Originaltitel: Arpie
Produktionsland: Italien 1987
Regie: Fabio Salerno
Darsteller: Francesco Rinaldi, Paola Bechis, Roberta Schiarea, Paolo Coluzzi, Marisa Pierdiluca
Obwohl ich mich selbst als durchaus nicht unbeflecktes Blatt im Gebiet des italienischen Horrorkinos gerade der 80er Jahre bezeichnen würde, habe ich den Namen Fabio Salerno bis vor ein paar Wochen nie zuvor vernommen. Dabei hat der Mailänder nicht nur bereits als Teenager in den 70ern zur Super8-Kamera gegriffen, und erste private Filmprojekte realisiert, sondern baute dieses Hobby im Laufe der 80er weiter zu (semi)-professioneller Qualität aus. VAMPIRI, CADAVERI oder MEZZANOTTE heißen nur einige der angeblich dutzenden Amateur-Filme, die Salerno in dieser Dekade nunmehr auf 16mm oder Video schießt, und die 1991 in seinem ersten und einzigen Langfilm NOTTE PROFONDA kulminieren. Die Achtungserfolge, die das Werk auf Filmfestivals einstreicht, halten den aufstrebenden Jungregisseur aber auch nicht davon ab, sich zwei Jahre später mit gerade mal neunundzwanzig Jahren das Leben zu nehmen. Zurückbleibt ein obskures Korpus an vollständig außerhalb kommerzieller Produktions- und Distributionssysteme entstandener Horrorfilme, die etwa zeitgleich zu den (wesentlich höher budgetierten und professioneller inszenierten) Großtaten von Argento-Schülern wie Lamberto Bava oder Michele Soavi als Erbverwalter eines sterbenden Genres auftreten, es allerdings, im Gegensatz zu Bava und Soavi, offenbar nie geschafft haben, bis zu einem größeren Publikum vorzudringen oder gar Kult-Status zu erreichen.
Wenn man dem 1987 veröffentlichten ARPIE, in dem Salerno einmal mehr in Personalunion als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent, Kameramann, Cutter und Ein-Mann-FX-Departement in Erscheinung tritt, eins nicht vorwerfen kann, dann, dass er seine Idole auch nur ansatzweise verschleiern würde. Der knapp fünfunddreißig Minuten lange Schocker beginnt mit einer Flüsterstimme geradewegs aus den Untiefen der SUSPIRIA-Ballettschule für junge Hexen sowie Illustrationen der titelgebenden antiken Mischwesen aus Frau und Vogel unter anderem von Gustave Doré, - aber auch eine ikonische Darstellung des Templergötzen Baphomets hat es, weshalb auch immer, in den Vorspann geschafft. Nachdem uns das diabolische Wispern zu einem Goblin-Gedächtnis-Soundtrack versichert hat, dass die Harpyien durchaus auch in unseren aufgeklärten Zeiten noch ihr Unwesen treiben würden, lernen wir einen abgehalfterten Junkie kennen, der, als er sich gerade einen Schuss in irgendeinem Mailänder Hinterhof setzt, von einem zwar schweigsamen, dafür aber umso übler dreinblickenden Mann überrascht wird. Panisch sticht der Heroin-Konsument die bedrohliche Gestalt nieder – nur um plötzlich von einem Wesen attackiert zu werden, das niemand am Set von Lamberto Bavas DEMONI als Störfaktor empfunden hätte: Die Bestie mit dem exorbitanten Beißwerkzeug und scharfen Klauen schlitzt unserem Held kurzerhand den Brustkorb auf, sodass dieser verscheidet, noch bevor der hübsch mit Geisterbahnschrift animierte Vorspann zu seinem Ende gekommen ist.
