Originaltitel: Notte profonda
Produktionsland: Italien 1991
Regie: Fabio Salerno
Darsteller: Luigi Sgroi, Francesca Bartellini, Simona Brusoni, Olimpio Fantaguzzi, Mario Monzoni
Vier Jahre nachdem Salerno sowohl mit ARPIE eine Hommage an die Argento-Schule vor allem in der Ausprägung Lamberto Bavas als auch mit OLTRETOMBA einen offensichtlichen Kniefall vor den surrealistischen Splatter-Orgien eines Lucio Fulci inszeniert hat, wirkt NOTTE PROFONDA wie eine Fusion der beiden jeweils in Anschlag gebrachten Konzepte: Auf der einen Seite eine konventionellen narrativen Grundkonstellationen folgende Spielfilmhandlung, die in einer logisch tickenden Welt angesiedelt ist, in der der Einbruch des Phantastischen zunehmend Chaos stiftet (ARPIE); auf der anderen Seite ein reduzierter, eher avantgardistisch angehauchter Plot, der sich auf einem Bierdeckel zusammenfassen ließe, gerade deshalb aber der überbordenden Ästhetik genügend Freiraum zur Entfaltung ihrer spezifischen Qualität liefert (OLTRETOMBA).
NOTTE PROFONDA nunmehr beginnt mit einem Blick in die Hölle: Es ist allerdings nicht die fulci-esque Hölle von OLTRETOMBA, in die Salerno uns (erneut in Personalunion als: Produzent, Regisseur, Drehbuchautor, Cutter, Kameramann, Ein-Mann-FX-Departement) zunächst entführt, sondern die, zu der sich der Alltag unseres Helden Paolo offensichtlich entwickelt hat. Als abgehalfterter, erfolgloser, zudem alkoholabhängiger Comic-Autor lernen wir den jungen Mann gebeugt über seine Kloschüssel kennen, in die er erstmal den hauptsächlich aus Hochprozentigem bestehenden Inhalt seines Magens entleert. Anschließend will ihn die Muse trotz Verlust des berauschenden Ballasts nicht küssen: An seinem Schreibtisch hilflos dem kreativen Leerlauf ausgeliefert, und aufgrund seines revoltierenden Magens nicht mal fähig, sich mit weiteren Schnapsschlucken in ein neues Delirium zu befördern, bleibt ihm nichts übrig, als ein Glas Wasser zu exen, eine Kippe zu schmauchen, und angewidert von sich selbst zu sein.
Düstere Gedanken wälzen hilft aber freilich nichts, wenn man unter akuten Geldsorgen leidet. Wenigstens unterbreitet ihm ein Freund, der praktischerweise als Barkeeper in der eigenen Lieblingskneipe angestellt ist, kurz darauf ein Angebot, das abzulehnen ziemlich bescheuert wäre: Paolo soll gegen Bezahlung einen Kellerbillardraum entrümpeln, der besagtem Freund gehört, und den er nun, wo ein rätselhafter Mordfall in ihm über die Bühne gegangen ist, gerne anderweitig nutzen würde. Noch immer kann man auf dem Boden des Spielzimmers die weißgekreideten Umrisse vier getöteter Personen erkennen – und außerdem entdeckt Paolo gleich bei Beginn seiner Entrümpelungsarbeit, (und kurz bevor er von einem weiteren Beinahe-Kotzanfall überwältigt wird; der Mann scheint wirklich kurz vor einer Leberzirrhose zu stehen), ein pyramidenförmiges Objekt, das er nicht etwa seinem Arbeitgeber aushändigt, sondern kurzerhand in die eigene Tasche steckt, um es mit nach Hause zu nehmen. Dort staunt nicht nur Cristina, die Freundin, die Paolo trotz seiner Trunksucht bislang scheinbar bei der Stange hat halten können, über seinen plötzlich erwachenden Tatendrang. Wie von selbst fließen die Horrorfratzen aus seinem Comic-Zeichenstift, wenn auch unser Held die Arbeit immer wieder unterbricht, um ganz fasziniert an seinem Fundstück, der Pyramide, herumzufummeln. Dass er in dieser Nacht aus einem schlechten Traum hochschreckt, und meint, die Tür seines Schlafzimmerschranks habe sich im Moment seines Erwachens von selbst geschlossen, kann Paolo noch als Trugbild abtun. Weniger gelingt ihm das in der Folgenacht, deren Morgen er neben seinem Bett liegend mit Verletzungen in den Handflächen und übergossen mit Bacardi erlebt. Hat er etwa schlafwandelnd nach der Spirituose gegriffen, sich ins Koma gesoffen, und sich die Wunden dabei selbst beigefügt?
