The Red Stained Lawn - Riccardo Ghione (1973)

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Salvatore Baccaro
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The Red Stained Lawn - Riccardo Ghione (1973)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Il prato macchiato di rosso

Produktionsland: Italien 1973

Regie: Riccardo Ghione

Darsteller: Marina Malfatti, Enzo Tarascio, Daniela Caroli, George Willing, Claudio Biava, Lucio Dalla, Dominique Boschero


Einmal mehr kann man die deutsche Wikipedia Lügen strafen: Im Eintrag zum italienischen Filmschaffenden Riccardo Ghione (1922-2003) heißt es zunächst völlig korrekt, dass der Sohn eines berühmten Dirigenten seine ersten Schritte im Filmgeschäft Anfang der 50er unternimmt, als er zusammen mit seinem Freund Marco Ferreri und dem theoretischen Vater des Italienischen Neorealismus, Cesare Zavattini, das ambitionierte Projekt DOCUMENTO MENSILE ins Leben ruft, eine Art experimentelle Wochenschau, die strukturell funktionieren sollte wie eine von mehreren Autoren gestemmte Zeitschrift, zu der Künstler, Literaten, Filmemacher nur eben statt Artikeln in Wort und Schrift kleine selbstinszenierte Filmvignetten beisteuern sollten, aber nach nur drei Nummern, (an denen immerhin solche illustren Namen wie Vittorio de Sica, Alberto Moravia oder Luchino Visconti partizipierten), eingestellt wird. Auch danach läuft es für Ghione, wie der Wikipedia-Artikel allerdings bloß andeutet, nicht allzu rosig: Ein weiteres Projekt, gestartet unter dem Arbeitstitel LO SPETTATORE NO. 1, dessen Segmente sich ausschließlich auf reale Begebenheiten beziehen und damit quasi eine Tageszeitung im Filmformat bilden sollen, mündet immerhin noch in dem Kompilationsfilm L’AMORE IN CITTÀ (1953), (mit Beiträgen von Federico Fellini, Michelangelo Antonioni, Carlo Lizzani u.a.); in der Folge hält sich Ghione mit wechselnden Jobs in Cinecittà über Wasser; sein erster eigenständig inszenierter Film IL LIMBO wird zwar Mitte der 60er fertiggestellt, erfährt jedoch keine öffentliche Aufführung und gilt heute als verschollen – die Wikipedia nennt Ghiones angeblich ausschließlich mit Kleinkindern gedrehtes Debut etwas euphemistisch als „äußerst selten gezeigten Film.“

Sodann, heißt es, „inszenierte er 1968 LA RIVOLUZIONE SESSUALE, in dem er die Theorien des Wilhelm Reich nach eigenem Drehbuch verfilmte. Das Thema des Wohlstandes auf Kosten anderer und der Entmenschlichung behandelte er im 1971 entstandenen A CUORE FREDDO; sein letzter eigener Film war dagegen ein herkömmlicher Giallo.“ Wer auch immer diese Einschätzung über Ghiones vierten und letzten Spielfilm IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO (1973) getippt haben mag, dürfte den fraglichen Film allerdings wahrscheinlich selbst nicht in Augenschein genommen zu haben, denn a) handelt es sich, wenn man ihm denn unbedingt ein Genre-Etikett umhängen möchte, bei IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO ganz sicher nicht um einen Giallo, (und das, obwohl ihn auch Christian Keßler wie selbstverständlich in seinem Gelbleder-Kompendium „Gelb ist die Nacht“ integriert), b) finden die Themen des „Wohlstandes auf Kosten anderer und der Entmenschlichung“ vollumfänglich auch in IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO statt, und c) wäre „herkömmlich“ eine Vokabel, mit der zumindest die inhaltliche Ausrichtung von IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO nun wirklich überhaupt nichts am Hut hat...