Vergessen können wir den armen Fixer sowieso, da auf diese eigenartige Prologsequenz in der folgenden halben Stunde kein einziges Mal mehr Bezug genommen wird. Stattdessen heftet sich Salernos Film an die Fersen von Veronica, einer jungen Frau, die ihr Universitätsstudium finanziert, indem sie nebenbei im Krankenhaus jobbt, was allerdings dazu führt, dass ihre Noten aufgrund der Doppelbelastung alsbald in den Keller rutschen. Ein Gespräch mit ihrem Professor bringt ihr weniger Verständnis ein, sondern einen empörten Gesichtsausdruck, als der Lustgreis ihr anbietet, über ihre schlechten Zensuren hinwegzuschauen, wenn sie sich ihm gegenüber nur etwas aufgeschlossener zeige. Schnitt zu einer anderen Frau, die für den eigentlichen Plot derart unbedeutend ist, dass sie nicht mal einen Namen besitzt; stattdessen hat sie aber nach dem Erwachen in ihrem Bett immerhin einen verwesenden Kopf liegen, der sie angrinst wie die berühmte Zombie-Fratze aus Fulcis ZOMBI 2, und bei dem auch die lebenden Maden in Großaufnahmen nicht fehlen dürfen. Verständlicherweise erschüttert zieht die Dame sich von ihrer Schlafstatt zurück, und bringt ihren Hinterkopf damit geradewegs in die Einflugschneise einer mit einem Messer bewährten Hand: Die Klinge tritt ihr, ganz nach dem Muster des Eröffnungs-Splatters in Fulcis QUELLE VILLA ACCANTO AL CIMITERO, auf eine Weise in die Schädeldecke ein, dass ihre Augen aufgrund der Heftigkeit des Stichs Blut zu weinen beginnen. Wer genau die Frau nun gewesen ist, und in welcher Beziehung ihr bemitleidenswertes Dahinscheiden mit der Veronica-Handlung steht, diese Antworten überlässt Fabio Salerno mir und meiner blühenden Phantasie.
Dass ein Nein auch einfach mal ein Nein bedeutet, scheint Veronicas Professor inzwischen so schwer verständlich zu sein, dass er seine Studentin am Abend gar kurzerhand in ihrem (angesichts ihrer postulierten mediokren finanziellen Situation verblüffend weitläufigen und mehrstöckigen) Eigenheim aufsucht, und seine Offerte wiederholt: Schläft sie mit ihm, wird sie ganz sicher nicht durch die Prüfung rasseln. Veronica kann sich der immer aggressiver werdenden Avancen ihres Profs letztlich nicht anders erwehren, als dass sie sich im eigenen Badezimmer einschließt, worauf der Lüstling endlich aufgibt, und zur Haustür stapft, die allerdings auf einmal fest verriegelt ist. Zurückgekehrt zum Badezimmer, um Veronica nach dem Schlüssel zu fragen, steht ihm bloß noch ein grausamer Tod bevor: Eine Dämonenklaue wie aus Argentos INFERNO knallt durch das Türholz und grapscht ihm mitten ins Gesicht. Dem kurz danach eintrudelnden Bübchen vom Apotheken-Bringdienst ergeht es nicht besser: Veronica, in sichtlich schlechter Fassung, nämlich im Bava-DEMONI-Modus, heißt ihn willkommen, indem sie ihm ein Messer in den Hals rammt.