Wir wissen es natürlich besser, hat Salerno uns doch gezeigt, dass Paolos Wohnung, sobald er die Äuglein zugemacht hat, in Mario-Bava-Farbblitzen explodiert, und einige Gegenstände in ihr ein bedrohliches Eigenleben zu entwickeln beginnen: Das Messer, das Paolo die Handfläche zerschnitten hat, ist dort ganz von selbst gelandet, und auch die Bacardi-Flasche hat sich ohne sichtbares Zutun alleine so weit zur Seite gekippt, dass ihr Inhalt dem ohnmächtigen Paolo mitten ins Gesicht plätscherte. Auch haben wir natürlich längst erraten: Es ist die Pyramide, die hinter dem Teufelsspuk in Paolos Butze steckt, weshalb natürlich weder die monotonen Memos unseres Helden an sich selbst, er müsse endlich die Finger vom Suff lassen, noch die rationalen Beteuerungen seiner Liebsten etwas nützen, an den angeblichen obskuren Phänomen sei niemand sonst schuld außer sein überreizter und vernebelter Verstand. Als die Kette an Ereignissen partout nicht abreißen will, und sich stattdessen sogar noch zunehmend steigert, sieht Paolo keinen anderen Ausweg, als Hilfe bei einem Priester zu suchen. Ausstaffiert mit Heiligenbildchen und Marienstatuetten sollen seine vier Wände gewappnet sein gegen die Angriffe der Dämonen, die er bereits hinter seinen schweißtreibenden Nächten vermutet. Doch wann hat sich der christliche Gott schon einmal in einem italienischen Horrorfilm für ein propres Happy End ins Zeug gelegt…?
Auch für NOTTE PROFONDA gilt, was ich nun schon jeweils an ARPIE und OLTRETOMBA durchexerziert habe: 1) Dieser Film ist eine Fülle an Referenzen, mit denen Salerno diesmal aber weit über den Kanon des Italo-Horrors hinausgreift. Paolos Wohnungswände sind zwar gepflastert mit Filmplakaten, die von Argentos INFERNO über Giulio Paradisis STRIDULUM bis hin zu Fulcis MANHATTAN BABY reichen, zwischendurch kann man in seinem Fernsehapparat auch einmal einen Blick auf SUSPIRIA erhaschen, und generell amalgamiert sein Inszenierungsstil mit der schwebenden Predatoren-Kamera, dem synthielastigen, (leider recht sterilen) Soundtrack und der stellenweise primärfarbenlastigen Beleuchtung erneut klar stilistische Eigenheiten der bereits genannten (übergroßen) Vorbilder. Dennoch erweitert Salerno seinen Horizont zugleich ein bisschen: Die Pyramide, die in NOTTE PROFONDA die Wurzel allen Übels ist, scheint mir doch relativ deutlich anhand des Würfelchens aus Clive Barkers HELLRAISER modelliert, während mindestens zwei Szenen mir ihren David-Cronenberg-Einfluss nicht verleugnen können (oder wollen): Einmal kriecht ein ekliges Gewürm aus dem Testbildgestöber einer Fernsehkiste, als seien wir plötzlich in den VIDEODROME geraten, und wenn Paolo, als er feststellt, dass ihm das Böse längst in den eigenen Knochen steckt, sprich, sich durch diverse Verletzungen in seinem Körper verankert hat, zum Rasiermesser greift, um sich die negativen Energien eigenhändig heraus zu operieren, dann kann man viel mehr Body Horror eigentlich gar nicht verlangen. 2) Trotz seiner Laufzeit von fast siebzig Minuten verleugnet NOTTE PROFONDA zu keinem Zeitpunkt, dass das Salerno zur Verfügung stehende Budget sich in den seit ARPIE und OLTRETOMBA vergangenen Jahren kaum merklich in die Höhe geschwungen hat. Höchstens die stellenweise reichlich virtuosen (und ausnahmslos kuriosen) Spezialeffekte mögen etwas mehr Geld verschlungen haben als diejenigen in den beiden Vorgängerprojekten – wenn beispielweise Paolos Kopf das gleiche Schicksal erleidet wie das Francescos in OLTRETOMBA, nämlich on-screen zu einer gallertartigen Masse zu werden, dann schaut das in NOTTE PROFONDA bereits, ich will nicht sagen, lebensechter aus, aber stößt einen zumindest auch nicht sofort mit der Nase darauf, wie genau dieser Trick denn nun funktioniert. Überhaupt erweckt NOTTE PROFONDA in jedweder Hinsicht einen professionelleren Eindruck: Die Montage holpert kaum einmal; die Laiendarsteller wirken nicht allzu sehr wie Laien; die Musik fügt sich stimmig in das Gesamtbild.