Zugegeben, rein inszenatorisch könnte man Ghiones Film natürlich durchaus vorwerfen, Konfektionsware zu sein. Anders gesagt: Von seiner Montage, seiner Kameraführung, seinen Bildkompositionen her entspricht IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO durchaus dem, was man Anfang der 70er als Standard bezeichnen konnte: Die ästhetisch-technischen Mittel dienen rein funktionalen Zwecken, nämlich, die Handlung voranzutreiben; nach KUNST™ schmeckt hier nicht viel, sondern stattdessen nach einem stellenweise auffällig unausgegorenen Drehbuch, das sich viel Leerlauf leistet, dadurch, dass das halbwegs wache Publikum schnell zu erraten beginnt, worauf die ganze Chose hinausläuft, auch niemals wirkliche Spannung aufkommen lässt, und generell ein bisschen so wirkt, als würde es sich auf seinen drei, vier originellen Ideen ausruhen. Diese drei, vier originellen Ideen indes, puh, die machen IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO zu einem der eigenartigsten Streifen an der Schnittstelle zwischen Art- und Grindhouse, die ich in letzter Zeit sehen durfte.

In einem Hafenstädtchen der Emilia-Romagna macht ein Geheimagent der UNESCO eine schauderhafte Entdeckung: Als er eine Kiste mit verschifft werden sollenden Weinflaschen öffnet, stellt er fest, dass es sich bei der roten Flüssigkeit in den Buddeln nicht etwa um gegorenen Traubensaft, sondern um Menschenblut handelt! Während der Agent nunmehr Nachforschungen anzustellen beginnt und schnell auf die Fährte von Antonio und Nina Genovese gerät, einem Ehepaar, das über ein finanziell äußerst ertragreiches Weinimperium herrscht, lernen wir in der sich parallel eröffnenden Haupthandlung Alfiero kennen, die rechte Hand der Genoveses und zudem Schwager Antonios und Bruder Ninas, der scheinbar ziellos durch die norditalienische Pampa cruist und Personen einsammelt, die den Eindruck erwecken, ebenfalls kein rechtes Ziel und vor allem kein Obdach für die anbrechende Nacht zu haben: Eine Prostituierte; eine Angehörige des fahrenden Volks; einen Saufbold; schließlich unser Heldenpärchen Max nebst Freundin, zwei Hippies wie aus dem Klischeebilderbuch, die mit ihren Familien gebrochen haben, um ein vogelfreies Leben zu führen, zu dessen zentralen Säulen das Rauchen von Pot, das Zupfen von Akustikgitarrensaiten und ausreichend Sex gehören. Diese Truppe wiederum bringt Alfiero in die Villa von Nina und Antonio, wo diese sich als wahre Philantropen präsentieren, bereitwillig den fünf Gästen Schlafplätze anbieten, ihre Gaumen mit Feinschmeckergerichten und vor allem feinstem Rotwein ergötzen, und überhaupt den Eindruck erwecken, sie wollten ihren angehäuften Reichtum den sozial benachteiligten, ausgestoßenen, verfemten Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft zugutekommen lassen. (In der exorbitanten Gastfreundschaft inbegriffen ist auch eine rauschhafte Orgie, zu der Antonio die Rasselbande in eine Geheimkammer geleitet, die man einzig und allein durch einen Eingang erreichen kann, der nach dem Vorbild einer Vagina gestaltet ist: Niki de Saint Phalle lässt grüßen!) Aber natürlich trügt der Schein – und bei dem Roboter, der prominent im Speisesaal herumsteht und aussieht, als habe Ghione ihn aus einem billigen Science-Fiction-Trash der 50er Jahre stibitzt, handelt es sich eben nicht nur um ein technisches Spielzeug des Hobbyingenieurs Antonio, sondern es ist vielmehr eine Gerätschaft, mit der das Ehepaar Genovese – und jetzt haltet euch fest! – ihren Gästen nach und nach das Blut abzapft, um es, wie in der Exposition enthüllt, in Weinflaschen abzufüllen und in die Dritte Welt zu versenden, wo die Menschen aufgrund anhaltender Bürgerkriege und Regierungskrisen nach dem Lebenssaft lechzen: Nein, ich bin noch unsicher, ob ich das Kraut, das Drehbuchautor Ghione inhaliert haben muss, als ihm diese Story-Prämisse in den Sinn kam, wirklich einmal probieren möchte...