Zum Glück ist die Polizei einen Schnitt später bereits zur Stelle. Die Suche nach dem spurlos verschwundenen Lieferboten führt sie direktemang zu Veronica, die vorgibt, der Knabe sei nie bei ihr angekommen, und den beiden Beamten dabei, weshalb auch immer, ihre Autoschlüssel stibitzt. Gezwungen, in Veronicas Häuschen zurückzukehren, wo sie den Schüssel richtigerweise vermuten, finden sie dieses wie verwaist vor. Ein Blick in den Keller eröffnet ihnen indes, dass der erste Eindruck täuscht: Da sind, als PHENOMENA-Referenz, ganze Generationen an verfaulenden Kadavern inklusive Maden gestapelt, und Veronica, zurzeit ohne Harpyien-Fangzähne und -Krallen, läuft mit einer elektrischen Säge Amok, was dem Score Anlass gibt, in metallische Klänge auszubrechen, die auch dem Argento der 80er die Ohren geschmeichelt hätten. Während einer der beiden Polizisten Veronicas Gruft der rottenden Leichen nicht lebend verlässt, gelingt es Cop Nummer Zwei, Francesco, die junge Frau über den Haufen zu schießen. Vorbei ist der Film damit aber noch lange nicht: Nachdem wir Francescos Freundin Roberta vorgestellt bekommen haben, die sehr einfühlsam und verständnisvoll mit den Traumata umgeht, die ihr Lebensgefährte seit dem Tod seines Kollegen mit sich herumschleppt, (und die sich unter anderem darin äußern, dass er seiner Liebsten beim Abendessen davon erzählt, wie grausig doch der Anblick all der rottenden menschlichen Körperteile gewesen sei: na dann, guten Appetit!), feuert Salerno die nächste Filmanspielung aus der Hüfte: Auf offener Straße glaubt Francesco VERTIGO-esque die tote Veronica zu erblicken – und die Montage verblüfft durch Maschinengewehrgegenschnitte von Francescos fassungslosem Gesicht und der jungen Frau, wie sie zwischen den Passanten sorglos eine belebte Handelsstraße entlangflaniert. Sitzt Francesco der Schock derart tief in den Knochen, dass er bereits zu phantasieren anfängt? Mitnichten, denn kurz darauf erfährt er von einem Kollegen, dass Veronicas Leichnam tatsächlich aus dem Obduktionssaal verschwunden sei. Auch stellt er an Roberta merkwürdige Verhaltensweisen fest: Sie scheint etwas vor ihm zu verheimlichen, stiehlt sich heimlich aus dem Haus, hat zudem eine ihm unbekannte Freundin bei sich aufgenommen. Falls er in ihrer Abwesenheit Schritte im oberen Stockwerk hören solle, solle er sich davon nicht beunruhigen lassen, denn sie habe spontanen Besuch erhalten. Wir ahnen doch alle, worauf die Chose hinausläuft, oder?
Mehr als nur ahnen kann man anhand meiner einleitenden Worte und meiner Inhaltsangabe zwei grundsätzliche Dinge, die konstitutiv für ARPIE sind: 1) Salernos Film ist ein lupenreines Amateurprodukt, gedreht mit Laien, einem verschwindend geringen Budget und eigenhändig fabrizierten Spezialeffekten; 2) Salernos Film ist ein Werk, das man kaum außerhalb seines Entstehungskontext rezipieren kann, zu sehr abhängig zeigt es sich von dem spezifischen Genre, dem er huldigt. Was Punkt Eins betrifft, kann ich eigentlich nur meinen Hut davor ziehen, was der damals Dreiundzwanzigjährige ohne Unterstützung eines professionellen Studios auf die Beine gestellt hat. Natürlich muss man bei schauspielerischen Leistungen (gerade der lange Finalmonolog der Harpyie Roberta erinnert dann doch mehr an die kraftlose Probe einer Volkstheatertruppe), bei den handgemachten (und zudem reichlich selbstzweckhaften) Sudeleien und beim oftmals äußerst holprigen Schnitt Abstriche machen. Für einen Film dieser Preisklasse allerdings weitgehend applauswürdig ausgefallen ist die Kameraarbeit, der es teilweise gelingt, die tänzerische Eleganz eines Argento zu simulieren, sowie die gerne mit knalligen Farben á la SUSPIRIA oder INFERNO operierende Ausleuchtung, die die dürftigen Produktionskosten zudem teilweise effektiv kaschieren kann. Die rapide Montage, als Francesco die totgeglaubte Veronica auf der Gasse trifft, und die Art und Weise, wie die Kamera beispielweise in der Szene, als die beiden Polizisten Veronicas Keller inspizieren, predatorenhaft umherzirkelt, (und das auch noch in Verbindung mit dem atonalen Klangteppich, den die Musikanten Gregorio Cosentino und Enrico Vanossi dazu weben), lassen sogar kurzweise echte cineastische Wonnegefühle in mir aufkommen. Dass Salerno seine Vorbilder regelrecht in sich aufgesogen hat, beweist nicht zuletzt besagter eigens für ARPIE komponierte Soundtrack: Da wird Claudio Simonetti ebenso Tribut gezollt wie Fabio Frizzi; außerdem gibt es typischen Argento-Metal, und eine Pianoballade, die verdächtig nach den wehmütigen Momenten in BUIO OMEGA klingt.
