt auf Italo-Cinema: „
Letztendlich lebt dieser spannungsarme Giallo von seinen exaltierten Persönlichkeiten, den gezeigten Schmuddeleien und der völlig abgedrehten Idee der Gedankenfotografie.“, und trifft damit den Nagel auf den Kopf.
Nur dumm, dass das Medium Film auch noch aus so Nebensächlichkeiten wie einer Handlung besteht. Und da wird es grenzwertig. Dass die Geschichte an sich so krude ist wie Putins Begründungen für den Überfall auf die Ukraine? Geschenkt, ich habe schon ganz andere Filme mit noch viel unwahrscheinlicheren Storylines gesehen. Aber die Umsetzung, die ist schon ein ganz eigenes Kaliber. Über weite Strecken halte ich LA POLIZIA BRANCOLA NEL BUIO zugute, dass er die von Lucio Fulci mit NON SI SEVIZIA UN PAPERINO und Gianfranco Mingozzi mit DIE MAFIA-STORY begonnenen Blicke auf das Italien des kleinen Mannes fortführt. D’Amato (also nicht Onkel Joe, sondern der Charakter aus diesem Film), der ohne Schnäuzer (und wir reden hier immerhin von einem Lookalike des Turkploitation-Aushängeschildes Cüneyt Arkin!), aber mit schniekem weißen Hemd und gelbem Alfa in der Provinz auf Menschen trifft, die aussehen als ob sie mit knapper Not einem Pasolini-Film entkommen sind – Da treffen Welten aufeinander. Im Ernst, der Kontrast zwischen der sexy Enrichetta, die in einem gottverlassenen Kaff im Regen eine Panne hat und auf Leatherface und seine Frau samt debilem Anhang trifft, das ist tatsächlich ein ganz böser Blick aus der sozialen Richtung. Wenn Enrichetta in laaaangen Beinen und ohne Strumpfhose sich mit der abgearbeiteten Wirtin des Albergos unterhält, dann könnten die beiden Personen auch auf Mond und Mars leben, so weit entfernt sie sind voneinander. Oder die Begegnung der nackten Enrichetta mit dem geistig behinderten Sohn der Wirtsleute – Ganz großes Kino, das von Triers IDIOTEN in seiner unfassbaren Unschuld locker das Wasser reichen kann. Die Klamotten Enrichettas (ihr merkt schon, ich mag den Namen irgendwie) im Gegensatz zur Nachkriegseinrichtung des Hotelzimmers, da öffnen sich die gleichen Spannungen wie wenn eben am nächsten Tag Giorgio auf den Wirt trifft, der ihn versucht mit seinem Blick zu Tode zu stieren. Und das ist wirklich ernst gemeint, der Kontrast zwischen dem Lebemann aus der Stadt und dem abgestumpften Wirt ist bemerkenswert, und würde in Filmen von, sagen wir, Pier Paolo Pasolini oder Duccio Tessari viel hermachen und einiges an spitzen Bemerkungen erzeugen. Aber hier verpufft das irgendwie ein wenig, wenn man anschließend Giorgio dabei beobachtet, wie er durch die sonnendurchflutete Landschaft fährt und in einer Villa zum Dinner eingeladen wird. Schade eigentlich, die Szenen im Hotel haben ihren ganz eigenen Reiz.
Ebenfalls seinen ganz eigenen Reiz haben die letzten 20 Minuten, die nach meinem Dafürhalten dadurch entstanden sind, dass die Zigarrenkiste mit den Filmresten im Schneideraum auf den Boden fiel, und der Cutter diese Reste dann schnell und heimlich in den Film eingefügt hat. Das Zusammenspiel aus totem Zimmermädchen – Bettgestell – Treppenhaus – Terrasse zeigt assoziativ, was der Mörder (denn den gibt es hier ja schließlich auch noch) gerade macht, und hier ist der Schnitt durch genau diese Weise assoziativ-genial. Aber dann hat es halt auch noch diese unbestimmte Reihenfolge metaphysischen Charakters: Afro im Soundlabor – Flur – Götzenbild mit Kamera – Soundlabor – Giorgio und Eleonora im Auto – Soundlabor – totes Zimmermädchen – Flur – Labor – Götze – Labor – Eleonora – Treppe – Labor – Wohnzimmer – Labor – Lenkrad von Giorgio – Labor – Treppenhaus – Labor – Türe – Labor – Dr. Afro, der eine Minute lang wie ein Gestörter durch das Haus rollert und „Alberto“ schreit, während er mit der Bedienung seines Rollstuhl sichtlich überfordert ist – Autofahrt – (jetzt wird die Schnittfolge immer schneller, geradezu delirierend, also bitte schneller lesen) Rollstuhlfahrt – Entlarvung des Mörders – Kohl –Fotomodell vom Beginn des Films auf der Flucht – Erinnerungen des Mörders –Mord an Enrichetta – Kohl – tote Enrichetta – schreiendes Zimmermädchen – Verfolgungsjagd mit Mörder, die sehr abrupt endet, und urplötzlich werden die Not und das Leid der Landbevölkerung wieder thematisiert (und damit der Kreis zum ersten Mord geschlossen, wo die Ignoranz der Landwirte immanentisiert wurde), um dann einen Schlenker zu machen zur Darstellung behinderter Mitmenschen. Wobei, behindert sind die hier irgendwie eigentlich alle …
LA POLIZIA.. bietet einige starke Momente. Wenn Enrichetta (Da ist sie wieder!) sich abschminkt und in Großaufnahme mit dem genau halb entblätterten Gesicht in die Kamera schaut. Der Versuch Giorgios, mit der Landbevölkerung Kontakt aufzunehmen. Nochmal Giorgio, der sich durch ein ländliches Tanzfest wurschtelt. Die Kamera, die es schafft, mehrmals minutenlange Szenen statisch und ohne Schnitt aus der Halbtotalen einzufangen. Die extrem schöne Kamerafahrt, welche die Erektion des debilen Jünglings in Form eines aufgerichteten Baumes darstellt. Dr. Afro, der vor einem Equalizer sitzt, und mit Schallwellen seine Fotos bearbeitet, was sich im Gesamtbild als eine Mischung aus Klaus Schulze (dem Musiker) und Jess Franco (dem Regisseur) darstellt. Mich persönlich hat der Film zweimal ins Reich der Träume geschickt, ich kann mir aber auch ohne weiteres vorstellen, dass jemand 86 Minuten lang abgeht wie Schmidts Katze, wenn all diese Unglaublichkeiten und Ungeheuerlichkeiten auf ihn einprasseln. LA POLIZIA ist hochgradig idiotischer Genre-Trash mit starker Unterhaltungsgarantie, wenn man bereit ist sich von der gesunden Welt und Dingen wie Handlung, Drehbuch oder gar Szenenabfolge zu verabschieden. Guter Stoff für alle Bergonzelli- und Polselli-Jünger, für die anderen eher harter und zäher Tobak.
5/10