Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey (1974)

Grusel & Gothic, Kannibalen, Zombies & Gore

Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey (1974)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Dracula cerca sangue di vergine... e morì di sete!!!

Herstellungsland: Italien / Frankreich 1974

Regie: Paul Morrissey

Darsteller: Joe Dallesandro, Udo Kier, Arno Juerging, Maxime McKendry, Milena Vukotic, Dominique Darel, Stefania Casini, Silvia Dionisio, Inna Alexeievna, Gil Cagne, Emi Califri, Eleonora Zani u. A.
Auf der Suche nach einer Jungfrau verläßt Graf Dracula seine rumänische Heimat und gerät in eine dekadente italienische Adelsfamilie der 20er Jahre. Da die Familie de Fiore nahe am Bankrott steht, kommt ihnen die Heirat einer ihrer vier Töchter mit dem wohlhabenden Grafen sehr gelegen. Jungfräuliches Blut zu erhaschen, erweist sich für den gesundheitlich angeschlagenen Vampir aber als schwieriges Unterfangen, zumal die Mädchen ein reges Geschlechtsleben mit dem Hausdiener führen...
Quelle: www.ofdb.de
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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buxtebrawler
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Re: Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey

Beitrag von buxtebrawler »

„Der Graf is’n Vampir – es wär’ besser, Sie vergessen die Hochzeit und überlegen, wie wir ihn umbringen.“

Direkt nach Abschluss der Dreharbeiten zu „Andy Warhol’s Frankenstein“ und mit teilweise gar den gleichen Darstellern von Regisseur Paul Morrissey gedreht, ist diese französisch-italienische Koproduktion doch ganz anders als jener Splatter-Trasher geworden – um nicht zu sagen: zwei Klassen besser! Diese eigenwillige Dracula-Variation steht mit seinen häufig alles andere als unselbstzweckhaft in Szene gesetzten nackten Mädels einerseits voll und ganz in der Tradition des 1970er-Exploitation-Kinos, andererseits ist der Erotikanteil aber nur eine Zutat zu einer dramatischen Allegorie auf das zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, die sich Bram Stokers Dracula-Figur als symbolisierter, die Arbeiterklasse aussaugender, parasitärer Aristokratie bedient, die schwächelt und in immer mehr Ländern zum Teufel gejagt wird. Diese Revolutionsthematik ziehst sich durch zahlreiche Dialoge, in denen Joe Dallesandro in seiner Rolle als gesunder, kraftstrotzender, potenter Proletarier die Antithese zum keinesfalls erhabenen, sondern bemitleidenswerten Grafen Dracula darstellt, der von einem absichtlich für diesen Film abgemagerten Udo Kier wie ein Junkie auf Entzug schlichtweg perfekt gemimt wird. Der Graf benötigt nämlich dringend jungfräuliches Blut und hofft, nachdem er in seiner transsilvanischen Heimat keines mehr findet (ein weiteres Symbol für die gesellschaftlichen Veränderungen durch eine selbstbewusst agierende Unterschicht, die nicht mehr in Angststarre vor den Mächtigen verharrt), im katholischen Italien fündig zu werden. Besonders eindrucksvoll sind dabei die Szenen, in denen er sich übergeben muss, wenn er vom falschen Hals genascht hat... Doch derartige Szenen wurden hier sorgfältig eingestreut, kaum noch eine Spur vom übertriebenen Trash des Vorgängers „Frankenstein“. Die recht große Nebenrolle des Dieners Draculas wurde mit Arno Juerging besetzt, der die Affektiertheit seiner Rolle mittels Overacting unterstreicht und während eines amüsanten Wirtshaus-Intermezzos einem Cameo-Auftritt von Roman Polanski beiwohnen darf. Die untypische Charakterisierung Draculas ist meines Erachtens eine der größten Stärken des Drehbuchs, denn dadurch wird es dem Zuschauer erlaubt, bizarrerweise tatsächlich mit dieser traurigen, tragischen Gestalt mitzufiebern und ihn zu bedauern, wenn er – Achtung, Spoiler! – gegen Ende dann doch wie bereits aus „Andy Warhol’s Frankenstein“ bekannt, grafisch übertrieben explizit auf brutalste Weise zerstückelt wird. Der atmosphärische Soundtrack unterstreicht die düstere, aber ganz spezielle Stimmung des Films gekonnt, während sich vermutlich Kiers Blick, seine Mimik und seine Körpersprache, die all das Elend seiner Figur unmissverständlich verdeutlichen, am stärksten ins Gedächtnis einbrennen.