Genau diese kultische Verehrung des Italo-Horror-Olymps ist dann aber gleichzeitig die Krux eines Films wie ARPIE, der offenbar nichts anderes sein will als ein reines Derivat übermächtiger Ahnen, und dessen eigenständige Kreativleistungen man an den Fingern einer Dämonenklaue abzählen kann. Nicht nur der quasi pausenlos dudelnde Score von ARPIE erweckt den Eindruck einer Aneinanderreihung vertrauter Muster dessen, was einen generischen italienischen Horrorfilm üblicherweise akustisch auszeichnet; auch das dramaturgisch nun wirklich ausbesserungswürdige Drehbuch reiht Topos an Topos, sodass ich mir schnell vorkommen wie in einer Revuenummer von Highlights aus dem Genre-Kanon. So wiederholt Salerno in seinem Finale 1:1 die Transformationsszene aus Bavas DEMONI, (dem er sich überhaupt wesentlich näher zu fühlen scheint als einem avantgardistisch angehauchten SUSPIRIA oder einem barocken PROFONDO ROSSO); als das Geheimnis von Veronicas Keller gelüftet wird, kommt es mir vor, als würden Kameraeinstellungen aus PHENOMENA mitunter originalgetreu imitiert werden; die Eigenheit des Drehbuchs, seine Protagonisten quasi alle fünf Minuten munter zu wechseln, und eine Figur, sobald man sich mit ihr identifiziert hat, einfach aus der Handlung zu schmeißen, erinnert frappant an das Konzept (oder Anti-Konzept) von INFERNO; zumal die Harpyien als (misogyn interpretierbare) weibliche Dämonen, die mit ihrer Zeit offenbar nichts anderes anzufangen wissen als Junkies, lüsterne Professoren und Polizeibeamte zu zerfleischen, einen Hauch von Argentos (bzw. De Quinceys) „Drei Müttern“ in sich tragen; die fehlende Konsistenz des Plots schließlich, der, wenn man nur ein bisschen über ihn nachgrübelt, nicht mal von einer inhärenten Logik notdürftig zusammengenäht wird, sondern tatsächlich nichts anderes ist als eine Abfolge meist kontingenter Einzelszenen und Referenzen, kann man gut und gerne als Nachhall der surrealistischen Exzesse auf der narrativen Ebene von Fulcis Früh-80er-Splatter-Granaten wie vor allem L’ALDILÀ lesen. Wo aber Fulci und sein Drehbuchautor Dardano Sacchetti scheinbar bewusst mit Sehgewohnheiten und filmischen Konventionen spielen bzw. diese einfach locker aus dem Handgelenk über Bord werfen, da wirkt ARPIE eher unfreiwillig verworren und bemüht darin, so viele Ideen in einen Korb zu bringen, dass dieser schnell aus allen Nähten platzt. Was soll beispielweise der Bezug auf die Harpyien, mit denen Salernos Monstren nun wirklich nichts außer dem Namen gemein haben, sondern, wie erwähnt, eher verwandtschaftliche Beziehungen zu den Dämonen Lamberto Bavas aufweisen? Was führen sie im Schilde und welchem Zweck dient ihr Morden? Wer verriegelt eigentlich die Haustür Veronicas, um den Professor an der Flucht zu hindern, während Veronica selbst doch im Badezimmer eingeschlossen sitzt? Wer ist die Frau, die neben einem verwesten Menschenkopf erwacht, und wieso muss sie sterben? Wieso forciert Veronica, indem sie den Polizisten deren Autoschlüssel entwendet, dass sie in ihr Haus zurückkehren, und sie beim Leichenschmaus im Keller auf frischer Tat ertappen? Fragen über Fragen, die sich letztlich derart hochstapeln, dass sie die Größe eines GHOSTHOUSE spielerisch erreichen.