In Ghiones ursprünglicher Konzept sollte IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO unter dem Titel VAMPIRO 2000 firmieren, (bevor ihm die Produzenten nahelegten, einen Titel zu wählen, der in seiner blumigen Poesie mehr an das derzeit virulente Giallo-Genre erinnert), was die Karten des Films bereits offen auf den Tisch gelegt hätte: Ähnlich wie Corrado Farinas zwei Jahre zuvor veröffentlichter HANNO CAMBIATO FACCIA versteht sich Ghiones Film als Update des klassischen Vampirismus-Sujets – nicht mehr hausen die Blutsauger in verfallenen Gemäuer, aus denen sie nachts fledermausflügelbewehrt in die Schlafstuben argloser Jungfrauen flattern; die modernen Vampire im Sinne Ghiones sind vielmehr Feudalherren, die sich die Schwächsten der Gesellschaft auspicken, um sie auf technisch-sterile Weise um ihr Blut zu erleichtern, und dieses dann zu horrenden Preisen in Krisen- und Kriegsgebiete Afrikas, Asiens, Lateinamerikas zu verkaufen. Die exploitative Strategie des Ehepaars Genovese funktioniert dementsprechend nach zwei Seiten: In einer Art wirtschaftlichem Neo-Kolonialismus zupfen sie ihren Kunden, bei denen es sich wohl hauptsächlich um lokale Machthaber sogenannter Dritte-Welt-Staaten handelt, das Geld aus den Taschen, während sie zeitgleich die Opfer oder Aussteiger des westlichen Systems (Hippies, Alkoholkranke, Sexarbeiterinnen) zur unfreiwilligen Blutbank bitten. In kondensierter Form verkörpern Antonio und Nina Genovese damit so ziemlich alle Feindbilder der 68er-Generation: Nina liebt es, den Opern Wagners zu lauschen, denn dies sei wahre Übermenschenmusik; Antonio verliert sich oft und gerne in pseudo-intellektuellen, inkohärenten Monologen, die Tiefsinn vorgaukeln, wo nur Konfusion herrscht; alles in allem inkorporieren die Eheleute (plus Bruder/Schwager Alfiero) nicht nur den moralischen Verfall der bourgeoisen Kernfamilie, sondern auch sämtliche negativen Züge von Kapitalismus, Klassismus, Faschismus – eine Liste, die man noch eine ganze Weile um beliebige weitere Ismen erweitern könnte…

Dass Ghiones fundamentale Systemkritik niemals platt und didaktisch daherkommt, hat damit zu tun, dass der Regisseur seinen Stoff mit überaus ironischen Händen anpackt: Dass er allein die Existenz dieses piepsenden Pappmaché-Roboters, für den sich mancher mexikanische B-Movie-Filmer geschämt hätte, ernstgemeint haben sollte, kann ich mir jedenfalls kaum vorstellen, - zumal IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO auch sonst von manchmal feiner, einem manchmal offensiv ins Gesicht springenden Komik durchzogen ist: Dass Max und seine Liebste weniger psychologisch ausgearbeitete Figuren, sondern eher wandelnde Klischees sind, habe ich ja schon angedeutet – keine Gelegenheit darf verstreichen, ohne dass man die Lippen um das Schlauchende der Wasserpfeife schlingt! Auch die inflationären Nacktszenen, (nahezu jeder der Darstellerinnen zieht mindestens einmal blank), wirken auf mich im Kontext dieses Films weniger wie das affirmative Umarmen stimulierender Schauwerte, sondern können gar als Kritik an einem Kino gelesen werden, das partout entblößter Brüste bedarf, um die (männliche) Zuschauerschaft zum Kaufen eines Billetts animieren zu können. Nicht zuletzt brilliert der Cantautore Lucio Dalla, (der auch den folkigen Titelsong intoniert), in der Rolle der namenlosen Schnapsdrossel irgendwo zwischen der grotesken Körperkomik der Comedia dell’arte – keine Gelegenheit darf verstreichen, in der Dalla nicht an der Weinflasche nuckelt wie ein dehydrierter Säugling! - und hintersinnig-aberwitzigen Dialogpassagen, wie sie vor allem dann in Anschlag kommen, wenn der Alkoholiker sich in Wortgefechten mit dem intellektualistischen Antonio verheddert.