Fazit: Eigenständiges, europäisches Kino, das einmal mehr beweist, dass auch mit einem kleinen Budget ein interessanter, nicht unintelligenter, wertvoller Film erschaffen werden kann. Ich bitte aber darum, darauf zu achten, sich keine der ebenfalls brutal verstümmelten Fassungen anzusehen (Vorsicht, auch 18er-Fassungen sind inkomplett!) und so etwas nicht zu unterstützen. Dieser Film sollte, wie jeder andere auch, in seiner Vollständigkeit genossen werden.
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dr. freudstein
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Re: Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey

Beitrag von dr. freudstein »

Wird ja oft verrißen dieser Film, aber ich finde diesen Film zwischen gut und sehr gut. Länger nicht gesehen, aber dieser Film ist schon ein kleines filmisches Kunstwerk mit schöner Atmosphäre.
Kaum vergleichbar mit der klassischen Vorlage und besonders daher sehr interessante Interpretation, wie ich finde.
Eine Neusichtung kommt derzeit aber nicht in Frage, weil noch 3 Reihen ungesehener Filme hier liegen zum Abarbeiten. Ansonsten hätte ich schon wieder Lust dazu, auch für ein präziseres Urteil meinerseits.
Udo Kier glänzt!!
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sid.vicious
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Re: Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey

Beitrag von sid.vicious »

Dracula ist in Transsylvanien vor ein gewaltiges Problem gestellt, er ernährt sich einzig von Jungfrauenblut. In Anbetracht des Verfalls von Sitte und Moral kann er in Transsylvanien kein Opfer mehr finden. Auf Anraten seines Dieners verlässt Dracula sein Land um in Italien nach frischem Jungfrauenblut zu suchen.

Der Zufall will es, dass er schnell in Kontakt zur Familie Di Fiore bekommt. Diese hat 4 Töchter. Das Ganze gestaltet sich allerdings als wesentlich schwieriger als erwartet...

Der Titel Andy Warhols Dracula ist absolut unpassend und nur zu Werbezwecken eingesetzt worden. Die Pop Art Gruppe von Andy Warhol hat mit Paul Morrisseys Film Nichts zu schaffen. Dieses sei nur am Rande erwähnt, da es
sich bei diesem Film um einen absoluten Kultfilm der 70er Jahre handelt.

Die Dracula-Thematik wird hier auf eine vollkommen andere Weise dargestellt. Handelt es sich in der klassischen Variante der Draculafigur noch um eine erotische, geheimnisumgebende Gestalt, so ist die Figur die Udo Kier verkörpert eher ein abgewrackter Junkie, der nicht in der Lage ist an seinen Stoff zu kommen.

Morrissey baut in seine Draculaversion einiges an klassischen Gesellschaftstemen ein. Der Knecht Mario zeigt z.B. die personifizierte Stellung der Arbeiterklasse in der Gesellschaft und ihrem Hass auf die Oberschicht, die den Kampf mit der verkommenen, verhurten und Drogensüchtigen Oberschicht aufnimmt.

Morrisseys Film lebt von Anspielungen dieser Art und zeigt sich als ein Werk, das meines Erachtens völlig unterbewertet ist.

Es handelt sich hier in keiner Weise um einen reinen Horrorfilm, eher um eine intelligente Auseinandersetzung mit den Geflogenheiten der 20er Jahre.