Freilich, als Werk eines Fans für Fans ist ARPIE durchaus mehr als einen Blick wert, und als Produkt eines Hobbyfilmers mit nur ein paar Lire in der Tasche durchaus beeindruckend, und ich kann mir gut vorstellen, dass Salerno, hätte man ihm jemals das Budget eines Soavi zur Verfügung gestellt, zu Filmen in der Lage gewesen wäre, deren visuelle Frontalattacken auf ihr Publikum heftig genug ausgefallen wären, um darüber jedes noch so laute Stottern innerhalb der narrativen Dynamik vergessen zu lassen. Aber das sind natürlich bloße Spekulationen, und Salernos tragischer Tod fällt bezeichnenderweise exakt in die gleiche Zeitperiode, in der Regisseure wie Michele Soavi, Mariano Baino und Al Festa das klassische italienische Horrorkino - jeder auf seine Weise, und in unterschiedlicher Qualität – endgültig zu Grabe tragen.
Wenn man dem 1987 veröffentlichten ARPIE, in dem Salerno einmal mehr in Personalunion als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent, Kameramann, Cutter und Ein-Mann-FX-Departement in Erscheinung tritt, eins nicht vorwerfen kann, dann, dass er seine Idole auch nur ansatzweise verschleiern würde. Der knapp fünfunddreißig Minuten lange Schocker beginnt mit einer Flüsterstimme geradewegs aus den Untiefen der SUSPIRIA-Ballettschule für junge Hexen sowie Illustrationen der titelgebenden antiken Mischwesen aus Frau und Vogel unter anderem von Gustave Doré, - aber auch eine ikonische Darstellung des Templergötzen Baphomets hat es, weshalb auch immer, in den Vorspann geschafft. Nachdem uns das diabolische Wispern zu einem Goblin-Gedächtnis-Soundtrack versichert hat, dass die Harpyien durchaus auch in unseren aufgeklärten Zeiten noch ihr Unwesen treiben würden, lernen wir einen abgehalfterten Junkie kennen, der, als er sich gerade einen Schuss in irgendeinem Mailänder Hinterhof setzt, von einem zwar schweigsamen, dafür aber umso übler dreinblickenden Mann überrascht wird. Panisch sticht der Heroin-Konsument die bedrohliche Gestalt nieder – nur um plötzlich von einem Wesen attackiert zu werden, das niemand am Set von Lamberto Bavas DEMONI als Störfaktor empfunden hätte: Die Bestie mit dem exorbitanten Beißwerkzeug und scharfen Klauen schlitzt unserem Held kurzerhand den Brustkorb auf, sodass dieser verscheidet, noch bevor der hübsch mit Geisterbahnschrift animierte Vorspann zu seinem Ende gekommen ist.
Vergessen können wir den armen Fixer sowieso, da auf diese eigenartige Prologsequenz in der folgenden halben Stunde kein einziges Mal mehr Bezug genommen wird. Stattdessen heftet sich Salernos Film an die Fersen von Veronica, einer jungen Frau, die ihr Universitätsstudium finanziert, indem sie nebenbei im Krankenhaus jobbt, was allerdings dazu führt, dass ihre Noten aufgrund der Doppelbelastung alsbald in den Keller rutschen. Ein Gespräch mit ihrem Professor bringt ihr weniger Verständnis ein, sondern einen empörten Gesichtsausdruck, als der Lustgreis ihr anbietet, über ihre schlechten Zensuren hinwegzuschauen, wenn sie sich ihm gegenüber nur etwas aufgeschlossener zeige. Schnitt zu einer anderen Frau, die für den eigentlichen Plot derart unbedeutend ist, dass sie nicht mal einen Namen besitzt; stattdessen hat sie aber nach dem Erwachen in ihrem Bett immerhin einen verwesenden Kopf liegen, der sie angrinst wie die berühmte Zombie-Fratze aus Fulcis ZOMBI 2, und bei dem auch die lebenden Maden in Großaufnahmen nicht fehlen dürfen. Verständlicherweise erschüttert zieht die Dame sich von ihrer Schlafstatt zurück, und bringt ihren Hinterkopf damit geradewegs in die Einflugschneise einer mit einem Messer bewährten Hand: Die Klinge tritt ihr, ganz nach dem Muster des Eröffnungs-Splatters in Fulcis QUELLE VILLA ACCANTO AL CIMITERO, auf eine Weise in die Schädeldecke ein, dass ihre Augen aufgrund der Heftigkeit des Stichs Blut zu weinen beginnen. Wer genau die Frau nun gewesen ist, und in welcher Beziehung ihr bemitleidenswertes Dahinscheiden mit der Veronica-Handlung steht, diese Antworten überlässt Fabio Salerno mir und meiner blühenden Phantasie.