All das oben Gesagte indes dürfte unmissverständlich unterstreichen: IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO mag man primär als Vampirhorrorfilm verstehen, (der sich in zwei, drei Passagen gar augenzwinkernd an den klassischen Genre-Topoi abarbeitet und beispielweise Murnaus NOSFERATU die Reverenz erweist und es tatsächlich zuweilen versteht, eine Amtosphäre nicht fassbarer, quasi metaphysischer Bedrohungen zu evozieren), als Gesellschaftssatire, die gleichermaßen mit der Verwertungs- und Akkumulationslogik des Kapitalismus bricht, aber auch die Repräsentanten der Flower-Power-Bewegung innerlich hohl dastehen lässt, als haarsträubender Bahnhofs-Pulp, als kurioses Artefakt einer Zeit, in der selbst Filme wie dieser, (sofern sie nur genügend nackte Haut aufboten), Geldgeber finden konnten – wenn man aber einmal davon absieht, dass in IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO Morde geschehen und ein ermittelnder UNESCO-Agent in einer schmalbrüstigen Nebenhandlung herumtapst, tue ich mir wirklich schwer damit, Ghiones Film als Murder Mystery oder auch nur als Kriminalthriller zu brandmarken: Viel zu desinteressiert ist Ghione an den einzelnen Ermittlungsschritten des namenlosen Agenten, die dann auch eher wirken, als seien sie dem Film nachträglich aufgepfropft worden; viel zu früh dürfte jedem Zuschauer klar sein, dass Antonio und Nina sicherlich nicht aus lauter Nächstenliebe all diese Menschen unter ihrem Dach versammeln, von denen sie sicher sein können, dass niemand sie vermisst.

Unterm Strich jedenfalls bleibt ein Film, den ich ästhetisch weitgehend so uninteressant finde wie storytechnisch verblüffend. Seinen ganz eigenen Reiz gewinnt IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO für mich aber genau aus dieser Diskrepanz zwischen inhaltlichen Anspruch und technischer Umsetzung. Normalerweise ist es ja eher umgekehrt, und wildeste Avantgarde-Experimente entpuppen sich bei näherer Betrachtung als künstlerisch beeindruckend aufgebauschter luftleerer Raum. Bei Ghiones Film ist es nun genau umgekehrt: Beinahe steril wirkt die Inszenierung auf mich, betont konventionell, was schlicht irritierend wirkt, wenn man es plötzlich mit Weinflaschen voller Blut, herrenmenschenzüchtenden Professoren und Robotern zu tun hat, die Menschen den Lebenssaft abzapfen.

Auch wenn es natürlich schade ist, kann ich doch nachvollziehen, dass ein Unterfangen wie IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO, das sich konsequent nicht entscheiden möchte, ob es nun Autorenkino oder Exploitation sein will, seinerzeit keine nennenswerte Verbreitung, dafür seinen Platz in der Giftschrankschublade gefunden hat, und dass auch Riccardo Ghione nach diesem seinem Schwanensang erst einmal in kinematograpghischen Schweigen verfiel. Erst in den 80ern taucht sein Name wieder in den Vorspännen schwüler Erotikfilme wie SCANDALOSA GILDA (1985) oder CASA DI PIACERE (1989) auf - irgendwie auch ein unverdientes Los für jemanden, der dreißig Jahre zuvor mit arrivierten Auteurs wie De Sica, Fellini, Rossellini auf vertrautem Fuß gestanden hat...
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