Trotzdem muss ich gestehen: Mein Herz hängt wesentlich mehr an ARPIE und vor allem an OLTRETOMBA. Woran das liegt? NOTTE PROFONDA mag so sehr wie ein „normaler“ Genrefilm wirken wie kein Salerno-Film zuvor, doch ziehe ich einen kruden Wust an Ideen (ARPIE) oder ein streckenweise gar experimentell anmutendes Anti-Logik-Spektakel (OLTRETOMBA) einem „normalen“ Horrorfilm doch bei Weitem vor. Mehr noch: NOTTE PROFONDA mag wie ein „normaler“ Genrefilm wirken wollen; das heißt aber nicht, dass er auch ein solcher bei näherer Betrachtung ist. Wie ich schon anfangs angedeutet habe: Im Grunde versucht NOTTE PROFONDA den Spagat zwischen den beiden Vorgängerfilmen, wobei ARPIE die konventionellere erste Hälfte gehört, und OLTRETOMBA die wildere zweite. Konkret gesagt: NOTTE PROFONDA beginnt wie tausende Genrefilme vor und nach ihm; ein Anti-Held findet einen obskuren Gegenstand, der ihm den Teufel auf den Hals hetzt; es geschehen blutige, ekelhafte und bizarre Dinge. Sobald diese Dinge nun aber geschehen, lässt Salerno seinen sorgsam aufgebauten Plot kurzerhand einfach fallen, und beackert erneut reines Fulci- bzw. Sacchetti-Terrain, und lässt NOTTE PROFONDO zu einem reinen Kammerspiel werden: Gefühlt die gesamte zweite halbe Stunde taumelt Paolo in seiner Wohnung umher, als sei sie kurzfristig in eine veritable Geisterbahn umgebaut worden; da lauert hinter jeder Ecke, unter jedem Sitzmöbel, in jeder dunklen Ecke irgendein zum Leben erwachender Gegenstand oder irgendeine Dämonenfratze, sodass man sich gar nicht mehr die Mühe machen sollte, nach einer schlüssigen Erklärung des Tohuwabohus zu forschen. Gerade im Vergleich mit ARPIE und OLTRETOMBA muss ich aber sagen: So ein Kuddelmuddel das Drehbuch von ersterem auch gewesen sein mag, ist Salernos Schauermär von den modernen Harpyien doch wesentlich origineller ausgefallen als das Baukaustenschema, nach der die Exposition von NOTTE PROFONDA gestrickt wurde; auf einer Länge von einer Viertelstunde und straff auf eine (wenn auch vorhersehbare) Pointe hin konzipiert hat mich der Parforce-Ritt durch eine verwunschene Bude in OLTRETOMBA doch wesentlich mehr unterhalten als ihr etwas bemüht in die Länge gezogenes Gegenstück in NOTTE PROFONDA. Unterm Strich wirkt der Film willkürlich wie sein Titel, und ich hätte mir doch gewünscht, dass Salernos einziger Langfilm etwas mehr Innovationspotential aufweist als das, was letztlich in ihn geflossen zu sein scheint.
Das alles soll aber nicht heißen, dass ein leidenschaftlicher Film wie NOTTE PROFONDA nicht seinen kleinen Garten in meinem Herzen hat, und dass nicht einige Szenen durchaus mein Wohlgefallen erregt haben. Das Finale beispielweise, mit seinem augenzwinkernden Seitenhieb auf die großangelegten Hausverbrennungen in INFERNO und SUSPIRIA; oder der Tod Cristinas, der nicht nur aufwühlend montiert ist, sondern außerdem durch seine Verbindung von Strick und Fahrstuhl seinen Hut vor PROFONDO ROSSO zieht; auch macht Hauptdarsteller Luigi Sgroi vor allem dann eine gute, (oder besser: schlechte), Figur, wenn er die verletzlichen Seiten Paolos nach außen kehrt, sprich, ihn kotzend zwischen leergesoffenen Schnapsflaschen präsentiert; auch die Idee, Paolo kurzerhand zum gläubigen Katholiken sich wandeln zu lassen, fand ich, wenn sie auch leider dann nicht weiter ausgearbeitet wird, recht überraschend.
Als Werk eines Fans für Fans ist NOTTE PROFONDA demnach durchaus einen Blick wert, und als Produkt eines Hobbyfilmers mit nur ein paar Lire in der Tasche durchaus beeindruckend, und ich kann mir gut vorstellen, dass Salerno, hätte man ihm jemals das Budget eines Soavi zur Verfügung gestellt, zu Filmen in der Lage gewesen wäre, deren visuelle Frontalattacken auf ihr Publikum heftig genug ausgefallen wären, um darüber jedes noch so laute Stottern innerhalb der narrativen Dynamik vergessen zu lassen. Aber das sind natürlich bloße Spekulationen, und Salernos tragischer Tod fällt bezeichnenderweise exakt in die gleiche Zeitperiode, in der Regisseure wie Michele Soavi, Mariano Baino und Al Festa das italienische Horrorkino - jeder auf seine Weise, und in unterschiedlicher Qualität – zu Grabe tragen.