Dass ein Nein auch einfach mal ein Nein bedeutet, scheint Veronicas Professor inzwischen so schwer verständlich zu sein, dass er seine Studentin am Abend gar kurzerhand in ihrem (angesichts ihrer postulierten mediokren finanziellen Situation verblüffend weitläufigen und mehrstöckigen) Eigenheim aufsucht, und seine Offerte wiederholt: Schläft sie mit ihm, wird sie ganz sicher nicht durch die Prüfung rasseln. Veronica kann sich der immer aggressiver werdenden Avancen ihres Profs letztlich nicht anders erwehren, als dass sie sich im eigenen Badezimmer einschließt, worauf der Lüstling endlich aufgibt, und zur Haustür stapft, die allerdings auf einmal fest verriegelt ist. Zurückgekehrt zum Badezimmer, um Veronica nach dem Schlüssel zu fragen, steht ihm bloß noch ein grausamer Tod bevor: Eine Dämonenklaue wie aus Argentos INFERNO knallt durch das Türholz und grapscht ihm mitten ins Gesicht. Dem kurz danach eintrudelnden Bübchen vom Apotheken-Bringdienst ergeht es nicht besser: Veronica, in sichtlich schlechter Fassung, nämlich im Bava-DEMONI-Modus, heißt ihn willkommen, indem sie ihm ein Messer in den Hals rammt.
Zum Glück ist die Polizei einen Schnitt später bereits zur Stelle. Die Suche nach dem spurlos verschwundenen Lieferboten führt sie direktemang zu Veronica, die vorgibt, der Knabe sei nie bei ihr angekommen, und den beiden Beamten dabei, weshalb auch immer, ihre Autoschlüssel stibitzt. Gezwungen, in Veronicas Häuschen zurückzukehren, wo sie den Schüssel richtigerweise vermuten, finden sie dieses wie verwaist vor. Ein Blick in den Keller eröffnet ihnen indes, dass der erste Eindruck täuscht: Da sind, als PHENOMENA-Referenz, ganze Generationen an verfaulenden Kadavern inklusive Maden gestapelt, und Veronica, zurzeit ohne Harpyien-Fangzähne und -Krallen, läuft mit einer elektrischen Säge Amok, was dem Score Anlass gibt, in metallische Klänge auszubrechen, die auch dem Argento der 80er die Ohren geschmeichelt hätten. Während einer der beiden Polizisten Veronicas Gruft der rottenden Leichen nicht lebend verlässt, gelingt es Cop Nummer Zwei, Francesco, die junge Frau über den Haufen zu schießen. Vorbei ist der Film damit aber noch lange nicht: Nachdem wir Francescos Freundin Roberta vorgestellt bekommen haben, die sehr einfühlsam und verständnisvoll mit den Traumata umgeht, die ihr Lebensgefährte seit dem Tod seines Kollegen mit sich herumschleppt, (und die sich unter anderem darin äußern, dass er seiner Liebsten beim Abendessen davon erzählt, wie grausig doch der Anblick all der rottenden menschlichen Körperteile gewesen sei: na dann, guten Appetit!), feuert Salerno die nächste Filmanspielung aus der Hüfte: Auf offener Straße glaubt Francesco VERTIGO-esque die tote Veronica zu erblicken – und die Montage verblüfft durch Maschinengewehrgegenschnitte von Francescos fassungslosem Gesicht und der jungen Frau, wie sie zwischen den Passanten sorglos eine belebte Handelsstraße entlangflaniert. Sitzt Francesco der Schock derart tief in den Knochen, dass er bereits zu phantasieren anfängt? Mitnichten, denn kurz darauf erfährt er von einem Kollegen, dass Veronicas Leichnam tatsächlich aus dem Obduktionssaal verschwunden sei. Auch stellt er an Roberta merkwürdige Verhaltensweisen fest: Sie scheint etwas vor ihm zu verheimlichen, stiehlt sich heimlich aus dem Haus, hat zudem eine ihm unbekannte Freundin bei sich aufgenommen. Falls er in ihrer Abwesenheit Schritte im oberen Stockwerk hören solle, solle er sich davon nicht beunruhigen lassen, denn sie habe spontanen Besuch erhalten. Wir ahnen doch alle, worauf die Chose hinausläuft, oder?