10/10
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untot
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Re: Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey

Beitrag von untot »

Da sag noch mal einer, Vampire hättens leicht, Graf Dracula hat mir hier richtig leid getan, dem wird echt übel mitgespielt. Nicht genug das er eh schon kränkelt und eine beschwerliche Reise von Rumänien nach Italien antreten muss, so beschert ihm die Lasterhaftigkeit der vermeindlichen italienischen Jungfrauen, noch zusätzliche Verdauungsprobleme.
Reinfälle wohin unser Graf auch kommt, am Schluß wird ihm auch noch auf total unschöne Weise, sein ewiges Leben genommen, dabei ist er eigentlich ein ganz sympathischer Zeitgenosse!
Für mein sensibles Gemüt war das fast schon zu starker Tobak. :mrgreen:
Dieser Film ist ein echtes Vergnügen, und nötigt einem das ein oder andere Schmunzeln ab, klasse gemacht, hier gibts wirklich absolut nichts zu meckern!!

9/10
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Adalmar
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Re: Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey

Beitrag von Adalmar »

Ich wiederhole mich noch mal aus dem Frankenstein-Thread: Mit dem großartigen Udo Kier und Granaten wie Stefania Casini hatte man hier die Grundlage für einen tollen Dracula, aber der Film wird versaut durch das völlig ausdruckslose "Spiel" von Joe Dallesandro und das nicht enden wollende Arbeiterklasse-Sprücheklopfen (besonders bei der Schlussszene hat mich dieses Dummgeschwalle unglaublich genervt) sowie die naive Parallelsetzung von Vampirismus und Klassenunterdrückung seitens der Oberschicht.
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CamperVan.Helsing
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Re: Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Adalmar hat geschrieben:Ich wiederhole mich noch mal aus dem Frankenstein-Thread: Mit dem großartigen Udo Kier und Granaten wie Stefania Casini hatte man hier die Grundlage für einen tollen Dracula, aber der Film wird versaut durch das völlig ausdruckslose "Spiel" von Joe Dallesandro und das nicht enden wollende Arbeiterklasse-Sprücheklopfen (besonders bei der Schlussszene hat mich dieses Dummgeschwalle unglaublich genervt) sowie die naive Parallelsetzung von Vampirismus und Klassenunterdrückung seitens der Oberschicht.
DAS wiederum kann ich gar nicht nachvollziehen.
My conscience is clear

(Fred Olen Ray)
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buxtebrawler
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Re: Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey

Beitrag von buxtebrawler »

Adalmar hat geschrieben:Ich wiederhole mich noch mal aus dem Frankenstein-Thread: Mit dem großartigen Udo Kier und Granaten wie Stefania Casini hatte man hier die Grundlage für einen tollen Dracula, aber der Film wird versaut durch das völlig ausdruckslose "Spiel" von Joe Dallesandro und das nicht enden wollende Arbeiterklasse-Sprücheklopfen (besonders bei der Schlussszene hat mich dieses Dummgeschwalle unglaublich genervt) sowie die naive Parallelsetzung von Vampirismus und Klassenunterdrückung seitens der Oberschicht.
Das ist doch gerade der Witz dieses Films und das, was ihn ausmacht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Adalmar
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Re: Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey

Beitrag von Adalmar »

Über die Idee an sich könnte man ja noch reden - wenn sie denn etwas subtiler umgesetzt worden wäre -, aber das Klassenkampf-Thema wird Dallesandro dermaßen permanent in den Mund gelegt, dass es nur noch penetrant ist.

"Jonathan" von Geißendörfer soll ja in eine ähnliche Richtung gehen, den kenne ich allerdings noch nicht und habe auch gewisse Vorbehalte.
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buxtebrawler
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Re: Andy Warhol's Dracula - Paul Morrissey

Beitrag von buxtebrawler »

Adalmar hat geschrieben:Über die Idee an sich könnte man ja noch reden - wenn sie denn etwas subtiler umgesetzt worden wäre -, aber das Klassenkampf-Thema wird Dallesandro dermaßen permanent in den Mund gelegt, dass es nur noch penetrant ist.
Ich glaube, wie auch immer geartete Subtilität war zu keinem Zeitpunkt ein Anliegen dieses Films. :mrgreen:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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