Mehr als nur ahnen kann man anhand meiner einleitenden Worte und meiner Inhaltsangabe zwei grundsätzliche Dinge, die konstitutiv für ARPIE sind: 1) Salernos Film ist ein lupenreines Amateurprodukt, gedreht mit Laien, einem verschwindend geringen Budget und eigenhändig fabrizierten Spezialeffekten; 2) Salernos Film ist ein Werk, das man kaum außerhalb seines Entstehungskontext rezipieren kann, zu sehr abhängig zeigt es sich von dem spezifischen Genre, dem er huldigt. Was Punkt Eins betrifft, kann ich eigentlich nur meinen Hut davor ziehen, was der damals Dreiundzwanzigjährige ohne Unterstützung eines professionellen Studios auf die Beine gestellt hat. Natürlich muss man bei schauspielerischen Leistungen (gerade der lange Finalmonolog der Harpyie Roberta erinnert dann doch mehr an die kraftlose Probe einer Volkstheatertruppe), bei den handgemachten (und zudem reichlich selbstzweckhaften) Sudeleien und beim oftmals äußerst holprigen Schnitt Abstriche machen. Für einen Film dieser Preisklasse allerdings weitgehend applauswürdig ausgefallen ist die Kameraarbeit, der es teilweise gelingt, die tänzerische Eleganz eines Argento zu simulieren, sowie die gerne mit knalligen Farben á la SUSPIRIA oder INFERNO operierende Ausleuchtung, die die dürftigen Produktionskosten zudem teilweise effektiv kaschieren kann. Die rapide Montage, als Francesco die totgeglaubte Veronica auf der Gasse trifft, und die Art und Weise, wie die Kamera beispielweise in der Szene, als die beiden Polizisten Veronicas Keller inspizieren, predatorenhaft umherzirkelt, (und das auch noch in Verbindung mit dem atonalen Klangteppich, den die Musikanten Gregorio Cosentino und Enrico Vanossi dazu weben), lassen sogar kurzweise echte cineastische Wonnegefühle in mir aufkommen. Dass Salerno seine Vorbilder regelrecht in sich aufgesogen hat, beweist nicht zuletzt besagter eigens für ARPIE komponierte Soundtrack: Da wird Claudio Simonetti ebenso Tribut gezollt wie Fabio Frizzi; außerdem gibt es typischen Argento-Metal, und eine Pianoballade, die verdächtig nach den wehmütigen Momenten in BUIO OMEGA klingt.
Genau diese kultische Verehrung des Italo-Horror-Olymps ist dann aber gleichzeitig die Krux eines Films wie ARPIE, der offenbar nichts anderes sein will als ein reines Derivat übermächtiger Ahnen, und dessen eigenständige Kreativleistungen man an den Fingern einer Dämonenklaue abzählen kann. Nicht nur der quasi pausenlos dudelnde Score von ARPIE erweckt den Eindruck einer Aneinanderreihung vertrauter Muster dessen, was einen generischen italienischen Horrorfilm üblicherweise akustisch auszeichnet; auch das dramaturgisch nun wirklich ausbesserungswürdige Drehbuch reiht Topos an Topos, sodass ich mir schnell vorkommen wie in einer Revuenummer von Highlights aus dem Genre-Kanon. So wiederholt Salerno in seinem Finale 1:1 die Transformationsszene aus Bavas DEMONI, (dem er sich überhaupt wesentlich näher zu fühlen scheint als einem avantgardistisch angehauchten SUSPIRIA oder einem barocken PROFONDO ROSSO); als das Geheimnis von Veronicas Keller gelüftet wird, kommt es mir vor, als würden Kameraeinstellungen aus PHENOMENA mitunter originalgetreu imitiert werden; die Eigenheit des Drehbuchs, seine Protagonisten quasi alle fünf Minuten munter zu wechseln, und eine Figur, sobald man sich mit ihr identifiziert hat, einfach aus der Handlung zu schmeißen, erinnert frappant an das Konzept (oder Anti-Konzept) von INFERNO; zumal die Harpyien als (misogyn interpretierbare) weibliche Dämonen, die mit ihrer Zeit offenbar nichts anderes anzufangen wissen als Junkies, lüsterne Professoren und Polizeibeamte zu zerfleischen, einen Hauch von Argentos (bzw. De Quinceys) „Drei Müttern“ in sich tragen; die fehlende Konsistenz des Plots schließlich, der, wenn man nur ein bisschen über ihn nachgrübelt, nicht mal von einer inhärenten Logik notdürftig zusammengenäht wird, sondern tatsächlich nichts anderes ist als eine Abfolge meist kontingenter Einzelszenen und Referenzen, kann man gut und gerne als Nachhall der surrealistischen Exzesse auf der narrativen Ebene von Fulcis Früh-80er-Splatter-Granaten wie vor allem L’ALDILÀ lesen. Wo aber Fulci und sein Drehbuchautor Dardano Sacchetti scheinbar bewusst mit Sehgewohnheiten und filmischen Konventionen spielen bzw. diese einfach locker aus dem Handgelenk über Bord werfen, da wirkt ARPIE eher unfreiwillig verworren und bemüht darin, so viele Ideen in einen Korb zu bringen, dass dieser schnell aus allen Nähten platzt. Was soll beispielweise der Bezug auf die Harpyien, mit denen Salernos Monstren nun wirklich nichts außer dem Namen gemein haben, sondern, wie erwähnt, eher verwandtschaftliche Beziehungen zu den Dämonen Lamberto Bavas aufweisen? Was führen sie im Schilde und welchem Zweck dient ihr Morden? Wer verriegelt eigentlich die Haustür Veronicas, um den Professor an der Flucht zu hindern, während Veronica selbst doch im Badezimmer eingeschlossen sitzt? Wer ist die Frau, die neben einem verwesten Menschenkopf erwacht, und wieso muss sie sterben? Wieso forciert Veronica, indem sie den Polizisten deren Autoschlüssel entwendet, dass sie in ihr Haus zurückkehren, und sie beim Leichenschmaus im Keller auf frischer Tat ertappen? Fragen über Fragen, die sich letztlich derart hochstapeln, dass sie die Größe eines GHOSTHOUSE spielerisch erreichen.
Freilich, als Werk eines Fans für Fans ist ARPIE durchaus mehr als einen Blick wert, und als Produkt eines Hobbyfilmers mit nur ein paar Lire in der Tasche durchaus beeindruckend, und ich kann mir gut vorstellen, dass Salerno, hätte man ihm jemals das Budget eines Soavi zur Verfügung gestellt, zu Filmen in der Lage gewesen wäre, deren visuelle Frontalattacken auf ihr Publikum heftig genug ausgefallen wären, um darüber jedes noch so laute Stottern innerhalb der narrativen Dynamik vergessen zu lassen. Aber das sind natürlich bloße Spekulationen, und Salernos tragischer Tod fällt bezeichnenderweise exakt in die gleiche Zeitperiode, in der Regisseure wie Michele Soavi, Mariano Baino und Al Festa das klassische italienische Horrorkino - jeder auf seine Weise, und in unterschiedlicher Qualität – endgültig zu Grabe tragen.